Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 05.02.2001, Az.: 11 LA 550/01

alternatives Betreiben; Betreibensaufforderung; höhere Gewalt; Nichtbetreiben; Verfahren; Wiedereinsetzung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
05.02.2001
Aktenzeichen
11 LA 550/01
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2001, 39434
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 19.12.2000 - AZ: 6 A 363/00

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Betreibensfrist nach § 81 AsylVfG kann nicht verlängert werden, ggf. ist aber Wiedereinsetzung möglich

Gründe

1

Den Klägern war die beantragte Prozesskostenhilfe nicht zu bewilligen, weil ihr Begehren aus den nachfolgenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

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Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts bleibt ohne Erfolg.

3

1. Die geltend gemachte Grundsatzrüge (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) greift nicht durch:

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a) Die Kläger sehen folgende Frage als grundsätzlich klärungsbedürftig an:

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"Das sog. "alternative Betreiben" im Sinne des § 81 AsylVfG kann mit der Folge einer Fortsetzung des Verfahrens unter Umständen auch nachträglich erfolgen, falls der Asylbewerber substantiiert und glaubhaft darlegt, dass er nicht nur die erforderte Mitwirkungshandlung nicht erbringen konnte, sondern auch dass er diese Darlegung nicht innerhalb der Betreibensfrist erbringen konnte."

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Zur Beantwortung dieser Frage bedarf es jedoch nicht der Durchführung eines Berufungsverfahrens.

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Es ist in Rechtsprechung und Literatur geklärt, dass nach Ergehen einer Betreibensaufforderung im Sinne des § 81 AsylVfG der betroffene Kläger im Rahmen der Frist substantiiert dartun muss, dass und warum sein Rechtsschutzinteresse trotz der Zweifel an dessen Fortbestehen nicht entfallen ist. Ein bloßes Bestreiten der Zweifel genügt nicht. Wird der Kläger konkret zu bestimmten Verfahrenshandlungen aufgefordert, muss er alles in seinen Kräften stehende unternehmen, um die Aufforderung so vollständig wie möglich zu erfüllen (vgl. Hailbronner, AuslR, § 81 AsylVfG Rdnr. 28 f.; GK-AsylVfG, § 81 Rdnr. 103 f.; Marx, AsylVfG, 4. Aufl., § 81 Rdnr. 22;  BVerwG, Urt. v. 13. 1. 1987 - 9 C 259.86 -, NVwZ 1987, 605; Urt. v. 23. 4. 1985 - 9 C 49.84 -, Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 3). Anstelle der Vornahme der geforderten Handlung ist ausnahmsweise auch die substantiierte und glaubhaft gemachte Darlegung zu akzeptieren, warum der Kläger die geforderte Handlung nicht vornehmen konnte (alternatives Betreiben - vgl. GK-AsylVfG § 81 Rdnr. 110 m. w. N.).

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In der Rechtsprechung und Literatur ist weiter geklärt, dass durch ein bloßes Nachschieben der innerhalb der Monatsfrist abzugebenden Erklärungen nach Ablauf der Monatsfrist das Verfahren nicht mehr weiter betrieben werden kann, weil es mit Fristablauf kraft Gesetzes beendet ist. Für diesen Fall kann jedoch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 60 VwGO) hinsichtlich der Betreibensfrist in Betracht kommen (vgl. Hailbronner, AuslR, § 81 AsylVfG Rdnr. 32, 34 f.; GK-AsylVfG § 81 RdNr. 127 ff.; Marx, AsylVfG, 4. Aufl., § 81 Rdnr. 32 ff., jeweils m. w. N.).

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Da mithin etwaige Fristversäumnisse über das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgefangen werden können (sofern dessen Voraussetzungen vorliegen), besteht kein Anlass, im Rahmen des § 81 AsylVfG auch ein "nachträgliches" Betreiben, also ein Betreiben des Verfahrens nach Ablauf der Frist, als zulässig anzusehen.

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b) Die Kläger sehen es weiter sinngemäß als grundsätzlich klärungsbedürftig an, ob zumindest dann, wenn die Versäumung der Betreibensfrist im Zusammenhang mit einer durch Gutachten nachgewiesenen Retraumatisierung infolge von Foltererlebnissen stehe, eine Wiedereinsetzung zu gewähren sei.

11

Diese Frage ist jedoch einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich. Inwieweit Krankheiten (hier Traumatisierung) gegebenenfalls zu einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand führen können, kann vielmehr nur anhand des jeweiligen Einzelfalles bewertet werden.

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Der Vollständigkeit halber weist der Senat allerdings darauf hin, dass er im vorliegenden Fall in vollem Umfang die Auffassung des Verwaltungsgerichts teilt, es sei weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die anwaltlich vertretenen Kläger aus Gründen höherer Gewalt (§§ 58 Abs. 2, 60 Abs. 3 VwGO: vgl. zu diesem Erfordernis Hailbronner, AuslR, § 81 AsylVfG RdNr. 35 m. w. N. aus der Rspr.) verhindert gewesen seien, noch während des Laufs der Betreibensfrist darauf hinzuweisen, dass sie eine ladungsfähige Anschrift nicht mitteilen könnten, weil sie sich krankheitsbedingt versteckt hielten. Dem steht zum einen entgegen, dass ausweislich der bei den Akten befindlichen Gutachten der Gesellschaft zur Unterstützung von Gefolterten und Verfolgten e. V., Hamburg, vom 8. Juni und 4. Oktober 2000 (GA Bl. 56, 165) nur der Kläger zu 1), Mehmet M., unter einer besonderen (Re-)Traumatisierung leidet. Gutachten, die ein entsprechendes Krankheitsbild auch für die Klägerin zu 2), die Ehefrau, attestieren, liegen nicht vor. Die sich auf die Ehefrau beziehenden Gutachten (vgl. z. B. Gutachten der Gemeinschaftspraxis Dres. S. vom 16. Mai 2000, GA Bl. 262) sprechen zwar auch von depressiven Verstimmungszuständen, lassen jedoch nicht erkennen, dass die Klägerin zu 2) deswegen nicht imstande gewesen wäre, eine ladungsfähige Anschrift anzugeben und sich dort auch mit ihrem Ehemann aufzuhalten. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Kläger schon seit ca. März 2000 (vgl. den Vermerk GA Bl. 32) untergetaucht waren und seitdem durch das Gericht mehrmals auf die Notwendigkeit der Mitteilung ihrer ladungsfähigen Anschrift und der persönlichen Anwesenheit unter dieser Anschrift hingewiesen worden sind. So ist in den Gerichtsverfügungen vom 12. Juli 2000 (GA Bl. 87) und vom 24. Juli 2000 (GA  Bl. 96) ausdrücklich auf das fehlende Rechtsschutzinteresse bei einem weiteren Untertauchen/Nichtmitteilung der ladungsfähigen Anschrift verwiesen worden. Auch sind zwei von den Klägern angestrengte einstweiligen Rechtsschutzverfahren ohne Erfolg geblieben, weil ein Rechtsschutzbedürfnis wegen ihres Untertauchens nicht gegeben war (vgl. Beschl. v. 8. 8. 2000 - 6 B 364/00 - u. v. 15. 8. 2000 - 6 B 397/00 -). Den Klägern war damit schon vor Erhalt der Betreibensaufforderung vom 21. August 2000 (ihren Prozessbevollmächtigten am 23. August 2000 zugestellt) deutlich bzw. müsste deutlich gewesen sein, welche Auswirkungen ihr Untertauchen und die nicht vorhandene ladungsfähige Anschrift auf ihr Rechtsschutzinteresse hat. Sie hatten damit ausreichend Zeit, gegebenenfalls unter Mithilfe ihres Prozessbevollmächtigten innerhalb der Betreibensfrist glaubhaft darzulegen, dass sie aus Krankheitsgründen untergetaucht waren und keine ladungsfähige Anschrift vorweisen konnten. Dieses lag um so näher, als zumindest der Kläger zu 1) bereits seit April 2000 Kontakt zu der Gesellschaft zur Unterstützung von Gefolterten und Verfolgten e. V., Hamburg, hatte (vgl. GA Bl. 217).

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Die obigen Ausführungen machen - darauf sei lediglich ergänzend hingewiesen - zugleich deutlich, dass eine Wiedereinsetzung hinsichtlich der Versäumung der Betreibensfrist auch bei Anwendung der "normalen" Regeln des § 60 Abs. 1, Abs. 2 VwGO (vgl. hierzu z. B. Hailbronner, AuslR, § 81 AsylVfG Rdnr. 36; GK-AsylVfG, § 81 Rdnr. 139) nicht in Betracht kommt.

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c) Die Kläger werfen weiter folgende grundsätzlich klärungsbedürftige Frage auf:

15

"In Fällen, in denen Asylbewerber die Betreibensfrist - ähnlich wie bei der Versäumung der Klagefrist - gegen ablehnende Bescheide des Bundesamtes auch zur Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG versäumt haben, ist deren Vorliegen im Sinne eines "Durchentscheidens" trotz der Verfristung zumindest dann zu prüfen, wenn die Asylbewerber an die Versäumung der Betreibensfrist aus Krankheitsgründen kein Verschulden trifft."

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Auch diese Frage ist jedoch nicht grundsätzlich klärungsbedürftig. § 81 AsylVfG bezieht sich auf alle Klagen gegen Entscheidungen nach dem Asylverfahrensgesetz. § 81 AsylVfG erfasst mithin über § 24 Abs. 2 AsylVfG auch die Feststellung über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG (GK-AsylVfG, § 81 Rdnr. 26). Eine Möglichkeit für das Verwaltungsgericht, die Voraussetzungen des § 81 AsylVfG nur bezogen auf die von den Klägern geltend gemachten Ansprüche nach Art. 16 a GG und § 51 Abs. 1 AuslG festzustellen, nicht jedoch auch im Hinblick auf § 53 AuslG, bestand daher nicht.

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2) Es liegt auch kein Verstoß gegen den Grundsatz auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO) vor.

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Die Kläger rügen insoweit, das Verwaltungsgericht hätte ihrem in der mündlichen Verhandlung am 19. Dezember 2000 gestellten Hilfsantrag

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"die Dipl.-Psychologin .... als sachverständige Zeugin zum Beleg der Tatsache zu vernehmen, dass es dem Kläger zu 1) subjektiv nicht möglich gewesen sei, seinen Aufenthaltsort durch seine ladungsfähige Anschrift vorher preiszugeben"

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nachgehen müssen. Dazu bestand jedoch schon deswegen kein Anlass, weil das Verwaltungsgericht zugunsten der Kläger unterstellt hat, dass sie tatsächlich durch die Retraumatisierung des Klägers zu 1) gehindert gewesen waren, ihren konkreten Aufenthaltsort anzugeben (vgl. UA Bl. 12). Davon zu unterscheiden ist jedoch die - wie oben bereits dargelegt - zutreffende Wertung des Verwaltungsgerichts, die Kläger hätten zumindest innerhalb der Betreibensfrist diese krankheitsbedingte Hinderung darlegen müssen. Ein entsprechender Beweisantrag, dass die Kläger nicht einmal dazu in der Lage waren, ist nicht gestellt worden. Aus den bereits oben dargelegten Gründen ist im übrigen auch nicht davon auszugehen, dass die Kläger zumindest einen derartigen Beleg nicht innerhalb der ihnen gesetzten Frist hätten beibringen können.