Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 06.02.2001, Az.: 4 O 4442/00

Betreibensaufforderung; fiktive Klagerücknahme; Rücknahme

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
06.02.2001
Aktenzeichen
4 O 4442/00
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2001, 40174
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 21.11.2000 - AZ: 7 A 638/00

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Eine Betreibensaufforderung gemäß § 92 Abs. 2 Satz 1 VwGO setzt voraus, dass im Zeitpunkt ihres Erlasses bestimmte, sachlich begründete Anhaltspunkte für einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses des Klägers bestanden haben.

Gründe

1

Die ohne besondere Zulassung zulässige und nicht dem Vertretungszwang unterliegende Beschwerde gegen den Beschluss vom 27. November 2000 ist begründet. Durch diese Entscheidung hat das Verwaltungsgericht, das unter Verstoß gegen § 92 Abs. 2 Satz 1 VwGO die Klage als zurückgenommen behandelt und das Klageverfahren durch Beschluss vom 21. November 2000 gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO eingestellt hat, es zu Unrecht abgelehnt, auf den Antrag der Klägerin vom 21. November 2000 das Verfahren fortzusetzen. Dieser Antrag ist nämlich - über das Begehren um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Ablauf der Frist für das Betreiben des Verfahrens gemäß § 92 Abs. 2 Satz 1 VwGO hinaus - auf die Fortsetzung des Verfahrens und die Entscheidung über den Klageantrag in der Sache gerichtet.

2

Auf die Beschwerde der Klägerin sind daher zur Klarstellung der ausdrücklich angefochtene Beschluss vom 27. November 2000 und der - nach dem wahren Begehren ebenfalls angefochtene - Einstellungsbeschluss vom 21. November 2000 aufzuheben, so dass das Verwaltungsgericht über den Klageantrag zu entscheiden hat.

3

Das Verwaltungsgericht hat unter Verstoß gegen § 92 Abs. 2 Satz 1 VwGO die Klage als zurückgenommen behandelt und sich deshalb verfahrensfehlerhaft zur Sache nicht mehr geäußert. Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht (unausgesprochen) die Aufforderung vom 21. Juni 2000, "das Verfahren zu betreiben und die Klage in der Sache zu begründen", als rechtmäßig beurteilt und ist deshalb unzutreffend von der Wirksamkeit der fiktiven Klagerücknahme ausgegangen. Diese setzt nämlich "aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art. 19 Abs. 4, 103 Abs. 1 GG) .... voraus, dass im Zeitpunkt des Erlasses der Betreibensaufforderung gemäß § 92 Abs. 2 Satz 1 VwGO .... bestimmte, sachlich begründete Anhaltspunkte für einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses des Klägers bestanden haben" (BVerwG, Beschl. v. 5. Juli 2000 - 8 B 119.00 - BayVBl. 2001, 25, m. w. N.). Daran hat es hier zur Zeit der Betreibensaufforderung gefehlt und fehlt es bis heute. Vielmehr hat die Klägerin mehrfach (Schriftsätze vom 26. 4. 2000, 20. 9. 2000 und 21. 11. 2000) um Verlängerung der Frist zur Begründung ihrer Klage gebeten, da sie krank sei und sich seit August 2000 in stationärer Behandlung in einer psychiatrischen Klinik in Süddeutschland befinde. Schon in der Klageschrift vom 6. Februar 2000, die den Anforderungen des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO voll genügt, und in weiteren Schriftsätzen hat die Klägerin - Anfang Mai 2000 unter Beifügung der Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse - Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt, da sie selbst nicht in der Lage sei, die Klage zu begründen. Sie hat ferner mehrfach betont, dass sie dieses Verfahren betreiben wolle, da es für sie "von größter Notwendigkeit" sei. Über den Antrag auf Prozesskostenhilfe hat das Verwaltungsgericht nicht entschieden. Es hat weder die in § 118 Abs. 2 ZPO vorgesehenen Erhebungen angestellt, um zu klären, ob die Klage hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, noch die in den §§ 86, 87 VwGO vorgesehenen Maßnahmen ergriffen, um den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, insbesondere hat es die Verwaltungsvorgänge nicht beigezogen (das hat nunmehr der Senat getan). Unter diesen Umständen fehlte und fehlt es an jeglicher Berechtigung für eine Betreibensaufforderung nach § 92 Abs. 2 VwGO.