Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 07.02.2001, Az.: 2 L 1476/99

Beamter; Ernennung; Rücknahme; Teilzeitbeschäftigung; Täuschung; Zwangseinstellungsteilzeit

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
07.02.2001
Aktenzeichen
2 L 1476/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 40470
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 15.07.1997 - AZ: 7 A 7250/96

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die wahrheitswidrige Antwort eines Bewerbers um die Einstellung in das Beamtenverhältnis auf eine unzulässige Frage der Einstellungsbehörde - hier nach einer Teilzeitbeschäftigung als Einstellungsbedingung - berechtigt diese nicht zur Rücknahme der Ernennung wegen arglistiger Täuschung.

Tatbestand:

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Die Klägerin ist als Regierungsamtfrau bei einer Bundesforschungsanstalt der Beklagten tätig. Durch Bescheid vom 24. Juli 1996 nahm die Beklagte die Ernennung der Klägerin mit Wirkung vom 1. Januar 1996 wegen arglistiger Täuschung im Sinne des § 12 Abs. 1 Nr. 1 BBG zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin habe nur vorgetäuscht, ab dem 1. April 1996 eine Teilzeittätigkeit annehmen zu wollen. Außerdem habe die Klägerin im Vorstellungsgespräch verheimlicht, dass sie von ihrem Ehemann getrennt lebe und dieser die gemeinsamen Kinder betreue. Deshalb hätten auch nicht die Voraussetzungen für eine Teilzeitbeschäftigung aus familiären Gründen nach § 79 a BBG vorgelegen. Auch insoweit liege eine arglistige Täuschung vor. Schließlich habe die Klägerin gezielt keinen förmlichen Antrag auf Teilzeitbeschäftigung gestellt, sondern sich hierzu "lediglich bereit erklärt". Dies habe die Klägerin bewusst getan, um sich hinterher auf die Rechtswidrigkeit der Teilzeitbeschäftigung schon mangels formgültigen Antrages berufen zu können. Ohne die Bereitschaft der Klägerin zur Teilzeitbeschäftigung wäre aber für ihre Einstellung aus Haushaltsgründen kein Raum gewesen.

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Gegen den Bescheid der Beklagten hat die Klägerin nach erfolglosem Widerspruchsverfahren beim Verwaltungsgericht Klage erhoben. Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben. Die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung ist als unbegründet zurückzuweisen. Das Verwaltungsgericht hat der zulässigen und begründeten Anfechtungsklage zu Recht stattgegeben.

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Nach -- der vorliegend allein in Betracht kommenden Ermächtigungsgrundlage -- § 12 Abs. 1 Nr. 1 2. Variante BBG ist eine Ernennung zum Beamten zurückzunehmen, wenn sie durch arglistige Täuschung herbeigeführt wurde.

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Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. zuletzt etwa Urt. v. 10. 6. 1999 -- 2 C 20.98 -- ZBR 2000, 37 f.) genügt es im Falle einer arglistigen Täuschung für den Ursachenzusammenhang zwischen Täuschung und Ernennung zwar grundsätzlich, dass die Behörde nach ihrer tatsächlichen Praxis ohne die Täuschung den Bewerber nicht, wie geschehen, alsbald ernannt, sondern zunächst weitere Prüfungen und Erwägungen angestellt und erst dann über seine Bewerbung entschieden hätte.

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Nach dem Sinn und Zweck des § 12 BBG muss sich die Täuschungshandlung aber auf eine Tatsache bezogen haben, die die Behörde zulässigerweise zur Einstellungsbedingung machen durfte. Denn Sinn und Zweck der Rücknahmeregelung ist es, die Entschlussfreiheit der Ernennungsbehörde wiederherzustellen und den öffentlichen Dienst von Personen reinzuhalten, die durch unlauteres Verhalten diese Freiheit eingeschränkt haben. Eine Entschlussfreiheit steht der Ernennungsbehörde jedoch nur im Rahmen des geltenden Rechts zu. Sie darf also die Einstellung von Beamten nicht von unzulässigen Bedingungen abhängig machen. Zu den unzulässigen Einstellungsbedingungen gehört nach Art. 3 Abs. 1 und Art. 33 Abs. 2 und 5 GG z.B. grundsätzlich die Differenzierung nach einer bestimmten Geschlechts-, Religions- oder Parteizugehörigkeit. Insoweit steht der Einstellungsbehörde keine Entschlussfreiheit zu. Macht sie die Einstellung dennoch von einer solchen unzulässigen Bedingung abhängig, so kann ihre Entschlussfreiheit im Sinne der o.g. Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht betroffen sein, wenn sie ihrerseits von dem Bewerber oder der Bewerberin über das Vorliegen dieser unzulässigen Einstellungsbedingung getäuscht wird. Andernfalls könnte sich die Einstellungsbehörde durch die Art der von ihr selbst gestellten Bedingung einen unzulässigen Entscheidungsfreiraum verschaffen. Würde der Bewerber oder die Bewerberin insoweit falsche Angaben machen, so wäre nach § 12 Abs. 1 BBG seine/ihre Ernennung zwingend zurückzunehmen. Bei wahrheitsgemäßer Beantwortung müsste er/sie hingegen mit einer Ablehnung der Bewerbung rechnen. Eine solche Rechtsfolge würde aber gerade nicht der Reinhaltung des öffentlichen Dienstes dienen, sondern im Gegenteil eine unzulässige Einstellungspraxis der Behörde sanktionieren.

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Auch wenn dies in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (jeweils zu Fragen nach einer früheren Tätigkeit des Beamten im Ministerium für Staatssicherheit (=MfS)) nicht ausdrücklich entschieden worden ist, so entnimmt der Senat einen solchen Grundsatz doch den Gründen dieser Entscheidungen: So hat das Bundesverwaltungsgericht in dem bereits zuvor angeführten Urteil vom 10. Juni 1999 ausdrücklich ausgeführt: "Die Frage nach einer Mitarbeit beim MfS ... war zulässig und musste wahrheitsgemäß beantwortet werden. Sie steht in einem engen sachlichen Zusammenhang mit den Regelungen des Einigungsvertrages über die Rechtsverhältnisse und die Weiterverwendung von Angehörigen des öffentlichen Dienstes." Die Feststellung, dass die Frage zulässig war und wahrheitsgemäß beantwortet werden musste, wäre überflüssig gewesen, wenn die Frage unabhängig von ihrer Zulässigkeit richtig hätte beantwortet werden müssen. In dem Beschluss vom 9.12.1998 (-- 2 B 200.98 --, Buchholz 232 § 12 BBG Nr. 20) heißt es dementsprechend: "Allenfalls die Falschbeantwortung von Fragen, die nicht gestellt wurden durften oder die für die Ernennung erkennbar in jeglicher Hinsicht ohne Bedeutung waren, wäre unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nicht geeignet, deren Rücknahme zu rechtfertigen." In diesem Sinne versteht der Senat schließlich auch den in dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.7.1998 (-- 2 B 63.98 --, DVBl. 1999, 319) enthaltenen Satz, wonach die (Einstellungs-)"Verwaltungspraxis gegenüber der Klägerin nicht nur ... rechtsfehlerhaft, sondern sogar willkürlich gewesen sein könnte," ... (wenn) "es sich um einen für die Einstellung von vornherein und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt sachlich in Betracht kommenden Umstand gehandelt hätte."

8

Daraus ergibt sich: Die wahrheitswidrige Antwort eines Bewerbers bzw. einer Bewerberin um die Einstellung in ein Beamtenverhältnis auf eine unzulässige Frage berechtigt die Einstellungsbehörde nicht zur Rücknahme der nachfolgenden Ernennung wegen arglistiger Täuschung; unzulässig in diesem Sinne ist eine Frage dann, wenn von der Antwort die Einstellung nicht abhängig gemacht werden darf (ebenso Urt. d. OVG Bautzen vom 29.7.1997 -- 2 S 94/96 --, ZBR 1999, 233 ff.; a. A. wohl Urt. d. OVG Weimar v. 29.1.1998 -- 2 EO 666/96 --, ZBR 1999, 140 jeweils zu Fragen nach einer Tätigkeit für das MfS).

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Als unzulässig in diesem Sinne ist die Frage danach einzustufen, ob ein neu einzustellender Beamter eine Teilzeitbeschäftigung als Einstellungsbedingung akzeptiert. Das Bundesverwaltungsgericht hat nämlich in ständiger Rechtsprechung (zuletzt mit Urt. v. 2.3.2000 -- 2 C 1.99 --, IÖD 2000, 218 f.) entschieden, dass eine Teilzeitbeschäftigung von Beamten bundesverfassungsrechtlich nur zulässig ist, wenn ihre Freiwilligkeit auch beim Berufseinstieg gewährleistet ist. "Die Ermäßigung der Arbeitszeit eines neu eingestellten Beamten aufgrund eines ihm abverlangten Antrags ohne die Möglichkeit zur Wahl der vollen Beschäftigung ist mit dem hergebrachten Grundsatz (Art. 33 Abs. 5 GG) der hauptberuflichen vollen Dienstleistungspflicht des Beamten, der die Pflicht des Dienstherrn zur Gewährung des vollen amtsangemessenen Unterhalts gegenübersteht, sowie mit dem Leistungsprinzip (Art. 33 Abs. 2 GG) nicht zu vereinbaren. Dies hat der erkennende Senat (BVerwGE 82, 196, 202 ff.) dargelegt. Daran ist festzuhalten. ... Der verfassungsrechtliche Leistungsgrundsatz (Art. 33 Abs. 2 GG) verbietet es, Bewerber um die Einstellung nach einem eignungs- und leistungsfremden Gesichtspunkt auszuwählen, ob sie sich zu einem Verzicht auf Vollbeschäftigung und amtsgemäße Besoldung bereit finden." Ob haushaltsrechtlich für die Einstellung eines Beamtenbewerbers eine (volle) Planstelle zur Verfügung steht, ist unerheblich. Insoweit hat das Bundesverwaltungsgericht bereits zutreffend in dem dritten Leitsatz seines Urteils vom 6.7.1989 (-- 2 C 52.87 --, BVerwGE 82, 196) festgestellt, dass durch den Haushaltsplan weder Ansprüche oder Verbindlichkeiten begründet noch aufgehoben werden; er entfaltet keine Rechtswirkung außerhalb des Organbereichs von Landtag und Landesregierung bzw. hier von Bundestag und Bundesregierung.

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Schließlich ist es insoweit auch unerheblich, ob der Bewerber von sich aus um eine Einstellung in das Beamtenverhältnis gebeten hat oder die Einstellungsbehörde an ihn herangetreten ist; keinesfalls darf die nachfolgende Einstellung von einer zwangsweisen "Bereitschaft" zu einer Teilzeitbeschäftigung abhängig gemacht werden.

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Gemessen an diesen Grundsätzen durfte die Beklagte vorliegend die Ernennung der Klägerin nicht wegen arglistiger Täuschung zurücknehmen. Die Beklagte wirft der Klägerin nämlich im Kern vor, bereits zum Zeitpunkt der Einstellungsgespräche ihre Bereitschaft zu einer Teilzeitbeschäftigung nur vorgespielt, tatsächlich aber bereits zu diesem Zeitpunkt die Absicht gehabt zu haben, sich nach ihrer Einstellung auf ein Recht auf Vollzeitbeschäftigung zu berufen; zudem habe die Klägerin bewusst verschwiegen, dass aufgrund ihrer Trennung von ihrem Ehemann auch die Voraussetzungen für eine Teilzeitbeschäftigung aus familiären Gründen wegen der Betreuung der gemeinsamen Kinder gemäß § 79 a Abs. 1 BBG a.F. nicht mehr gegeben gewesen seien. Wenn sie (bzw. die für sie handelnden Mitarbeiter der ...) dies gewusst hätte(n), wäre die Klägerin nicht eingestellt worden; die Bereitschaft zu einer Teilzeittätigkeit ab dem 1.4.1996 sei nämlich Einstellungsvoraussetzung gewesen. Wie dargelegt, durfte die Beklagte von einer solchen Bereitschaft der Klägerin zu einer halbzeitigen Beschäftigung jedoch ihre Einstellung als Beamtin nicht abhängig machen. Für die Beklagte war ersichtlich, dass die Klägerin eine Vollzeittätigkeit aufnehmen wollte und nur "zwangsweise" ihre Bereitschaft zu einer Teilzeittätigkeit erklärt hat. Die Klägerin brauchte daher entsprechende Fragen nicht wahrheitsgemäß zu beantworten. Hieran ändert sich auch nichts dadurch, dass der Beklagten nach ihren Angaben nur eine halbe Planstelle zur Verfügung gestanden haben soll. Diese haushaltsrechtliche Bindung wirkt sich -- wie dargelegt -- im Außenverhältnis zu der Klägerin nicht aus.

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Ob die Klägerin diesbezüglich unzutreffende Angaben gemacht hat -- was von ihr bestritten wird --, ist daher unerheblich. Selbst wenn sie tatsächlich von vornherein die Absicht gehabt hätte, sich nach ihrer Einstellung auf ihr Recht auf Vollzeitbeschäftigung zu berufen, so würde dies nicht die Rücknahme ihrer Ernennung wegen arglistiger Täuschung rechtfertigen.

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Da die Berufung erfolglos bleibt, hat die Beklagte gemäß § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten des zweiten Rechtszuges zu tragen. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 ZPO.

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Die Revision ist gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage zulassen, ob die wahrheitswidrige Antwort eines Bewerbers um die Einstellung in das Beamtenverhältnis auf eine unzulässige Frage der Einstellungsbehörde -- hier nach einer Teilzeitbeschäftigung als Einstellungsbedingung -- diese zur Rücknahme der Ernennung wegen arglistiger Täuschung berechtigt.