Landgericht Osnabrück
Urt. v. 25.10.2006, Az.: 1 O 1410/06
Bibliographie
- Gericht
- LG Osnabrück
- Datum
- 25.10.2006
- Aktenzeichen
- 1 O 1410/06
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 43658
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGOSNAB:2006:1025.1O1410.06.0A
In dem Rechtsstreit
...
wegen Schmerzensgeld
hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück auf die mündliche Verhandlung vom 25.10.2006 durch den Richter am Landgericht ... als Einzelrichter
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1)
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 30 000,- EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.07.2006 zu zahlen.
- 2)
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
- 3)
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.
- 4)
Der Streitwert wird auf 30 000,- EUR festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger macht gegen den Beklagten Schmerzensgeld wegen eines Vorfalls vom 13.10.2003 geltend.
Der Kläger ist Facharzt für innere Medizin und betreibt eine Praxis in der ... in ... Der Beklagte und seine Lebensgefährtin, die Zeugin ..., sind seit einigen Jahren hartdrogenabhängig. Sie befanden sich bereits einige Monate vor dem hier streitgegenständlichen Vorfall beim dem Kläger in Behandlung, wo sie mit Prolamidon substituiert wurden. Im Rahmen der Behandlung wurden beide auch auf Beikonsum überprüft. Dazu mussten sie Urinproben abgeben, wobei zwischen den Parteien streitig ist, in welchem Umfang dieses geschah.
Am Montag, den 13.10.2003, kamen der Beklagte und die Zeugin ... erneut in die Praxis des Klägers, um dort, wie üblich, das Prolamidon abzuholen und einzunehmen. Sie erhielten dieses auch im Labor durch die Zeugin ..., die in der Praxis ihres Ehemannes beschäftigt ist. Die Zeugin ... bat dann beide in das Sprechzimmer des Klägers. Dort erklärte dieser beiden, dass die Behandlung beendet sei. Zwischen den drei Personen entstand sodann ein Streitgespräch. Sowohl der Beklagte wie auch die Zeugin ..., die beide wussten, dass der zwischen ihnen und dem Kläger geschlossene Behandlungsvertrag die Beendigung der Substitutionsbehandlung für den Fall der Feststellung von Beikonsum oder der Weigerung zur Abgabe von Urinproben vorsah, gerieten aufgrund des Entschlusses des Klägers in einen emotionalen Erregungszustand. Der Beklagte befürchtete zum einen Schwierigkeiten aufgrund nicht erfolgter Substitution für sich selbst, aber auch gesundheitliche Schwierigkeiten bei der Zeugin .... Einer Forderung beider, die Behandlung fortzusetzen, verweigerte sich der Kläger. Dieser forderte vielmehr beide auf, seine Praxis zu verlassen. Während die Zeugin ... die Praxisräumlichkeiten durch eine Nebentür verließ, weigerte sich der Beklagte. Er ging vielmehr in den Bereich der Anmeldung, wohin der Kläger ihm folgte.
In der Folgezeit entstand zwischen den Parteien dieses Rechtsstreits ein Gerangel. Es wurden Beschimpfungen ausgesprochen. Beide standen sich direkt gegenüber. Der Kläger versuchte, den Beklagten aus der Praxis zu drängen, wogegen sich dieser wehrte.
Im Bereich des Hauptausgangs berührte der Beklage mit seiner rechten Hand das linke Auge des Klägers, dessen Brille zu Boden fiel.
Durch den Vorfall kam es zum vollständigen Verlust der Sehfunktion des linken Auges, welches allerdings schon zuvor geschädigt war. Der Kläger befand sich seit 1998 wegen einer großflächigen Netzhautablösung in ärztlicher Behandlung. Durch eine Operation im Jahr 2000 und entsprechender Nachbehandlung war der Zustand seit dem Jahre 2001 mit einem Restsehvermögen von 1/50 bei vollständiger Beschwerdefreiheit. Durch die Handlung des Beklagten am 13.10.2003 erlitt der Kläger eine Contusio bulbi mit perforierender Hornhautverletzung. Er musste notärztlich im ... Hospital in ... behandelt werden. Das ihm zuvor eingesetzte Transplantat hatte der Kläger bei dem Vorfall verloren. Es wurde eine Re-Keratoplastik Operation durchgeführt. Trotz eines zunächst erfolgreich verlaufenden Eingriffs war ab Dezember 2003 eine beginnende Schrumpfung festzustellen, so dass im März 2004 eine Epithese angepasst werden musste. Gleichwohl wurde das linke Auge irreparabel geschädigt. Seitdem leidet der Kläger unter dem vollständigen Verlust der Sehfunktion.
Wegen dieses Vorfalls wurde der Beklagte vom Amtsgericht - Schöffengericht - ... durch Urteil vom ... wegen schwerer Körperverletzung in einem minder schweren Fall gem. § 226 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt. Seine dagegen gerichtetes Rechtsmittel nahm der Beklagte in der Berufungsverhandlung vor dem Landgericht Osnabrück zurück.
Derzeit verbüßt er verschiedene Freiheitsstrafen in der JVA ... Das Strafende ist auf den ... berechnet.
Unter Zugrundelegung der Feststellungen des Schöffengerichts ... verlangt der Kläger ein Schmerzensgeld in einer Größenordnung von mindestens 30 000,00 EUR.
Der Kläger behauptet, die Behandlung wegen der Weigerung, Urinproben abgeben zu wollen, beendet zu haben. Der Beklage habe ihn daraufhin unverhofft und hinterhältig angegriffen und ihm dabei vorsätzlich einen Faustschlag versetzt.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.07.2006 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er bestreitet, vorsätzlich gehandelt zu haben. Der Griff in das Gesicht des Klägers sie lediglich eine "fahrlässige Notwehrhandlung" gewesen. Ohne die Vorschädigung des linken Auges hätte seine Berührung mit der Hand nicht zum vollständigen Verlust der Sehkraft geführt. Er ist der Ansicht, dass die Vorschädigung nicht zu seinen Lasten gehen könne.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Ausführungen in den wechselseitigen Schriftsätzen neben Anlagen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeuginnen ... Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 18.10.2006 (Bl. 80-90 d.A.) und 25.10.2006 (Bl. 110-112 d.A.). Zudem wurden die Akten der Staatsanwaltschaft ... beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
1)
Dem Kläger steht ein Schmerzensgeld wegen des Verlustes seines linken Auges gegen den Beklagten gem. den §§ 253 Abs. 2 BGB, 823 Abs. 1, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 223, 226 Abs. 1 Nr. 1, 1. Alternative, Abs. 3 StGB zu.
Der Kläger ist durch die Handlung des Beklagten vom 13.10.2003 in seiner körperlichen Integrität beeinträchtigt worden. Durch einen vorsätzlichen Faustschlag hat der Beklagte den vollständigen Verlust des linken Auges des Klägers verursacht.
a)
Das Gericht geht aufgrund der Beweisaufnahme von folgendem Sachverhalt aus:
Nach dem Streitgespräch im Sprechzimmer des Klägers hat zunächst die Zeugin ... ohne weitere Gewaltanwendung die Praxis verlassen. Im Bereich der Anmeldung kam es zu einem Gerangel zwischen den Parteien dieses Rechtsstreits, weil der Beklagte sich weigerte, die Praxis zu verlassen. Der Kläger wurde mit Ausdrücken wie "schwarzes Stück Scheiße" beschimpft und versuchte seinerseits, den Beklagten auch durch Anwendung von Körpereinsatz aus der Praxis herauszudrängen. Dieses ist ihm gelungen, wobei der Beklagte auch gegen die Ausgangstür gestoßen wurde. Nachdem sich das Geschen in den Flurbereich verlagert hatte, versetzte der Beklagte dort mit Verletzungsvorsatz dem Kläger mit der rechten Faust einen Faustschlag auf dessen linkes Auge, was zu den dargelegten Verletzungen geführt hat.
Diese Feststellungen stehen fest aufgrund der Angaben der Zeuginnen ..., ... und deren Aussagen, die - ordnungsgemäß protokolliert - als Urkunden verwertet werden können.
Die Verletzung des Klägers ist dem Beklagten insbesondere auch in subjektiver Hinsicht vorzuwerfen.
Der Beklagte hat den Kläger vorsätzlich verletzt. Bereits nach eigener Darstellung spricht vieles für ein Verschulden des Beklagten. Er selbst hat sich dahingehend geäußert, dass er mit seiner Hand in das Gesicht des Klägers gegriffen habe, um diesen wegzudrücken. Unterstellt man diese Schilderung als richtig, so spricht die angebliche Zielsetzung des Beklagten, mit seinem Griff in das Gesicht einen Angriff abzuwehren, bereits dafür, dass er Verletzungen des Klägers für möglich hielt und in Kauf nahm.
Ergänzt wird diese Darstellung aber insbesondere durch die Angaben der Zeugin ... Diese hat bekundet, der Beklagte habe ihrem Ehemann einen Schlag in das Gesicht versetzt. Nachdem der Zeugin ihre Aussage in der Verhandlung vor dem Schöffengericht in ... vom 21.06.2004 vorgehalten wurde, hat die Zeugin ihre Angaben dahingehend konkretisiert, dass es sich um einen Faustschlag auf das linke Auge gehandelt habe.
Das Gericht hat keine durchschlagenden Zweifel am Wahrheitsgehalt dieser Angaben. Die Zeugin ... konnte das Geschehen auch im Flurbereich gut sehen. Sie stand in unmittelbarer Nähe zum Kläger selbst und hat den Beklagten vorn vorne sehen können.
Das Gericht ist sich dessen bewusst, dass diese Aussage aufgrund der Beziehung der Zeugin zum Kläger besonders kritisch zu würdigen ist, wobei folgendes zu beachten ist:
"Zeugen, die ein persönliches Interesse am Ausgang des Rechtsstreits haben oder einer Partei nahe stehen, sind fragwürdig. Ihre Glaubwürdigkeit ist daher eingehend zu prüfen, vorrangig anhand der Aussage und des Aussageverhaltens unter Ausschöpfung aller sonstigen Beweisergebnisse und der Verhandlung. Ergibt sich daraus aber - wie oft - kein Anhalt für die Wahrheit oder Unwahrheit der Aussage, so ist dennoch zu berücksichtigen, dass solche Zeugen ein Motiv zur Falschaussage haben bzw. besonders anfällig für Suggestionen sind und deshalb öfter als klassische Zeugen die Unwahrheit sagen. Bereits dieses Risiko kann die Glaubwürdigkeit des Zeugen erschüttern und dann Anlass sein, sie von bestärkenden Indizien abhängig zu machen. Hierüber darf und muss das Gericht in freier Beweiswürdigung nach seinem persönlichen Eindruck, notfalls auch intuitiv, entscheiden (§ 286 I ZPO)" (so ausdrücklich Foerste NJW 2001, 321, 326).
Bezogen auf den vorliegenden Fall ist festzustellen, dass es Anhaltspunkte gibt, die die Aussage der Zeugin ... stützten und die sie deswegen als glaubwürdig erscheinen lassen.
Es ist zunächst festzustellen, dass die Zeugin ... auch nicht ansatzweise versucht hatte, den Beklagten zu belasten. So hat sie zunächst eingeräumt, nicht mehr genau sagen zu können, wie der Schlag geführt wurde. Sie gab hier unumwunden Erinnerungslücken an. Erst auf Vorhalt ihrer früheren Aussage kam das Erinnerungsvermögen zurück und sie hat die Handlung des Beklagten konkret schildern können. Diese Erinnerungslücken sind für das Gericht nachvollziehbar, führen aber nicht dazu, die Feststellungen, die die Zeugin auch zu früheren Anlässen gemacht hat, nicht mehr verwerten zu können.
Auch die weitere Darstellung der Zeugin ... bezogen auf das Vorgeschehen, ist von ihr glaubhaft dargestellt worden und wird im übrigen bestätigt durch die Angaben der weiteren Zeuginnen. So hat insbesondere die Zeugin ... in ihrer Vernehmung am 18.10.2006 zwar nicht mehr konkret von einem Faustschlag gesprochen, sondern konnte sich lediglich darin erinnern, dass der Arm des Beklagten in Kopfhöhe des Klägers war. Da aber auch hier Erinnerungslücken vorhanden waren, wurde der Zeugin ihrer frühere Vernehmung vorgehalten. Damals, vor dem Amtsgericht ..., hat sie bekundet, einen Faustschlag seitens des Beklagten gesehen zu haben. Die Richtigkeit ihrer damaligen Angaben hat die Zeugin ... überzeugend bestätigt. Wenngleich ihr genauer Standort zum Vorfallszeitpunkt nicht mehr geklärt werden konnte, ist das Gericht dennoch sicher, dass die Zeugin aus eigener Wahrnehmung heraus den Vorfall so geschildert hat, wie sie ihn selbst erlebt hat. Dass sie nicht das gesamte Geschehen im Flurbereich beobachten konnte, hat die Zeugin freimütig eingeräumt, ändert aber nichts an der Beurteilung ihrer Aussage. Auch hinsichtlich des Verhaltens des Klägers gegenüber der Zeugin ... sind die Angaben der Zeuginnen ... und ... übereinstimmend. Danach hat diese allein auf energische Aufforderung des Klägers die Praxisräume verlassen. Keinesfalls ist es ihr gegenüber zu körperlichen Übergriffen durch den Kläger gekommen, insbesondere hat er sie nicht an den Haaren gezogen oder getreten.
Zwar steht die Aussage der Zeugin ... im Widerspruch zu den Angaben der zuvor genannten Zeuginnen. Dieses führt aber nicht zu einer anderen Beurteilung durch das Gericht. Dieses ist vielmehr davon überzeugt, dass die Zeugin ... in weiten Teilen ihrer Aussage die Unwahrheit gesagt hat. Damit teilt das Gericht im übrigen die Angaben des Schöffengerichts ..., welches die Aussage dieser Zeugin als "ganz offensichtlich falsch" bewertet hat.
Zweifel an dem Wahrheitsgehalt der Angaben der Zeugin ... ergeben sich bereits dadurch, dass sie angegeben hat, der Kläger habe ihnen keinen Grund für die von ihm beabsichtigte Beendigung der Behandlung genannt. Auch die Darstellung, dass sie von ihm an den Haaren aus dem Sprechzimmer rausgezogen worden sein soll, ist abenteuerlich. Sie wurde insbesondere auch nicht von der Zeugin ... bestätigt, die dieses hätte wahrnehmen müssen. Die Zeugin ist auch unglaubhaft, wenn sie behauptet, sie und der Beklagte seien noch im Flur von dem Kläger getreten worden. Dafür gab es überhaupt keinen Anlass, nachdem sie die Praxisräume verlassen hatten. Sie selbst konnte einen Grund für das Gerangel im Flur nicht nennen, da sie nach eigenen Angaben das Geschehen zuvor in der Praxis nicht wahrgenommen hatte.
An dieser Stelle sei auch der Hinweis erlaubt, dass für das Gericht nicht nachvollziehbar ist, dass sich der Beklagte zusammen mit seiner Lebensgefährtin abwechselnd gegen die Schienbeine hat treten lassen. Das Gericht konnte sich aufgrund der mündlichen Verhandlungen ein Bild vom Beklagten machen. Dieser machte insbesondere in der Verhandlung am 18.10.2006 einen äußerst aggressiven Eindruck, weshalb auch angeordnet wurde, ihm die Fußfesseln nicht abzunehmen. Dieses enorme bei ihm festzustellende Aggressionspotential wurde im übrigen auch anschaulich durch die Zeugin ... bestätigt. Auch sie hatte den Beklagten als offensichtlich mehr als im üblichen Sinne streitbar wahrgenommen. Wenn man zudem den damaligen emotionalen Zustand des Beklagten berücksichtigt, ist auch nicht ansatzweise nachvollziehbar, dass er diese von der Zeugin ... behaupteten Angriffe gegen sich geduldet hätte. Die eindeutigen Tendenzen der Aussage der Zeugin ... zugunsten des Beklagten werden auch dadurch deutlich, dass sie für die Verletzung des Klägers keine Erklärung hat, aber der Ansicht ist, dass dieser mit der Schubserei angefangen hat, obgleich sie nach eigenen Angaben von dem vorherigen Geschehen in der Praxis nichts mitbekommen hat. Auch ihr Bestreiten, vor dem Vorfall eine Urinprobe abgeben zu müssen, ist schlichtweg unwahr. Selbst der Beklagte hat dieses bei seiner Einlassung vor dem Amtsgericht ... am 21.06.2004, auf welche er sich in der Klageerwiderung berufen hat, eingeräumt.
Das Gericht durfte die Vernehmungsniederschriften aus der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO ergänzend zu den Aussagen der Zeugen als Urkundsbeweis verwerten. Einem solchen Beweismittel kommt zwar grundsätzlich ein geringerer Beweiswert zu als einer unmittelbaren Vernehmung. Gleichwohl darf aber nicht unbeachtet bleiben, dass eine polizeiliche Zeugenvernehmung und erst recht eine Vernehmung durch das Strafgericht in einem strafrechtlichen Verfahren in der Regel zeitnah zum Geschehen erfolgt und die Zeugen meist bereitwillig Auskunft geben. Deshalb ist dort die Erinnerung der Zeugen erheblich besser, als bei einer wesentlich späteren Vernehmung im Zivilverfahren. Da in allen Fällen die erforderliche Belehrung der Zeugen erfolgt war, stand der Verwertung ihrer schriftlichen Aussagen nichts im Wege.
Damit steht der gezielte Faustschlag in das linke Auge zur Überzeugung des Gerichts fest. Wer bewusst derart einen Schlag versetzt, hält eine Verletzung des Auges mindest für möglich und nimmt diese auch in Kauf. Damit liegt vorsätzliches Handeln vor.
b)
Das Verhalten des Beklagten ist auch rechtswidrig.
Er hat in diesem Zusammenhang vorgetragen, sich gegen einen Angriff des Klägers verteidigen zu wollen. Ein solches Notwehrrecht nach § 227 BGB, auf welches sich der Beklagte beruft, stand ihm nicht zu.
Zwar mag der Kläger durch sein Verhalten den Beklagten in der Praxis angegriffen haben. Dieser Angriff war jedoch keineswegs rechtswidrig. Vielmehr war der Kläger zur Selbsthilfe gem. § 229 BGB berechtigt, was eine Rechtswidrigkeit ausschließt. Als Ausschluss der §§ 1004 Abs. 1, 859 Abs. 1 BGB war der Kläger Inhaber des Hausrechts. Insoweit war er auch berechtigt, dieses Hausrecht gegenüber dem Beklagten auszuüben. Mithin musste der Beklagte dieses dulden. Dieses Hausrecht reicht zeitlich und örtlich soweit, dass der Beklage zumindest aus den Praxisräumen gedrängt werden durfte. Wenn sich das Hausrecht nicht mehr auf den den Praxisräumen unmittelbar vorgelagerten Flurbereich beziehen sollte, woran allerdings das Gericht keinen Zweifel hegt, ändert das nichts an der Beurteilung, denn einen Angriff seitens des Klägers noch im Flur hat der Beklagte nicht beweisen können. Den Angaben der Zeugin ... schenkt das Gericht - wie ausgeführt - keinen Glauben. Der Beklagte aber ist dafür darlegungs- und beweispflichtig.
Der Kläger hat durch sein Vorgehen die Grenze der Selbsthilfe nicht überschritten. Ein etwaiger Selbsthilfeexzess ist vom Beklagten nicht beweisen worden.
c)
Demgemäß war der Beklagte zur Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes gem. § 253 Abs. 2 BGB zu verurteilen. Dieses bemisst das Gericht unter Abwägung sämtlicher Umstände auf 30 000,00 EUR.
Bei der Zumessung der Höhe des Schmerzensgeldes waren zahlreiche Faktoren zu berücksichtigen. Von erheblichem Gewicht ist zunächst die Schwere der Verletzung des Klägers. Der Verlust der Sehkraft auf dem linken Auge hat unmittelbare Auswirkungen auf psychische wie auch auf physische Befindlichkeiten des Klägers. Auch muss eine dauerhafte optische Beeinträchtigung des Aussehens Berücksichtigung finden. Als praktizierendem Internisten, der auf sein Sehvermögen im Hinblick auf Diagnostik essenziell angewiesen ist, wiegt diese Verletzung schwer. Die berufliche Tätigkeit des Klägers ist auf Dauer nicht unerheblich beeinträchtigt.
Berücksichtigt hat das Gericht die Situation des Beklagten. Dieser befand sich im Vorfallszeitpunkt in einem emotionalen Erregungszustand. Seine derzeitige Situation als Strafgefangener konnte ebenfalls nicht außer Betracht bleiben.
Zu keiner geänderten Beurteilung führt der Umstand der Vorschädigung des linken Auges des Klägers.
Eine Vorschädigung befreit den Beklagten nicht von der Verpflichtung, den vollen Schaden zu ersetzen. Der Beklagte kann nicht verlangen, so gestellt zu werden, als habe er einen gesunden Menschen verletzt. Deshalb muss er auch dafür haften, dass sich eine beim Kläger vorhandene Krankheitsanlage durch das schädigende Ereignis aktualisiert ( BGH NJW 1971, 1883; 1989, 2616; 1998, 810; OLG Hamm VersR 2002, 992). Anhaltspunkte, die einen Fall von extremer Schadensanfälligkeit begründen und damit eine Einschränkung der Schadensersatzpflicht böten, sind nicht gegeben. Eine Einschränkung der Ersatzpflicht im Rahmen von Schmerzensgeldleistung findet bei extremer Schadensanfälligkeit lediglich dort statt, wo die eingetretene Verletzung nicht mehr vom Schutzzweck der Norm gedeckt wird bzw. wenn eine ausreichende Adäquanz zwischen Handlung und Schaden fehlt. Dieses ist im vorliegenden Fall nicht festzustellen.
d)
Eine Minderung des zuzusprechenden Betrages durch etwaiges Mitverschulden des Klägers kam nicht in Betracht. Anhaltspunkte für ein derartiges Verhalten liegen nicht vor.
2.
Der Zinsanspruch beruht auf den §§ 291 S. 1 BGB i.V.m. § 288 Abs. 1 S. 2 BGB.
3.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 709 ZPO.