Landgericht Osnabrück
Urt. v. 09.11.2006, Az.: 5 O 1112/06
Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht im Hinblick auf einen umgestürzten Straßenbaum; Geltendmachung von Schadensersatz in Form der Amtshaftung; Verpflichtung der öffentlichen Hand zum Schutz der Bürger vor von Straßenbäumen ausgehenden Gefahren
Bibliographie
- Gericht
- LG Osnabrück
- Datum
- 09.11.2006
- Aktenzeichen
- 5 O 1112/06
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 31289
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGOSNAB:2006:1109.5O1112.06.0A
Rechtsgrundlagen
Fundstelle
- DVP 2008, 41
Tenor:
- 1.
Die Klage wird abgewiesen.
- 2.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
- 3.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schadensersatz aufgrund einer behaupteten Verletzung der Verkehrssicherungspflicht im Hinblick auf einen umgestürzten Straßenbaum.
Die Klägerin ist Eigentümerin der ......-kirche, die sich an der ......straße in Osnabrück befindet. Am 25.11.2005 herrschten im Raum Osnabrück katastrophenähnliche Wetterbedingungen, die durch ungewöhnlich heftige und lang anhaltende Schneefälle mit feuchtem, schweren Schnee und starkem Sturm bedingt waren. An diesem Tag stürzte infolge einer Sturmböe ein an der .....straße stehender Straßenbaum (Kastanie) quer über die .....straße und richtete erhebliche Beschädigungen an der ......kirche an. Zwei der drei großen Buntglas- Giebelfenster wurden zerschlagen und das Vordach über dem linken Eingang schwer beschädigt. Der Versicherer der Klägerin regulierte den Schadensfall nur teilweise im Rahmen der Haftungshöchstgrenzen.
Die Klägerin trägt vor, es sei zu dem Unfall deshalb gekommen, weil die Beklagte ihre Baumkontrolle nicht sachgerecht ausgeübt habe. Der Baum habe erhebliche Vorschäden aufgewiesen. Bei sachgerechter Einschätzung hätte die Kastanie vor dem Unfall entfernt werden müssen. Hierbei bezieht sich die Klägerin auf ein vorprozessual eingeholtes Sachverständigengutachten des Gutachters Q........ Der von der Versicherung nicht erstattete Schadensrestbetrag einschließlich der Kosten für das Sachverständigengutachten belaufe sich auf 15.636,91 EUR. Wegen der genauen Berechnung des Schadens wird Bezug genommen auf die Ausführungen in der Klageschrift Bl. 6 und 7 d.A. nebst den dazugehörigen Anlagen.
Die Klägerin beantragt,
- 1.
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 15.636,91 EUR nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.01.2006 zu zahlen,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin vorgerichtliche Kosten in Höhe von 449,96 EUR nebst 5% Zinsen über Basiszinssatz seit dem 08.05.2006 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie behauptet, schadensursächlich seien alleine die katastrophalen Wetterbedingungen gewesen. Der Baum sei am 02.08.2005 und am 03.08.2005 auf Schäden kontrolliert worden. Schäden seien dabei nicht feststellbar gewesen, jedenfalls nicht solche, die auf eine Beeinträchtigung der Stand- oder Bruchsicherheit hätten hinweisen können.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen W. und durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen S., das dieser in der mündlichen Verhandlung erläutert hat. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 27.10.2006 Bl. 112 ff. d.A.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der beklagten Gemeinde oblag zwar die Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich des betreffenden Straßenbaumes als Amtspflicht gemäß §§ 9, 10 Abs. 1, 48 NdsStrG. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat die Klägerin den Beweis dafür, dass die Beklagte diese Pflicht verletzt hat, aber nicht führen können:
Die Verkehrssicherungspflicht umfasst den Schutz vor Gefahren, die von Straßenbäumen ausgehen, sei es durch Herabfallen von Teilen eines Baumes, sei es durch Umstürzen eines Baumes selbst (vgl. BGH VersR 1965, 475; OLG Köln VersR 1992, 1370 f.; OLG Hamm VersR 1994, 347; OLG Brandenburg NVwZ-RR 2004, 76 [OLG Brandenburg 17.06.2003 - 2 U 50/02]). Die Gemeinde muss Bäume oder Teile von ihnen entfernen, die den Verkehr gefährden, insbesondere, wenn sie nicht mehr standsicher sind oder herabzustürzen drohen. Zwar stellt jeder Baum an einer Straße eine mögliche Gefahrenquelle dar, weil durch Naturereignisse sogar gesunde Bäume entwurzelt oder geknickt oder Teile von ihnen abgebrochen werden können und darüber hinaus die Erkrankung eines Baumes von außen nicht immer erkennbar ist. Das rechtfertigt aber nicht die Entfernung aller Bäume aus der Nähe von Straßen. Eine schuldhafte Verletzung der Verkehrssicherungspflicht liegt nur dann vor, wenn Anzeichen verkannt oder übersehen worden sind, die nach der Erfahrung auf eine weitere Gefahr durch den Baum hinweisen (BGH NJW 2004, 1381). Aus diesen Grundsätzen wird in der Rechtsprechung die Folgerung gezogen, dass eine sorgfältige äußere Gesundheits- und Zustandsprüfung regelmäßig zweimal im Jahr erforderlich ist, nämlich einmal im belaubten und einmal im unbelaubten Zustand (OLG Düsseldorf NVwZ-RR 1997, 257; OLG Hamm NJW-RR 2003, 968 [OLG Hamm 04.02.2003 - 9 U 144/02]; OLG Brandenburg NVwZ-RR 2004, 76 [OLG Brandenburg 17.06.2003 - 2 U 50/02]). Dabei steht hier aufgrund des Sachverständigengutachtens des Sachverständigen S. zur Überzeugung der Kammer fest, dass eine konservierende Behandlung des Baumes nicht erfolgreich gewesen wäre. Nach dem Gutachten ist vielmehr davon auszugehen, daß die Kastanie aufgrund einer Wurzelfäule bei richtiger Einschätzung des Ausmaßes der Erkrankung hätte gefällt werden müssen. Diese hatte nämlich zur Folge, dass fast alle senkrecht orientierten Grobwurzeln infiziert bzw. nicht mehr vorhanden waren.
Es ist aber nicht bewiesen, daß die Wurzelfäule als solche und insbesondere ihr Ausmaß bei der von dem Zeugen W., einem Bediensteten der beklagten Gemeinde, durchgeführten Kontrolle der Kastanie auch erkennbar war. Die Kontrolle erfolgte nur zwei Monate vor dem Schadensereignis. Der Zeuge W. hat glaubhaft versichert und anhand des Protokolls belegt, daß er im August 2005 den Baum kontrolliert hat. Nach gefestigter Rechtsprechung reicht eine äußere Sichtprüfung bezogen auf die Gesundheit und Standsicherheit des Baumes aus, wenn dabei keine konkreten Defektsymptome des jeweiligen Baumes - wie etwa spärliche oder trockene Belaubung, dürre Äste, äußere Verletzungen, Wachstumsauffälligkeiten oder Pilzbefall - erkennbar sind (vgl. OLG Hamm NZV 2005, 372 (373) [OLG Hamm 24.09.2004 - 9 U 107/04]; BGH VersR 2004, 877 (878) [BGH 04.03.2004 - III ZR 225/03]). Dazu hat der Zeuge ausgeführt, er habe eine ältere Schadstelle genau untersucht und den rindenlosen Bereich des Baumes abgeklopft. Er habe weiterhin eine Sichtkontrolle aus einiger Entfernung vorgenommen und dabei gesehen, dass das Blattwerk kleiner als normal und bräunlich verfärbt gewesen sei. Er habe dies jedoch auf den Befall der Kastanie mit der Miniermotte zurückgeführt. Anhand des bei der Kontrolle aufgenommenen Protokolls hat der Zeuge sein an der "VTA-Methode" orientiertes Vorgehen im Einzelnen erläutert. Er habe den Baum zwar nicht als gesund eingeordnet, dies aber auf den Mottenbefall zurückgeführt.
Es steht nicht zur Überzeugung der Kammer fest, daß die Kontrolle des Zeugen W. fehlerhaft war. Der Sachverständige hat nachvollziehbar erläutert, dass die Wurzelfäule schwierig zu erkennen sei und insbesondere durch den Austritt eines braunen Sekrets am Baumstamm diagnostiziert werden könne. Dieses Sekret trete aber nicht großflächig auf und sei auch nicht immer im gleichen Umfang vorhanden. Auch aus dem Laubwerk allein könne man nicht ohne Weiteres auf die Wurzelfäule schließen. Dabei ist nämlich insbesondere zu berücksichtigen, dass der streitgegenständliche Baum, wie zahlreiche Rosskastanien, mit der Miniermotte befallen war. Dieser Schädling bildet zunächst Gänge im Laub der Kastanie, durch die sich das Laub im Anschluß bräunlich verfärbt und eintrocknet. Es tritt dadurch ein deutlich früheren Laubverlust ein. Der Sachverständige hat nachvollziehbar dargelegt, dass die von der Miniermotte verursachten Symptome den Folgen der Wurzelfäule sehr ähnlich sind. Die Symptome der Wurzelfäule könnten dadurch von denen der Miniermotte überlagert werden, ohne dass dies bei einer Kontrolle zutage treten müsse. Er könne demzufolge nicht ausschließen, daß die Symptome nicht erkennbar waren. Der Sachverständige hat dies anschaulich dahingehend zusammengefasst, es sei immer am einfachsten, wenn man vorher wisse, nach welcher Krankheit man suche.
Der Sachverständige hat auch überzeugend ausgeführt, es stehe nicht fest, ob der Zeuge W. in jedem Fall hätte weitere Untersuchungen vornehmen müssen. Insoweit ist jedenfalls die Kausalität einer möglichen Pflichtverletzung für das Schadensereignis nicht bewiesen. Sachgerecht wäre nämlich nach den Ausführungen des Sachverständigen die Entnahme einer Holzprobe gewesen. Dieser hätten sich weitere Untersuchungen anschließen müssen, deren Ausgang auch deshalb ungewiß gewesen sei, weil die seitlichen Wurzeln weitgehend intakt waren. Schließlich hätte - so der Sachverständige - die Feststellung der Wurzelfäule als solcher nicht ohne weiteres das sofortige Fällen des Baumes nach sich ziehen müssen.
Eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht ergibt sich auch nicht daraus, daß der Zeuge angegeben hat, die Kontrolle im August sei die einzige im Jahr 2005 gewesen, weil jedenfalls zwei Monate vor dem Schadensereignis eine Kontrolle stattgefunden hat und nicht bewiesen ist, daß bei einer (zusätzlichen) Kontrolle im unbelaubten Zustand die Symptome der Wurzelfäule hätten auffallen müssen.
Eine Verpflichtung, den Baum zu fällen, ergab sich schließlich nicht aus einer zu geringen Restwandstärke des Baumes. Insoweit hat der Sachverständige S. ausgeführt, die Restwandstärke sei nicht kausal für das Schadensereignis gewesen, weil der Baum nicht umgebrochen, sondern umgestürzt sei. Dennoch könnte sich hieraus ein Anspruch der Klägerin ergeben. Auch ein Unterlassen kann nämlich einen Schaden dann zurechenbar verursachen, wenn eine Pflicht zum Handeln bestand und die Vornahme der gebotenen Handlung den Schaden verhindert hätte (Palandt/Heinrichs, BGB, 64. Aufl. 2005, vor § 249 Rnz. 84 m.w.N.). Hätte der Baum also wegen der geringen Restwandstärke entfernt werden müssen, und zwar vor dem 25.11.2005, könnte dies einen Anspruch der Klägerin begründen. Davon ist von dem Ergebnis der Beweisaufnahme jedoch nicht auszugehen. Der Sachverständige S. hat nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt, der Baum sei bruchfest gewesen. Seine Ausführungen in dem schriftlichen Gutachten, wonach die Ermittlungen der Restwandstärke keine Rückschlüsse auf die Standfestigkeit zuließe, hat er in der mündlichen Verhandlung dahingehend erläutert, dass auch hohle Bäume noch jahrzehntelang gefahrlos stehen bleiben können. Im übrigen hat auch der Sachverständige Q. eine Restwandstärke von 31% festgestellt und Literatur zitiert, wonach 30% Restwandstärke als ausreichend für die Standsicherheit eines normal bekronten Baumes angenommen werden. Damit habe die Kastanie im Grenzbereich gelegen. Eine Verpflichtung der Beklagten, die Kastanie wegen der zu geringen Restwandstärke zu fällen, läßt sich auch dem Privatgutachten nicht mit der hinreichenden Sicherheit entnehmen.
Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Baum katastrophenähnlichen Wetterbedingungen zum Opfer gefallen ist. Insofern erscheint die Aussage des Sachverständigen S. überzeugend, der ausgeführt hat, der Baum würde heute noch stehen, wenn die Wetterbedingungen nicht so ungewöhnlich gewesen wären. Auch das Schadensereignis als solches lässt damit keinen Rückschluss auf eine Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht zu.
Das Beweisergebnis geht zu Lasten der Klägerin, die nach allgemeinen Regeln die Darlegungs- und Beweislast für die Pflichtverletzung und die Kausalität trägt (vgl. BGH, NJW 2004, 1381). Ein Anscheinsbeweis kann ihr schon deshalb nicht zugute kommen, weil von einem typischen Schadensverlauf angesichts der katastrophenartigen Wetterbedingungen nicht die Rede sein kann (vgl. BGH a.a.O..).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 Satz 1 ZPO.