Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 12.02.2019, Az.: 4 LA 94/18

Breite Sudanesische Bewegung für Demokratie und Entwicklung; exilpolitische Betätigung; exponiert; JEM; SLA; SPLA; Sudan; Sudan Revolutionary Front; Vereinigung sudanesischer Aktivisten in Deutschland

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
12.02.2019
Aktenzeichen
4 LA 94/18
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 69611
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 10.04.2018 - AZ: 6 A 367/17

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Eine nicht exponierte exilpolitische Betätigung eines aus dem Sudan stammenden Asylbewerbers für eine Organisation, die nicht zu den im Sudan aktiven bewaffneten Rebellengruppen gehört, begründet
keine Gefahr staatlicher Verfolgung bei einer Rückkehr in den Sudan.
Um dies zu klären, bedarf es nicht der Durchführung eines Berufungsverfahrens.

Tenor:

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg - Einzelrichter der 6. Kammer - vom 10. April 2018 wird abgelehnt.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Berufungszulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag der Beklagten, die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zuzulassen, hat keinen Erfolg. Denn der von der Beklagten geltend gemachte Berufungszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) ist entgegen der Maßgabe des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG nicht hinreichend dargelegt worden.

Eine Rechtssache ist nur dann im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG grundsätzlich bedeutsam, wenn sie eine höchstrichterlich oder obergerichtlich bislang noch nicht beantwortete Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die im Rechtsmittelverfahren entscheidungserheblich ist und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf (vgl. Senatsbeschl. v. 5.11.2018 - 4 LA 215/18 -, v. 14.12.2017 - 4 LA 147/17 -, v. 20.8.2015 - 4 LA 107/15 - u. v. 21.7.2015 - 4 LA 224/15 -; GK-AsylG, § 78 Rn. 88 ff. m.w.N.; Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, § 78 AsylG Rn. 15 ff. m.w.N.). Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache ist daher nur dann im Sinne des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegt, wenn eine derartige Frage konkret bezeichnet und darüber hinaus erläutert worden ist, warum sie im angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich und klärungsbedürftig wäre und aus welchen Gründen ihre Beantwortung über den konkreten Einzelfall hinaus dazu beitrüge, die Rechtsfortbildung zu fördern oder die Rechtseinheit zu wahren. Des Weiteren muss substantiiert dargetan werden, warum die aufgeworfene Frage im Berufungsverfahren anders als im angefochtenen Urteil zu entscheiden sein könnte und - im Falle einer Tatsachenfrage - welche neueren Erkenntnismittel eine anderslautende Entscheidung nahelegen (vgl. Senatsbeschl. v. 5.11.2018 - 4 LA 215/18 -, v. 14.12.2017 - 4 LA 147/17 -, v. 20.8.2015 - 4 LA 107/15 - u. v. 21.7.2015 - 4 LA 224/15 -; GK-AsylG, § 78 Rn. 591 ff. m.w.N.).

Diesen Anforderungen wird der Berufungszulassungsantrag der Beklagten nicht gerecht. Die Beklagte hat zwar die Frage, „ob sudanesischen Staatsangehörigen, die aus dem Sudan ausgereist sind bzw. nach längerem Auslandsaufenthalt oder Asylantragstellung zurückkehren, ohne Hinzutreten gefahrerhöhender Umstände staatliche Verfolgung droht, wenn sie sich im westlichen Ausland in nicht exponierter Weise exilpolitisch betätigt haben, ohne prominent oder öffentlichkeitswirksam in Erscheinung getreten zu sein“, als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnet. Teilweise verleiht diese Frage der vorliegenden Rechtssache aber bereits deshalb keine grundsätzliche Bedeutung, weil sie in dem von der Beklagten angestrebten Berufungsverfahren nicht entscheidungserheblich und damit auch nicht klärungsbedürftig wäre. Darüber hinaus bedarf es für die Beantwortung dieser Frage nicht der Durchführung eines Berufungsverfahrens. Denn auf der Grundlage aktuell verfügbarer Erkenntnismittel lässt sich die von der Beklagten aufgeworfene Frage ausgehend von der Tatsachengrundlage, die das Verwaltungsgericht seinem Urteil zugrunde gelegt hat, ohne Weiteres beantworten.

Es liegt auf der Hand und bedarf daher keiner näheren Begründung, dass der o. a. Frage die Entscheidungserheblichkeit fehlt, soweit sie nicht nur sudanesische Staatsangehörige, die nach der Asylantragstellung in ihr Heimatland zurückkehren, sondern auch sudanesische Staatsangehörige, die nach längerem Auslandsaufenthalt in den Sudan zurückkehren, betrifft. Denn der Kläger hat in der Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag gestellt, so dass es in dem angestrebten Berufungsverfahren nicht darauf ankäme, ob sudanesischen Staatsangehörigen, die nach längerem Auslandsaufenthalt in ihr Heimatland zurückkehren, wegen exilpolitischer Betätigung staatliche Verfolgung droht.

Davon abgesehen braucht ein Berufungsverfahren zur Klärung der Frage, ob eine nicht exponierte exilpolitische Betätigung im westlichen Ausland, ohne prominent oder öffentlichkeitswirksam in Erscheinung getreten zu sein, ohne Hinzutreten gefahrerhöhender Umstände die (asylrechtsrelevante) Gefahr staatlicher Verfolgung bei einer Rückkehr in den Sudan nach sich zieht, nicht durchgeführt zu werden. Diese Frage kann sich bei verständiger Würdigung nur auf exilpolitische Tätigkeiten auf niedrigem Niveau für Organisationen beziehen, die nicht zu den bewaffneten und an Kampfhandlungen im Sudan beteiligten Rebellengruppen gehören. Denn ein Engagement für solche Gruppen würde bereits einen gefahrerhöhenden Umstand bedeuten und damit von der aufgeworfenen Grundsatzfrage nicht umfasst sein (vgl. Senatsbeschl. v. 5.2.2019 - 4 LA 92/18 - u. 4 LA 124/18). So verstanden wäre die von der Beklagten gestellte Frage – jedenfalls ausgehend von der vom Verwaltungsgericht seinem Urteil offenkundig zugrunde gelegten Mitgliedschaft des Klägers in der Vereinigung sudanesischer Aktivisten in Deutschland sowie seiner Aktivitäten für die Breite Sudanesische Bewegung für Demokratie und Entwicklung e. V. – im vorliegenden Verfahren auch entscheidungserheblich, weil es sich bei der vom Kläger ausgeübten Tätigkeit um ein Engagement für nicht bewaffnete und nicht im Sudan tätige Vereinigungen gehandelt hat und weil keine Anhaltspunkte dafür vorgelegen haben, dass das exilpolitische Engagement des Klägers in exponierter, also in einer hervorgehobenen und auf die Wahrnehmung durch eine breite Öffentlichkeit gerichteten Art und Weise erfolgt ist. Zur Klärung der aufgeworfenen Grundsatzfrage bedarf es allerdings keiner Durchführung eines Berufungsverfahrens. Denn aktuelle Erkenntnismittel enthalten keinerlei Hinweise darauf, dass jedes niedrigschwellige exilpolitische Engagement, also auch solches für nicht bewaffnete und nicht im Sudan tätige Vereinigungen, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr staatlicher Verfolgung bei einer Rückkehr in den Sudan nach sich ziehen würde. Aus den Angaben des aktuellen Lageberichts zu exilpolitischen Aktivitäten ist zu schließen, dass bedeutende exilpolitische Aktivitäten im Wesentlichen von den (bewaffneten) Rebellengruppen aus Darfur, Südkordofan und Blauer Nil, insbesondere den in der Sudan Revolutionary Front zusammengeschlossenen Gruppen SLA-AW, SLA-MM, JEM und SPLA/N unterhalten werden und dass mit Inkrafttreten des Friedensabkommens die Bedeutung von Exilparteien deutlich abgenommen hat (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Sudan v. 3.8.2018, Stand: Juni 2018, S. 18). Daran gemessen ist die exilpolitische Aktivität des Klägers für die Vereinigung sudanesischer Aktivisten in Deutschland und die Breite Sudanesische Bewegung für Demokratie und Entwicklung e. V. völlig unbedeutend gewesen. Weder der aktuelle Lagebericht des Auswärtigen Amtes noch die „Country Policy and Information Note Sudan: Opposition to the government, including sur place activity“ des UK Home Office aus November 2018 enthalten Hinweise darauf, dass exilpolitisches Engagement auch für unbedeutende Gruppierungen von der sudanesischen Regierung verfolgt wird. Nicht auszuschließen ist zwar, dass der sudanesische Geheimdienst auch im Ausland stattfindende, öffentliche exilpolitische Betätigung zur Kenntnis nimmt und diese auch als Anlass dafür gibt, Rückkehrer zu befragen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Sudan v. 3.8.2018, Stand: Juni 2018, S. 26 f.). Allerdings bringt eben nicht jede exilpolitische Betätigung die Gefahr, ernsthafte Repressalien zu erleiden, mit sich. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der sudanesische Geheimdienst nicht jede bekanntgewordene Aktivität als Anlass für Verfolgung ansieht und dass das Niveau der exilpolitischen Betätigung ziemlich hoch sein muss, um Verfolgung nach sich zu ziehen (vgl. UK Home Office, Country Policy and Information Note Sudan: Opposition to the government, including sur place activity, November 2018, S. 51). Daraus folgt im Gegenschluss, dass die von der Beklagten aufgeworfene Frage, „ob sudanesischen Staatsangehörigen, die aus dem Sudan ausgereist sind bzw. nach längerem Auslandsaufenthalt oder Asylantragstellung zurückkehren, ohne Hinzutreten gefahrerhöhender Umstände staatliche Verfolgung droht, wenn sie sich im westlichen Ausland in nicht exponierter Weise exilpolitisch betätigt haben, ohne prominent oder öffentlichkeitswirksam in Erscheinung getreten zu sein“, ohne Weiteres zu verneinen ist.

Wollte man davon ausgehen, dass der neue Sachvortrag des Klägers im Berufungszulassungsverfahren seiner exilpolitischen Tätigkeit ein anderes Gepräge verliehen hat und dass dieser Vortrag auch im Verfahren der Berufungszulassung berücksichtigt werden müsste (vgl. GK-AsylG, § 78 Rn. 142 ff.), wäre der Berufungszulassungsantrag deshalb abzulehnen, weil der o.a. Frage die Entscheidungserheblichkeit fehlt. Seinen Angaben im Schriftsatz vom 27. Dezember 2018 zufolge gehört der Kläger nunmehr der Sudan Liberation Movement (SLM) an; ausweislich der mit Schriftsatz vom 4. Dezember 2018 vorgelegten Lichtbilder hat er für die New Justice and Equality Movement (New JEM) demonstriert. Bei beiden Gruppierungen handelt es sich um bewaffnete Oppositionsgruppen. Die SLM, die häufig auch als Sudan Liberation Movement/Army (SLM/A) bezeichnet wird (vgl. https://www.bundestag.de/blob/506736/933696cff380ce64d54317634af5202f/der-darfur-konflikt---genese-und-verlauf-data.pdf, S. 4 Fn. 1), ist eine bewaffnete Rebellengruppe, die sich mit Rebellen aus verschiedenen Regionen des Sudan zur sogenannten Sudan Revolutionary Front (SRF) zusammengeschlossen hat (http://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54699/sudan-darfur). Die New JEM ist eine bewaffnete Rebellengruppe, die sich von der JEM, die zu den wichtigsten Rebellengruppen aus Darfur, Südkordofan und Blauer Nil gehört (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Sudan v. 3.8.2018, Stand: Juni 2018, S. 7, 18), abgespalten hat (https://www.sudan-embassy.co.uk/wp-content/uploads/2017/09/60th-Anniversary-of-Independence.pdf; UN Sicherheitsrat, S/2017/22 v. 9.1.2017, Final Report of the Panel of Experts on the Sudan established pursuant to resolution 1591 (2005), S. 8 https://www.ecoi.net/en/file/local/1393767/1226_1487165281_n1700563.pdf). Einige Rebellengruppen, insbesondere die Justice and Equality Movement (JEM) und mehrere Fraktionen der SLM bzw. SLM/A, kämpfen weiterhin gegen die sudanesische Armee sowie gegen regierungsnahe Milizen, denen schwere Menschenrechtsverletzungen gegen die Zivilbevölkerung vorgeworfen werden (http://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54699/sudan-darfur). Gegen Angehörige bzw. Sympathisanten der JEM sind in der Vergangenheit Todesstrafen wegen Hochverrats verhängt worden (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Sudan v. 3.8.2018, Stand: Juni 2018, S. 22). Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass Mitgliedern und Sympathisanten der bewaffneten Oppositionsgruppen wie der JEM anders als Mitgliedern nichtbewaffneter Oppositionsgruppen nicht nur Verfolgung durch willkürliche Verhaftung, sondern sogar die Todesstrafe droht. In Anbetracht dessen wäre in dem von der Beklagten angestrebten Berufungsverfahren nicht entscheidungserheblich, ob eine exilpolitische Betätigung in der von der Beklagten beschriebenen Weise allgemein die Gefahr politischer Verfolgung nach sich zieht, sondern allein, ob eine exilpolitische Betätigung gerade für eine bewaffnete Oppositionsgruppe wie die SLM bzw. SLM/A und die New JEM mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung befürchten lässt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 80 AsylG).