Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 14.02.2019, Az.: 1 ME 135/18
Bahnlärm; Gebot der Rücksichtnahme; Lärm-Reflexion; Nachbarschutz
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 14.02.2019
- Aktenzeichen
- 1 ME 135/18
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2019, 69610
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 18.09.2018 - AZ: 4 B 4894/18
Rechtsgrundlagen
- § 34 Abs 1 BauGB
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Reflektiert ein Bauvorhaben Bahnlärm, so dass ein Nachbar verstärkt damit belastet wird, ist das diesem Vorhaben zuzurechnen (gegen BayVGH, B. v. 31.7.2006 - 25 CS 06.1706 - sowie OVG Münster, B. v. 2.5.2018 - 10 B 234/18 -, jeweils Juris).
2. Wirkt der reflexionsbedingte Lärm auf Gebäudeteile ein, die von Bahnlärm bislang nicht so stark
betroffen waren, trifft den Bauherrn auch dann eine verstärkte Pflicht Rücksicht zu nehmen, wenn die Lärmgesamteinwirkungen das Niveau der Gesundheitsgefährdung dort noch nicht erreichen.
Tenor:
Auf die Beschwerde der Abänderungsantragsteller wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 4. Kammer - vom 18. September 2018 geändert. Dessen Beschluss vom 23. Februar 2018 - 4 B 760/18 - wird mit Ausnahme der Kosten- und der Entscheidung über den Streitwert für die Zukunft geändert und die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller gegen die Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 3. November 2016 angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen; außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Unter Änderung der Festsetzung im angegriffenen Beschluss vom 18. September 2018 wird der Streitwert für das Abänderungsverfahren in beiden Rechtszügen auf 12.500,-- € festgesetzt.
Gründe
Die Antragsteller wenden sich vornehmlich wegen der dadurch ausgelösten akustischen Folgen (Reflexion von Bahnlärm) gegen einen nordsüdlich längsrechteckigen, rund 7,20 m hohen Baukörper von 2.725 m² Grundfläche, in dessen beiden Geschossen die Beigeladene eine Kinder- und Jugendpsychiatrie betreiben will. Das ebenfalls unverplante Grundstück der Antragsteller liegt östlich davon an der Westseite des Sackgassenteils der G. straße etwa auf halber Höhe zwischen der H. -I. -Straße im Süden und dem Sackgassenende im Norden. Es ist in etwa mittig mit einem L-förmigen Wohngebäude bestanden. Im Knie zwischen nördlichem Quertrakt und südlich anschließendem Flügel und damit bahnabgewandt haben die Antragsteller ihren Außenwohnbereich platziert.
Die Ostseite der Sackgasse ist nur zu drei Vierteln bebaut. Im Norden verhindert die Trasse der DB-Strecke, welche hier von Nordwest nach Südost verläuft, eine weitere Bebauung der Ostseite. Die DB-Trasse ist stark befahren und wirkt sich nach der Umgebungskartierung an Schienenwegen von Eisenbahnen des Bundes – Runde 3 (30.6.2017) (Bl. 68 GA) in Höhe des Antragsteller-Grundstücks mit Lärmintensitäten von mehr als 75 dB(A), jenseits davon zwischen 70 und 75 dB(A) aus.
Das westlich der Antragsteller liegende Gelände nutzt die Beigeladene baulich bislang mit mehreren Gebäuden, die in einiger Entfernung zum Anwesen der Antragsteller stehen. Das soll sich durch das streitige Vorhaben ändern. Dieses soll in etwa eine Grundstückstiefe westlich des Antragsteller-Grundstücks beginnen und sich nordsüdlich über deren sowie ihr nördliches Nachbargrundstück erstrecken. Den dafür erteilten Bauschein der Antragsgegnerin vom 3. November 2016 und den Widerspruchsbescheid vom 10. Juli 2017 greifen die Antragsteller im Klageverfahren 4 A 6938/17 vor dem Verwaltungsgericht an. Darüber ist noch nicht entschieden. Nach zwei einmal ohne, einmal mit anwaltlichem Beistand ohne Erfolg gestellten Aussetzungsanträgen betrieben die Antragsteller das erste Eilverfahren zum VG-Aktenzeichen 4 B 760/18. Mit rechtskräftigem, nicht mit der Beschwerde angegriffenem Beschluss vom 23. Februar 2018 lehnte das Verwaltungsgericht den Eilantrag ab und führte im Wesentlichen aus, die Bescheide verletzten keine Nachbarrechte der Antragsteller. Einen Gebietserhaltungsanspruch könnten die Antragsteller nicht geltend machen. Einem einzigen der in der Baunutzungsverordnung genannten Gebiete lasse sich die vorhandene Nutzung nicht zuordnen. Das Vorhaben sei nicht rücksichtslos. Die genehmigte Nutzung sowie der davon hervorgerufene Zu- und Abgangsverkehr ließen keine unzumutbaren Belästigungen der Antragsteller erwarten. Es sei unwahrscheinlich, dass sich der Bahnlärm an dem hinzutretenden Baukörper mit nachteiligen Folgen für die Gebäuderückseite der Antragsteller breche. Auf Lärmfolgen für die im streitigen Vorhaben behandelten Kinder und Jugendlichen könnten sich die Antragsteller nicht als eigenes Recht berufen.
Nachdem die Antragsteller im Hauptsacheverfahren eine Stellungnahme des Lärmsachverständigen Dipl.-Ing. J. von 4. April 2018 eingereicht hatten, ließ die dortige Beklagte von der Gesellschaft für Technische Akustik mbH (GTA) aus B-Stadt - K. und L. - unter dem 14. Juni 2018 eine schalltechnische Stellungnahme zu den Schallreflexionen des Bahnlärms am Baukörper des geplanten Neubaus der Kinder- und Jugendpsychiatrie in A-Stadt erarbeiten (Bl. 20 GA). Deren Ergebnisse nahmen die Antragsteller zum Anlass, am 27. Juli 2018 die Abänderung des ersten Eilbeschlusses zu beantragen. Diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht mit dem hier angegriffenen Beschluss vom 18. September 2018, auf dessen Einzelheiten Bezug genommen wird, und im Wesentlichen folgender Begründung abgelehnt:
Der Abänderungsantrag sei zulässig, aber nicht begründet. Nach zutreffender, wenngleich nicht einhellig vertretener Ansicht habe der Bauherr nicht für die Folgen einzustehen, welche sich an seinem Gebäude brechender Lärm auf Drittgrundstücken zur Folge habe. Das habe der Nachbar allein im Verhältnis zum Verursacher der Lärmemissionen, hier also der Deutschen Bahn, zu regeln. Zudem hätten die Bahnlärm-Reflexionen keine Gesundheitsgefährdungen auf dem Grundstück der Antragsteller zur Folge. Weder tags noch nachts erreichten die auf der bahnstreckenabgewandten Seite zu erwartenden Lärmeinwirkungen 70 bzw. 60 dB(A). Für die Nachtzeit hätten weder die GTA noch das von der Beigeladenen beauftragte Akustikbüro Oldenburg - Dr. M. - (Gutachterliche Stellungnahme Nr. 2018/0149 im Verfahren A., C./Stadt Wunstorf – Verwaltungsgericht Hannover, 4 B 760/18, vom 16.8.2018, Bl. 57 ff. GA) Prognoseberechnungen vorgenommen. Ginge man von den Tagwerten aus, seien an der Gebäuderückseite voraussichtlich keine nächtlichen Lärmeinwirkungen von mehr als 60 dB(A) zu erwarten.
Hiergegen führen die Antragsteller Beschwerde, denen die übrigen Beteiligten entgegentreten.
Die zulässige Beschwerde hat Erfolg. Eine wegen § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die rechtzeitig geltend gemachten Beschwerdegründe zu beschränkende Prüfung ergibt, dass das Verwaltungsgericht den Abänderungsantrag zu Unrecht abgelehnt hat.
Entgegen den von der Beigeladenenseite geäußerten Zweifel ist der Abänderungsantrag statthaft. Die dazu nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO erforderlichen veränderten, im ersten Eilverfahren schuldlos nicht geltend gemachten Umstände liegen vor.
Eil- sind Verfahren, in denen lediglich darüber entschieden wird, wessen Interessen sich einstweilen, d. h. bis zum Ausgang des Hauptsacheverfahrens sollen durchsetzen können. Dem Verlierer wird das Risiko aufgebürdet, die Folgen hinnehmen zu müssen, die sich in der Zwischenzeit zu seinem Nachteil ergeben können. Hier greift § 80 Abs. 7 VwGO ein. Gerade in nachbarrechtlichen Eilstreitigkeiten kommt der Prognose über den voraussichtlichen Verfahrensausgang streitentscheidende Bedeutung zu. Werden im parallel geführten Hauptsacheverfahren Sachverständigengutachten erstattet, welche dem Gericht neue Erkenntnismöglichkeiten verschaffen, liegt ein Fall des § 80 Abs. 7 VwGO vor (vgl. Eyermann-Hoppe, VwGO. Komm., 15. Aufl. 2019, § 80 Rdnr. 134). Ein solcher Fall liegt hier in der Gestalt der sachverständigen Äußerung der GTA/K. -L. vom 14. Juni 2018 vor.
Es ist den Antragstellern nicht als Verschulden anzulasten, dass das Gutachten nicht schon im ersten Eilverfahren hatte eingeführt werden können. Seine Vorlage wurde zwar durch die von ihnen initiierte gutachterliche Äußerung des Lärmsachverständigen Dipl.-Ing. J. von 4. April 2018 veranlasst. Einem Eilantragsteller ist indes nicht zu empfehlen, auf seine Kosten dieses Gutachten einholen zu lassen. Denn selbst nach der in diesen Dingen eher großzügigen Senatsrechtsprechung (vgl. z. B. B. v. 29.10.2018 – 1 OA 103/18 –) ist die Erstattungsfähigkeit privater Gutachterkosten an sehr strenge Voraussetzungen geknüpft (vgl. a. Senatsb. v. 28.1.2010 - 1 OA 170/09 -). Erst dann, wenn trotz entsprechender Hinweise die Bauaufsichtsbehörde keine Anstalten macht, die als entscheidungsrelevant angesehene Frage durch eigene Sachverhaltsermittlungsmaßnahmen klären zu lassen, die nicht mehr „mit Bordmitteln“ bewerkstelligt werden können, und den Petenten darauf verweist, das auf seine Kosten klären zu lassen, kommt eine Erstattungsfähigkeit nach § 162 Abs. 1 VwGO in Betracht.
Ein solcher Fall war hier nicht gegeben. Die Antragsgegnerin hatte nicht zu erkennen gegeben, sie wolle ihrer Sachaufklärungspflicht nicht genügen. Dementsprechend hatte sie die von den Antragstellern unterbreiteten Hinweise vom 4. April 2018 zum Anlass genommen, die GTA zu beauftragen. Ein Verschulden, das GTA-Gutachten nicht selbst beauftragt zu haben, fällt den Antragstellern mithin nicht zur Last.
Selbst die Stellungnahme vom 4. April 2018 hätten die Antragsteller nicht mehr innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist vorlegen können, die gegen den ersten Eilbeschluss mit dem 28. Februar 2018 zu laufen begonnen hatte (EB nach Bl. 82 der GA 4 B 760/18).
Dem auch im Übrigen zulässigen Abänderungsantrag hätte das Verwaltungsgericht stattgeben müssen. Die vorhabenbedingten Reflexionen des Bahnlärms sind dem streitigen Vorhaben zuzurechnen. Der Bay. Verwaltungsgerichtshof (B. v. 31.7.2006 - 25 C 06.1706 -, JURIS-Rdnr. 4) und das OVG Münster (B. v. 2.5.2018 - 10 B 234/18 -, JURIS-Rdnr. 5) nehmen das zwar mit der Begründung in Abrede, auch bei § 34 Abs. 1 BauGB und dem im Einfügensgebot enthaltenen Gebot der Rücksichtnahme sei dem Vorhaben allein das zuzurechnen, was seine bestimmungsgemäße Nutzung an Einwirkungen hervorrufe. Für den Straßenlärm einschließlich seiner Reflexionen sei ausschließlich der Straßenbaulastträger zuständig. Entsprechendes müsste dann auch wohl für Bahnlärm anzunehmen sein.
Dem ist nicht zuzustimmen.
Schon in seinem unveröffentlichten Beschluss vom 3. April 2014 – 1 ME 11/14 – hatte der Senat den Abwehranspruch eines Gebäudes zu behandeln, das an der einen Seite einer stark befahrenen Straße in einer niedersächsischen Großstadt lag und sich durch die Errichtung eines größeren Gebäudes an der anderen Straßenseite durch Reflexionen verstärkten Lärmimmissionen ausgesetzt sah. In der Entscheidung hatte der Senat ausgeführt:
Das Verwaltungsgericht ist insoweit zu Recht davon ausgegangen, dass die hier zu erwartende Lärmpegelerhöhung des Straßenverkehrslärms jedenfalls in einem Bereich liegt, der unterhalb der menschlichen Wahrnehmungsschwelle liegt und deshalb in dem bereits vorhandenen Verkehrslärm des R….rings „untergeht“. Diese auf Erkenntnissen der Akustik beruhende „Wertung“, die auch § 1 Abs. 2 der 16. BImSchV zugrunde liegt, wird in der Rechtsprechung nicht in Frage gestellt (BVerwG, Urt. v. 13.3.2008 - 3 C 18.07 -, BVerwGE 130, 383; Urt. v. 7.3.2007 - 9 C 2.06 -, BVerwGE 128, 177; Beschl. v. 19.2.1992 - 4 NB 11.91 -, BRS 54 Nr. 41; OVG Münster, Urt. v. 28.8.2007 - 7 D 28/06.NE -, Juris; vgl. auch die Ausführungen zu den Grundlagen der Lärmimmissionen bei Fickert/Fieseler, BauNVO, 10. Aufl., § 15 Rdn. 15). Insofern ist es unerheblich, ob sich aufgrund verschiedener Berechnungsmethoden Pegelunterschiede ergeben können, sofern - wie hier - jedenfalls die Grenze von 2 dB(A) nicht überschritten wird. Es stellt sich in diesem Zusammenhang zwar die Frage, ob eine - in § 1 Abs. 2 16. BImSchV auch erwähnte - Erhöhung des Verkehrslärms auf die Grenze zur Gesundheitsgefährdung erreichende Werte von 70 dB(A) am Tag und 60 dB(A) in der Nacht zur Beachtlichkeit auch einer Lärmzunahme in einem Bereich von nur 0,4 dB(A) führen muss oder im Einzelfall führen kann. Das ist vom Verwaltungsgericht und den Beteiligten hier aber nicht problematisiert worden. Ob und wie sich die Erhöhung eines vorhandenen Lärmpegels in einem Maß, das vom menschlichen Ohr nicht wahrgenommen werden kann, auf die Feststellung der Verletzung des Rücksichtnahmegebotes auswirkt, wenn die Grenze zur Gesundheitsgefährdung erreicht ist, kann wegen § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO deshalb hier nicht erörtert werden und zu einem anderen Ausgang der Beschwerde führen.
Das heißt: Nur § 146 Abs. 4 VwGO hatte den Senat seinerzeit daran gehindert, der als entscheidungserheblich angesehenen Frage nachzugehen, ob die durch das streitige Vorhaben hervorgerufenen Reflexionen im Zusammenwirken mit den schon ohne das Vorhaben zu verzeichnenden Straßenlärmmengen zu gesundheitsgefährdenden Folgen führten.
Daran ist festzuhalten. Ausgangspunkt hat das im Einfügensgebot des § 34 Abs. 1 BauGB enthaltene Gebot der Rücksichtnahme zu sein (BVerwG, Urt. v. 26.5.1978 - IV C 9.77 -, BVerwGE 55, 369 = NJW 1978, 276, JURIS-Rdnr. 47). Es bedarf nicht erst eines Rückgriffs auf § 34 Abs. 1 Satz 2, Halbs. 1 BauGB - die Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse müssen gewahrt bleiben -, um zur Annahme gelangen zu können, ein Vorhaben füge sich nicht ein, wenn seine akustischen Folgen im Zusammenhang mit vorhandenen Immissionen zu den nach § 34 Abs. 1 Satz 2, Halbs. 1 BauGB missbilligten Zuständen führen. Dann fügt es sich schon nicht nach Satz 1 der Vorschrift ein (so zutreffend Battis/Krautzberger/Löhr-Mitschang/Reidt, BauGB, Komm., 13. Aufl. 2016, § 34 Rdnr. 39). Darin drückt sich der Umstand aus, dass auch bei der Behandlung unverplanter Bereiche die in § 1 Abs. 6 BauGB genannten städtebaulichen Grundsätze einzuhalten sind. Das ist hier namentlich der in Nummer 1 dieser Vorschrift verankerte Gesichtspunkt, vorhabenbedingt dürften keine ungesunden Wohn- und Arbeitsverhältnisse geschaffen werden. Dass in diesem Zusammenhang gerade auch plan- oder vorhabenbedingte Lärmreflexionen zu beachten sind, hatte der Senat in seinem von allen Beteiligten zu Recht zitierten Urteil vom 24. Juni 2015 (- 1 KN 138/13 -, BauR 2015, 1624 = BRS 83 Nr. 45, JURIS-Rdnrn. 28 ff.) dargetan. Dort (Rdnrn. 29 f.) hatte er auch die zum gleichen Plan erlassene einstweilige Anordnung vom 10. März 2014 – 1 MN 209/13 – (ansonsten unveröffentlicht) auszugsweise zitiert. Aus diesen Passagen ergibt sich, dass das Vorhaben auch für die Folgen einzustehen hat, die es als Reflexionsschirm anderweitig erzeugten Lärms bewirkt.
Ein solcher Ansatz ist dem Bauplanungs- und damit dem aus § 34 BauGB zu schöpfenden Nachbarrecht nicht fremd. Zutreffend verweist die Antragstellerseite auf Seite 3 der Beschwerdebegründungsschrift vom 5. Oktober 2018 auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Januar 2007 (- 4 C 1.06 -, BVerwGE 128, 118 = BRS 71 Nr. 169 = NVwZ 2007, 587). Für sich genommen arbeitete das mit dem angegriffenen Bescheid legitimierte türkische Konsulat störungsfrei. Nur durfte das Städtebaurecht nicht die Augen davor verschließen, dass die aus Anlass seiner Existenz von Dritten möglicherweise zu erwarten Störungen städtebaurechtliche Relevanz hatten (Sicherheit der Wohn- und Arbeitsbevölkerung). Das ist ein Gesichtspunkt, der sowohl im Planaufstellungsverfahren von Bedeutung ist (BVerwG, aaO, JURIS-Rdnr. 14), als auch ein solcher, der im Entscheidungsprozess über die baurechtliche Zulassung eines Vorhabens einzubeziehen ist.
Nur folgerichtig ist auch der spätere Hinweis auf den Nachbaranspruch, vor unzumutbaren Sonnenblendwirkungen verschont zu bleiben. Das verglaste Gewächshaus selbst blendet nicht. Nur lässt sich gegen die Sonne nichts ausrichten. Also muss derjenige, der sein Dach so neigt, dass die Nachbarschaft zu bestimmten Stunden unzumutbar geblendet wird, etwas dagegen tun. Die Deutsche Bahn AG ist nun zwar keine Sonne. Doch gegen deren aller Voraussicht nach unanfechtbar stattfindenden täglichen und nächtlichen Zugverkehr ist selbst dann kein Abwehrrecht mehr eröffnet, wenn dieser, was hier naheliegt, seinerzeit noch unter Geltung des sog. Schienenbonus‘ ohne weitere Schutzmaßnahmen zugelassen worden war. Selbst wenn diese ergriffen worden wären, dürften diese allenfalls auf den bahngleiszugewandten Gebäudeteilen Maßnahmen des passiven Schallschutzes zur Folge gehabt haben.
Allein, dass die Lärmquelle die Ausgangsursache für die jetzt zu lösende Sachlage darstellt, entlässt den Bauherrn nicht aus seiner aus dem Rücksichtnahmegebot folgenden Verantwortung, mit seinem Bauwerk der besonderen Situation gerecht zu werden, welche er zu seinen Bauabsichten nutzen will und den nach § 34 Abs. 1 BauGB maßgeblichen Rahmen ausmacht. Daraus folgt, dass das Vorhaben weder auf seinem Grundstück noch auf Nachbargrundstücken zu unzumutbaren Wohnverhältnissen führen darf. Das Vorhaben darf namentlich nicht zur Folge haben, dass Maßnahmen, die ein Eigentümer in so prekärer Nachbarschaft aus Gründen architektonischer Selbsthilfe (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.9.1999 - 4 C 6.98 -, BVerwGE 109, 314 = NVwZ 2000, 505 = BRS 62 Nr. 86) getroffen hat, ohne jeden Versuch, die Folgen zu mindern, desavouiert werden.
Ein solcher Fall ist hier gegeben. Es liegt auf der Hand, dass so ziemlich jeder Grundstückseigentümer an der Frankestraße bestrebt sein wird/muss, die zur Nachtruhe erforderlichen Räumen an die bahnabgewandte Seite seines Wohngebäudes zu legen. Just dort wirken nun die Bahnlärmreflexionen ein. Das bedarf in dieser durch Bahnlärm geprägten Grundstücksgemeinschaft eines Ausgleichs. Einerseits ist zu berücksichtigen, dass der Beigeladenen nicht angesonnen werden kann, den in Rede stehenden Grundstücksbereich nur deshalb unbebaut zu lassen, weil dies den Antragstellern von Vorteil wäre. Nach dem sich aus den Luftbildern von google-maps ergebenden Bild ist dieser Bereich nach § 34 Abs. 1 BauGB bebaubar. Solchen Grundstücken darf die Bebaubarkeit grundsätzlich nicht aus Nachbarschutzgründen bestritten werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.12.1982 – 4 C 28.81 -, DVBl 1983, 349 = BRS 39 Nr. 57, JURIS-Rdnr. 15). Des Weiteren trifft zu, dass der durch Straße oder Schiene Lärmvorbelastete vom Bauherrn nicht verlangen darf, seine Bauabsichten solange zurückzustellen, bis jedwede lärmbedingte Gesundheitsgefahr gebannt oder gar die Einhaltung der für das Gebiet geltenden Orientierungswerte gesichert ist. Zustimmung verdiente daher das VG München, wenn es in seinem Beschluss vom 14. März 2005 (- M 11 SN 04.2802 -, JURIS-Rdnr. 20) lediglich verlangt, selbst bei Überschreitung der Schwelle zur Gesundheitsbeeinträchtigung könne dem Bauherrn (nur) abverlangt werden, dass er Maßnahmen zur Reduzierung der Lärmreflexionen ergreife – etwa durch Aufbringung eines offenporigen Putzes oder Anbringung einer mit schalldämmendem Material hinterfütterten Holzverkleidung.
Das in ausreichendem Maße zu tun hat die Beigeladene unterlassen.
Nach dem gegenwärtig absehbaren Stand der Dinge spricht einiges für die Annahme, jedenfalls zur Nachtzeit werde die Schwelle zur Gesundheitsgefährdung möglicherweise erreicht oder nur hart unterschritten. Diese sieht der Senat bei 60 dB(A) nächtlichem Dauerschallpegel als erreicht an (s. z. B. Senatsurteil vom 24.6.2015 - 1 KN 138/13 -, aaO, JURIS-Rdnrn. 29 mwN). Selbst wenn die nachstehend zu würdigenden Gutachten nicht die Einschätzung rechtfertigten, die reflexionsbedingte Zusatzbelastung werde an der nordwestlichen Gebäuderückseite der Antragsteller zu nächtlichen Lärmgesamteinwirkungen von mehr als 60 dB(A) führen, haben die Antragsteller Anspruch darauf, dass die Beigeladene auf die besondere Schutzwürdigkeit dieser Gebäudeseite stärker Rücksicht nimmt, als sie dies bislang tut.
Insofern ist die Sachlage hier anders als in dem oben zitierten Normenkontrollverfahren 1 KN 138/13 und dem vorstehend auszugsweise zitierten Verfahren 1 ME 11/14. Dort waren die schon bislang lärmbelasteten, weil der Lärmquelle zugewandten Gebäudeseiten betroffen gewesen, hier ist es die als einziger Rückzugsbereich in Betracht kommende Rückseite.
Von den beiden hier vor allem zu betrachtenden gutachterlichen Äußerungen ist die des Akustikbüros N. (O.) weniger gut zu verwenden. Wie sich aus den Ausführungen auf seiner Seite 10 unten ergibt, legt dieses wesentlich Wert auf die Darlegung, die reflexionsbedingte Erhöhung der Gesamtlärmmengen bewege sich nur um etwa 3,5 dB(A) und liege damit nur knapp über der Wahrnehmbarkeitsschwelle, welche das Akustikbüro bei 3 dB(A) verortet. Abgesehen davon, dass auch zu letztgenanntem Wert unterschiedliche Auffassungen bestehen, kommt es in diesem Zusammenhang in erster Linie nicht auf den Erhöhungsbetrag an, sondern um die Lärmgesamtmenge, welche vorhabenbedingt zur Nachtzeit an der Westwand zu erwarten sein wird, namentlich, ob diese 60 dB(A) übersteigt. Das wirft das Akustikbüro eigenartigerweise nicht aus, obwohl ihm die GTA-Ausarbeitung bekannt war (als Quelle [11] zitiert).
Zudem wird nicht recht deutlich, welches der Ertrag der ersten Ausführungen in der Stellungnahme vom 16. August 2018 sein soll. Es mag ja sein, dass die Schall 03 (neu) für weiter gleisabgewandte Gebäude bessere Ergebnisse erbringt und für die Berechnung nicht das gesamte Frequenzspektrum, sondern nur Lärm-„Oktaven“ oberhalb von 1.000 Hz maßgeblich sind. Nur lässt das Akustikbüro Oldenburg diesen Betrachtungen keine Berechnung folgen, sondern verlässt sich bemerkenswerter Weise auf eine DIN ISO 9613-2 gestützte Prognoseberechnung, ohne die Anwendbarkeit dieses Regelwerks zu diskutieren. Denn die GTA hatte unter dem 14. Juni 2018 gerade angemerkt, dass die DIN ISO 9613-2 auf Straßenverkehrslärm zugeschnitten sei; daher sei der Schall 03 (alt) der Vorzug zu geben.
Nach den – auch vom Akustikbüro verwandten – Grundannahmen des GTA-Gutachtens vom 14. Juni 2018 spricht Überwiegendes dafür, dass nächtens der Gesundheitsgefahrenwert von 60 dB(A) überschritten wird. Die GTA hatte auf Seite 2 ihres Gutachtens vom 14.6.2018 die nach den DB-Betriebsprogrammen (s. nochmals Bl. 68 GA) zur Nachtzeit zu erwartenden Emissionspegel mit 75,6 dB(A) angegeben gegenüber zur Tagzeit emittierenden 74,2 dB(A). Nur den letztgenannten Wert hatte die GTA dann aber ihrer weiteren Berechnung zugrunde gelegt und auf Seite 2 unten ihrer schalltechnischen Stellungnahme vom 14. Juni 2018 ausgeführt:
Anhand eines digitalen Berechnungsmodells wurden für die dem Schienenweg abgewandten Außenwohnbereiche der Bebauung westlich der Frankestraße ohne den geplanten Baukörper Beurteilungspegel am Tage in 2 m Höhe von rd. 55 dB(A) im Fassadennahbereich und rd. 60 dB(A) in einigen Metern Entfernung zum jeweiligen Gebäude ermittelt (vgl. Anlage 1.1). Die für eine schalltechnische Beurteilung von Verkehrslärm zu berücksichtigenden Außenwohnbereiche (vgl. VLärmSchR 97 hinsichtlich der Definition der Immissionshöhe von 2 m) sind nur am Tage schutzbedürftig. Die genannten Pegel können sich durch Schallreflexionen an der Fassade des geplanten Neubaus der Psychiatrie erhöhen. Die Erhöhungen können bis zu ca. 6 dB im Nahbereich der Fassaden und ca. 3 dB in einigen Metern Entfernung betragen (vgl. Anlage 2.1). Durch die Erhöhung steigen die Beurteilungspegel in den genannten Außenwohnbereichen der vorhandenen Wohnbebauung auf Werte am Tage von ca. 60 dB(A) im Fassadennahbereich und auf ca. 63 dB(A) in einigen Metern Entfernung (vgl. Anlage 1.2) zum Baukörper.
Die Berechnung ist hier zu korrigieren, weil Ausgangspunkt der Betrachtung nicht, wie von der GTA angenommen, der DB-Tagwert von 74,2 dB(A), sondern der um immerhin 1,4 dB(A) höhere Nachtwert von 75,6 dB(A) der Berechnung zugrunde zu legen ist.
Zum anderen ist zu beachten, dass die GTA die Berechnungen für den Außenwohnbereich angestellt hat. Diese liegt aber merklich weiter von der Ostwand des streitigen Vorhabens liegt als die hier vor allem interessierende nach Westen reichende Abschlusswand des Antragsteller-Gebäudes. Ausschlaggebend ist hier die westliche Stirnseite des Nordtrakts. Dass dieser deutlich stärkeren Umfangs Lärmimmissionen ausgesetzt ist, zeigen die Einzeichnungen in den Anlagen 2.1 und 2.2 zur GTA-Begutachtung. Die Richtigkeit dieser Annahme zeigen auch die Werte in der Tabelle auf Seite 10 der Stellungnahme des Akustikbüros N.. Danach beträgt der Unterschied zwischen beiden Immissionsorten je nach Absorptionsgrad der Ostseite des streitigen Vorhabens immerhin zwischen 1,5 und 1 dB(A). Das zeigt, dass der an der nördlichen Westwand des Antragstellergebäudes reflexionsbedingt zu erwartende Dauerschallpegel zur Nachtzeit merklich höher liegt als 60 dB(A).
Nun mag man noch darüber zweifeln, ob die Reflexionswirkungen von GTA und dem Akustikbüro N. übereinstimmend quantifiziert worden sind. Die GTA denkt auf Seite 3 ihrer Äußerung vom 14.6.2018 darüber nach, es sei möglich, die Reflexionswirkungen von 6 dB(A) auf 4,5 dB(A) zu reduzieren, wenn die östliche Abschlusswand des streitigen Gebäudes nach Art einer an Bahnstrecken aufzustellenden Lärmschutzwand hochabsorbierend aufgeführt würde.
Das Akustikbüro N. sieht – ohne dies im an sich gebotenen Vergleich zur bekannten GTA-Stellungnahme richtig zu würdigen – einen Unterschied von 0,6 dB(A) je nachdem, ob die Ostseite des streitigen Vorhabens mit uneingeschränkt reflektierender Fassade oder – wie geplant und damit wohl auch genehmigt – mit einer gegliederten Fassade ausgeführt wird. Die Aufbringung einer absorbierenden Fassade reduzierte die Lärmeinwirkungen selbst gegenüber dieser „mittelguten“ Lösung am IP 1 um 1 dB(A). Das herzustellen kann der Beigeladenen hier selbst dann abverlangt werden, wenn die Grenze zur nächtlichen Gesundheitsgefährdung, d. h. zu 60 dB(A) Dauerschallpegel noch nicht vollständig überschritten sein sollte. Denn anders als im oben zitierten Verfahren 1 ME 11/14 geht es hier nicht um die vorhaben-/reflexionsbedingte zusätzliche Lärmbeeinträchtigung einer ohnedies uneingeschränkt der Lärmquelle zugewandten Fassade, sondern um den Bereich, den die Antragsteller als Ausgleich für die erheblichen an der Gebäudeostseite einwirkenden Eisenbahnlärmmengen als Rückzugs- und Zufluchtsort wählen müssen. Das kennzeichnet die Situation, in der das streitige Vorhaben verwirklicht werden soll, und hierauf muss selbst eingedenk des Umstands verstärkt Rücksicht genommen werden, dass der Bauherr nicht stets die dem Nachbarn günstigste Lösung wählen muss (vgl. BVerwG, B.v. 26.6.1997 - 4 B 97.97 -, NVwZ-RR 1998, 357 = BRS 59 Nr. 176; B.v.22.11.2010 - 7 B 58.10 -: BauR 2011, 629 = BRS 76 Nr. 77). Denn es geht hier darum, bei Abwägung der konkurrierenden Belange - Bebauung eines dafür grundsätzlich geeigneten Bereichs durch die Beigeladene einerseits, Bewahrung eines Rests von Rückzugsmöglichkeiten für die Antragsteller andererseits - den Level an Rücksichtnahmeverpflichtung zu bestimmen, der dem Bauherrn noch zuzumuten ist. Es ist nicht ersichtlich, dass die Ausgestaltung der Gebäudeostseite - bei uneingeschränkter Beibehaltung der besonders hart reflektierenden Fenster - mit Kosten einer Größenordnung verbunden ist, welche zur Größe des damit allein erreichbaren Erfolges nicht mehr im Verhältnis steht. Nicht zuletzt durch die angegriffene Entscheidung (S. 5 unten BA) war allen Beteiligten die Entscheidung des Verwaltungsgerichts München vom 14. März 2005 - M 11 SN 04.2802 - bekannt. Gleichwohl wurden keine Betrachtungen dazu angestellt, die dort erörterten lärmstillenden Maßnahmen (großporiger Putz oder mit lärmdämmenden Materialien hinterfütterte Holzlattung) seien zu kostenaufwendig. Demzufolge kann jedenfalls für das Eilverfahren nicht angenommen werden, der Beigeladenen würden zu große Opfer abverlangt, wenn sie sich selbst dann zu lärmreduzierender Gestaltung der Ostfassade verstünde, wenn deren Reflexionswirkungen noch nicht zu Lärmeinwirkungen von über 60 dB(A) am Antragsteller-Westgiebel führten.
Es sind auch keine Anhaltspunkte für die Annahme ersichtlich, der Beigeladenen sei eine „Gegenrechnung“ dafür eröffnet, dass der Neubau Lärm vom Antragstellergrundstück abhalte, der von der Nutzung der Einrichtung ausgehe. Den Antragstellern dürfte vielmehr eher in der Einschätzung zuzustimmen sein, die Grundstückssituation sei durch ein Nebeneinander von Wohnen und einer klinikartigen Einrichtung geprägt, welche ihrerseits schutzbedürftig und weniger emittierend sei.
Weitere Ausführungen zur Beschwerde sind nicht veranlasst.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Beigeladene kann nicht mit Kosten belastet werden, weil sie weder erst- noch zweitinstanzlich einen Antrag gestellt hat.
Die Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts ist gem. § 63 Abs. 3 GKG zu korrigieren. Hier geht es um ein Vorhaben, das geeignet ist, in dieser lärmvorbelasteten Situation die Wohnsituation der Antragsteller durch Verlärmung der einzigen Rückzugszone merklich zu verschlechtern. Da ist es mit einem Mittelwert aus Nummer 8 lit. a) der Streitwertannahmen des Senats (NdsVBl. 2002, 192 = NordÖR 2002, 197) nicht getan.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5 iVm. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).