Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 01.02.2019, Az.: 10 PA 270/18
Anwaltszwang; gerichtskostenfreies Verfahren; Hinderungsgrund; isolierter Prozesskostenhilfeantrag; Klagefrist; Prozesskostenhilfeantrag; Versäumnis; Wiedereinsetzung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 01.02.2019
- Aktenzeichen
- 10 PA 270/18
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2019, 69609
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 08.05.2018 - AZ: 4 A 718/17
Rechtsgrundlagen
- § 60 Abs 1 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Ein innerhalb der Klagefrist eingereichter, aber erst nach Ablauf dieser Frist beschiedener isolierter Prozesskostenhilfeantrag stellt in gerichtskostenfreien Verfahren ohne Anwaltszwang auch dann keinen Hinderungsgrund im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO dar, wenn der Antrag von einem Rechtsanwalt gestellt worden ist.
Tenor:
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stade - 4. Kammer - vom 8. Mai 2018 wird zurückgewiesen.
Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Die Beschwerde der Antragsteller hat keinen Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte, auf die Verpflichtung des Landkreises, ihnen Akteneinsicht in die ihre Tochter betreffende Jugendamtsakte zu gewähren, gerichtete Klage im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Denn die beabsichtigte Klage hat nicht die für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht, da der die Gewährung von Akteneinsicht ablehnende Bescheid des Landkreises vom 31. Januar 2017 bestandskräftig geworden ist.
Bei dem Bescheid vom 31. Januar 2017 handelt es sich trotz der fehlenden Rechtsbehelfsbelehrung nicht lediglich um ein informelles Schreiben des Landkreises, mit dem auf den vorherigen bestandskräftigen Bescheid vom 30. Oktober 2014 verwiesen worden ist, da darin der neue Akteneinsichtsantrag der Antragsteller vom 30. Dezember 2016 umfassend und unter Würdigung des teilweise veränderten Sachverhalts beschieden worden ist. Dieser Bescheid ist dem Prozessbevollmächtigten der Antragsteller nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts am 2. Februar 2017 zugegangen. Folglich lief die einjährige Rechtsbehelfsfrist des § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO am 2. Februar 2018 ab. Innerhalb dieser Frist haben die Antragsteller keine Klage erhoben, da sie am 22. Februar 2017 lediglich einen sogenannten isolierten Prozesskostenhilfeantrag, der auf die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein noch beabsichtigtes Klageverfahren gerichtet ist, beim Verwaltungsgericht gestellt haben. Denn die Antragsteller haben mit Schriftsatz vom 22. Februar 2017 die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt und für den Fall der Bewilligung von Prozesskostenhilfe um Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung gebeten, für den sie mehrere Klageanträge angekündigt haben. Außerdem haben sie auf die Bitte des Verwaltungsgerichts, klarzustellen, ob es sich bei diesem Schriftsatz um einen sogenannten isolierten Prozesskostenhilfeantrag handelt, mit Schriftsatz vom 28. Februar 2017 geantwortet, dass zunächst über den Prozesskostenhilfeantrag zu entscheiden sei. Daraufhin hat das Verwaltungsgericht mit Verfügung vom 3. März 2017 festgestellt, dass aufgrund dieser Schriftsätze beim Verwaltungsgericht kein Klageverfahren, sondern nur ein isoliertes Prozesskostenhilfeverfahren geführt werde. Dem haben die Antragsteller in der Folgezeit nicht widersprochen.
Die Antragsteller haben für den Fall der Nachholung der Klageerhebung auch keinen Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand hinsichtlich der versäumten Klagefrist. Denn sie waren nicht im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO „ohne Verschulden verhindert“, die Klagefrist einzuhalten. Ein innerhalb der Klagefrist eingereichter, aber erst nach Ablauf dieser Frist beschiedener isolierter Prozesskostenhilfeantrag stellt nämlich in gerichtkostenfreien Verfahren ohne Anwaltszwang - wie hier - auch dann keinen Hinderungsgrund im Sinne dieser Vorschrift dar, wenn dieser Antrag von einem Rechtsanwalt gestellt worden ist (Niedersächsisches OVG, Beschlüsse vom 15.02.2013 - 4 PA 25/13 -, juris Leitsatz und Rn. 4, und vom 25.02.2008 - 4 PA 390/07 -, juris 1. Leitsatz und Rn. 4 f.; ausführlich hierzu: Hessischer VGH, Beschluss vom 20.05.2005 - 10 TP 980/05 -, juris Leitsatz und Rn. 2 ff.; ferner: Bayerischer VGH, Beschluss vom 11.07.2007 - 12 C 07.1209 -, juris Rn. 1; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.05.2001
- 7 S 646/01 -, 2. Leitsatz und Rn. 7 f.; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 26.03.1999 - 12 E 12427/98 -, juris Leitsatz; Hamburgisches OVG, Beschluss vom 05.02.1998 - Bs IV 171/97 -, juris 2. Leitsatz und Rn. 8; Bier/Steinbeiß-Winkelmann in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: September 2018, § 60 Rn. 17; Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 60 Rn. 6; von Albedyll in Bader/Funke - Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 7. Aufl. 2018, § 60 Rn. 23).
Soweit bei Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung in der Hauptsache aufgrund eines innerhalb der Klagefrist gestellten Prozesskostenhilfeantrags Prozesskostenhilfe bewilligt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist gewährt wird, beruht dies darauf, dass es der mittellosen Partei nicht zuzumuten ist, Klage zu erheben, wenn sie sich damit einem Kostenrisiko aussetzt, das sie nicht zu tragen vermag. Dies gilt aber nur für die Fälle, in denen bereits mit der Beschreitung des Rechtswegs ein Kostenrisiko entsteht, weil ein Verfahren nicht gerichtskostenfrei ist oder die Klage nur durch einen Rechtsanwalt wirksam eingelegt werden kann. Bei gerichtskostenfreien Verfahren, für die auch kein Vertretungszwang besteht, ist ein derartiges Kostenrisiko jedoch nicht gegeben. Vielmehr kann in diesen Fällen die mittellose Partei zur Wahrung der Klagefrist ohne Einschaltung eines Rechtsanwaltes selbst gerichtskostenfrei Klage erheben, ohne befürchten zu müssen, im Falle des Unterliegens außer mit den eigenen Aufwendungen wie Porto- und Telefonkosten, von denen die mittellose Partei auch durch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht befreit würde, mit zusätzlichen Kosten belastet zu werden, da die Bewilligung von Prozesskostenhilfe auf die Erstattung der dem Gegner entstandenen Kosten keinen Einfluss hat (§ 123 ZPO). Wird von dieser Möglichkeit nicht Gebrauch gemacht, besteht kein Grund für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO. Denn zur Erhebung der Klage ist die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts nicht erforderlich, weil alles dafür Notwendige bei Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen der dem Verwaltungsakt beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung bzw. den Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung ohne Weiteres entnommen werden kann. Außerdem können Rechtsunkundige nach § 81 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Klage erheben und Rechtsberatung nach dem Beratungshilfegesetz in Anspruch nehmen. Falls sich in dem anhängig gemachten Klageverfahren herausstellt, dass gleichwohl die Vertretung durch einen Rechtsanwalt geboten ist, kann auch nach Klageerhebung noch Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt werden. Die Bescheidung eines isolierten Prozesskostenhilfeantrags vor Klageerhebung ist in den nach § 188 VwGO gerichtskostenfreien Verfahren zur Gewährung einer Gleichstellung von mittellosen und bemittelten Beteiligten bei der Rechtsverfolgung daher nicht erforderlich.
Zwar wäre hier ein (rechtzeitiger) Hinweis des Verwaltungsgerichts auf diese Rechtslage angesichts des Umstands, dass es aufgrund seiner Belastung (u. a. mit Asylsachen) erst 15 Monate nach Eingang des Prozesskostenhilfeantrags und damit nach Ablauf der im vorliegenden Fall einjährigen Klagefrist über diesen entscheiden konnte, angezeigt gewesen. Doch hat dies die anwaltlich vertretenen Antragsteller nicht davon entbunden, selbst zu prüfen, welche rechtlichen Folgen sich aus dem von ihnen gewählten Weg eines isolierten Prozesskostenhilfeantrags in dem vorliegenden gerichtskostenfreien Verfahren ergeben, insbesondere welche Folgen das Überschreiten der Klagefrist hat. Dazu hat auch deshalb Anlass bestanden, weil das Verwaltungsgericht auf ihre Sachstandsanfrage mit Verfügung vom 30. November 2017 unmissverständlich geantwortet hat, dass eine Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag wegen der Belastung der Kammer erst im 1. Quartal 2018 möglich sei, und sie daher mit einer Entscheidung über ihren Antrag innerhalb der Klagefrist nicht oder jedenfalls nicht mit hinreichender Sicherheit rechnen konnten. Hätten die Antragsteller diese Überprüfung vorgenommen, hätten sie auf der Grundlage der oben zitierten obergerichtlichen Rechtsprechung und Kommentarliteratur unschwer feststellen können, dass sie keinen Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Ablauf der Klagefrist haben.
Die Kostenentscheidungen folgen aus § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO und § 188 VwGO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).