Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 06.08.2015, Az.: VgK-26/2015

Ausschreibung von Schülerbeförderungsleistungen im sog. freigestellten Schülerverkehr als Dienstleistung; Erklärung von den Bietern bzgl. Pflicht zur Zahlung des Mindestlohns im Zuschlagsfall

Bibliographie

Gericht
VK Lüneburg
Datum
06.08.2015
Aktenzeichen
VgK-26/2015
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 40984
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

In dem Nachprüfungsverfahren
der xxxxxx,
- Antragstellerin -
gegen
die xxxxxx,
- Antragsgegnerin -
beigeladen:
xxxxxx,
- Beigeladene -
wegen
Vergabeverfahren "Schülerbeförderung 2015/2016 und 1. Halbjahr 2016/2017", Vergabe-Nr. xxxxxx,
hat die Vergabekammer durch den Vorsitzenden RD Gaus, den hauptamtliche Beisitzer BOR Peter und den ehrenamtlichen Beisitzer Dipl. VwW Abraham auf die mündliche Verhandlung vom 04.08.2015 beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.

  2. 2.

    Die Kosten werden auf xxxxxx € festgesetzt.

  3. 3.

    Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.

  4. 4.

    Die Antragstellerin hat der Antragsgegnerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen zu ersetzen.

Begründung

I.

Die Vergabestelle und Antragsgegnerin hat mit EU-Vergabebekanntmachung vom xxxxxx.2015 Schülerbeförderungsleistungen im sog. freigestellten Schülerverkehr in insgesamt 74 Losen für den Zeitraum des Schuljahres 2015/2016 und das 1. Schulhalbjahr 2016/2017 europaweit im offenen Verfahren als Dienstleistung gem. VOL/A EG ausgeschrieben. Den Wert des Auftrages schätzte sie vorab auf der Grundlage der Auftragssumme für das Schuljahr 2014/2015 auf xxxxxx € (brutto) pro Schuljahr ein. Einziges Zuschlagskriterium war gem. Ziffer IV.2.1) der Bekanntmachung der niedrigste Preis. Gem. Ziffer III.1.4) der Bekanntmachung sollte den für die Ausführung des Auftrages vorgesehenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern das hierfür im Spartentarifvertrag Nahverkehrsbetriebe Niedersachsen (TV-N Nds.) vorgesehene Entgelt unter den dort jeweils vorgesehenen Bedingungen gezahlt werden. Diesbezüglich enthielten die Vergabeunterlagen eine entsprechende Tariftreueerklärung, die von den Bietern mit dem Angebot einzureichen war.

Bis zum Ende der Angebotsfrist am 20.05.2015 gaben 7 Bieter ein Angebot mit der unterschriebenen Tariftreueerklärung ab. Die Antragstellerin bot auf 31 der insgesamt 74 Lose.

Während der Wertungsphase der Angebote erhielt die Antragsgegnerin Kenntnis von dem Beschluss der Vergabekammer Niedersachsen vom 15.05.2015, Az.: VgK-09/2015, mit dem diese die Anwendung der Tariftreueregelung des § 4 Abs. 3 Satz 2 NTVergG auch auf den freigestellten Schülerverkehr als Verstoß gegen die Entsenderichtlinie 96/71 EG und damit europarechtswidrig wertete. Hieraufhin fertigte die Antragsgegnerin am 05.06.2015 einen Vermerk über das weitere Vorgehen in dem Vergabeverfahren unter Berücksichtigung des Beschlusses der Vergabekammer. Sie kam zu dem Ergebnis, dass das Verfahren in den Stand vor Aufforderung zur Angebotsabgabe zurückzuversetzen sei, da anderenfalls nach Herausgabe einer Bieterinformation gem. § 101 a GWB die Gefahr eines Nachprüfungsverfahrens drohe.

Mit Schreiben an alle Bieter vom 05.06.2015 versetzte die Antragsgegnerin das Verfahren in den Stand vor Angebotsabgabe zurück, da die Vergabekammer Niedersachsen in ihrem Beschluss vom 15.05.2015 festgestellt habe, dass die Regelung des § 4 Abs. 3 Satz 2 NTVergG für den Bereich des freigestellten Schülerverkehrs nicht mit europäischen Recht vereinbar sei. Die Antragsgegnerin übersandte allen Bietern entsprechend geänderte Vergabeunterlagen und gab diesen Gelegenheit, ihre Angebote bis zum xxxxxx.2015 auf Basis der nunmehr anzuwendenden Mindestentgeltregelung des § 5 Abs. 1 NTVergG ggf. zu überarbeiten.

Mit Schreiben vom 08.06.2015 rügte die Antragstellerin die Zurückversetzung des Vergabeverfahrens. Nach ihrer Auffassung habe der Beschluss der Vergabekammer derzeit keinen Einfluss auf die Anwendung des NTVergG und die Anforderung von Verpflichtungserklärungen im Rahmen eines Vergabeverfahrens. Der Beschluss der Vergabekammer entfalte bis zur endgültigen Änderung durch den Gesetzgeber bzw. einem Urteil keine präjudizielle Wirkung. Die Vorgaben des NTVergG seien somit auch weiterhin uneingeschränkt einzuhalten. Das bedeute, dass nach wie vor durch die Bieter die Zahlung des vergabespezifischen Mindestlohns von 12,94 EUR pro Stunde zugesichert werden müsse.

Die Antragsgegnerin wies die Rüge unter Bezugnahme auf den Beschluss der Vergabekammer mit Schreiben vom 15.06.2015 zurück. Die Vergabekammer habe auf Seite 15 des Beschlusses explizit auf die Normenverwerfungspflicht hingewiesen, die alle Träger der Verwaltung für den Fall treffe, dass innerstaatliche Normen eindeutig nicht mit dem Unionsrecht vereinbar seien. Dies sei von der Vergabekammer in Bezug auf den § 4 Abs. 3 Satz 2 des NTVergG so festgestellt worden. Daneben habe auch die Servicestelle zum NTVergG beim Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr per E-Mail vom 02.06.2015 mitgeteilt, dass nach Erlangung der Rechtskraft des Beschlusses die Anwendung des § 4 Abs. 3 Satz 2 NTVergG mit sofortiger Wirkung auszusetzen sei.

Ergänzend teilte die Antragsgegnerin mit Bieterrundschreiben vom 15.06.2015 an alle Bieter mit, dass diese die Möglichkeit hätten, ihre bisherigen Angebote aufrecht zu erhalten, Änderungen nur bei bestimmten Losen vorzunehmen oder ihre Angebote komplett neu zu kalkulieren. In allen Fällen sei die unterschriebene neue Mindestlohnerklärung gemäß § 5 Abs. 1 NTVergG einzureichen. Zudem gab sie allen Bietern den Wortlaut ihrer Rügezurückweisung gegenüber der Antragstellerin bekannt.

Bis zu Ende der verlängerten Angebotsfrist am xxxxxx.2015 gab die Antragstellerin weder eine Erklärung ab, ihr Angebot aufrecht erhalten zu wollen, noch legte sie die geforderte neue Mindestlohnerklärung nach § 5 Abs. 1 NTVergG vor.

Auf die Rügezurückweisung und die Bieterinformation hin rügte die Antragstellerin mit Schreiben vom 16.06.2015 das Vergabeverfahren erneut. Soweit die Vergabekammer Niedersachsen in dem von der Antragsgegnerin zitierten Beschluss von einer Normenverwerfungspflicht der Verwaltungsbehörden in Bezug auf europarechtswidrige nationale Regelungen ausgehe, sei auf die anderslautende Beschlusslage anderer Vergabekammern hinzuweisen. So habe die Vergabekammer Arnsberg mit ihrem Beschluss vom 26.09.2013 (VK 18/13) die Tarif- und Mindestlohnvorschriften des Tariftreuegesetzes NRW dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt und diesbezüglich nicht selber entschieden. Auch die Vergabekammer Detmold habe im Zusammenhang mit ihrem Beschluss vom 08.08.2013 (VK.2-07/13) zur Tariftreuepflicht im öffentlichen Personennahverkehr festgestellt, dass sie keine Normenverwerfungskompetenz besitze, da sie kein Gericht sei und insoweit von der Rechtsgültigkeit des § 1 der dortigen Verordnung über repräsentative Tarifverträge (ReptVVO) auszugehen sei. Und schließlich handele es sich bei den Vergabekammern auch nach der einschlägigen Kommentierung ungeachtet der sich aus § 105 GWB ergebenden gerichtsähnlichen Ausgestaltung des Vergabeverfahrens um keine Gerichte, sondern um Verwaltungsbehörden.

Die Antragsgegnerin wies die neuerliche Rüge am 18.06.2015 unter Verweis auf ihre erste Rügeerwiderung zurück. Darüber hinaus wies sie darauf hin, dass die Vergabekammern seit Inkrafttreten der neuen EU-Vergaberichtlinie im Februar 2014 mit ihren Beschlüssen inhaltlich auf die neue Richtlinie reagieren würden und insoweit eine sich ändernde Rechtsprechung zu verzeichnen sei. So habe u. a. die Vergabekammer Rheinland-Pfalz mit ihrem Beschluss vom 23.02.2015 (VK 1-39/14) entschieden, dass die nationalen Verwaltungsbehörden aus Gründen der Rechtssicherheit und drohender Staatshaftung in Fällen offenkundiger Unionsrechtswidrigkeit das nationale Recht unangewandt zu lassen haben.

Dem trat die Antragstellerin mit einer weiteren Rüge vom 18.06.2015 entgegen. Die Vergabekammer Rheinland-Pfalz habe in dem von der Antragsgegnerin zitierten Beschluss auch entschieden, dass ein Vorabentscheidungsersuchen beim EuGH grundsätzlich nicht zu einer Nichtanwendung der von dem vorlegenden Gericht als unionsrechtswidrig eingestufter gesetzlichen Regelung führe. Von einer offenkundigen Unionsrechtswidrigkeit könne vorliegend auch nicht die Rede sein, wie sich bereits aus der Vielzahl der vor der Vergabekammer Niedersachsen und auch dem OLG Celle geführten Nachprüfungsverfahren zum NTVergG ergebe, bei denen diese Frage offen geblieben sei.

Nachdem die Antragsgegnerin auch die dritte Rüge der Antragstellerin unter Verweis auf die vorangegangenen Rügeerwiderungen mit Schreiben vom 19.06.2015 zurückwies, beantragte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 03.07.2015 die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens.

Zur Begründung verwies sie auf ihren Vortrag in den von der Antragsgegnerin nicht abgeholfenen Rügen und beantragt,

das Vergabeverfahren "Offenes Verfahren Schülerbeförderung 2015/2016 und 1. Halbjahr 2016/2017/Geänderte Tariftreueregelung/Zurückversetzung in den Stand vor Angebotsabgabe" zur Ausschreibung von Beförderungsleistungen xxxxxx Schülerinnen und Schüler zu verschiedenen Schulen und Schulkindergärten sowie Beförderungen im Rahmen der vorschulischen Sprachförderung aufzuheben und den Auftraggeber zu verpflichten, die streitgegenständlichen Leistungen unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer erneut auszuschreiben.

In der mündlichen Verhandlung am 04.08.2015 reduzierte die Antragstellerin ihren obigen Antrag auf das Los 1.

Die Antragsgegnerin beantragt mit Schriftsatz vom 09.07.2015,

  1. 1.

    die Anträge der Antragstellerin abzuweisen,

  2. 2.

    die Kosten dieses Verfahrens der Antragstellerin aufzuerlegen,

  3. 3.

    auf eine vorzeitige Gestattung des Zuschlags nach § 115 Abs. 2 Satz 1 GWB zu erkennen.

In der mündlichen Verhandlung am 04.08.2015 zog die Antragsgegnerin den Antrag zu 3 auf Hinweis der Vergabekammer zurück und beantragt im Übrigen, die Anträge der Antragstellerin bezogen auf das Los 1 kostenpflichtig zurückzuweisen.

Der Antrag sei aufgrund der fehlenden Antragsbefugnis der Antragstellerin nach § 107 Abs. 2 GWB und wegen Formverstoßes nach § 108 Abs. 2 GWB bereits unzulässig.

Die Befugnis zur Antragstellung setze kumulativ voraus, dass das betreffende Unternehmen ein Interesse am Auftrag habe, eine Verletzung in seinen eigenen Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend mache und durch diese behauptete Verletzung ein Schaden entstanden sei oder zu entstehen drohe sowie ein allgemeines Rechtsschutzbedürfnis bestehe. Die Antragstellerin habe im konkreten Fall nicht nur kein ordnungsgemäßes Angebot abgegeben, sondern sei auch ihrer diesbezüglichen Beweislast nicht nachgekommen und insoweit nach § 107 Abs. 2 GWB nicht antragsbefugt.

Die Antragstellerin habe sich zunächst mit einem Angebot vom 20.05.2015 für 31 Lose an dem Ausschreibungsverfahren beteiligt. Nachdem die Antragsgegnerin während des laufenden Verfahrens Kenntnis von dem Beschluss der Vergabekammer vom 15.05.2015 erlangt habe, mit dem diese entschieden habe, dass die Regelung des § 4 Abs. 3 Satz 2 NTVergG für den Bereich des freigestellten Schülerverkehrs nicht mit europäischen Recht vereinbar sei, habe sie das Vergabeverfahren mit Bieterrundschreiben vom 05.06.2015 in den Stand vor Angebotsabgabe zurückversetzt. Ergänzend habe sie mit Bieterrundschreiben vom 15.05.2015 den Bietern Gelegenheit gegeben, die neue Mindestlohnerklärung gem. § 5 Abs. 1 NTVergG einzureichen und ihre bisherigen Angebote aufrecht zu erhalten, Änderungen nur bei bestimmten Losen vorzunehmen oder ihre Angebote komplett neu zu kalkulieren.

Die Antragstellerin habe bis zur Angebotsfrist weder die geforderte Mindestlohnerklärung abgegeben noch habe sie eine der drei Alternativen aus dem Bieterrundschreiben vom 15.06.2015 wahrgenommen und sich damit an dem aktuellen Ausschreibungsverfahren, welches wirksam in den Stand vor Angebotsaufforderung zurückversetzt worden war, nicht beteiligt. Darüber hinaus habe die Antragstellerin auch zu keinem Zeitpunkt einen kausalen Zusammenhang zwischen dem vermeintlichen Vergaberechtsverstoß durch Rückversetzung des Verfahrens und der Beeinträchtigung einer echten Chance auf den Zuschlag und damit den Nachweis der Beeinträchtigung eigener Rechte und die Darlegung eines entsprechend kausalen möglichen Schadeneintritts dargelegt.

Ferner sei das Angebot der Antragstellerin wegen Missachtung der Vorschrift des § 16 Abs. 3 VOL/A-EG i. V. § 19 Abs. 3 a) VOL/A-EG von der Wertung der Angebote auszuschließen. Der Ausschluss wäre auch zwischenzeitlich durch eine Mitteilung gem. § 101 a GWB erfolgt, wenn nicht zwischenzeitlich inmitten der Wertungsphase der Angebote der Beschluss der Vergabekammer Niedersachsen vom 15.05.2015 zu einer Rückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand vor Angebotsabgabe geführt hätte. So habe die Antragsgegnerin im Rahmen der Fortführung der Angebotswertung festgestellt, dass die Antragstellerin Manipulationen an den Vergabeunterlagen dergestalt vorgenommen habe, dass sie in dem vorgegebenen und nicht schreibgeschützten Text des Leistungsverzeichnisses zum Los 62 die Tabellenzeilen "Kosten für die Stellung und Mitnahme einer Begleitperson" und "Gesamtpreis einschl. Kosten für Begleitperson" löschte und dementsprechend für diese Position auch keine Preiskalkulation abgeben musste. Derartige Änderungen am Leistungsverzeichnis führten zu einem zwingenden Ausschluss vom Vergabeverfahren, dieser wiederum zu einer gleichzeitigen Versagung der Antragsbefugnis nach § 107 Abs. 2 GWB.

Der Nachprüfungsantrag sei auch unbegründet.

Nach ständiger Rechtsprechung sei es für eine vollständige oder nur teilweise Aufhebung einer Ausschreibung notwendig, dass der öffentliche Auftraggeber für eine Aufhebung einen sachlichen Grund habe, so das eine Diskriminierung einzelner Bieter ausgeschlossen werde und seine Entscheidung nicht willkürlich oder nur zum Schein erfolge. Dies sei vorliegend der Fall.

Die Vergabekammer Niedersachsen habe am 15.05.2015 einen Beschluss gefasst, der am 04.06.2015 rechtskräftig wurde, und in welchem den Kommunen eindeutig nahegelegt wurde, den § 4 NTVergG nicht mehr anzuwenden. Sowohl die Vergabekammer Lüneburg als auch die Vergabekammer Rheinland-Pfalz in ihrem Beschluss vom 23.02.2015 gebrauchten nach dem Verständnis der Antragsgegnerin den Begriff der "Normenverwerfungskompetenz" im untechnischen Sinne dahin gehend, dass die nationalen Verwaltungsbehörden in Fällen offensichtlicher Unionsrechtswidrigkeit das nationale Recht europarechtskonform auszulegen hätten.

Der Antragstellerin sei mehrfach erläutert worden, dass die Stadt xxxxxx für sich selbstverständlich keine Normenverwerfungskompetenz in Anspruch nehme, gleichwohl aber das NTVergG europarechtskonform dahin gehend auszulegen habe, dass die dortige Regelung des § 4 Abs. 3 Satz 2 für den Bereich des freigestellten Schülerverkehrs keine Anwendung mehr finden dürfe, nachdem sowohl der Europäische Gerichtshof als auch zwischenzeitlich zwei Vergabekammern und schließlich auch die Servicestelle zum Nds. Tariftreue- und Vergabegesetz beim Nds. Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr sämtlich darauf hingewiesen hätten, dass die Regelung des § 4 Abs. 3 Satz 2 NTVergG nicht europarechtskonform und insoweit ab sofort nicht mehr anzuwenden sei.

Unbestritten habe die Antragsgegnerin damit einen sachlichen Grund für die Rückversetzung des Verfahrens gehabt und das ihr insoweit zustehende Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt. Entgegen der eindeutigen Forderung des § 108 Abs. 2 GWB habe die Antragstellerin auch weder eine konkrete Rechtsverletzung in ihrer Bieterstellung aufgezeigt, noch mit nachvollziehbarer Sachverhaltsdarstellung eine Verletzung in ihren Rechten behauptet, noch entsprechende Beweismittel angeführt, aus denen ersichtlich würde, dass die Antragstellerin tatsächlich durch die Zurückversetzung des Verfahrens in den Stand vor Angebotsaufforderung irgendwelche Nachteile erlitten habe.

Die Beigeladene stellt keinen eigenen Antrag.

Wegen des übrigen Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 04.08.2015 und die Vergabeakte Bezug genommen.

II.

Der zulässige Nachprüfungsantrag ist unbegründet. Die Antragstellerin ist durch die erfolgte Zurückversetzung des Vergabeverfahrens nicht ihren Rechten im Sinne des § 97 Abs. 7 GWB verletzt. Die Antragsgegnerin hat ermessensfehlerfrei entschieden, wegen der im laufenden Vergabeverfahren ergangenen, rechtskräftigen Entscheidung der Vergabekammer Niedersachsen vom 15.05.2015 - VgK-09/2015 und wegen des daraufhin erfolgten Hinweises der Servicestelle zum niedersächsischen Tariftreue- und Vergabegesetz (NTVergG) vom 31.10.2013 (Nds. GVBl. 2013, 259) im Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr das laufende Vergabeverfahren in den Stand vor Aufforderung zur Angebotsabgabe zurückzuversetzen. Sie verlangt nunmehr lediglich eine Erklärung von den Bietern, sich im Zuschlagsfall zur Zahlung des Mindestlohns gemäß § 5 Abs. 1 NTVergG in Höhe von 8,50 € zu verpflichten.

Die von der Antragstellerin stattdessen geforderte Verpflichtung zur Einhaltung der Tariftreue auf der Grundlage des § 4 Abs. 3 Satz 2 NTVergG ist für den vorliegenden Auftragsgegenstand vergaberechtswidrig. Unter Berücksichtigung des Urteils des EuGH vom 03.04.2008 in der Rechtssache C-346/06 ("Rüffert") und des diese Rechtsprechung noch einmal bestätigenden Urteils des EuGH vom 18.09.2014 in der Rechtssache C-549/13 ("Bundesdruckerei", dort Rdnr. 32) ist die Verpflichtung zur Zahlung des Tariflohns nicht mit der durch Art. 49 EG-Vertrag (EGV) und Art. 56, 57 AEUV gewährleisteten Dienstleistungsfreiheit vereinbar.

§ 4 Abs. 3 Satz 2 NTVergG bezieht die öffentlichen Aufträge im freigestellten Schülerverkehr in die Tarifbindung der Aufträge im ÖPNV mit ein. Die Regelung fordert auch für öffentliche Aufträge im freigestellten Schülerverkehr im dort genau bezeichneten Sinn eine Verpflichtung der Bieterunternehmen, ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern - wie bei Dienstleistungen im Bereich des ÖPNV - bei der Ausführung der Leistungen mindestens das in Niedersachsen für diese Leistung in einem der einschlägigen und repräsentativen mit einer tariffähigen Gewerkschaft vereinbarten Tarifverträge vorgesehene Entgelt unter den dort jeweils vorgesehenen Bedingungen zu zahlen und während der Ausführungslaufzeit Änderungen nachzuvollziehen. Dies widerspricht den Vorgaben der sog. Entsenderichtlinie (Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, Abl.1997, L 18, S. 1). Diese lässt gem. ihres Art. 3 nur die Einforderung solcher Mindestlohnsätze zu, die durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften und/oder durch für allgemein verbindlich erklärte Tarifverträge oder Schiedssprüche festgelegt sind, wobei die letztere Alternative ausdrücklich nur für die im Anhang der Entsenderichtlinie genannten Tätigkeiten im Baubereich gilt. Für alle anderen Dienstleistungen und damit auch für die hier streitbefangenen Dienstleistungen im Bereich des freigestellten Schülerverkehrs ist daher nach der Entscheidung des EuGH eine gesetzliche Bindung der Bieterunternehmen nur an solche (branchenspezifische) Mindestlohnsätze möglich, die durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften festgelegt sind. Um einen solchen Mindestlohnsatz handelt es sich bei dem hier vom Auftraggeber vorgegebenen Spartentarifvertrag Nahverkehrsbetriebe vom 14.09.2001 (TV-N Nds.) in der jeweils aktuellen Fassung i. V. m. der dazugehörigen Entgelttabelle nicht.

1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. Die Antragsgegnerin ist eine Gebietskörperschaft und somit eine öffentliche Auftraggeberin i. S. des § 98 Nr. 1 GWB. Der streitbefangene Auftrag übersteigt den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gem. § 100 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, die die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch Rechtsverordnung nach § 127 GWB festgelegt sind. Bei den ausgeschriebenen Leistungen handelt es sich um Dienstleistungen i. S. des § 1 EG VOL/A, für den gem. § 2 Abs. 1 VgV i. V. m. Art. 7 der Richtlinie 2004/18/EG in der seit 01.01.2014 geltenden Fassung ein Schwellenwert von 207.000,00 € für die Gesamtmaßnahme gilt. Angesichts des von der Antragsgegnerin ausweislich ihres in der Vergabeakte (Bl. 2) enthaltenen Vermerks vom 26.03.2015 auf Basis des Schuljahres 2014/2015 geschätzten Gesamtauftragswertes von über xxxxxx € netto ist der Schwellenwert weit überschritten.

Die Antragstellerin ist auch gem. § 107 Abs. 2 GWB antragsbefugt, da sie als bereits im Bereich der Schülerbeförderung tätiges Unternehmen und durch ihre Beteiligung am bisherigen Vergabeverfahren ein Interesse am Auftrag hat und eine Verletzung von Rechten durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht, in dem sie vorträgt, dass die Antragsgegnerin ihrer Auffassung nach nicht berechtigt war, das Vergabeverfahren zurückzuversetzen. Die ursprüngliche Vorgabe der Antragsgegnerin an die Bieter (Bd. I, Bl. 24 der Vergabeakte), eine Tariftreueerklärung nach § 4 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. Satz 1 NTVergG abzugeben, durch den sie sich für den ausgeschriebenen Auftrag an den Spartentarifvertrag Nahverkehrsbetriebe vom 14.09.2001 (TV-N Nds.) i. d. jeweils gültigen Fassung binden, sei auch unter Berücksichtigung der zu Fragen der Tariftreueverpflichtungen ergangenen Rechtsprechung des EuGH rechtmäßig gewesen. Jedenfalls seien weder die Antragsgegnerin noch die Nachprüfungsinstanzen berechtigt, sich für die Nichtanwendung des § 4 Abs. 3 Satz 2 NTVergG zu entscheiden, da zumindest kein Fall "offenkundiger Unionsrechtswidrigkeit" vorliege. Zweifelsfragen könne daher nur der EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens klären. Aufgrund des Risikos der Rechtsunsicherheit, die seit dem Beschluss der VK Niedersachsen und der Mitteilung des Ministeriums bezüglich der nicht Anwendbarkeit des TV-N Nds. für den freigestellten Schülerverkehr bestehe, habe sie bei der laufenden, zweiten Ausschreibung der Antragsgegnerin kein Angebot abgegeben.

Die Antragsbefugnis gem. § 107 Abs. 2 GWB setzt voraus, dass das den Antrag stellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass der Antragsteller diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt (vgl. Boesen, Vergaberecht, § 107, Rdnr. 52). Nach herrschender Meinung und Rechtsprechung sind an diese Voraussetzung keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Es genügt für die Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrages, wenn der Bieter schlüssig einen durch die Rechtsverletzung drohenden oder eingetretenen Schaden behauptet und darlegt, dass durch den behaupteten Vergaberechtsverstoß seine Chancen auf den Zuschlag zumindest verschlechtert sein können (vgl. BVerfG, Urteil vom 29.07.2004 - 2 BvR 2248/03; Möllenkamp in: Kulartz/Kus/Portz, GWB Vergaberecht, § 107, Rdnr. 35 ff.). Ob tatsächlich der vom Bieter behauptete Schaden droht, ist eine Frage der Begründetheit (vgl. BGH, Beschluss vom 29.05.2006 - X ZB 14/06).

Die Antragstellerin hat ein entsprechendes Rechtsschutzbedürfnis dargelegt. Die Vergabekammer versteht den Vortrag der Antragstellerin so, dass sie ihr Angebot unter Berücksichtigung des gegenüber dem Mindestlohn von 8,50 € höheren Tariflohns von 12,64 € gemäß dem ursprünglich vorgegebenen Spartentarifvertrag Nahverkehrsbetriebe Niedersachsen (TV-N Nds.) kalkuliert hat und auch weiterhin den Tariflohn zahlen wird. Durch die im Rahmen der Zurückversetzung des Vergabeverfahrens erfolgte Aufgabe der Tariftreueforderung und die den Bietern nunmehr eingeräumte Möglichkeit, bei ihrer Kalkulation nur noch den gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 € zu berücksichtigen, sieht sie ihre Zuschlagschancen beeinträchtigt.

Eine solche Beeinträchtigung der Zuschlagschancen ist vorliegend zumindest nicht auszuschließen. Zwar hat die Antragstellerin ausweislich der Dokumentation in der Vergabeakte - trotz der nach ihrem Vortrag erfolgten Berücksichtigung des höheren Stundenlohns nach dem TV-N Nds. in ihrer Kalkulation - bei 3 Losen das preislich niedrigste und damit vorliegend wirtschaftlich günstigste Angebot abgegeben. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sie diesbezüglich die Aufrechterhaltung ihres Angebotes erklärt, was die Antragsgegnerin den Bietern anstelle eines neuen Angebotes mit Bieterrundschreiben vom 15.06.2015 (Bd. I, Bl. 575 der Vergabeakte) anheimgestellt hat, aber seitens der Antragstellerin bislang ausgeblieben ist. Das auf Rang 2 liegende Angebot für diese drei Lose hat die Beigeladene abgegeben. Daher konnte die Vergabekammer den Kreis der Beizuladenden im schützenswerten Kosteninteresse der Antragstellerin kleiner halten, als das bei 74 Losen zu erwarten war.

Ausgeschrieben wurden insgesamt 74 Lose. Es ist nicht auszuschließen, dass die Antragstellerin eine Zuschlagschance für mehr Lose hätte, wenn die Bieter wieder über § 4 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. Satz 1 NTVergG zur Abgabe einer Tariftreueerklärung verpflichtet werden, durch die sie sich für den ausgeschriebenen Auftrag an den Spartentarifvertrag Nahverkehrsbetriebe vom 14.09.2001 (TV-N Nds.) i. d. F. des 4. Änderungstarifvertrages vom 13.04.2010 i. V. m. der dazugehörigen Entgelttabelle binden.

Die Antragstellerin ist ihrer Pflicht gem. § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB nachgekommen, vor Anrufung der Vergabekammer die geltend gemachten Verstöße gegen die Vergabevorschriften bereits im Vergabeverfahren gegenüber dem Auftraggeber unverzüglich zu rügen. Bei der Vorschrift des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB handelt es sich um eine Präklusionsregel unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben. Der Bieter soll Vergabefehler nicht auf Vorrat sammeln. Die Rügepflicht des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB entsteht, sobald ein Bieter oder Bewerber im Vergabeverfahren einen vermeintlichen Fehler erkennt. Vorausgesetzt ist die positive Kenntnis des Bieters von den Tatsachen.

Die Antragsgegnerin hat die Antragstellerin wie auch die übrigen Bieter mit Schreiben vom 05.06.2015 per E-Mail darüber informiert, dass sie sich vor dem Hintergrund der Entscheidung der VK Niedersachsen vom 15.05.2015 dazu entschlossen hat, das derzeit laufende Vergabeverfahren in den Stand vor Aufforderung zur Angebotsabgabe zurückzuversetzen. Sie hat dabei darauf hingewiesen, dass die beigefügten Vergabeunterlagen nur in Bezug auf die neue Tariftreueregelung des § 5 Abs. 1 NTVergG geändert wurden und im Übrigen auf die Regelungen der Angebotsaufforderung vom 27.03.2015 verwiesen. Gleichzeitig hat sie allen Bewerbern Gelegenheit gegeben ein neues Angebot auf der Grundlage des Mindestlohnes in Höhe von 8,50 € abzugeben und die Angebotsfrist auf den xxxxxx.2015 festgelegt. Bereits 3 Tage später, mit Schreiben vom 08.06.2015, rügte die Antragstellerin die Zurückversetzung des laufenden Vergabeverfahrens in den Stand vor Aufforderung zur Angebotsabgabe und die Aufgabe der Forderung der Verpflichtung der Bieter zur Zahlung des vergabespezifischen Mindestlohnes von 12,94 € auf der Grundlage des TV-N Nds.

Die innerhalb von nur drei Tagen abgesetzte und übersandte Rüge erfolgte in jedem Fall rechtzeitig i. S. d. § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB.

Es kann daher - auch unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung des OLG München (Beschluss vom 19.12.2013 - Verg 12/13, zitiert nach ibr-online) - vorliegend dahinstehen, ob die Präklusionsregel gem. § 107 Ab. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB mit der Forderung einer "unverzüglichen" Rüge unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH (vgl. Urteil vom 28.01.2010 in den Rs.C-406/08 und C-456/08) überhaupt noch anwendbar ist (OLG Dresden, Beschluss vom 07.05.2010, Az.: WVerg 6/10, und OLG Rostock, Beschluss vom 20.10.2010, Az.: 17 Verg 5/10, zitiert nach ibr-online; offen gelassen noch durch OLG Celle, Beschluss vom 16.09.2010, Az.: 13 Verg 8/10).

Der Nachprüfungsantrag ist daher zulässig.

2. Der Nachprüfungsantrag ist jedoch unbegründet. Die von der Antragstellerin begehrte Auferlegung der Tariftreuepflicht ist für den verfahrensgegenständlichen Bereich des freigestellten Schülerverkehrs vergaberechtswidrig, da sie unter Berücksichtigung des Urteils des EuGH vom 03.04.2008 in der Rechtssache C-346/06 ("Rüffert") und des diese Rechtsprechung noch einmal bestätigenden Urteils des EuGH vom 18.09.2014 in der Rechtssache C-549/13 ("Bundesdruckerei", dort Rdnr. 32) nicht mit der durch Art. 49 EG-Vertrag (EGV) und Art. 56, 57 AEUV gewährleisteten Dienstleistungsfreiheit vereinbar ist.

Die nach § 4 Abs. 3 Satz 2 NTVergG auch für öffentliche Aufträge im freigestellten Schülerverkehr im Sinne des § 1 Nr. 4 Buchst. d der Freistellungsverordnung vom 30. August 1962 (BGBl. I S. 601), zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom 4. Mai 2012 (BGBl. I S. 1037) geforderte Verpflichtung der Bieterunternehmen, ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern - wie bei Dienstleistungen im Bereich des ÖPNV - bei der Ausführung der Leistungen mindestens das in Niedersachsen für diese Leistung in einem der einschlägigen und repräsentativen mit einer tariffähigen Gewerkschaft vereinbarten Tarifverträge vorgesehene Entgelt unter den dort jeweils vorgesehenen Bedingungen zu zahlen und während der Ausführungslaufzeit Änderungen nachzuvollziehen, entspricht nicht den Vorgaben des Art. 3 der Entsenderichtlinie.

a) Die vorgesehene Tariftreueregelung für den Bereich des freigestellten Schülerverkehrs in § 4 Abs. 3 Satz 2 NTVergG verstößt - anders als die dort in Bezug genommene Regelung für den ÖPNV-Bereich in § 4 Abs. 3 Satz 1 NTVergG - unter Berücksichtigung der immer noch aktuellen Rechtsprechung des EuGH materiell-rechtlich gegen Gemeinschaftsrecht. Der EuGH hat mit Urteil vom 03.04.2008 - Rs. C-346/06 - aufgrund einer Vorlage des OLG Celle zur Vorabentscheidung gemäß § 234 EG-Vertrag (dortiger Beschluss vom 03.08.2006, Az.: 13 U 72/06; VergabeR 2006, S. 756 = NZBau 2006, S. 660 [OLG Celle 03.08.2006 - 13 U 72/06]) entschieden, dass die im seinerzeitigen Niedersächsischen Landesvergabegesetz (LVergabeG) festgelegten Regelungen zur Auferlegung und Einhaltung von Tariftreuepflichten im Rahmen von öffentlichen Aufträgen nicht mit den Bestimmungen der Gemeinschaftsrichtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern - 96/71/EG - und damit auch nicht mit dem durch Art. 49 EG-Vertrag geregelten Verbot der Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs vereinbar sind. In jenem Fall hatte das klagende Land Niedersachsen auf der Grundlage des damaligen Landesvergabegesetzes für den Fall eines Verstoßes gegen die Tariftreue eine entsprechende Vertragsstrafe vereinbart. Der Auftragnehmer setzte ein polnisches Unternehmen als Nachunternehmen ein, das seinen auf der Baustelle eingesetzten Arbeitnehmern nur 46,57 % des gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohns zahlte. Gegen das Vertragsstrafenverlangen des Landes wendete sich der Insolvenzverwalter des Auftragnehmers mit der Argumentation, das Landesvergabegesetz verstoße gegen Europarecht. Das OLG Celle legte dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob es eine nicht gerechtfertigte Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 49 EG-Vertrag darstelle, wenn dem öffentlichen Auftraggeber durch ein Gesetz aufgegeben werde, Aufträge für Bauleistungen nur an solche Unternehmer zu vergeben, die sich bei der Angebotsabgabe schriftlich verpflichten, ihren Arbeitnehmern bei der Ausführung dieser Leistungen mindestens das am Ort der Ausführung tarifvertraglich vorgesehene Entgelt zu bezahlen.

Der EuGH hat die aus den Gründen des Vorlagebeschlusses ersichtlichen Bedenken in seinem Urteil vom 03.04.2008 bestätigt. Die Unvereinbarkeit der Tariftreueregelungen mit der durch Art. 49 EG-Vertrag gewährleisteten Leistungsfreiheit hat er wie folgt begründet:

(1.) Unter Bezugnahme auf Art. 3 ("Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen") der Richtlinie 96/71/EG (Entsenderichtlinie) hat er seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass der im Ausgangsfall vom Auftraggeber mit den Verdingungsunterlagen vorgegebene Baugewerbe-Tarifvertrag nicht für allgemeinverbindlich erklärt worden ist. Ein im "jeweiligen geografischen Bereich" nicht flächendeckend geltender Tarifvertrag könne dann aber auch nicht durch öffentliche Auftraggeber im Rahmen von Ausschreibungen dem Bieterunternehmen aus anderen Herkunftsmitgliedsstaaten zur Bedingung gemacht werden.

(2.) Eine Maßnahme sei auch nicht durch das Ziel des Arbeitnehmerschutzes gerechtfertigt. Dies folge daraus, dass der durch einen Tarifvertrag festgelegte Lohnsatz, wie im Ausgangsverfahren aufgrund von Rechtsvorschriften wie dem Landesvergabegesetz, eben nur für einen Teil der Bautätigkeit gelte, da zum einen diese Rechtsvorschriften nur auf die Vergabe öffentlicher Aufträge anwendbar sind und nicht für die Vergabe privater Aufträge gelten und zum anderen dieser Tarifvertrag nicht für allgemeinverbindlich erklärt worden ist.

(3.) Der EuGH hat zugleich betont, dass eine derartige Regelung dem Europarecht (Art. 49 EGV - freier Dienstleistungsverkehr) entgegensteht. Nur unter den in Art. 3 der Richtlinie 96/71/EG festgelegten Bedingungen könne der nationale Gesetzgeber Vorgaben zu Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Arbeitnehmer im Zusammenhang mit Vergabeverfahren machen.

Lohnvorgaben sind danach nur unter folgenden Voraussetzungen zulässig:

- Bindung an ausdrücklich im gesamten Hoheitsgebiets des Mitgliedsstaates geltende, durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften festgelegte Mindestlohnsätze für öffentliche und private Aufträge,

- alternativ dazu für Tätigkeiten im Baubereich auch: Vorgabe eines Lohnsatzes auf der Grundlage von im gesamten Mitgliedsstaat für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen oder Schiedssprüchen,

- nur sofern es in einem Mitgliedsstaat kein System für die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen oder Schiedssprüchen gibt, können die Mitgliedstaaten danach auch beschließen, die Tarifverträge, die für alle in den jeweiligen geografischen Bereich fallenden oder betreffenden Tätigkeiten oder das betreffende Gewerbe ausübenden gleichartigen Unternehmen allgemeinwirksam sind und/oder die Tarifverträge, die von den auf nationaler Ebene repräsentativsten Organisationen der Tarifvertragsparteien geschlossen werden und innerhalb des gesamten nationalen Hoheitsgebietes zur Anwendung kommen (Art. 3 Abs. 8 der Richtlinie 96/71/EG), zugrunde zu legen. Der EuGH hat jedoch betont, dass diese Alternative für die Bundesrepublik Deutschland nicht in Betracht kommt, weil es hier ausdrücklich ein System zur Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen gibt.

Die vom EuGH in seiner Entscheidung zugrunde gelegte Entsenderichtlinie 96/71/EG beschränkt sich nicht auf Tätigkeiten im Baubereich, sondern gilt für alle Dienstleistungen. So heißt es in Art. 1 Abs. 1:

"Diese Richtlinie gilt für Unternehmen mit Sitz in einem Mitgliedsstaat, die im Rahmen der länderübergreifenden Erbringung von Dienstleistungen Arbeitnehmer gemäß Abs. 3 in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates entsenden."

Zur Durchsetzung von "Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen" und insbesondere auch Mindestlohnsätzen heißt es in Art. 3 der Entsenderichtlinie 96/71/EG:

"(1.) Die Mitgliedsstaaten sorgen dafür, dass unabhängig von dem auf das jeweilige Arbeitsverhältnis anwendbaren Recht die in Art. 1 Abs. 1 genannten Unternehmen den in ihr Hoheitsgebiet entsandten Arbeitnehmern bezüglich der nachstehenden Aspekte die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen garantieren, die in einem Mitgliedsstaat, in dessen Hoheitsgebiet die Arbeitsleistung erbracht wird,

- durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften und/oder

- durch für allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge oder Schiedssprüche im Sinne des Abs. 8, sofern sie die im Anhang genannten Tätigkeiten betreffen,

festgelegt sind:

...

c) Mindestlohnsätze einschließlich der Überstundensätze; dies gilt nicht für die zusätzlichen betrieblichen Altersversorgungssysteme

...

Zum Zweck dieser Richtlinie wird der in Unterabsatz (1.) c) genannte Begriff der Mindestlohnsätze durch die Rechtsvorschriften und/oder Praktiken des Mitgliedsstaates bestimmt, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer entsandt wird.

...

(8.) Unter "für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen oder Schiedssprüchen" sind Tarifverträge oder Schiedssprüche zu verstehen, die von allen in den jeweiligen geografischen Bereich fallenden und die betreffende Tätigkeit oder das betreffende Gewerbe ausübenden Unternehmen einzuhalten sind.

..."

Da der durch Art. 3 Abs. 1 in Bezug genommene Anhang zur Entsenderichtlinie ausschließlich Tätigkeiten im Zusammenhang mit Bauarbeiten auflistet, die der Errichtung, der Instandsetzungen, der Instandhaltung, dem Umbau oder dem Abriss von Bauwerken dienen, folgt daraus grundsätzlich für alle übrigen Arten von Dienstleistungen und damit auch für die in § 4 Abs. 3 Satz 2 NTVergG geregelten Dienstleistungen im Bereich des freigestellten Schülerverkehrs, dass nach der Richtlinie 96/71/EG unter Berücksichtigung des Urteils des EuGH vom 03.04.2008 ausdrücklich nur eine gesetzliche Verpflichtung zur Einhaltung von solchen Mindestlohnsätzen europarechtskonform wäre, die durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften festgelegt sind. Eine Bezugnahme auf Tarifverträge ist danach nur für Vergaben im Baubereich denkbar und auch nur, soweit diese für allgemeinverbindlich erklärt wurden.

Konkret bedeutet dies für die Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedsstaat der Union, dass außerhalb des Baubereichs eine Bindung von Bieterunternehmen an Mindestlohnsätze im Rahmen von Vergabeverfahren überhaupt nur in Betracht kommt, wenn es sich um einen vom Bundesgesetzgeber durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften flächendeckend festgelegten - z.B. branchenspezifischen - Mindestlohn handelt. Der Bundesgesetzgeber hat z.B. die Möglichkeit, das zur Umsetzung der EU-Entsenderichtlinie verabschiedete Arbeiternehmerentsendegesetz (AEntG) um entsprechende branchenspezifische Mindestlöhne zu erweitern oder - wie inzwischen durch Inkrafttreten des MiLoG geschehen - einen branchenunabhängigen, allgemeinen Mindestlohn festzusetzen.

Wie bereits im Beschluss vom 15.05.2015 - VgK-09/2015 entschieden, bewertet die Vergabekammer aus diesem Grunde dagegen die Mindestentgeltregelung des § 5 Abs. 1 NTVergG, zu deren Einhaltung die Bieter sich im streitbefangenen Vergabeverfahren nunmehr verpflichten sollen, als mit der Rechtsprechung des EuGH und der Entsenderichtlinie vereinbar. Denn das dort (zwar) vergabespezifisch geregelte Entgelt von mindestens 8,50 € ist identisch mit dem vom MiLoG vom 11.08.2014 geregelten, bundesweit und allgemein für alle arbeitsrechtlichen und dienstvertraglichen Vertragsverhältnisse verbindlichen Mindestentgelts. Es handelt sich insoweit ohnehin um ein bundesweit, für alle Verträge und eben nicht um ein speziell für öffentliche Auftraggeber geltendes Mindestentgelt.

Weiterhin im Einklang mit Europarecht ist auch die Tariftreuepflicht bei öffentlichen Aufträgen über öffentliche Personenverkehrsdienste, die der niedersächsische Gesetzgeber in § 4 Abs. 3 Satz 1 NTVergG geregelt hat. Für die Zulässigkeit von Tariftreueregelungen in diesem Bereich lässt sich die Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 heranziehen. Nach Artikel 4 Absatz 6 dieser Verordnung kann der Auftraggeber den Betreiber bei der Vergabe von Personenverkehrsdiensten im Einklang mit nationalem Recht dazu verpflichten, bestimmte Qualitätsstandards einzuhalten. Aus Erwägungsgrund 17 der Verordnung wird deutlich, dass es sich bei diesen Standards auch um soziale Kriterien, wie Mindestarbeitsbedingungen und Verpflichtungen aus Kollektivvereinbarungen (Tarifverträgen), handeln kann; die Mitgliedstaaten können zur Gewährleistung transparenter und vergleichbarer Wettbewerbsbedingungen zwischen den Betreibern und um das Risiko von Sozialdumping zu verhindern, besondere soziale Normen und Dienstleistungsqualitätsnormen vorschreiben. Daher ist im Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 von der Zulässigkeit von Tariftreueverpflichtungen - vorliegend in Form der Bindung an einen "repräsentativen Tarifvertrag" - auszugehen.

Nach Art. 58 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) gehen die Bestimmungen des AEUV über den Verkehr denen über die Dienstleistungsfreiheit vor. Das "Rüffert-Urteil" des EuGH, das maßgeblich auf der Dienstleistungsfreiheit und der auf ihrer Basis erlassenen Entsenderichtlinie 96/71/EG beruht, findet daher im Verkehrsbereich keine Anwendung.

Die vorgesehene Regelung in § 4 Abs. 3 Satz 2 NTVergG dagegen ist mit der zitierten Rechtsprechung des EuGH - die ja zu einer im Wesentlichen identischen Regelung des seinerzeitigen LVergabeG ergangen ist - nicht vereinbar und verstößt daher gegen die durch Art. 56 AEUV gewährleistete Dienstleistungsfreiheit. Denn der Bereich der öffentlichen Dienstleistungsaufträge im freigestellten Schülerverkehr im Sinne des § 1 Nr. 4 Buchst. d der Freistellungs-Verordnung vom 30. August 1962 (BGBl. I S. 601), zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom 4. Mai 2012 (BGBl. I S. 1037) gehört nicht zum ÖPNV.

Die Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 gilt lediglich für Dienstleistungsaufträge, die den öffentlichen Personenverkehr nach der Definition des Art. 2 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 zum Gegenstand haben. Unter dem Begriff des öffentlichen Personenverkehrs werden jedoch nur solche Personenbeförderungsleistungen verstanden, die grundsätzlich jedem Passagier offen stehen, also jedermann zugänglich sind. Nicht erfasst werden hingegen Beförderungsleistungen, die unter Ausschluss anderer Fahrgäste nur bestimmten Nutzern zur Verfügung gestellt werden. Der freigestellte Schülerverkehr sieht ausdrücklich vor, dass die Beförderung unter Ausschluss anderer Passagiere stattfindet. Die Antragstellerin hat zu Recht darauf hingewiesen, dass diese Abgrenzung zwischen öffentlichem und frei zugänglichem Verkehr und den Sonderformen des Schülerverkehrs ohne freien Zugang auch durch die Vorschriften des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) nachvollzogen werden. Die Vorschriften setzen für den straßengebundenen öffentlichen Personenverkehr die Regeln der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 in deutsches Recht um. § 8 Abs. 1 PBefG definiert den öffentlichen Personenverkehr als allgemein zugängliche Beförderung, die allen Passagieren offen steht. Durch die Freistellungsverordnung werden die darin genannten Verkehre von den Regeln des PBefG freigestellt. Schülerverkehre, die nur die Beförderung bestimmter Nutzer zulassen, werden deshalb vom PBefG nicht erfasst.

b) Da die Vergabekammer mithin die Auffassung der Antragsgegnerin teilt, dass die Tariftreueregelung in § 4 Abs. 3 Satz 2 NTVergG nicht europarechtskonform ist, hatte sie vorliegend zu entscheiden, wie sie mit der formalrechtlich gültigen, aber materiell-rechtlich gegen die Rechtsprechung des EuGH und die durch Art 56 AEUV (vormals Art. 49 EG-Vertrag) gewährleistete Dienstleistungsfreiheit verstoßenden Regelung umzugehen hat.

Der Antragstellerin ist zuzubilligen, dass die Vergabekammer ebenso wie die öffentlichen Auftraggeber in Niedersachsen an alle Normen, auch an europarechtlich kritisch zu bewertende Regelungen grundsätzlich gebunden ist. Der Vergabekammer kommt zumindest grundsätzlich keine Normenverwerfungskompetenz zu (vgl. Mayer in: Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, 2. Auflage, § 114, Rdnr. 29). Sie kann deshalb regelmäßig nicht feststellen, dass eine Norm gegen höherrangiges Recht verstößt, wenn sie mit dem Sachverhalt konfrontiert ist, dass das Handeln der Vergabestelle durch eine gesetzliche Norm legitimiert ist, die Kammer aber diese Norm und damit auch das Handeln der Vergabestelle für rechtswidrig hält. Die Bindung der Vergabekammer an die landesgesetzlichen Vorgaben folgt aus Art. 20 Abs. 3 GG. Die Vergabekammern sind nach dem GWB zwar gerichtsähnlich, aber ausdrücklich eben nicht als Gericht nach deutschem Recht, sondern als Verwaltungsbehörde konstituiert (vgl. Noch in: Byok/Jaeger, Vergaberecht, 3. Auflage, § 105 GWB, Rdnr. 1; BGH, Beschluss vom 09.12.2003 - X ZB 14/03). Das OLG Koblenz (Beschluss vom 24.03.2015 - Verg 1/15) hat jüngst gemutmaßt, es dürfe wohl außerhalb seiner Anwendungsbefugnis liegen, eine Passage des Landesgesetzes zu streichen. Die Justiz könne die durch "vergaberechtliche Kleinstaaterei" entstandenen Probleme nicht lösen. Das gilt für die Justiz, eine Verwaltungsbehörde hat neben dem Gebot der Rechtsgebundenheit auch das Opportunitätsprinzip zu beachten.

Der Gesetzgeber hat den Mitgliedern der Vergabekammer durch die Regelungen in § 105 GWB jedoch eine Stellung eingeräumt, die der richterlichen Unabhängigkeit nach Art. 97 Abs. 1 GG angenähert ist. Die Kammer selbst und die einzelnen Mitglieder unterliegen keinerlei Weisungen und entscheiden unabhängig und sind nur dem Gesetz unterworfen (vgl. Begründung zu § 115 Reg.E VgVRÄG, BT-Drs. 13/9340, S. 17). Die Vergabekammer ist daher sowohl sachlich als auch persönlich unabhängig. Die sachliche Unabhängigkeit bezieht sich auf die Weisungsfreiheit des Spruchkörpers, während die persönliche Unabhängigkeit von der Weisungsfreiheit gegenüber einzelnen Kammermitgliedern geprägt ist. Die feste (aber verlängerbare) Amtszeit von 5 Jahren sichert den Status der Kammermitglieder, um nicht eine vorzeitige Abberufung befürchten zu müssen. Der Gesetzgeber hat den Mitgliedern der Vergabekammer somit eine richterähnliche Unabhängigkeit eingeräumt (vgl. Noch, a. a. O., § 105 GWB, Rdnr. 5, m. w. N.).

Aufgrund dieser durch den Gesetzgeber umfassend und eindeutig geregelten Unabhängigkeit ihrer Mitglieder sind die Vergabekammern deshalb als vorlageberechtigte Gerichte im Sinne des Art. 267 AEUV und damit im europarechtlichen Sinne einzustufen (vgl. EuGH, Urteil vom 18.09.2014 i. d. Rechtssache C-549/13; Fritz in: Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 114, Rdnr. 3; Otting in: Bechtold, GWB, 6. Auflage, § 105, Rdnr. 1; anderer Auffassung vor der Entscheidung des EuGH offenbar noch OLG München, Beschluss vom 18.10.2012 - Verg 13/12, zitiert nach ibr-online).

Die Vergabekammer könnte also im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens die Frage der Europarechtskonformität der Regelung in § 4 Abs. 3 Satz 2 NTVergG durch den EuGH im Wege eines Vorlagebeschlusses nach Art. 247 AEUV klären lassen. So hat die VK Arnsberg mit Beschluss vom 22.10.2013 (VK 18/13) entschieden und ein Urteil des EUGH erwirkt (EuGH, Urteil vom 18.09.2014 - Rs. C-549/13 "Bundesdruckerei"). Das OLG Koblenz (19.02.2014, 1 Verg 8/13) hat ebenfalls vorgelegt und wartet seit Februar 2014 auf eine Entscheidung des EuGH. Die Vergabekammer hat bereits mit ihrem Beschluss vom 22.09.2014 (VgK-32/2014) die möglichen Folgen der Entscheidung des EuGH angesprochen. Seinerzeit führte sie aus: "Die Entscheidung des EuGH vom 18.09.2014 (C-549/13), in der dieser sich unter Randziffer 32 kritisch mit nationalen Maßnahmen zum Arbeitnehmerschutz vor Sozialdumping befasst, die nicht alle Aufträge, sondern nur öffentliche Aufträge betreffen, hat die Vergabekammer zur Kenntnis genommen. Der Antragsgegner wird bei der Neuwertung auch zu prüfen haben, ob die von ihm geforderte Tariftreue insgesamt noch einforderbar ist, oder ob durch das zum 01.01.2015 also während der Laufzeit der geplanten Vergabe in Kraft tretende Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie (BGBl 2014 I S. 1348) Teile der Tariftreueerklärung bestehen bleiben."

Das OLG Celle hat sich in der Beschwerdeentscheidung (Beschluss vom 19.02.2015, 13 Verg 11/14) nicht dazu geäußert.

Die dritte Vorlage einer der abgeschlossenen Vorlage der VK Arnsberg und der offenen Vorlage des OLG Koblenz sehr ähnlichen Rechtsfrage bei einer sehr ähnlichen Sachlage aus einem weiteren von sehr ähnlichen 16 Bundesländern der in Brüssel als Einheit wahrgenommenen Bundesrepublik Deutschland an den EuGH (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 24.03.2015 - Verg 1/15) käme verfahrenstechnisch einer mindestens über ein Jahr dauernden Aussetzung des Nachprüfungsverfahrens gleich. Das Ergebnis der Vorlage dürfte der kontinuierlichen und aktuellen Rechtsprechung des EuGH sehr ähnlich sein. Diese erhebliche Verzögerung bei zugleich unerheblichem Erkenntnisgewinn kollidiert mit der gesetzlichen Beschleunigungspflicht des § 113 GWB.

Die VK Düsseldorf hat daher mit Beschluss vom 09.01.2013 - VK-29/2012-L - von einer derartigen Vorlage an den EuGH abgesehen, obwohl sie ausdrücklich europarechtliche Zweifel an der Vereinbarkeit der dort verfahrensgegenständlichen Regelung zur Mindestlohnverpflichtung in § 4 Abs. 3 TVgG-NRW mit der gemeinschaftsrechtlichen Dienstleistungsfreiheit gemäß AEUV Art. 56 festgestellt und in dem Beschluss auch erörtert hat. Ebenso hat die Vergabekammer Niedersachsen im Beschluss vom 15.05.2015 (VgK-09/2015) entschieden. Das Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr hat mit seiner Reaktion die Entscheidung der Vergabekammer gebilligt.

Eine von der ersten Entscheidung der Vergabekammer abweichende Entscheidung derselben Vergabekammer wäre zwar denkbar, dient aber erkennbar nicht der Rechtssicherheit für Vergabestellen und Anbieter.

Die Vergabekammer hält daher vorliegend eine erneute Vorlage an den EuGH im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens gemäß Art. 267 AEUV über die Vereinbarkeit der Regelung des § 4 Abs. 3 Satz 2 NTVergG mit der durch Art. 49 EG-Vertrag (EGV) und Art. 56, 57 AEUV gewährleisteten Dienstleistungsfreiheit und der Entsenderichtlinie angesichts der eindeutigen Rechtsprechung des EuGH in der "Rüffert-Entscheidung" vom 03.04.2008 - Rs. C-346/06 -, die der EuGH auch in folgenden Entscheidungen in keiner Weise geändert oder "abgemildert" hat, für nicht vereinbar mit dem vergaberechtlichen Beschleunigungsgrundsatz des § 113 GWB. Der EuGH hat vielmehr auch in seinem aktuellen, zum Tariftreue- und Vergabegesetz Nordrhein-Westfalen (TVgG-NRW) ergangenen Urteil vom 18.09.2014 (C-549/13) noch einmal ausdrücklich seine in der "Rüffert-Entscheidung" aufgestellten Maßstäbe für die Europarechtskonformität von Tariftreue- und Mindestlohnvorgaben bestätigt. Dort heißt es unter Rn. 31:

"Eine solche nationale Maßnahme kann grundsätzlich durch das Ziel des Arbeitnehmerschutzes gerechtfertigt sein, auf das sich der Gesetzgeber des Landes Nordrhein-Westfalen in dem Gesetzentwurf, der zum Erlass des TVgG-NRW führte, ausdrücklich berufen hat, nämlich das Ziel, zu gewährleisten, dass die Beschäftigten einen angemessenen Lohn erhalten, um sowohl "Sozialdumping" als auch eine Benachteiligung konkurrierender Unternehmen zu vermeiden, die ihren Arbeitnehmern ein angemessenes Entgelt zahlen."

Weiter heißt es dann unter Rn. 32:

"Der Gerichtshof hat jedoch bereits entschieden, dass eine solche nationale Maßnahme, soweit sie nur auf öffentliche Aufträge Anwendung findet, nicht geeignet ist, das genannte Ziel zu erreichen, wenn es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass die auf dem privaten Markt tätigen Arbeitnehmer nicht desselben Lohnschutzes bedürfen wie die im Rahmen öffentlicher Aufträge tätigen Arbeitnehmer (vergleiche in diesem Sinne Urteil "Rüffert", EU: C: 2008:189, Rn. 38-40)."

Diesen eindeutigen, nach wie vor unveränderten Vorgaben des EuGH trägt auch ein Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Tariftreue- und Vergabegesetzes (NTVergG) vom 31. Oktober 2013 (Nds. GVBL. Seite 259) nebst Begründung (Anlage 1 und 2) Rechnung, der der Vergabekammer in der Fassung vom 10.03.2015 mit Begründung in der Fassung vom 02.04.2015 vorliegt. Der Entwurf wurde inzwischen im Rahmen der Normprüfung gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GGO mit der Arbeitsgruppe Rechtsvereinfachung (AGRV) der Staatskanzlei abgestimmt. Die betroffenen Ressorts haben den Entwurf nach Auskunft des zuständigen Referats 16 des niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr bereits mitgezeichnet, ohne Änderungswünsche vorzutragen.

Der Entwurf sieht vor, dass die streitbefangene Tariftreueregelung für den Bereich des freigestellten Schülerverkehrs in § 4 Abs. 3 Satz 2 NTVergG ersatzlos gestrichen wird. Zur Begründung wird in dem Entwurf ebenfalls auf die Unvereinbarkeit mit den nach wie vor geltenden Vorgaben der "Rüffert"-Entscheidung verwiesen. Da der Entwurf allerdings noch die Kabinettsbefassung zur Freigabe der Verbandsanhörung, die Verbandsanhörung selbst, die dann folgende Kabinettsbefassung zur Einbringung in den Landtag und schließlich die Landtagsbefassung selbst durchlaufen muss, ist mit einer Verabschiedung und einem Inkrafttreten des Änderungsgesetzes nicht vor Anfang 2016 zu rechnen.

Die oben erörterte eindeutige, vom EuGH mit seiner aktuellen Entscheidung vom 18.09.2014 bestätigte Rechtsprechung und die erkennbare Absicht einer baldigen Novellierung des NTVergG lassen daher die Frage der Verwerfungskompetenz jedenfalls für die vorliegend streitbefangene Regelung des § 4 Abs. 3 Satz 2 NTVergG in einem anderen Licht erscheinen. Zwar gebietet die Rechtssicherheit einerseits, dass nicht jeder mögliche Verstoß gegen Unionsrecht zur Nichtanwendung der betreffenden nationalen Rechtsnorm führt. Dann bestünde die Gefahr unterschiedlicher Einschätzungen und divergierender Anwendungen innerstaatlicher Normen.

Auf der anderen Seite trifft jedoch alle Träger der Verwaltung, auch die Gemeinden und sonstigen Körperschaften sowie schließlich auch die Vergabekammer eine Normverwerfungspflicht für den Fall, dass innerstaatliche Normen eindeutig nicht mit dem Unionsrecht vereinbar sind (vergleiche EuGH, Urteil vom 22.06.1989, Rs. C-103/88, Rn. 30). Die nationalen Verwaltungsbehörden haben deshalb in Fällen offenkundiger Unionsrechtswidrigkeit das nationale Recht unangewandt zu lassen (vgl. VK Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 23.02.2015 - VK1-39/14, die für den dortigen Fall allerdings keine offenkundige Unionswidrigkeit angenommen hat, zitiert nach ibr-online). Aufgrund der konkreten Novellierungsabsicht des Landesgesetzgebers in Niedersachsen ist die Entscheidung auch nicht mit der Lage in Rheinland-Pfalz zu vergleichen (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 24.03.2015 - Verg 1/15).

Das NTVergG vom 31.10.2013 ist daher europarechtskonform dahin gehend auszulegen, dass die dortige Mindestlohnregelung für den Bereich des freigestellten Schülerverkehrs gemäß § 4 Abs. 3 Satz 2 NTVergG keine Anwendung findet. Zulässige und zwingende Lohnuntergrenze für diesen Bereich ist vielmehr der bundesweit einzuhaltende Mindeststundenlohn in Höhe von derzeit 8,50 € gemäß § 1 MiLoG und § 5 Abs. 1 NTVergG.

Es ist daher vergaberechtlich nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin sich vor dem Hintergrund der bestandskräftigen Entscheidung der VK Niedersachsen vom 15.05.2015 im Nachprüfungsverfahren VgK-09/2015 und angesichts der Empfehlung der Servicestelle zum niedersächsischen Tariftreue- und Vergabegesetz (NTVergG) im Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr vom 04.06.2015 dazu entschlossen hat, das derzeit laufende Vergabeverfahren in den Stand vor Aufforderung zur Angebotsabgabe freiwillig zurückzuversetzen, auch um etwaige Rügen gegen die Forderung der Tariftreueerklärung nach § 4 Abs. 3 Satz 2 NTVergG zu vermeiden. Die Auseinandersetzung mit den damit zusammenhängenden Rechtsfragen und die Begründung für ihre Entscheidung hat die Antragsgegnerin in einem in der Vergabeakte enthaltenen Vermerk vom 05.06.2015, ergänzt durch einen Vermerk vom 11.06.2015 (Bd. I, Bl. 537,538 der Vergabeakte) in einer den Anforderungen des § 24 EG VOL/A genügenden Weise dokumentiert.

Am Rande sei auch angemerkt, dass sich die Antragstellerin bei ihrem hier allein maßgeblichen Ziel, den Zuschlag auf möglichst viele Lose des Auftrags zu erhalten, selbst im Weg steht. Ihre von ihr als maßgebliches Wettbewerbshindernis eingeschätzte Verpflichtung, den Tariflohn zu zahlen, hat objektiv nicht die wettbewerbliche Bedeutung, die die Antragstellerin ihr beimisst. Obwohl die Antragstellerin bei Zahlung des Tariflohns Personalkosten hat, die 1/3 über denen der den gesetzlichen Mindestlohn zahlenden Konkurrenten liegen, hätte sie in 3 Losen den Zuschlag erhalten können. Das hat sie nur mit ihrer Weigerung verhindert, die von der Antragsgegnerin geforderte Zusatzerklärung abzugeben, dass sie auch unter Verwendung der geänderten Vergabeunterlagen an ihrem bisherigen Angebot festhalte. Auch in den weiteren Losen lag sie keineswegs abgeschlagen an letzter Stelle. Sie hat vielmehr die Beigeladene in einzelnen Losen ebenso deutlich unterboten, wie die Beigeladene in anderen Losen die Antragstellerin. Wenn die Lohnkosten die jeweiligen Kalkulationen der Beigeladenen und der Antragstellerin maßgeblich bestimmt hätten, wäre zu erwarten gewesen, dass sich ein in etwa ähnlicher prozentualer Abstand zwischen den Angeboten der Antragstellerin und den anderen Anbietern herausbildet. Nachdem die Vergabekammer in den vergangenen Verfahren gelernt hat, dass die Fahrzeugkosten als Leasingkosten eingepreist werden, scheinen auch erhebliche Investitionskosten nicht geeignet, die sprunghaften Differenzen zwischen den Angeboten zu erklären. Ob der Standort des Betriebs der Antragstellerin so ausschlaggebend ist, wie von ihr erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, konnte von der Vergabekammer in der Kürze der Zeit nicht geklärt werden, ist auch unerheblich.

Die Vergabekammer hat sich bereits in dem Verfahren VgK-32/2014 (Beschluss vom 22.09.2014) mit der damaligen Kalkulationsweise der Antragstellerin befasst. Ebenso hat sich das OLG Celle in dem darauffolgenden Beschwerdeverfahren (Beschluss vom 19.02.2015, 13 Verg 11/14) zur Kalkulation der Antragstellerin geäußert. Vergabekammer und OLG Celle haben festgestellt, dass seinerzeit nicht die Lohnkosten zu den hohen Preisen der Antragstellerin führten. Damals waren vor allem die von der Antragstellerin berechneten Risikozuschläge deutlich zu hoch. Sie führten in der damaligen Kalkulation dazu, dass die Angebote der Antragstellerin als unangemessen hoch ausgeschlossen werden mussten.

c) Die Antragstellerin hat zu Recht darauf hingewiesen, dass kein anderer Anbieter die Vorgabe der ursprünglichen Tariftreueerklärung mit einer Rüge angegriffen hat. Aus der fehlenden Rüge folgt jedoch keine Verpflichtung der Antragsgegnerin, das Vergabeverfahren unverändert fortzuführen. Der öffentliche Auftraggeber ist auf eine begründete Rüge hin verpflichtet, die Schritte zu unternehmen, die zur Herstellung eines rechtmäßigen Vergabeverfahrens erforderlich sind. Fehlt eine solche Rüge, erkennt der öffentliche Auftraggeber gleichwohl einen Fehler, so ist er durchaus berechtigt, diesen Fehler aus eigenem Antrieb zu korrigieren. Hier hatte die Antragsgegnerin die im laufenden Vergabeverfahren erstmals erkennbare geänderte Spruchpraxis der Vergabekammer Niedersachsen und die darauf folgende Reaktion des niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaftsarbeit und Verkehr zum Anlass genommen, die Vergabeunterlagen dieser Spruchpraxis anzupassen. Dazu war sie nicht aus Gründen des Vergaberechtes, sondern allenfalls aus Gründen des Haushaltsrechts verpflichtet, gleichwohl war sie zu dieser Änderung auch vergaberechtlich durchaus berechtigt.

d) Das Angebot der Antragstellerin zu Los 62 war überdies auszuschließen, weil sie in ihrem Angebot (Blatt 1067 der Vergabeakte) den Text der Vergabeunterlage (Blatt 188 der Vergabeakte) veränderte. Sie hat zwei Zeilen gestrichen, in denen die Anbieter die Kosten der Begleitperson zu bepreisen hatten. Gemäß § 19 EG Abs. 3 d) VOL/A werden Angebote ausgeschlossen, bei denen Änderungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen worden sind. Ein Ermessen ist der Vergabestelle nicht eingeräumt. Insoweit wäre die von der Antragsgegnerin durch die Rückversetzung geschaffene Gelegenheit zur Nachbesserung ihres Angebots der einzige Weg gewesen, um der Antragstellerin ein zuschlagsfähiges Angebot zu ermöglichen.

Der Nachprüfungsantrag war daher zurückzuweisen.

III. Kosten

Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 GWB in der seit dem 24.04.2009 geltenden Fassung (Art. 1 Nr. 27 des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20.04.2009, BGBl. I, S. 790).

Es wird eine Gebühr in Höhe von xxxxxx € gemäß § 128 Abs. 2 GWB festgesetzt.

Der Gegenstandswert beträgt vorliegend xxxxxx € brutto. Dieser Betrag entspricht der Summe der im Vergabevermerk dokumentierten Summe der Angebotspreise der Antragstellerin für die verfahrensgegenständlichen Lose 1 - 5, 28 - 31 und 53 - 74 für den gesamten streitbefangenen Vertragszeitraum und damit dem wirtschaftlichen Interesse der Antragstellerin am Auftrag. Die in der mündlichen Verhandlung völlig überraschend erklärte Beschränkung auf das Los 1 als alleinigem Verfahrensgegenstand führt nicht zu einer veränderten Bemessung des Interesses der Antragstellerin. Sie hat in ihrer Antragsschrift Bezug genommen auf das gesamte Vergabeverfahren, also nominell alle 74 Lose. Die Vergabekammer hat dies von Anbeginn an im Kosteninteresse der Antragstellerin auf die Lose beschränkt, die die Antragstellerin im ursprünglichen Vergabeverfahren bepreist hatte. Wenn die Antragstellerin den Nachprüfungsantrag von Anbeginn auf ein Los hätte beschränken wollen, hätte sie dies gegenüber der Vergabekammer in irgendeiner Form erkennbar machen müssen. Der Umstand, dass die Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung erst dann eine Beschränkung des Verfahrensgegenstandes einführte, als die Vergabekammer ihr gegenüber deutlich gemacht hatte, dass sie von der bisherigen Entscheidungslinie voraussichtlich nicht abweichen werde spricht gegen eine von Beginn an geplante Reduzierung des Streitgegenstandes. Für eine spontane Idee in der mündlichen Verhandlung spricht auch, dass die Antragstellerin zunächst nicht in der Lage war, eigenständig das Los zu benennen, auf welches sich ihr Nachprüfungsantrag beziehen sollte. Erst als der Vorsitzende ihr die Lose vorlas, auf die sie angeboten hatte, entschied sie sich für Los 1.

Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes in der zzt. gültigen Fassung vom Dezember 2009. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 € (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 € zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 50.000 € (§ 128 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. € (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996-1998) gegenübergestellt.

Bei einem Gegenstandswert von xxxxxx € brutto ergibt sich nach der Gebührentabelle des Bundeskartellamtes - durch Interpolation - eine Gebühr in Höhe von xxxxxx €.

Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein.

Die in Ziffer 3 des Tenors geregelte Kostentragungspflicht folgt aus § 128 Abs. 3 Satz 1 GWB. Danach hat ein Beteiligter, soweit er im Verfahren unterliegt, die Kosten zu tragen. Hier war zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin mit ihrem Nachprüfungsantrag keinen Erfolg hatte.

Gemäß Ziffer 4 des Tenors hat die Antragstellerin der Antragsgegnerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen gemäß § 128 Abs. 4 GWB zu erstatten. Die Beigeladene hat sich am Nachprüfungsverfahren nicht beteiligt.

Die Antragstellerin wird aufgefordert, innerhalb einer Frist von einem Monat nach Rechtskraft dieses Beschlusses den Betrag von xxxxxx € unter Angabe des Kassenzeichens

xxxxxx

auf folgendes Konto zu überweisen:

xxxxxx

xxxxxx

IV. Rechtsbehelf

...

Gaus
Peter
Abraham