Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 06.02.2015, Az.: VgK-49/2014
Neuberücksichtigung eines Angebots im Rahmen eines Vergabeverfahren zum Neubau eines Gebäudes im Bereich der Starkstromversorgung
Bibliographie
- Gericht
- VK Lüneburg
- Datum
- 06.02.2015
- Aktenzeichen
- VgK-49/2014
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2015, 16378
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 98 Nr. 1 GWB
- § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB
- § 3 Abs. 4 Nr. 2 VgV
In dem Nachprüfungsverfahren der
xxxxxx,
Verfahrensbevollmächtigte: xxxxxx,
- Antragstellerin -
gegen
xxxxxx,
Verfahrensbevollmächtigte: xxxxxx,
- Antragsgegnerin -
beigeladen:
xxxxxx,
- Beigeladene -
wegen
Vergabe eines Auftrags im Zusammenhang mit dem Neubau des Zentralgebäudes der xxxxxx, hier: Erstellung Starkstromversorgung
hat die Vergabekammer durch den Vorsitzenden MR Gause, die hauptamtliche Beisitzerin BOR'in Schulte und den ehrenamtlichen Beisitzer Dipl.-Ing. Roloff auf die mündliche Verhandlung vom 26.01.2015
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, erneut in die Angebotswertung einzutreten, diese im Hinblick auf die Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes unter Berücksichtigung des Angebotes der Antragstellerin erneut durchzuführen und dabei die aus den Entscheidungsgründen ersichtliche Rechtsauffassung der Vergabekammer zu beachten.
- 2.
Die Kosten des Verfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen. Die Antragsgegnerin ist jedoch von der Entrichtung der Kosten befreit.
- 3.
Die Kosten werden auf xxxxxx € festgesetzt.
- 4.
Die Antragsgegnerin ist verpflichtet, der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts war für die Antragstellerin notwendig.
Gründe
I.
Die Auftraggeberin und Antragsgegnerin hatte am xxxxxx.2014, veröffentlicht am xxxxxx.2014, für den Neubau des Zentralgebäudes die Erstellung Starkstromversorgung europaweit ausgeschrieben. Eine Aufteilung der zu vergebenden Leistung in Lose war nicht vorgesehen. Nebenangebote, Alternativvorschläge waren nicht zugelassen. Zuschlagskriterium sollte nur der Preis sein. Hinsichtlich der Teilnahmebedingungen waren zahlreiche Anforderungen genannt.
Der Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes ist unter 1. zu entnehmen:
"Es ist beabsichtigt, die in beigefügter Leistungsbeschreibung bezeichneten Bauleistungen im Namen und für Rechnung (Name der Auftraggeberin) zu vergeben
Es ist beabsichtigt die im beigefügten Vertragsformular bezeichneten Instandhaltungsleistungen im Namen und für Rechnung (Name der Auftraggeberin) zu vergeben."
Ferner ist unter 6. Angebotswertung ausgeführt:
"( Wertungskriterium Preis (Nebenangebote nicht zugelassen, siehe Nummer 5.1)
Der Preis wird aus der Wertungssumme des Angebots ermittelt.
Die Wertungssummen werden ermittelt aus den nachgerechneten Angebotssummen, insbesondere unter Berücksichtigung von Nachlässen, Erstattungsbetrag aus der Lohngleitklausel, Instandhaltungsangeboten."
Im vorgedruckten Angebotsschreiben steht unter
2. Die Angebotsendsumme des Hauptangebotes gemäß Leistungsbeschreibung einschl. Umsatzsteuer (brutto) beträgt €
2.1 Die Gesamtsumme der jährlichen Vergütung gemäß Instandhaltungsvertrag2 einschl. Umsatzsteuer (brutto) beträgt €*
* nur ausfüllen, wenn den Vergabeunterlagen ein Instandhaltungsvertrag beiliegt
Auf dieser Seite des Angebotsschreibens ist unten als Fußzeile erläutert:
2 Bei mehreren Instandhaltungsverträgen ist die Summe der jährlichen Vergütungen einzutragen.
Eine Position des Leistungsverzeichnisses betraf im Bereich der Niederspannungsinstallation einen Kabelschacht 210 x 120 aus Beton mit folgenden Vorgaben:
"Kabelschacht Länge x Breite: 210 × 120
Werkstoff: Beton C 35/45 DIN 1045:
- Straßenverkehr (max. 120 kN Radlast + 9 kN/m2)
- Schachtabdeckungsklasse D 400
bestehend im Wesentlichen aus:
(Hinweis: Gewichte und Maße sind "ca.-Angaben". Eine Abweichung bis zu 5 % ist zulässig)
....."
Es waren genaue Anforderungen an die Wandbelegung des Kabelschachts gestellt.
Ferner war den Vergabeunterlagen ein Vertrag zur Wartung und Inspektion von technischen Anlagen und Einrichtungen beigefügt. Dort war unter 5. Vergütung ausgeführt:
5.1 Für die in der/den Bestandsliste/n aufgeführten Anlage/n wird/werden nachstehende jährliche Vergütung/en4 unter Zugrundelegung des zum Zeitpunkt des Entstehens der Steuer geltenden Umsatzsteuersatzes vereinbart5:
Zur Erläuterung ist dazu ausgeführt:
4 Getrennte jährliche Vergütungen sind nur zu vereinbaren, wenn in einen Vertrag mehrere unterschiedliche Anlagen zusammengefasst werden.
5 vom Bieter auszufüllen
Unter 12. Anhänge zum Vertrag ist ausgeführt:
Die Bestandsliste/n (Anhang 1) und die Arbeitskarte/n (Anhang 2) für folgender Anlagearten sind Vertragsbestandteil13:
( KG 441 Hoch und Mittelspannungsanlagen
( KG 442 Eigenstromversorgungsanlagen
( KG 443 Niederspannungsschaltanlagen
Zum Leistungsverzeichnis und dem Werkvertrag haben die Bieter keine Fragen gestellt.
Bei der Angebotseröffnung am xxxxxx.2014 ergab sich, dass insgesamt fünf Bieter ein Angebot eingereicht hatten. Die verlesene Angebotssumme der Antragstellerin betrug xxxxxx €, die der Beigeladenen xxxxxx €.
Im Zuge der Angebotswertung stellte das beauftragte Ingenieurbüro fest, dass die Antragstellerin als Fabrikat für den Kabelschacht das Fabrikat xxxxxx 100 × 200 des Herstellers xxxxxx genannt hat. Das Ingenieurbüro bat um Aufklärung, ob die Vorgaben im LV mit 210 × 120 cm bei dem angebotenen Fabrikat eingehalten werden. Die Antragstellerin bestätigte mit E-Mail vom 26.11.2014, dass mit dem Produkt die Vorgaben eingehalten werden. Sie fügte jedoch keine Nachweise bei.
In seinem Vergabevorschlag schlug der Fachplaner vor, der Beigeladenen den Zuschlag zu erteilen. Die Auftragssumme würde xxxxxx € zzgl. Wartungsvertrag von xxxxxx €/Laufzeit, Gesamtsumme einschließlich Wartung xxxxxx € betragen. Die übrigen Angebote, unter anderem auch das der Antragstellerin, kommen aus Sicht des Fachplaners aufgrund des Angebotspreises für den Zuschlag nicht in Betracht. In der beigefügten Wertungsübersicht einschließlich der angebotenen Wartung/Instandhaltungsleistungen beträgt die Wertungssumme für die Antragstellerin nachgerechnet jetzt xxxxxx € und das Angebot der Beigeladenen xxxxxx €.
Nachdem die Antragsgegnerin der beabsichtigten Vergabe zugestimmt hat, teilte die Vergabestelle der Antragsgegnerin der Antragstellerin mit Telefax vom 05.12.2014 gemäß § 101a GWB mit, dass auf ihrem Angebot der Zuschlag nicht erteilt werden könne, da ein niedrigeres Hauptangebot vorliege. Ferner wurde sie davon in Kenntnis gesetzt, dass beabsichtigt ist, der Beigeladenen am 18.12.2014 den Auftrag zu erteilen.
Mit Schreiben vom 08.12.2014 rügte die Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin die Entscheidung, da sie gemäß Submissionsergebnis den niedrigsten Preis angeboten habe.
Die Antragsgegnerin erläuterte der Antragstellerin mit Schreiben vom 09.12.2014, dass sie zwar das niedrigste Angebot eingereicht habe, jedoch unter Berücksichtigung des Angebots für die Wartung über 4 Jahre nicht mehr die Mindestfordernde für die ausgeschriebene Leistung sei.
Die Antragstellerin beantragte am 12.12.2014 per Telefax, eingegangen in der Vergabekammer am selben Tage, die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. Sie begründet ihren Antrag unter Wiederholung und Vertiefung ihrer Ausführungen in dem o.g. Rügeschreiben. Der Rügeantwort der Antragsgegnerin sei zu entnehmen, dass diese in der Ermittlung der Bewertungssumme nicht die über die Laufzeit des Wartungsvertrages anfallenden Kosten eingestellt hat. Die Antragsgegnerin habe vielmehr die über eine Laufzeit von vier Jahren anfallenden Wartungskosten mit dem Faktor vier multipliziert. Die Antragsgegnerin habe also bei der Ermittlung der Wertungssumme das Vierfache der von der Antragstellerin angebotenen Wartungskosten eingestellt. Bei korrekter Ermittlung der Wertungssumme errechne sich ein Betrag in Höhe von xxxxxx €. Diese Wertungssumme liege um xxxxxx € unter der Wertungssumme, die für das zweitplatzierte Unternehmen (Beigeladene) errechnet worden ist.
Aufgrund der Antragserwiderung und nach Durchführung der eingeschränkten Akteneinsicht führt die Antragstellerin ferner aus, dass sie auch nicht von den Vorgaben der Pos. 1.6.750 (Abmessungen des Kabelschachts) abgewichen sei. Die von der Antragsgegnerin vorgegebenen Abmessungen halte sie ein. Dies habe sie auf Nachfrage der Antragsgegnerin auch ausdrücklich bestätigt.
Die Antragstellerin beantragt:
- 1.
der Antragsgegnerin wird untersagt, in dem Vergabeverfahren mit der EU-Bekanntmachung xxxxxx vom xxxxxx.2014 den Zuschlag auf das Angebot der Firma xxxxxx zu erteilen.
- 2.
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht das Angebot der Antragstellerin unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer neu zu bewerten.
- 3.
Hilfsweise, die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Vergabeverfahren zurückzuversetzen und die Bieter erneut zur Abgabe eines Angebotes aufzufordern.
- 4.
Der Antragstellerin wird Einsicht in die Vergabeakte der Antragsgegnerin gewährt.
- 5.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung aufgewandten Kosten der Antragstellerin.
- 6.
Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten durch die Antragstellerin wird für notwendig erklärt.
Die Antragsgegnerin beantragt,
- 1.
die Anträge der Antragstellerin kostenpflichtig zurückzuweisen,
- 2.
Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten durch die Antragsgegnerin für notwendig zu erklären.
Die Antragsgegnerin tritt dem Vortrag und der Rechtsauffassung der Antragstellerin entgegen.
Sie hält den Nachprüfungsantrag für unbegründet.
Zunächst weist sie darauf hin, dass der Antragstellerin offensichtlich ein Übertragungsfehler bei ihrer Eintragung in Ziffer 2.1 des Angebotsschreibens unterlaufen ist. Eine Korrektur sei jedoch nicht im Betracht gekommen, da sie dadurch das Angebot der Antragstellerin verändern würde.
Zudem sei das Angebot der Antragstellerin wegen unzulässiger Änderungen an den Vergabeunterlagen auszuschließen. Entgegen den Vorgaben in Ziffer 5.1 des Wartungs- und Inspektionsvertrages habe die Antragstellerin nicht die jährliche Vergütung eingetragen, sondern für die einzelnen Jahre unterschiedliche Preise. Die Antragsgegnerin sieht hierin einen Verstoß gegen Ziffer 5.3 des o.g. Wartungs- und Inspektionsvertrages. Dort sei festgelegt, dass die Vergütung nach 5.1 für eine Vertragslaufzeit von 24 Monaten ein Festpreis ist (Regelungen zur Vertragslaufzeit s. Nr. 8.1).
Nummer 5.3 des Vertragsformulars sehe auch vor, dass, wenn sich nach Ablauf dieser 24-monatigen Preisbindung der maßgebende Lohn ändert, auf Verlangen jedes Vertragspartners die jährliche Vergütung nach einer konkret angegebenen Preisgleitklausel angepasst wird. Insoweit stünden die von der Antragstellerin eingetragenen Preise für die Jahre 2018 und 2019 auch im Widerspruch zur Vereinbarung dieser Preisgleitklausel.
Einen weiteren Ausschlussgrund sieht die Antragsgegnerin darin, dass bei der weitergehenden technischen Prüfung festgestellt worden sei, dass die Antragstellerin in ihrem Angebot zu Position 1.6.750 des Leistungsverzeichnisses von den Vorgaben abgewichen ist.
Der von der Antragstellerin angebotene Betonschacht "xxxxxx 100 × 200" weiche um mehr als 5 % von den vorgegebenen Maßen für den Kabelschacht aus Beton von 210 × 120 ab. Bei der Abweichung handele es sich nicht etwa um eine Abweichung von einer technischen Spezifikation. Die Antragstellerin habe vielmehr etwas anderes als ausgeschrieben angeboten.
Die Beigeladene hat keine Anträge gestellt. Sie unterstützt das Vorbringen der Antragsgegnerin.
Die Vergabekammer hat mit Verfügung des Vorsitzenden vom 06.01.2015 gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 GWB die Frist für die abschließende Entscheidung der Vergabekammer in diesem Nachprüfungsverfahren über die gesetzliche 5-Wochen-Frist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 GWB) hinaus bis zum 09.02.2015 verlängert.
Wegen des übrigen Sachverhaltes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Vergabeakte und das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 26.01.2015 Bezug genommen.
II.
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und begründet. Die Antragstellerin ist bereits dadurch in ihren Rechten im Sinne des § 97 Abs. 7 GWB verletzt, dass die Antragsgegnerin bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes gemäß § 16 EG Abs. 7 VOB/A nicht die von der Antragstellerin tatsächlich geforderte Gesamtsumme für die Instandhaltung über die gesamte ausgeschriebene 4-jährige Vertragslaufzeit gemäß Ziffer 2.1 des Angebotsschreibens zu Grunde gelegt, sondern diesen Betrag noch mit dem Faktor 4 multipliziert hat. Die Antragsgegnerin ist auch nicht aufgrund der von der Antragstellerin vorgenommenen Eintragungen hinsichtlich der Vergütung unter Ziffer 5.1 des Vertrages für Wartung und Inspektion von technischen Anlagen und Einrichtungen gehalten oder berechtigt, das Angebot der Antragstellerin wegen Abänderung der Vergabeunterlagen gemäß § 16 EG Abs. 1 Nr. 1 lit. b VOB/A in Verbindung mit § 13 EG Abs. 1 Nr. 5 VOB/A von der Wertung auszuschließen. Die Antragstellerin durfte angesichts der Formulierungen und Vorgaben im Vertragsvordruck aus der Sicht eines verständigen, fachkundigen Bieters davon ausgehen, dass die Antragsgegnerin von den Bietern die Angabe der geforderten Vergütung, aufgeschlüsselt für die 4 Vertragsjahre 2016 - 2019 erwartet hat. Die Antragsgegnerin kann den Angebotsausschluss auch nicht hilfsweise darauf stützen, dass die Antragstellerin hinsichtlich der Position 1.6.750 (Kabelschacht) von den Vorgaben des Leistungsverzeichnisses abgewichen ist. Denn die Antragsgegnerin hat diese Position bereits gemäß § 15 EG VOB/A aufgeklärt und auf die Erläuterung der Antragstellerin hin, dass die vorgegebenen Maße eingehalten werden, die Konformität des Angebots mit dem Leistungsverzeichnis festgestellt.
1. Der Nachprüfungsantragsantrag ist zulässig. Bei der Antragsgegnerin handelt es sich um einen öffentlicher Auftraggeber i. S. des § 98 Nr. 2 GWB. Der streitbefangene Auftrag übersteigt auch den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gem. § 100 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, die die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch Rechtsverordnung nach
§ 127 GWB festgelegt sind. Bei den ausgeschriebenen Leistungen handelt es sich um einen Bauauftrag i. S. des § 1 EG VOB/A, für den gem. § 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 7 der Richtlinie 2004/18/EG VgV in der seit 01.01.2014 geltenden Fassung ein Schwellenwert von 5.186.000,00 € für die Gesamtmaßnahme gilt. Wird, wie vorliegend, die Baumaßnahme in Losen ausgeschrieben, so gilt gemäß § 3 Abs. 7 VgV darüber hinaus ein losbezogener Schwellenwert von 1,0 Mio. € oder bei Losen unterhalb von 1 Mio. Euro deren addierter Wert ab 20 % des Gesamtwertes aller Lose. Der Teilschwellenwert von 1 Mio. Euro wird ausweislich der Dokumentation in der Vergabeakte vorliegend zwar nicht überschritten. Die Antragsgegnerin hat das verfahrensgegenständliche Los jedoch EU-weit im offenen Verfahren gem. § 3 EG Abs. 1 Nr. 1 VOB/A ausgeschrieben und die Vergabekammer Niedersachsen als zuständige Stelle für das Nachprüfungsverfahren in der europaweiten Bekanntmachung angegeben. Dadurch hat die Antragsgegnerin den rechtlichen Rahmen (§§ 102 ff. GWB) für die Nachprüfung festgelegt. Die Wirkung dieser Festlegung besteht in einer Selbstbindung der Antragsgegnerin, dass sie das verfahrensgegenständliche Los nicht dem 20 %-Kontingent nach § 2 Nr. 6 VgV zuordnet, für welche das Nachprüfungsverfahren nicht eröffnet wäre (vgl. BayObLG, Beschluss vom 23.05.2002, Verg 7/02; Beurskens in: Hattig/Maibaum, Kartellvergaberecht, § 2 VgV, Rdnr. 19, m. w. N.). Der Wert des verfahrensgegenständlichen Loses steht daher einer Nachprüfung durch die Vergabekammer nicht entgegen.
Die Antragstellerin war auch gem. § 107 Abs. 2 GWB antragsbefugt, da sie ein Interesse am Auftrag hat und eine Verletzung von Rechten durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht, in dem sie vorträgt, die Antragsgegnerin habe zu Unrecht das Angebot der Beigeladenen als wirtschaftlichstes Angebot ermittelt. Die Antragsgegnerin habe bei der Wertung nicht den korrekten Angebotspreis der Antragstellerin zu Grunde gelegt. Sie habe den von ihr unter Ziffer 2.1 des Angebotsschreibens eingetragenen Betrag für die Vergütung gemäß Instandhaltungsvertrag mit dem Faktor 4 multipliziert, obwohl dieser Betrag bereits die von der Antragstellerin geforderten Gesamtkosten für den 4-jährigen Vertragszeitraum enthielt. Es handele sich diesbezüglich auch nicht um einen Übertragungsfehler seitens der Antragstellerin. Die Antragstellerin habe angesichts der Formulierungen und Vorgaben im Vertragsvordruck aus der Sicht eines verständigen, fachkundigen Bieters davon ausgehen müssen, dass die Antragsgegnerin von den Bietern die Angabe der geforderten Vergütung, aufgeschlüsselt für die 4 Vertragsjahre 2016 - 2019 erwartet hat. Daher sei die Antragsgegnerin auch weder gehalten oder berechtigt, das Angebot der Antragstellerin wegen Abänderung der Vergabeunterlagen gemäß § 16 EG Abs. 1 Nr. 1 lit. b VOB/A in Verbindung mit § 13 EG Abs. 1 Nr. 5 VOB/A von der Wertung auszuschließen. Gleiches gelte für die aus Sicht der Antragsgegnerin nachgeschobene Begründung, dass die Antragstellerin hinsichtlich der Position 1.6.750 (Kabelschacht) von den Vorgaben des Leistungsverzeichnisses abgewichen ist.
Voraussetzung für die Antragsbefugnis gem. § 107 Abs. 2 GWB ist, dass das Antrag stellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass der Antragsteller diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt (vgl. Boesen, Vergaberecht, § 107, Rdnr. 52). Nach herrschender Meinung und Rechtsprechung sind an diese Voraussetzung keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Es genügt für die Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrages, wenn der Bieter schlüssig einen durch die Rechtsverletzung drohenden oder eingetretenen Schaden behauptet und darlegt, dass durch den behaupteten Vergaberechtsverstoß seine Chancen auf den Zuschlag zumindest verschlechtert sein können (vgl. BVerfG, Urteil vom 29.07.2004 - 2 BvR 2248/03; Möllenkamp in: Kulartz/Kus/Portz, GWB Vergaberecht, § 107, Rdnr. 35 ff.). Ob tatsächlich der vom Bieter behauptete Schaden droht, ist eine Frage der Begründetheit (vgl. BGH, Beschluss vom 29.05.2006 - X ZB 14/06). Die Antragstellerin hat ein entsprechendes Rechtsschutzbedürfnis dargelegt, indem sie vorgetragen hat, dass sie bei der aus ihrer Sicht gebotenen und fehlerfreien Berücksichtigung ihres Angebotes eine Chance auf den Zuschlag gehabt hätte, zumal sie das preislich günstigste Angebot abgegeben hat.
Die Antragstellerin ist auch ihrer Pflicht gem. § 107 Abs. 2 Nr. 1 GWB nachgekommen, vor Anrufung der Vergabekammer die geltend gemachten Verstöße gegen die Vergabevorschriften bereits im Vergabeverfahren gegenüber dem Auftraggeber unverzüglich zu rügen. Bei der Vorschrift des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB handelt es sich um eine Präklusionsregel unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben. Der Bieter soll Vergabefehler nicht auf Vorrat sammeln. Die Rügepflicht des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB entsteht, sobald ein Bieter oder Bewerber im Vergabeverfahren einen vermeintlichen Fehler erkennt. Vorausgesetzt ist die positive Kenntnis des Bieters von den Tatsachen.
Die Antragsgegnerin hat die Antragstellerin mit Telefax vom 05.12.2014 gemäß § 101a GWB darüber informiert, dass auf ihr Angebot der Zuschlag nicht erteilt werden könne, weil ein niedrigeres Hauptangebot vorliege. Ferner teilte die Antragsgegnerin mit, dass beabsichtigt sei, der Beigeladenen am 18.12.2014 den Zuschlag zu erteilen. Bereits Schreiben vom 08.12.2014 hat die Antragstellerin diese Entscheidung der Antragsgegnerin gerügt und erklärt, dass sie als Mindestbietenden der Zuschlag auf ihr Angebot erwarte. Gleichzeitig erklärte sie, dass sie ein geändertes Informationsschreiben bis spätestens 10.12.2014 erwarte. Diese innerhalb von nur 3 Tagen nach Erhalt des Informationsschreibens abgesetzte Rüge erfolgte ohne weiteres unverzüglich im Sinne des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB.
Der Nachprüfungsantrag ist daher zulässig.
2. Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet. Die Antragstellerin ist bereits dadurch in ihren Rechten im Sinne des § 97 Abs. 7 GWB verletzt, dass die Antragsgegnerin bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes gemäß § 16 EG Abs. 7 VOB/A nicht die von der Antragstellerin tatsächlich geforderte Gesamtsumme für die Instandhaltung über die gesamte ausgeschriebene 4-jährige Vertragslaufzeit gemäß Ziffer 2.1 des Angebots an Schreibens zu Grunde gelegt hat, sondern diesen Betrag noch mit dem Faktor 4 multipliziert hat. Die Antragsgegnerin ist auch nicht aufgrund der von der Antragstellerin vorgenommenen Eintragungen hinsichtlich der Vergütung unter Ziffer 5.1 des Vertrages für Wartung und Inspektion von technischen Anlagen und Einrichtungen gehalten oder berechtigt, das Angebot der Antragstellerin wegen Abänderung der Vergabeunterlagen gemäß § 16 EG Abs. 1 Nr. 1 lit. b VOB/A in Verbindung mit § 13 EG Abs. 1 Nr. 5 VOB/A von der Wertung auszuschließen (im Folgenden a). Die Antragsgegnerin kann den Angebotsausschluss auch nicht hilfsweise darauf stützen, dass die Antragstellerin hinsichtlich der Position 1.6.750 (Kabelschacht) von den Vorgaben des Leistungsverzeichnisses abgewichen ist (im Folgenden b).
a. Die Antragsgegnerin hat vorliegend gegen das vergaberechtliche Gleichbehandlungsgebot gemäß § 97 Abs. 2 GWB und das Wirtschaftlichkeitsgebot gemäß § 97 Abs. 5 GWB verstoßen, weil sie bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes gemäß § 16 EG Abs. 7 VOB/A im Hinblick auf die Vergütung gemäß Instandhaltungsvertrag nicht den tatsächlich von der Antragstellerin geforderten, sondern einen höheren Preis zu Grunde gelegt hat. Nach den Festlegungen der Antragsgegnerin in der europaweiten Bekanntmachung und in der Aufforderung zur Abgabe des Angebotes sollte der Preis das einzige Zuschlagskriterium sein. Dabei sollten sowohl die Kosten für die Bauleistungen als auch die Kosten für die im beigefügten Vertragsformular bezeichneten Instandhaltungsleistungen berücksichtigt werden. Unter Ziffer 6 der Aufforderung zur Angebotsabgabe heißt es:
"Wertungskriterium Preis... Der Preis wird aus der Wertungssumme des Angebotes ermittelt. Die Wertungssummen werden ermittelt aus den nachgerechneten Angebotssummen, insbesondere unter Berücksichtigung von Nachlässen, Erstattungsbetrag aus der Lohngleitklausel, Instandhaltungsangeboten."
Im beigefügten Vordruck für das Angebotsschreiben heißt es unter Ziffer 2:
"Die Angebotsendsumme des Hauptangebotes gemäß Leistungsbeschreibung einschließlich Umsatzsteuer (brutto beträgt _____ €
2.1 Die Gesamtsumme der jährlichen Vergütung gemäß Instandhaltungsvertrag einschließlich Umsatzsteuer (brutto) beträgt _____ €*
*Nur ausfüllen, wenn den Vergabeunterlagen ein Instandhaltungsvertrag beiliegt."
Als Fußnote ist zu 2.1 vermerkt:
"Bei mehreren Instandhaltungsverträgen ist die Summe der jährlichen Vergütungen einzutragen."
Die Antragsgegnerin hat dort nach eigenem Vortrag die Eintragung der Wartungskosten für lediglich ein Jahr - wenn auch für alle ausgeschriebenen drei Kostengruppen zusammengefasst - erwartet. In der Folge hat dies dazu geführt, dass die Antragsgegnerin bei der Angebotswertung diesen Betrag noch mal mit 4 multipliziert hat, was zu einem rechnerisch höheren Preis führt als tatsächlich von der Antragstellerin gefordert.
Die Antragstellerin hat die Vorgaben unter Ziffer 2.1 des Angebotsvordrucks so verstanden, dass hier der geforderte Gesamtbetrag für die Instandhaltung Dienstleistungen über den ausgeschriebenen, 4-jährigen Vertragszeitraum einzutragen war. Sie hat dementsprechend den Gesamtbetrag übertragen, den sie unter Ziffer 5.1 des beigefügten "Wartung- und Inspektionsvertrages" ermittelt und eingetragen hat.
Im dortigen Vordruck hat die Antragsgegnerin unter 5. Vergütung ausgeführt:
"5.1 Für die in der/den Bestandsliste/n aufgeführten Anlage/n wird/werden nachstehende jährliche Vergütung/en4 unter Zugrundelegung des zum Zeitpunkt des Entstehens der Steuer geltenden Umsatzsteuersatzes vereinbart5:"
Freigelassen waren dort im Vertragsentwurf Zeilen mit der Bemerkung: "für".... und "von".... In letzterer Freizeile war unstreitig der jeweilige Betrag einzutragen Die Antragstellerin hat diese Unterlagen so verstanden, dass sie für jedes Vertragsjahr die Wartungskosten einzutragen hatte. Sie hat deshalb die Wartungskosten - zusammengefasst für alle 3 Kostengruppen (Hoch- und Mittelspannungsanlagen, Eigenstromversorgungsanlagen und Niederspannungsschaltanlagen) - für jedes Vertragsjahr (2016, 2017, 2018 und 2019) eingetragen. Der Vertragsvordruck enthielt 4 Zeilen, so dass sie für 4 Jahre entsprechende Eintragungen vornehmen konnte.
Zur Erläuterung ist dazu im Vordruck ausgeführt:
"4 Getrennte jährliche Vergütungen sind nur zu vereinbaren, wenn in einen Vertrag mehrere unterschiedliche Anlagen zusammengefasst werden.
5 vom Bieter auszufüllen"
Unabhängig von der im Folgenden noch zu erörternden Frage, ob sich die Antragstellerin bei der Aufschlüsselung der Wartungs- und Inspektionskosten an die Vorgaben der Vergabeunterlagen erhalten hat, ergibt sich aus dem mit der Vergabeakte vorliegenden Originalangebot der Antragstellerin eindeutig, dass sie unter Ziffer 2.1 des Angebots Schreibens den von ihr im beigefügten Instandhaltungsvertrag aufgeschlüsselten und geforderten Gesamtbetrag für die Wartung- und Inspektionskosten über den gesamten 4-jährigen Vertragszeitraum eingetragen hat. Die Eintragungen im Angebotsanschreiben und im "Vertrag für Wartung und Inspektion von technischen Anlagen und Einrichtungen" korrespondieren völlig und sind in keiner Weise mehrdeutig. Sofern bei der Antragsgegnerin diesbezüglich überhaupt im Zuge der Wertung Zweifel aufgekommen sein sollten, hätte die Antragsgegnerin bei der dann angesichts der Gesamtumstände des Sachverhalts gebotenen Aufklärung gemäß § 15 EG VOB/A etwaige Missverständnisse bezüglich der von der Antragstellerin tatsächlich geforderten Wartungskosten ausräumen können, ohne das sich dadurch etwas an dem insoweit völlig transparenten Angebot der Antragstellerin geändert hätte. Unter Berücksichtigung der tatsächlich von der Antragstellerin geforderten Vergütung für die Wartung und Inspektion über den gesamten ausgeschriebenen 4-jährigen Vertragszeitraum hat die Antragstellerin das preislich niedrigste und damit vorliegend das wirtschaftlichste Angebot im Sinne des § 16 EG Abs. 7 VOB/A abgegeben.
Die Antragsgegnerin ist auch nicht aufgrund der von der Antragstellerin vorgenommenen Eintragungen hinsichtlich der Vergütung unter Ziffer 5.1 des Vertrages für Wartung und Inspektion von technischen Anlagen und Einrichtungen gehalten oder berechtigt, das Angebot der Antragstellerin wegen Abänderung der Vergabeunterlagen von der Wertung auszuschließen.
Gemäß § 16 EG Abs. 1 Nr. 1 lit. b VOB/A i. V. m. § 13 EG Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 VOB/A sind Angebote, bei denen Änderungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen wurden, zwingend von der Angebotswertung auszuschließen. Das Verbot der Änderung der Vorgaben der Vergabeunterlagen trägt dem Umstand Rechnung, dass ein fairer Wettbewerb vergleichbare Angebote verlangt. Der Regelungszweck des § 13 EG Abs. 5 Satz 1 VOB/A besteht zunächst darin, das Zustandekommen eines wirksamen Vertrages mit übereinstimmenden Willenserklärungen zu gewährleisten. Zudem sollen durch diese Bestimmung die Transparenz des Vergabeverfahrens und die Gleichbehandlung aller Bieter sichergestellt werden: jeder Bieter darf nur anbieten, was der öffentliche Auftraggeber nachgefragt hat und sich nicht durch eine Abweichung von den Vergabeunterlagen einen (kalkulatorischen) Vorteil verschaffen (vgl. Frister in: Kapellmann/Messerschmidt, VOB, 3. Auflage, § 16 VOB/A, Rdnr. 9; Bauer in: Heiermann/Riedel/Rusam, VOB, 13. Auflage, VOB/A, § 13 EG, Rdnr. 36, m. w. N.). Der durch eine Ausschreibung eröffnete Wettbewerb kann nur dann gewährleistet werden, wenn Änderungen an den Verdingungsunterlagen unterbunden werden, weil anderenfalls die Vergleichbarkeit der Angebote leidet. Angebote, die gegen § 13 EG Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 VOB/A verstoßen, müssen deshalb von der Wertung ausgeschlossen werden (vgl. zur insoweit identischen Vorgängerregelung § 21 Nr. 1 Abs. 3 VOB/A bereits BGH, Urteil vom 08.09.1998, Az.: X ZR 109/96 = NJW 1998, Seite 3644 ff., 3645). Nur wenn Änderungen an den Vergabeunterlagen ausgeschlossen werden, wird der transparente und diskriminierungsfreie Wettbewerb der Bieter gewährleistet (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 08.10.2003, Az.: Verg 49/02, zitiert nach ibr-online). Die Bieter müssen daher grundsätzlich davon ausgehen, dass der Auftraggeber die Leistung auch so angeboten haben will, wie er sie in den Verdingungsunterlagen festgelegt hat (vgl. Franke/Grünhagen, VOB, 2. Auflage, § 21 VOB/A, Rdnr. 140). Wollen oder können die Bewerber die Leistung nicht nach Maßgabe der Verdingungsunterlagen anbieten, so steht es Ihnen frei, Änderungsvorschläge oder Nebenangebote zu unterbreiten, sofern sie nicht vom Auftraggeber ausdrücklich ausgeschlossen wurden. Weicht der Bieter dagegen im Rahmen seines Angebotes von den Vorgaben der Vergabeunterlagen ab, so führt dies zum zwingenden Ausschluss nach § 16 EG Abs. 1 Nr. 1 lit. b VOB/A. Diesem Regelungs- und Schutzzweck entspricht dabei ein weites Verständnis des Begriffs der "Änderung". Eine solche liegt immer vor, wenn das Angebot von den Vergabeunterlagen abweicht, also immer dann, wenn Angebot und Nachfrage sich nicht decken (vgl. BGH, VergabeR 2007, Seite 73 ff., 74; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29.03.2006, VII-Verg 77/05; Frister, a. a. O., § 16 VOB/A, Rdnr. 9).
Zur Entscheidung der Frage, ob ein Bieter im Angebot von den Vorgaben der Vergabeunterlagen abgewichen ist, sind die Vergabeunterlagen ggf. aus der objektiven Sicht eines verständigen und fachkundigen Bieters, der mit der Erbringung der ausgeschriebenen Leistung vertraut ist, auszulegen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.06.2004, VII-Verg 20/04, zitiert nach VERIS).
Die Antragsgegnerin wollte die entsprechende Angabe - auch im Kontext mit den übrigen unter Ziffer 5 dargelegten Bedingungen - so verstanden wissen, dass für den Fall, dass in einem Vertrag mehrere unterschiedliche Anlagen zusammengefasst werden, dem Bieter die Möglichkeit gegeben wurde, aufgeschlüsselt die einzelnen jährlichen Kosten darzulegen. Sie erwartete dementsprechend, dass die Bieter aufgeschlüsselt nach den drei Kostengruppen 441 - Hoch- und Mittelspannungsanlagen, 442 - Eigenstromversorgungsanlagen und 443 - Niederspannungsschaltanlagen) Preise für die Wartung und Inspektion in die vorgegebenen Freizeilen des Vertragsvordrucks eintragen.
Dieser Vortrag und die entsprechende Erwartungshaltung der Antragsgegnerin sind zwar entgegen der Auffassung der Antragstellerin schlüssig. Es macht aus der Sicht der Antragsgegnerin durchaus Sinn, die Wartungskosten aufgeschlüsselt nach Kostengruppen abzufragen. Dies folgt daraus, dass unter Ziffer 5.3 des Vertragsvordrucks die Möglichkeit einer Preisanpassung geregelt ist. Dort ist geregelt, dass die nach Nummer 5.1 des Vertragsvordrucks geforderte Vergütung - ausschließlich der Umsatzsteuer - für die ersten 24 Monate des Vertragszeitraums als Festpreis anzubieten ist. Ändert sich jedoch nach Ablauf dieser Frist der maßgebende Lohn, so kann auf Verlangen jedes Vertragspartners die jährliche Vergütung nach der dort festgelegten Preisgleitklausel angepasst werden. Es ist nicht auszuschließen, dass Bieter für die einzelnen Kostengruppen je nach Aufwand unterschiedliche Lohnkosten kalkulieren, die in der Folge dann auch einen unterschiedlichen Preisanpassungsbedarf in den Vertragsjahren 3 und 4 haben können.
Zu Gunsten der Antragstellerin ist vorliegend jedoch zu berücksichtigen, dass die Festlegung der Antragsgegnerin im Vertragsvordruck unter Ziffer 5.1 aus der Sicht eines verständigen und fachkundigen Bieters auch so interpretiert werden konnten, dass die Antragsgegnerin eine Aufschlüsselung der Wartungskosten getrennt nach Vertragsjahren und nicht nach Kostengruppen erwartete. Dies folgt zum einen daraus, dass ihr Vordruck nicht etwa 3 Freizeilen für die 3 Kostengruppen, sondern 4 Freizeilen enthielt. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass in jedem Fall am Ende der Gesamtbetrag unter Berücksichtigung der Umsatzsteuer auszuweisen war. Insofern macht es für die Transparenz der Angebotspreise für die Wartung und Inspektion keinen Unterschied, ob die Gesamtsumme der Jahreskosten für die 3 Kostengruppen oder - wie im Falle der Antragstellerin - die gesamten Wartung- und Inspektionskosten über die 4 Vertragsjahre ausgewiesen werden. In jedem Falle sind die Wartungs- und Inspektionskosten transparent dargestellt und in der Gesamtsumme im Rahmen der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes für die Antragsgegnerin eindeutig ermittelbar und vergleichbar.
Die Vergabekammer hat auch die übrigen Angebote hinsichtlich der Eintragungen unter 5.2 überprüft. Die Überprüfung hat ergeben, dass offenbar - mit Ausnahme der Beigeladenen - auch die übrigen Bieter ein von der Antragsgegnerin abweichendes Verständnis hinsichtlich der vorzunehmenden Eintragungen hatten. Ein Bieter hat im Wartungsvertrag einen Gesamtpreis für die Kostengruppen 441 und 443, nicht jedoch für die Kostengruppe 442 (Eigenstromversorgungsanlagen) angeboten. Ein anderer Bieter hat überhaupt keine Wartungsarbeiten angeboten. Ein 3. Bieter hat die Bezeichnung der Kostengruppen weggelassen und stattdessen Wartungskosten unterteilt in Titel 1.2 (hoch- und Mittelspannungsanlagen) MS-Anlagen, 1.4 (Niederspannungsschaltanlagen NSHV-AV) und 1.5 (Niederspannungsschaltanlagen NSHV-SV) eingetragen.
Aus der Gesamtschau des Sachverhalts ergibt sich, dass die Vorgaben der Antragsgegnerin im Vordruck für den Wartungs- und Inspektionsvertrag auch aus der Sicht fachkundiger Bieter offenbar nicht eindeutig waren. Derartige Mehrdeutigkeiten, Widersprüche oder Unklarheiten, die auch ein von der Erwartungshaltung des öffentlichen Auftraggebers abweichendes Bieterverständnis zulassen, dürfen jedoch nicht zulasten der Bieter gehen. Bestehen solche Unklarheiten oder Widersprüche, lässt sich der Ausschluss des Angebotes eines Bieters darauf nicht stützen (vgl. BGH, Urteil vom 10.6.2008, X ZR 78/07 und Beschluss vom 3.4.2012 - X ZR 130/10, zitiert nach ibr- online - beide Entscheidungen betrafen unklare Anforderungen zur Nachunternehmerbenennung).
Die Sanktion des Ausschlusses kann lediglich bei unmissverständlichen Anforderungen des öffentlichen Auftraggebers greifen. Führen die Defizite der Vergabeunterlagen dazu, dass die Bieter die Vorgaben unterschiedlich verstehen und deshalb die Angebote nicht mehr vergleichbar sind, kann dies allenfalls dazu führen, dass die Ausschreibung gemäß § 17 EG Abs. 1 Nr. 2 VOB/A im Ergebnis aufgehoben werden muss, weil die Vergabeunterlagen grundlegend geändert werden müssen. Dazu besteht vorliegend jedoch kein Anlass, weil zumindest die Antragstellerin und die Beigeladene vollständige Angebote abgegeben haben, aus denen transparent und eindeutig die geforderten Preise für die Wartung und Inspektion über den gesamten 4-jährigen Vertragszeitraum hervorgehen. Die Angebote sind daher im Rahmen der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes ohne weiteres vergleichbar und wertbar.
b. Die Antragsgegnerin kann den Angebotsausschluss auch nicht hilfsweise auf eine vermeintliche Abweichung des Angebotes der Antragstellerin hinsichtlich der Position 1.6.750 (Kabelschacht) von den Vorgaben des Leistungsverzeichnisses stützen. Die Antragsgegnerin hat im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens darauf hingewiesen, dass im Zuge der weitergehenden technischen Prüfung des Angebotes der Antragstellerin festgestellt worden sei, dass die Antragstellerin in ihrem Angebot zu Position 1.6.750 des Leistungsverzeichnisses von den Vorgaben der Antragsgegnerin abgewichen ist. Ausgeschrieben war dort ein Kabelschacht 210 x 120 aus Beton. Gemeint waren mit der Bezeichnung eine Länge von 210 cm und einer Breite von 120 cm. Die Position im Leistungsverzeichnis enthielt folgenden Hinweis:
"Gewichte und Maße sind "ca.-Angaben". Eine Abweichung bis zu 5 % ist zulässig)"
Die Antragstellerin hat ausweislich des vorliegenden Originalangebotes im Langtext des Leistungsverzeichnisses zu dieser Position folgende Eintragung vorgenommen:
"Angebotenes Fabrikat Betonschacht: xxxxxx
angebotener Typ: xxxxxx 100 x 200"
Die Bezeichnung des angebotenen Typs lässt vermuten, dass unter Berücksichtigung der zulässigen Toleranz von 5 % zwar das Längenmaß, aber nicht das vorgegebene Breitenmaß eingehalten wird. Insoweit hatte die Antragsgegnerin nachvollziehbar Anlass dazu, die Konformität des Angebotes der Antragstellerin hinsichtlich dieser Position des Leistungsverzeichnisses zu prüfen. Die Vergabekammer hat im Rahmen ihrer Prüfung zudem festgestellt, dass die Firma xxxxxx auf ihrer Internetseite unter "Kabelzugschacht in Zellenbauweise ohne Arbeitsfuge aus Stahlbeton" verschiedene, fein abgestufte Abmessungen anbietet und ausdrücklich darauf hinweist, dass es sich um "mögliche Abmessungen (Innenmaße)" handelt. Ein Baukörper in Zellenbauweise, wie von der Antragstellerin angeboten, hat nach der dortigen Auflistung die Abmessungen 200 x 100 x -250 cm, wobei die letztgenannte Zahl die maximal mögliche Höhe bezeichnen soll. Eine andere, von der Firma xxxxxx angebotene Version laut Internetauftritt, die den geforderten Maßen nahe kommt, ist: 200 x 120 x -250.
Die Antragsgegnerin hat allerdings ausweislich der Dokumentation in der Vergabeakte das Angebot der Antragstellerin hinsichtlich dieser Position im Rahmen der Aufklärung nach § 15 EG VOB/A bereits abschließend geprüft und für ausschreibungskonform bewertet. In der Vergabeakte (Ordner 4) ist der Ausdruck einer per E-Mail erfolgten Nachfrage der Antragsgegnerin bei der Antragstellerin vom 25.11.2014 enthalten. Dort heißt es:
"Bezüglich ihres Angebotes zur VE 4-44-01 benötigen wir folgende Angaben:
Im Bieterangabenverzeichnis wird unter der Position Nummer 1.6.750 das Fabrikat xxxxxx 100 × 200 des Herstellers xxxxxx genannt. Die Vorgaben im LV sind 210 × 120 cm. Werden diese Angaben eingehalten bei dem angebotenen Fabrikat?"
Der Nachfrage vorgeheftet ist auch die - kurze - ebenfalls per E-Mail versandte Antwort der Antragstellerin vom 6. 20. 11. 2014. Dort heißt es:
" Bezugnehmend auf die Frage zur Position Nummer 1.6.750 Kabelschacht. Wir bestätigen Ihnen gerne, dass mit dem Produkt der Firma xxxxxx die Vorgaben eingehalten werden."
Mit dieser Erklärung hat sich die Antragsgegnerin zufrieden gegeben. Ausweislich der die Prüfung des Angebotes der Antragstellerin dokumentierenden Anlage Nr. 2 zum Vergabevorschlag vom 5.12.2014 heißt es unter Nr. 3 "Technische Angebotsprüfung":
"Das Hauptangebot erfüllt die in der Leistungsbeschreibung gestellten technischen Anforderungen - insbesondere hinsichtlich der angebotenen Produkte und Verfahren."
Weitere, ergänzende Anmerkungen zu technischen Angebotsprüfung enthält der Vergabevermerk nicht.
Die Antragstellerin hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 26.01.2015 vorgetragen, dass es sich bei dem konkret angebotenen Kabelschacht nicht um ein Produkt handelt, wie es als vorgefertigtes Schachtsystem von der Firma xxxxxx auf ihrer Internetseite angeboten wird. Der Schacht werde für die Antragstellerin vielmehr individuell von der Firma xxxxxx nach den Vorgaben gefertigt. Sie habe auch, wie bei ihr üblich, im Vorfeld des Angebotes eine entsprechende Anfrage unter Übersendung des Leistungsverzeichnisses an die Firma xxxxxx vorgenommen. Diese habe daraufhin erklärt, dass sie einen Schacht mit den geforderten Maßen anfertigt. Sie habe deshalb keine Veranlassung gehabt, davon auszugehen, dass der Schacht die Vorgaben nicht einhält, geschweige denn die entsprechenden Toleranzen. Ergänzend hat die Antragstellerin - allerdings erst im Zuge des Nachprüfungsverfahrens - eine Erklärung der Firma xxxxxx vom 26.11.2014 vorgelegt. Dort heißt es:
"Wir beziehen uns auf das soeben geführte Telefonat und teilen Ihnen mit, dass die Angabe 100 × 200 in der Typenbezeichnung eine Größenordnung darstellt, der Schacht aber nach den vom Kunden vorgegebenen Maßen individuell gefertigt wird. Die im LV vorgegebenen Abmessungen werden eingehalten."
Die Antragsgegnerin hat das Angebot der Antragstellerin ausweislich der Dokumentation in der Vergabeakte hinsichtlich der Position 1.6.750 (Kabelschacht) abschließend aufgeklärt, geprüft und für ausschreibungskonform befunden. Auch der weitere Vortrag der Beteiligten im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens bietet keinen Anlass, von einem geänderten Sachverhalt auszugehen, der eine Neubewertung und einen Angebotsausschluss hinsichtlich dieser Position rechtfertigen würde.
Gemäß § 114 Abs. 1 GWB trifft die Vergabekammer die geeigneten Maßnahmen, um eine Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern. Sie ist dabei an die Anträge nicht gebunden und kann auch unabhängig davon auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einwirken. Aufgrund der oben unter II. 2. festgestellten Tatsache, dass die Antragsgegnerin bei der Angebotswertung nicht die tatsächlich von der Antragstellerin für die Wartung und Inspektion geforderten Preise über die gesamte ausgeschriebene, 4-jährige Vertragslaufzeit zu Grunde gelegt hat und darüber hinaus auch entgegen ihrer Auffassung weder gehalten noch berechtigt ist, das Angebot der Antragstellerin wegen vermeintlicher Abweichung von den Vorgaben der Vergabeunterlagen auszuschließen, war die Antragsgegnerin zu verpflichten, erneut in die Angebotswertung einzutreten, diese unter Berücksichtigung des Angebotes der Antragstellerin zu wiederholen und dabei die Rechtsauffassung der Vergabekammer zu beachten.
III. Kosten
Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 GWB in der seit dem 24.04.2009 geltenden Fassung (Art. 1 Nr. 27 des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20.04.2009, BGBl. I, S. 790).
Es wird eine Gebühr in Höhe von xxxxxx € gemäß § 128 Abs. 2 GWB festgesetzt.
Der Gegenstandswert beträgt vorliegend xxxxxx € (brutto). Dieser Betrag entspricht der in der Angebotssumme der Antragstellerin inkl. des von ihr tatsächlich geforderten Entgelts für die Wartung und Inspektion über den gesamten, vierjährigen Vertragszeitraum und damit ihrem wirtschaftlichen Interesse am Auftrag.
Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes in der zzt. gültigen Fassung vom Dezember 2009. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 € (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 € zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 50.000 € (§ 128 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. € (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996-1998) gegenübergestellt.
Bei einem Gegenstandswert von xxxxxx € ergibt sich nach der Gebührentabelle des Bundeskartellamtes eine Gebühr in Höhe von xxxxxx €.
Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein.
Die in Ziffer 2 des Tenors geregelte Kostentragungspflicht folgt aus § 128 Abs. 3 Satz 1 GWB. Danach hat ein Beteiligter, soweit er im Verfahren unterliegt, die Kosten zu tragen. Hier war zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin mit ihrem Nachprüfungsantrag Erfolg hatte.
Die Antragsgegnerin ist jedoch von der Pflicht zur Entrichtung der Kosten gemäß § 128 Abs. 1 GWB i. V. m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 VwKostG befreit (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 13.07.2005, Az.: 13 Verg 9/05; OLG Dresden, Beschluss vom 25. 01. 2005, Az.: WVerg 0014/04).
Die Beigeladene hat keinen eigenen Antrag gestellt und wird daher aus Billigkeitsgründen nicht an den Kosten beteiligt.
Kosten der Antragstellerin:
Gemäß § 128 Abs. 4 GWB i. V. m. § 80 Abs. 2 VwVfG in entsprechender Anwendung war auf den Antrag der Antragstellerin gem. Ziffer 4 des Tenors auszusprechen, dass die Zuziehung eines Rechtsanwalts im Nachprüfungsverfahren für die Antragstellerin notwendig war. Ungeachtet der Tatsache, dass das GWB für das Nachprüfungsverfahren 1. Instanz vor der Vergabekammer keine rechtsanwaltliche Vertretung vorschreibt, bedurfte die Antragstellerin gleichwohl wegen der Komplexität des Vergaberechts und des das Nachprüfungsverfahren regelnden Verfahrensrechts einerseits sowie auch der Komplexität des konkreten streitbefangenen Vergabeverfahrens rechtsanwaltlicher Beratung und Begleitung.
IV. Rechtsbehelf
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