Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 15.05.2015, Az.: VgK-09/2015
Rechtmäßigkeit eines Vergabeverfahrens zur Durchführung von Schülerbeförderung im freigestellten Schülerverkehr mit Kleinbussen und PKW
Bibliographie
- Gericht
- VK Lüneburg
- Datum
- 15.05.2015
- Aktenzeichen
- VgK-09/2015
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2015, 17274
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
In dem Nachprüfungsverfahren
der xxxxxx,
Verfahrensbevollmächtigte: xxxxxx,
- Antragstellerin -
gegen
den xxxxxx,
- Antragsgegner -
wegen
"Durchführung von Schülerbeförderung im freigestellten Schülerverkehr mit Kleinbussen und PKW"
hat die Vergabekammer durch den Vorsitzenden MR Gause, die hauptamtliche Beisitzerin Dipl.-Ing. Rohn und den ehrenamtlichen Beisitzer RA Dr. Freise auf die mündliche Verhandlung vom 08.05.2015
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist. Der Antragsgegner wird verpflichtet, die Vergabeunterlagen dahin gehend zu ändern, dass die Abgabe einer Verpflichtungserklärung auf Grundlage des § 4 Abs. 3 Satz 2 NTVergG nicht gefordert wird und die Bieter mit den so überarbeiteten Vergabeunterlagen erneut zur Abgabe eines Angebotes aufzufordern.
- 2.
Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsgegner zu tragen. Der Antragsgegner ist jedoch von der Entrichtung der Gebühren befreit.
- 3.
Die Kosten werden auf xxxxxx € festgesetzt.
- 4.
Der Auftraggeber hat der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts war für die Antragstellerin notwendig.
Gründe
I.
Mit europaweiter Bekanntmachung vom xxxxxx.2015 hat der Landkreis xxxxxx als Auftraggeber das Verfahren zur Vergabe der Durchführung von Schülerbeförderung im freigestellten Schülerverkehr mit Kleinbussen und PKW im Landkreis xxxxxx, in xxxxxx und in xxxxxx in 8 Losen im offenen Verfahren ausgeschrieben. Angebote konnten eingereicht werden für ein Los oder mehrere Lose. Der geschätzte Wert aller Lose beträgt xxxxxx € netto. Einziges Zuschlagskriterium ist der niedrigste Preis. Die Vertragslaufzeit soll 34 Monate betragen. Schlusstermin für die Anforderung von Unterlagen und den Eingang der Angebote war der xxxxxx.2015 - 11:00 Uhr.
Teil der Vergabeunterlagen und vorgesehener Vertragsbestandteil ist das Formblatt "Erklärung zur Anwendung des niedersächsischen Tariftreue- und Vergabegesetzes (NTVergG)".
Nach Maßgabe dieses Formblattes haben die Bieter und ggf. ihre Nachunternehmer u.a. folgende Verpflichtungen zu erklären:
1. Zahlung von Mindestentgelten
Der Auftragnehmer verpflichtet sich, seinen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern für die Ausführung der auf der Grundlage dieses Vergabeverfahrens zu erbringenden Dienstleistungen im Bereich des öffentlichen Personenverkehrs auf Straße und Schiene einschließlich des freigestellten Schülerverkehrs das hierfür in Niedersachsen in einem der einschlägigen und repräsentativen mit einer tariffähigen Gewerkschaft vereinbarten Tarifverträge vorgesehene Entgelt unter den dort jeweils vorgesehenen Bedingungen zu zahlen und Änderungen während der Ausführungslaufzeit des jeweiligen Dienstleistungsauftrages nachzuvollziehen.
Für den Fall, dass das den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nach dem jeweiligen Tarifvertrag zu zahlende Entgelt geringer ist als das in § 5 Abs.1 NTVergG geregelte Mindestentgelt, verpflichtet sich der Auftragnehmer, ihnen für die Ausführung der auf der Grundlage dieses Vergabeverfahrens zu erbringenden Dienstleistungen im Bereich des öffentlichen Personenverkehrs auf Straße und Schiene einschließlich des freigestellten Schülerverkehrs ein Entgelt von mindestens 8,50 € brutto pro Stunde zu zahlen.
Innerhalb der Angebotsphase gab es zahlreiche Bieterfragen, welche mit zwei Bieterrundschreiben beantwortet wurden. Einige Bieterfragen beziehen sich auf die geforderte Erklärung zur Tariftreue. Sie betreffen u.a. die Eingruppierung und Vergütung der Beschäftigten und wie zu vergüten sei bei Leerfahrten und wenn die Beschäftigten nicht ausschließlich Dienstleistungen für den in Rede stehenden öffentlichen Auftrag erbringen.
Ein Bieter bat unter Hinweis darauf, dass er seinen Mitarbeitern eine Vergütung nach einem eigenen Tarifvertrag zahlt, die über dem Mindestlohn von 8,50 € brutto, aber unterhalb der nach dem Spartentarifvertrag Nahverkehrsbetriebe Niedersachsen vorgegebenen Vergütung von 12,64 € liegt, um verbindliche Klarstellung, ob er trotz des eigenen Tarifwerks den nach dem Spartentarifvertrag vorgesehen Mindestlohn von 12,64 € brutto zu zahlen habe.
Die Vergabestelle stellte hierzu klar, dass - unabhängig von eventuellen eigenen Tarifwerken - eine Vergütung der Mitarbeiter nach dem Spartentarifvertrag Nahverkehrsbetriebe Niedersachsen (TV-N Nds.) verlangt wird, der derzeit als einziger Tarifvertrag für repräsentativ erklärt worden ist.
Die Antragstellerin forderte die Vergabeunterlagen per E-Mail am 18.02.2015 bei der Vergabestelle an. Auf deren Nachfrage teilte sie per E-Mail am 02.03.2015 mit, dass sie am selben Tage alle Unterlagen erhalten habe.
Mit Rüge vom 20.03.2015 beanstandete die Antragstellerin die Forderung zur Abgabe einer Tariftreueerklärung bezüglich der Zahlung eines Entgelts nach dem TV-N Nds. als vergaberechtswidrig.
Hierzu trug sie vor, die Anwendung des § 4 Abs. 3 Satz 2 NTVergG verletze sie in ihren Bieterrechten. Ohne diese Vorgabe könne sie auf Basis ihres hauseigenen Tarifvertrages ein preislich niedrigeres und damit aussichtsreicheres Angebot kalkulieren.
Die Vorgabe des TV-N Nds. stelle überdies einen Eingriff in den hauseigenen Tarifvertrag und damit in die Tarifautonomie dar, auch liege hierin ein ungerechtfertigter Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit gemäß Art. 12 Grundgesetz.
Die durch die Regelung des § 4 Abs. 3 Satz 2 NTVergG bewirkte Ausdehnung der Tariftreueregelung auf dem freigestellten Schülerverkehr sei mit europarechtlichen Vorgaben nicht vereinbar.
Der freigestellte Schülerverkehr sei nicht für jedermann zugänglich und damit kein öffentlicher Personenverkehr. Er liege folglich außerhalb des Anwendungsbereiches der VO 1370/2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße.
Der niedersächsische Gesetzgeber könne deshalb die Regelung des § 4 Absatz 3 Satz 2 NTVergG zur Tariftreueverpflichtung für den freigestellten Schülerverkehr nicht auf Artikel 4 Abs. 6 der VO 1370/2007 stützen.
Für Dienstleistungen außerhalb der Bereichsausnahme Verkehr gelten die Entsenderichtlinie 96/71/EG und das Recht des freien Dienstleistungsverkehrs unmittelbar. Die vom EuGH in seiner "Rüffert"-Entscheidung formulierten Grundsätze seien deshalb beachtlich und übertragbar. Aus ihnen müsse darauf geschlossen werden, dass die Vorgabe der Tariftreue für den freigestellten Schülerverkehr in § 4 Abs. 3 Satz 2 NTVergG nicht mit der Entsenderichtlinie 96/71/EG vereinbar ist und bei ihrer Anwendung die Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 56, 57 AEUV unzulässig beschränkt wird.
Da der Vorrang des Unionsrechts ein Anwendungs- und kein Geltungsvorrang sei, sei die Vergabestelle nicht nur befugt, sondern sogar verpflichtet, die europarechtswidrige Vorschrift des § 4 Abs. 3 Satz 2 NTVergG unangewendet zu lassen.
Mit Rügeantwort vom 27.03.2015 wies die Vergabestelle die Rüge der Antragstellerin zurück.
Am 09.04.2015 meldete sich die Antragstellerin per Email mehrfach bei der Vergabestelle mit Detailfragen zur Vergütung. U.a. stellte sie die Frage, ob die Änderung des TV-N Nds. durch den 5. Änderungstarifvertrag bei der Angebotskalkulation berücksichtigt werden soll.
Die Vergabestelle teilte der Antragstellerin am 10.04.2015 mit, dass die Liste der repräsentativen Tarifverträge des öffentlichen Personenverkehrs gemäß § 4 Abs. 3 NTVergG den 5. Änderungsvertrag zum TV-N Nds. nicht vorsieht. Unter Hinweis auf die Frist nach § 12 EG Abs. 8 VOL/A erklärte sie, dass sie die nicht mehr rechtzeitig gestellten Fragen nicht beantworten werde.
Mit anwaltlichem Rügeschreiben vom 10.04.2015 beanstandete die Antragstellerin die Vergabeunterlagen als widersprüchlich. Einerseits hätten die Bieter nach Maßgabe der abzugebenden Verpflichtungserklärungen im Auftragsfall Änderungen des TV-N Nds. während der Ausführungslaufzeit des jeweiligen Dienstleistungsauftrages nachzuvollziehen. Andererseits soll bereits bei der Angebotskalkulation nicht auf den aktuellen 5. Änderungstarifvertrag abgestellt werden.
Mit Anwaltsschriftsatz vom 10.04.2015 beantragte die Antragstellerin unter Bezugnahme auf ihre Rüge vom 20.03.2015 die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens gemäß § 107 GWB. Unter Vertiefung ihres Vortrages im Rahmen ihrer Rüge legt sie dar, dass der Antragsgegner gehalten sei, § 4 Abs. 3 Satz 2 NTVergG nicht anzuwenden, da diese Regelung nicht mit europarechtlichen Vorgaben vereinbar sei.
Sie habe ihre Rügen, die sehr komplexe Rechtsfragen betrafen, nach erforderlicher fundierter anwaltlicher Prüfung unverzüglich vorgetragen. Auch wenn sie kein Angebot vorgelegt habe, weil sie sich durch die gerügte Forderung des Antragsgegners zur Tariftreue und durch seine widersprüchlichen Vorgaben an der Kalkulation eines wirtschaftlichen und konkurrenzfähigen Angebotes gehindert gesehen habe, habe sie gleichwohl ein Interesse am Auftrag. Ihr drohe ein Schaden in Höhe des entgangenen Gewinns.
Mit der verlangten Verpflichtung zur Einhaltung des TV-N Nds. werde der Wettbewerbsgrundsatz nach § 97 Abs. 1 GWB verletzt. Der Antragsgegner greife mit dieser Forderung in den bestehenden eigenen Tarifvertrag der Antragstellerin ein. Da sie ihren hauseigenen Tarifvertrag nicht anwenden könne, verliere sie ihren Wettbewerbsvorteil. Eine wirtschaftlich günstige Kalkulation auf Basis beider, zum Teil divergierender Tarifverträge sei unmöglich. Bereits die rechtssichere Umsetzung zur Einhaltung und Abgrenzung des TV-N Nds. bereite Probleme.
Nachdem der Antragsgegner in seiner Rügeantwort vom 20.04.2015 mitgeteilt hatte, dass er der Rüge vom 10.04.2015 nicht abhelfen werde, machte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 29.04.2015 auch die von ihr gerügte Widersprüchlichkeit der Vergabeunterlagen als Rechtsverletzung geltend.
Die Antragstellerin beantragt,
- 1.
die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens gemäß §§ 107 ff. GWB;
- 2.
es wird festgestellt, dass die Regelung in § 4 Abs.3 Satz 2 NTVergG die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt, und der Antragsgegner wird verpflichtet, die Vergabeunterlagen dahin gehend zu ändern, dass die Abgabe einer Verpflichtungserklärung auf Grundlage des § 4 Abs. 3 Satz 2 NTVergG nicht gefordert wird,
- 3.
hilfsweise: es wird festgestellt, dass die Vergabeunterlagen des Antragsgegners widersprüchlich sind und der Antragsgegner wird verpflichtet, die Vergabeunterlagen zu ändern und das Verfahren in den Stand vor Ablauf der Angebotsfrist zurückzusetzen;
- 4.
festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für die Antragstellerin erforderlich gewesen ist,
- 5.
dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Der Antragsgegner beantragt,
- 1.
die Anträge der Antragstellerin zurückzuweisen;
- 2.
der Antragstellerin keine Akteneinsicht zu gewähren und
- 3.
die Kosten des Verfahrens der Antragstellerin aufzuerlegen.
Er hält den Nachprüfungsantrag für unzulässig und für unbegründet.
Die Antragstellerin habe ihre Rüge vom 20.03.2015 erst nach 18 Tagen vorgetragen. Damit sei diese Rüge verfristet erhoben worden.
Zudem wolle die Antragstellerin die vermeintliche Rechtswidrigkeit des § 4 Abs. 3 Satz 2 NTVergG zum Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens machen. Gegenstand einer Überprüfung im Nachprüfungsverfahren könnten jedoch einzig Vergaberechtsverstöße des Auftraggebers sein.
Im vorliegenden Fall bestehe auch keine Beschwer der Antragstellerin, denn die streitbefangenen Forderungen zur Tariftreue gemäß § 4 Abs. 3 Satz 2 NTVergG seien von allen Bietern gleichermaßen einzuhalten. Der von der Antragstellerin vorgetragene vermeintliche Verstoß verschlechtere die Chancen der Antragstellerin im Wettbewerb nicht, es drohe ihr auch kein Schaden. Etwaige Schwierigkeiten bei der Anwendung des TV-N Nds. griffen als Begründung nicht durch. Intention des Landesgesetzgebers sei es, gerade keinen Lohn-, sondern einen Leistungswettbewerb zwischen den Bietern stattfinden zu lassen.
Der Vorwurf, die Vorgaben zur Ausschreibung seien in sich widersprüchlich, sei unbegründet. Angebotsschluss sei der xxxxxx.2015 gewesen. Der 5. Änderungstarifvertrag sei jedoch erst 3 Tage später am xxxxxx.2015 in die Liste der repräsentativen Tarifverträge aufgenommen worden und sei folglich zur Zeit der Angebotserstellung und -abgabe noch nicht anwendbar gewesen. Grundlage der Kalkulation sei deshalb, wie mitgeteilt, der 4. Änderungstarifvertrag gewesen.
Zudem seien die Änderungen des 5. Änderungstarifvertrages für das zu kalkulierende Entgelt sehr gering. Im Hinblick auf die nach den Vorgaben der Ausschreibung ohnehin zu berücksichtigenden Änderungen während der Ausführungslaufzeit sei zu erwarten, dass die Bieter zu erwartende Entgeltsteigerungen mit einkalkulierten, um die Auskömmlichkeit ihrer Angebote sicherzustellen.
Wegen des übrigen Sachverhaltes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Vergabeakte und das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 08.05.2015 Bezug genommen.
II.
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und begründet. Die Antragstellerin ist ihren Rechten im Sinne des § 97 Abs. 7 GWB verletzt, soweit sich die Antragstellerin mit ihrem Nachprüfungsantrag gegen die Verpflichtung zur Einhaltung der Tariftreue auf der Grundlage des Nds. Tariftreue- und Vergabegesetzes (NTVergG) vom 31.10.2013 (Nds. GVBl. 2013, 259) wendet. Die Auferlegung der Tariftreuepflicht ist für den vorliegenden Auftragsgegenstand vergaberechtswidrig, da sie unter Berücksichtigung des Urteils des EuGH vom 03.04.2008 in der Rechtssache C-346/06 ("Rüffert") und des diese Rechtsprechung noch einmal bestätigenden Urteils des EuGH vom 18.09.2014 in der Rechtssache C-549/13 ("Bundesdruckerei", dort Rdnr. 32) nicht mit der durch Art.49 EG-Vertrag (EGV) und Art. 56, 57 AEUV gewährleisteten Dienstleistungsfreiheit vereinbar ist. Dies wiederum folgt daraus, dass die nach § 4 Abs. 3 Satz 2 NTVergG auch für öffentliche Aufträge im freigestellten Schülerverkehr im Sinne des § 1 Nr. 4 Buchst. d der Freistellungs-Verordnung vom 30. August 1962 (BGBl. I S. 601), zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom 4. Mai 2012 (BGBl. I S. 1037) geforderte Verpflichtung der Bieterunternehmen, ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern - wie bei Dienstleistungen im Bereich des ÖPNV - bei der Ausführung der Leistungen mindestens das in Niedersachsen für diese Leistung in einem der einschlägigen und repräsentativen mit einer tariffähigen Gewerkschaft vereinbarten Tarifverträge vorgesehene Entgelt unter den dort jeweils vorgesehenen Bedingungen zu zahlen und während der Ausführungslaufzeit Änderungen nachzuvollziehen, nicht den Vorgaben der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (Abl.1997, L 18, S. 1) (im Folgenden: Entsenderichtlinie) entspricht. Diese lässt gem. ihres Art. 3 nur die Einforderung solcher Mindestlohnsätze zu, die durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften und/oder durch für allgemein verbindlich erklärte Tarifverträge oder Schiedssprüche festgelegt sind, wobei letztere Alternative ausdrücklich nur für die im Anhang der Entsenderichtlinie genannten Tätigkeiten im Baubereich gilt. Für alle anderen Dienstleistungen und damit auch für die hier streitbefangenen Dienstleistungen im Bereich des freigestellten Schülerverkehrs ist daher nach der Entscheidung des EuGH eine gesetzliche Bindung der Bieterunternehmen nur an solche (branchenspezifische) Mindestlohnsätze möglich, die durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften festgelegt sind. Um einen solchen Mindestlohnsatz handelt es sich bei dem hier vom Auftraggeber vorgegebenen Spartentarifvertrag Nahverkehrsbetriebe vom 14.09.2001 (TV-N Nds.) in der jeweils aktuellen Fassung i. V. m. der dazugehörigen Entgelttabelle nicht.
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. Bei dem Antragsgegner handelt es sich um einen öffentlicher Auftraggeber i. S. des § 98 Nr. 1 GWB. Der streitbefangene Auftrag übersteigt auch den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gem. § 100 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, die die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch Rechtsverordnung nach § 127 GWB festgelegt sind. Bei den ausgeschriebenen Leistungen handelt es sich um Dienstleistungen i. S. des § 1 EG VOL/A, für den gem. § 2 Abs. 1 VgV i. V. m. Art. 7 der Richtlinie 2004/18/EG in der seit 01.01.2014 geltenden Fassung ein Schwellenwert von 207.000,00 € für die Gesamtmaßnahme gilt. Bei dem von der Antragsgegnerin laut Bekanntmachung geschätzten Gesamtauftragswert von xxxxxx € netto ist der Schwellenwert weit überschritten.
Die Antragstellerin war auch gem. § 107 Abs. 2 GWB antragsbefugt, da sie als bereits im Bereich der Schülerbeförderung tätiges Unternehmen und durch die Anforderung der Vergabeunterlagen ein Interesse am Auftrag hat und eine Verletzung von Rechten durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht, in dem sie vorträgt, dass sie sich durch die beanstandeten Festlegungen der Vergabeunterlagen derzeit nicht in der Lage sieht, ein wertbares und zugleich wirtschaftliches Angebot zu kalkulieren. Durch die Vorgabe des Antragsgegners, eine Verpflichtungserklärung ("Erklärung zur Anwendung des Nds. Tariftreue- und Vergabegesetzes (NTVergG)" nach § 4 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. Satz 1 NTVergG abzugeben, werde sie für den ausgeschriebenen Auftrag an den Spartentarifvertrag Nahverkehrsbetriebe vom 14.09.2001 (TV-N Nds.) i. d. F. des 4. Änderungstarifvertrages vom 13.04.2010 i. V. m. der dazugehörigen Entgelttabelle gebunden, obwohl eine solche Bindung für die Antragstellerin arbeits- und tarifrechtlich nicht besteht. Der TV-N Nds. sei zwar als einziger Tarifvertrag für den Verkehr auf der Straße (ÖSPV) unter I.01 in der Liste der repräsentativen Tarifverträge des öffentlichen Personenverkehrs des Nds. Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr vom 18.09.2014 festgelegt worden. Der verfahrensgegenständliche freigestellte Schülerverkehr gehöre jedoch nicht zum ÖPNV i. S. d. Verordnung (EG) Nr. 1370/2007. Daher sei der vorgegebene TV-N Nds. auch nicht repräsentativ für die ausgeschriebenen Dienstleistungen.
Sie, die Antragstellerin, sei tarifrechtlich an einen hauseigenen Manteltarifvertrag gebunden, der einen Lohn festlegt, der zwar über dem Mindeststundenlohn nach dem MiLoG und dem NTVergG in Höhe von 8,50 €, aber noch unter dem Stundenlohn des TV-N Nds. in Höhe von (zum Zeitpunkt der Versendung der Vergabeunterlagen) 12,64 € brutto liegt. Ohne die Abgabe der Mindestentgelterklärung könnte sie daher wirtschaftlicher kalkulieren und wäre in der Lage, ein niedrigeres und daher konkurrenzfähigeres Angebot zu unterbreiten.
Voraussetzung für die Antragsbefugnis gem. § 107 Abs. 2 GWB ist, dass das Antrag stellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass der Antragsteller diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt (vgl. Boesen, Vergaberecht, § 107, Rdnr. 52). Nach herrschender Meinung und Rechtsprechung sind an diese Voraussetzung keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Es genügt für die Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrages, wenn der Bieter schlüssig einen durch die Rechtsverletzung drohenden oder eingetretenen Schaden behauptet und darlegt, dass durch den behaupteten Vergaberechtsverstoß seine Chancen auf den Zuschlag zumindest verschlechtert sein können (vgl. BVerfG, Urteil vom 29.07.2004 - 2 BvR 2248/03; Möllenkamp in: Kulartz/Kus/Portz, GWB Vergaberecht, § 107, Rdnr. 35 ff.). Ob tatsächlich der vom Bieter behauptete Schaden droht, ist eine Frage der Begründetheit (vgl. BGH, Beschluss vom 29.05.2006 - X ZB 14/06).
Die Antragstellerin hat ein entsprechendes Rechtsschutzbedürfnis dargelegt, indem sie dargelegt hat, dass sie ohne Verpflichtung zur Einhaltung des Spartentarifvertrages Nahverkehrsbetriebe Niedersachsen (TV-N Nds.) aufgrund des § 4 des Niedersächsischen Tariftreue- und Vergabegesetzes (NTVergG) ein Angebot kalkulieren könnte, das preislich niedriger ausfallen würde und daher eine bessere Aussicht auf den Zuschlag hätte.
Die Antragstellerin ist auch ihrer Pflicht gem. § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB nachgekommen, vor Anrufung der Vergabekammer die geltend gemachten Verstöße gegen die Vergabevorschriften bereits im Vergabeverfahren gegenüber dem Auftraggeber unverzüglich zu rügen. Bei der Vorschrift des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB handelt es sich um eine Präklusionsregel unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben. Der Bieter soll Vergabefehler nicht auf Vorrat sammeln. Die Rügepflicht des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB entsteht, sobald ein Bieter oder Bewerber im Vergabeverfahren einen vermeintlichen Fehler erkennt. Vorausgesetzt ist die positive Kenntnis des Bieters von den Tatsachen.
Die Antragstellerin hat die Vergabeunterlagen auf ihre Anforderung mit E-Mail vom 18.02.2015 am 02.03.2015 erhalten. Erst mit Anwaltsschreiben vom 20.03.2015 beanstandete die Antragstellerin die Forderung zur Abgabe einer Tariftreueerklärung bezüglich der Zahlung eines Entgelts nach dem TV-N Nds. als vergaberechtswidrig. Insbesondere macht sie geltend, dass für Dienstleistungen außerhalb der Bereichsausnahme Verkehr die Entsenderichtlinie 96/71/EG und das Recht des freien Dienstleistungsverkehrs unmittelbar gelten. Die vom EuGH in seiner "Rüffert"-Entscheidung formulierten Grundsätze seien deshalb beachtlich und übertragbar. Aus ihnen müsse darauf geschlossen werden, dass die Vorgabe der Tariftreue für den freigestellten Schülerverkehr in § 4 Abs. 3 Satz 2 NTVergG nicht mit der Entsenderichtlinie 96/71/EG vereinbar ist und bei ihrer Anwendung die Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 56,57 AEUV unzulässig beschränkt wird.
Die Rüge erfolgte somit zwar vor Ablauf der in der Bekanntmachung benannten Frist zur Angebotsabgabe (xxxxxx.2015) und damit rechtzeitig i. S. d. § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB. Sie erfolgte aber erst 18 Tage nach Kenntniserlangung von der beanstandeten Verpflichtung zur Abgabe der Tariftreueerklärung. Es war daher vorliegend zu entscheiden, ob die Rüge auch unverzüglich i. S. d. § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB erfolgte.
Nach der Rechtsprechung des OLG Koblenz (Beschluss v. 24.04.2003 - 1 Verg 2/03 und Beschluss vom 18.09.2003 - 1 Verg 4/04 = VergabeR 2003, Seite 709, 711) muss die Rüge grundsätzlich innerhalb von ein bis drei Tagen nach Kenntnisnahme vom vermeintlichen Vergaberechtsverstoß erfolgen. Die Ausschöpfung der i. d. R. maximalen Rügefrist von zwei Wochen kann einem Antragsteller nach einhelliger Auffassung allenfalls dann zugestanden werden, wenn eine verständliche Abfassung der Rüge durch eine schwierige Sach- und Rechtslage erschwert wird und die Inanspruchnahme fachkundige Unterstützung erfordert (vgl. Byok in: Byok/Jaeger, VergabeR, 3. Auflage, § 107 GWB, Rdnr. 61, m. w. N.).
Es kann jedoch unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung des OLG München (Beschluss vom 19.12.2013 - Verg 12/13, zitiert nach ibr-online) vorliegend dahinstehen, ob die Präklusionsregel gem. § 107 Ab. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH (vgl. Urteil vom 28.01.2010 in den Rs.C-406/08 und C-456/08) überhaupt noch anwendbar ist ( OLG Dresden, Beschluss vom 07.05.2010, Az.: WVerg 6/10, und OLG Rostock, Beschluss vom 20.10.2010, Az.: 17 Verg 5/10, zitiert nach ibr-online; offen gelassen noch durch OLG Celle, Beschluss vom 16.09.2010, Az.: 13 Verg 8/10). Bei diesen beiden zum irischen und englischen Recht ergangenen Entscheidungen des EuGH ging es um die Frage, ob ein Nachprüfungsantrag zulässig ist, wenn das Verfahren nicht unverzüglich eingeleitet wird. Der EuGH hat in den dortigen Entscheidungen den Unverzüglichkeitsbegriff als zu unbestimmt bewertet.
In der Folge sieht daher der Referentenentwurf des BMWi für das Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts (Umsetzung der EU-Vergaberichtlinien 2014) - Stand: 30.04.2015 - für § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB n. F. nunmehr vor, dass das Unverzüglichkeitserfordernis für die Rüge entfällt.
Das OLG München hat in seiner Entscheidung vom 19.12.2013 - Verg 12/13 - offen gelassen, ob die Präklusionsregel des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB nach diesen Entscheidungen des EuGH überhaupt noch anwendbar ist oder dem Europarecht widerspricht. Zumindest aber lasse sich den EuGH-Entscheidungen entnehmen, dass der Primärrechtsschutz nicht durch zu unklare Anforderungen verhindert werden soll. Das bedeutet auch, dass bei einer Auslegung von unbestimmten Rechtsbegriffen nicht zu kleinlich zu verfahren ist (ebenso bereits OLG München, Beschluss vom 06.08.2012 - Verg 14/12, zitiert nach ibr-online). Im Ergebnis hat das OLG München eine innerhalb von sieben Werktagen nach Kenntniserlangung vom gerügten Sachverhalt erfolgte Rüge noch als unverzüglich i. S. des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB gewertet. Zur Begründung hat das OLG betont, dass in der vergaberechtlichen Rechtsprechung auch anerkannt ist, dass zur Abklärung, ob eine Rüge - und damit nachfolgend ein Nachprüfungsantrag - eingereicht werden soll, der Rat eines Anwalts eingeholt werden darf bzw. dem Bieter eine Überlegungsfrist zuzubilligen ist. Dies ist in Anbetracht der nicht leicht durchschaubaren rechtlichen Fragen und der nicht unerheblichen finanziellen Folgen, welche sich an die Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens knüpfen, auch berechtigt.
Unter Berücksichtigung dieser aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass auch die Antragstellerin zunächst einen Rechtsanwalt konsultiert und diesen mit der Absetzung der Rüge beauftragt hat, sowie unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es bei der vorliegend zu entscheidenden Rechtsfrage um die Vereinbarkeit von geltenden landesgesetzlichen Regelungen mit EU-Recht und die dazu ergangene Rechtsprechung des EuGH geht, bewertet die Vergabekammer die Rüge noch als rechtzeitig i. S. des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB.
Der Nachprüfungsantrag ist daher zulässig.
2. Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet. Die Auferlegung der Tariftreuepflicht ist für den verfahrensgegenständlichen Bereich des freigestellten Schülerverkehrs vergaberechtswidrig, da sie unter Berücksichtigung des Urteils des EuGH vom 03.04.2008 in der Rechtssache C-346/06 ("Rüffert") und des diese Rechtsprechung noch einmal bestätigenden Urteils des EuGH vom 18.09.2014 in der Rechtssache C-549/13 ("Bundesdruckerei", dort Rdnr. 32) nicht mit der durch Art. 49 EG-Vertrag (EGV) und Art. 56, 57 AEUV gewährleisteten Dienstleistungsfreiheit vereinbar ist.
Dies wiederum folgt daraus, dass die nach § 4 Abs. 3 Satz 2 NTVergG auch für öffentliche Aufträge im freigestellten Schülerverkehr im Sinne des § 1 Nr. 4 Buchst. d der Freistellungs-Verordnung vom 30. August 1962 (BGBl. I S. 601), zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom 4. Mai 2012 (BGBl. I S. 1037) geforderte Verpflichtung der Bieterunternehmen, ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern - wie bei Dienstleistungen im Bereich des ÖPNV - bei der Ausführung der Leistungen mindestens das in Niedersachsen für diese Leistung in einem der einschlägigen und repräsentativen mit einer tariffähigen Gewerkschaft vereinbarten Tarifverträge vorgesehene Entgelt unter den dort jeweils vorgesehenen Bedingungen zu zahlen und während der Ausführungslaufzeit Änderungen nachzuvollziehen, nicht den Vorgaben des Art. 3 der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (Abl.1997, L 18, S. 1) (im Folgenden: Entsenderichtlinie) entspricht.
a) Die vorgesehene Tariftreueregelung für den Bereich des freigestellten Schülerverkehrs in § 4 Abs. 3 Satz 2 NTVergG verstößt - anders als die dort in Bezug genommene Regelung für den ÖPNV-Bereich in § 4 Abs. 3 Satz 1 NTVergG - unter Berücksichtigung der immer noch aktuellen Rechtsprechung des EuGH materiell-rechtlich gegen Gemeinschaftsrecht. Der EuGH hat mit Urteil vom 03.04.2008 - Rs. C-346/06 - aufgrund einer Vorlage des Oberlandesgerichts Celle zur Vorabentscheidung gemäß § 234 EG-Vertrag (dortiger Beschluss vom 03.08.2006, Az.: 13 U 72/06; VergabeR 2006, S. 756 = NZBau 2006, S. 660) entschieden, dass die im seinerzeitigen Niedersächsischen Landesvergabegesetz (LVergabeG) festgelegten Regelungen zur Auferlegung und Einhaltung von Tariftreuepflichten im Rahmen von öffentlichen Aufträgen nicht mit den Bestimmungen der Gemeinschaftsrichtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern - 96/71/EG - und damit auch nicht mit dem durch Art. 49 EG-Vertrag geregelten Verbot der Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs vereinbar sind. In dem der Entscheidung des EuGH zugrunde liegenden Fall hatte das klagende Land Niedersachsen auf der Grundlage des Landesvergabegesetzes für den Fall eines Verstoßes gegen die Tariftreue mit einem zwischenzeitlich insolvent gewordenen Auftragnehmer eine entsprechende Vertragsstrafe vereinbart. Der Auftragnehmer setzte ein polnisches Unternehmen als Nachunternehmen ein, das seinen auf der Baustelle eingesetzten Arbeitnehmern nur 46,57 % des gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohns zahlte. Gegen das Vertragsstrafenverlangen des Landes wendete sich der Insolvenzverwalter des Auftragnehmers mit der Argumentation, dass das Niedersächsische Landesvergabegesetz gegen Europarecht verstoße. Das Oberlandesgericht Celle hat daraufhin dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob es eine nicht gerechtfertigte Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 49 EG-Vertrag darstellt, wenn dem öffentlichen Auftraggeber durch ein Gesetz aufgegeben wird, Aufträge für Bauleistungen nur an solche Unternehmer zu vergeben, die sich bei der Angebotsabgabe schriftlich verpflichten, ihren Arbeitnehmern bei der Ausführung dieser Leistungen mindestens das am Ort der Ausführung tarifvertraglich vorgesehene Entgelt zu bezahlen.
Der EuGH hat die aus den Gründen des Vorlagebeschlusses ersichtlichen Bedenken in seinem Urteil vom 03.04.2008 bestätigt. Die Unvereinbarkeit der Tariftreueregelungen mit der durch Art. 49 EG-Vertrag gewährleisteten Leistungsfreiheit hat er wie folgt begründet:
(1.) Unter Bezugnahme auf Art. 3 ("Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen") der Richtlinie 96/71/EG (Entsenderichtlinie) hat er seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass der im Ausgangsfall vom Auftraggeber mit den Verdingungsunterlagen vorgegebene Baugewerbe-Tarifvertrag nicht für allgemeinverbindlich erklärt worden ist. Ein im "jeweiligen geografischen Bereich" nicht flächendeckend geltender Tarifvertrag könne dann aber auch nicht durch öffentliche Auftraggeber im Rahmen von Ausschreibungen dem Bieterunternehmen aus anderen Herkunftsmitgliedsstaaten zur Bedingung gemacht werden.
(2.) Eine Maßnahme sei auch nicht durch das Ziel des Arbeitnehmerschutzes gerechtfertigt. Dies folge daraus, dass der durch einen Tarifvertrag festgelegte Lohnsatz, wie im Ausgangsverfahren aufgrund von Rechtsvorschriften wie dem Landesvergabegesetz, eben nur für einen Teil der Bautätigkeit gelte, da zum einen diese Rechtsvorschriften nur auf die Vergabe öffentlicher Aufträge anwendbar sind und nicht für die Vergabe privater Aufträge gelten und zum anderen dieser Tarifvertrag nicht für allgemeinverbindlich erklärt worden ist.
(3.) Der EuGH hat zugleich betont, dass eine derartige Regelung dem Europarecht (Art. 49 EGV - freier Dienstleistungsverkehr) entgegensteht. Nur unter den in Art. 3 der Richtlinie 96/71/EG festgelegten Bedingungen könne der nationale Gesetzgeber Vorgaben zu Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Arbeitnehmer im Zusammenhang mit Vergabeverfahren machen.
Lohnvorgaben sind danach nur unter folgenden Voraussetzungen zulässig:
- Bindung an ausdrücklich im gesamten Hoheitsgebiets des Mitgliedsstaates geltende, durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften festgelegte Mindestlohnsätze für öffentliche und private Aufträge,
- alternativ dazu für Tätigkeiten im Baubereich auch: Vorgabe eines Lohnsatzes auf der Grundlage von im gesamten Mitgliedsstaat für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen oder Schiedssprüchen,
- nur sofern es in einem Mitgliedsstaat kein System für die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen oder Schiedssprüchen gibt, können die Mitgliedstaaten danach auch beschließen, die Tarifverträge, die für alle in den jeweiligen geografischen Bereich fallenden oder betreffenden Tätigkeiten oder das betreffende Gewerbe ausübenden gleichartigen Unternehmen allgemeinwirksam sind und/oder die Tarifverträge, die von den auf nationaler Ebene repräsentativsten Organisationen der Tarifvertragsparteien geschlossen werden und innerhalb des gesamten nationalen Hoheitsgebietes zur Anwendung kommen (Art. 3 Abs. 8 der Richtlinie 96/71/EG), zugrunde zu legen. Der EuGH hat jedoch betont, dass diese Alternative für die Bundesrepublik Deutschland nicht in Betracht kommt, weil es hier ausdrücklich ein System zur Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen gibt.
Die vom EuGH in seiner Entscheidung zugrunde gelegte Entsenderichtlinie 96/71/EG beschränkt sich nicht auf Tätigkeiten im Baubereich, sondern gilt für alle Dienstleistungen. So heißt es in Art. 1 Abs. 1:
"Diese Richtlinie gilt für Unternehmen mit Sitz in einem Mitgliedsstaat, die im Rahmen der länderübergreifenden Erbringung von Dienstleistungen Arbeitnehmer gemäß Abs. 3 in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates entsenden."
Zur Durchsetzung von "Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen" und insbesondere auch Mindestlohnsätzen heißt es in Art. 3 der Entsenderichtlinie 96/71/EG:
"(1.) Die Mitgliedsstaaten sorgen dafür, dass unabhängig von dem auf das jeweilige Arbeitsverhältnis anwendbaren Recht die in Art. 1 Abs. 1 genannten Unternehmen den in ihr Hoheitsgebiet entsandten Arbeitnehmern bezüglich der nachstehenden Aspekte die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen garantieren, die in einem Mitgliedsstaat, in dessen Hoheitsgebiet die Arbeitsleistung erbracht wird,
- durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften und/oder
- durch für allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge oder Schiedssprüche im Sinne des Abs. 8, sofern sie die im Anhang genannten Tätigkeiten betreffen,
festgelegt sind:
...
c) Mindestlohnsätze einschließlich der Überstundensätze; dies gilt nicht für die zusätzlichen betrieblichen Altersversorgungssysteme
...
Zum Zweck dieser Richtlinie wird der in Unterabsatz (1.) c) genannte Begriff der Mindestlohnsätze durch die Rechtsvorschriften und/oder Praktiken des Mitgliedsstaates bestimmt, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer entsandt wird.
...
(8.) Unter "für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen oder Schiedssprüchen" sind Tarifverträge oder Schiedssprüche zu verstehen, die von allen in den jeweiligen geografischen Bereich fallenden und die betreffende Tätigkeit oder das betreffende Gewerbe ausübenden Unternehmen einzuhalten sind.
..."
Da der durch Art. 3 Abs. 1 in Bezug genommene Anhang zur Entsenderichtlinie ausschließlich Tätigkeiten im Zusammenhang mit Bauarbeiten auflistet, die der Errichtung, der Instandsetzungen, der Instandhaltung, dem Umbau oder dem Abriss von Bauwerken dienen, folgt daraus grundsätzlich für alle übrigen Arten von Dienstleistungen und damit auch für die in § 4 Abs. 3 Satz 2 NTVergG geregelten Dienstleistungen im Bereich des freigestellten Schülerverkehrs, dass nach der Richtlinie 96/71/EG unter Berücksichtigung des Urteils des EuGH vom 03.04.2008 ausdrücklich nur eine gesetzliche Verpflichtung zur Einhaltung von solchen Mindestlohnsätzen europarechtskonform wäre, die durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften festgelegt sind. Eine Bezugnahme auf Tarifverträge ist danach nur für Vergaben im Baubereich denkbar und auch nur, soweit diese für allgemeinverbindlich erklärt wurden.
Konkret bedeutet dies für die Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedsstaat der Union, dass außerhalb des Baubereichs eine Bindung von Bieterunternehmen an Mindestlohnsätze im Rahmen von Vergabeverfahren überhaupt nur in Betracht kommt, wenn es sich um einen vom Bundesgesetzgeber durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften flächendeckend festgelegten - z.B. branchenspezifischen - Mindestlohn handelt. Der Bundesgesetzgeber hat z.B. die Möglichkeit, das zur Umsetzung der EU-Entsenderichtlinie verabschiedete Arbeiternehmerentsendegesetz (AEntG) um entsprechende branchenspezifische Mindestlöhne zu erweitern oder - wie inzwischen durch Inkrafttreten des MiLoG geschehen - einen branchenunabhängigen, allgemeinen Mindestlohn festzusetzen.
Aus diesem Grunde bewertet die Vergabekammer im Ergebnis zum Beispiel auch die im vorliegenden Nachprüfungsverfahren nicht streitbefangene Mindestentgeltregelung des § 5 Abs. 1 NTVergG als mit der Rechtsprechung des EuGH und der Entsenderichtlinie vereinbar. Denn das dort (zwar) vergabespezifisch geregelte Entgelt von mindestens 8,50 € ist identisch mit dem vom MiLoG vom 11.08.2014 geregelten, bundesweit und allgemein für alle arbeitsrechtlichen und dienstvertraglichen Vertragsverhältnisse verbindlichen Mindestentgelts. Es handelt sich insoweit ohnehin um ein bundesweit und "inter omnes" geltendes Mindestentgelt.
Weiterhin im Einklang mit Europarecht ist auch die Tariftreuepflicht bei öffentlichen Aufträgen über öffentliche Personenverkehrsdienste, die der niedersächsische Gesetzgeber in § 4 Abs. 3 Satz 1 NTVergG geregelt hat. Für die Zulässigkeit von Tariftreueregelungen in diesem Bereich lässt sich die Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 heranziehen. Nach Artikel 4 Absatz 6 dieser Verordnung kann der Auftraggeber den Betreiber bei der Vergabe von Personenverkehrsdiensten im Einklang mit nationalem Recht dazu verpflichten, bestimmte Qualitätsstandards einzuhalten. Aus Erwägungsgrund 17 der Verordnung wird deutlich, dass es sich bei diesen Standards auch um soziale Kriterien, wie Mindestarbeitsbedingungen und Verpflichtungen aus Kollektivvereinbarungen, handeln kann; die Mitgliedstaaten können zur Gewährleistung transparenter und vergleichbarer Wettbewerbsbedingungen zwischen den Betreibern und um das Risiko von Sozialdumping zu verhindern, besondere soziale Normen und Dienstleistungsqualitätsnormen vorschreiben. Daher ist im Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 von der Zulässigkeit von Tariftreueverpflichtungen - vorliegend in Form der Bindung an einen "repräsentativen Tarifvertrag" - auszugehen.
Nach Art. 58 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) gehen die Bestimmungen des AEUV über den Verkehr denen über die Dienstleistungsfreiheit vor. Das "Rüffert-Urteil" des EuGH, das maßgeblich auf der Dienstleistungsfreiheit und der auf ihrer Basis erlassenen Entsenderichtlinie 96/71/EG beruht, findet daher im Verkehrsbereich keine Anwendung.
Die vorgesehene Regelung in § 4 Abs. 3 Satz 2 NTVergG dagegen ist mit der zitierten Rechtsprechung des EuGH - die ja zu einer im Wesentlichen identischen Regelung des seinerzeitigen LVergabeG ergangen ist - nicht vereinbar und verstößt daher gegen die durch Art. 49 EG-Vertrag gewährleistete Dienstleistungsfreiheit. Denn der Bereich der öffentlichen Dienstleistungsaufträge im freigestellten Schülerverkehr im Sinne des § 1 Nr. 4 Buchst. d der Freistellungs-Verordnung vom 30. August 1962 (BGBl. I S. 601), zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom 4. Mai 2012 (BGBl. I S. 1037) gehört nicht zum ÖPNV.
Die Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 gilt lediglich für Dienstleistungsaufträge, die den öffentlichen Personenverkehr nach der Definition des Art. 2 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 zum Gegenstand haben. Unter dem Begriff des öffentlichen Personenverkehrs werden jedoch nur solche Personenbeförderungsleistungen verstanden, die grundsätzlich jedem Passagier offen stehen, also jedermann zugänglich sind. Nicht erfasst werden hingegen Beförderungsleistungen, die unter Ausschluss anderer Fahrgäste nur bestimmten Nutzern zur Verfügung gestellt werden. Der freigestellte Schülerverkehr sieht ausdrücklich vor, dass die Beförderung unter Ausschluss anderer Passagiere stattfindet. Die Antragstellerin hat zu Recht darauf hingewiesen, dass diese Abgrenzung zwischen öffentlichem und frei zugänglichem Verkehr und den Sonderformen des Schülerverkehrs ohne freien Zugang auch durch die Vorschriften des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) nachvollzogen werden. Die Vorschriften setzen für den straßengebundenen öffentlichen Personenverkehr die Regeln der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 in deutsches Recht um. § 8 Abs. 1 PBefG definiert den öffentlichen Personenverkehr als allgemein zugängliche Beförderung, die allen Passagieren offen steht. Durch die Freistellungsverordnung werden die darin genannten Verkehre von den Regeln des PBefG freigestellt. Schülerverkehre, die nur die Beförderung bestimmter Nutzer zulassen, werden deshalb vom PBefG nicht erfasst.
b) Da die Vergabekammer mithin die Auffassung der Antragstellerin teilt, dass die Tariftreueregelung in § 4 Abs. 3 Satz 2 NTVergG nicht europarechtskonform ist, hatte sie vorliegend zu entscheiden, wie sie mit der formalrechtlich gültigen, aber materiellrechtlich gegen die Rechtsprechung des EuGH und die durch Art. 49 EG-Vertrag gewährleistete Dienstleistungsfreiheit verstoßenden Regelung umzugehen hat.
Zunächst ist festzuhalten, dass die Vergabekammer ebenso wie die öffentlichen Auftraggeber in Niedersachsen selbst auch an europarechtlich kritisch zu bewertende Regelungen grundsätzlich gebunden ist. Der Vergabekammer kommt zumindest grundsätzlich keine Normverwerfungskompetenz zu (vgl. Mayer in: Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, 2. Auflage, § 114, Rdnr. 29). Sie kann deshalb regelmäßig auch dann nicht feststellen, dass eine Norm gegen höherrangiges Recht verstößt, wenn sie mit dem Sachverhalt konfrontiert ist, dass das Handeln der Vergabestelle durch eine gesetzliche Norm legitimiert ist, die Kammer aber diese Norm und damit auch das Handeln der Vergabestelle für rechtswidrig hält. Die Bindung der Vergabekammer an die landesgesetzlichen Vorgaben folgt aus Art. 20 Abs. 3 GG. Die Vergabekammern sind nach dem GWB zwar gerichtsähnlich, aber ausdrücklich eben nicht als Gericht nach deutschem Recht, sondern als Verwaltungsbehörde konstituiert (vgl. Noch in: Byok/Jaeger, Vergaberecht, 3. Auflage, § 105 GWB, Rdnr. 1; BGH, Beschluss vom 09.12.2003 - X ZB 14/03).
Der Gesetzgeber hat den Mitgliedern der Vergabekammer durch die Regelungen in § 105 GWB jedoch eine Stellung eingeräumt, die der richterlichen Unabhängigkeit nach Art. 97 Abs. 1 GG angenähert ist. Die Kammer selbst und die einzelnen Mitglieder unterliegen keinerlei Weisungen und entscheiden unabhängig und sind nur dem Gesetz unterworfen (vgl. Begründung zu § 115 Reg.E VgVRÄG, BT-Drs. 13/9340, S. 17). Die Vergabekammer ist daher sowohl sachlich als auch persönlich unabhängig. Die sachliche Unabhängigkeit bezieht sich auf die Weisungsfreiheit des Spruchkörpers, während die persönliche Unabhängigkeit von der Weisungsfreiheit gegenüber einzelnen Kammermitgliedern geprägt ist. Die feste (aber verlängerbare) Amtszeit von 5 Jahren sichert den Status der Kammermitglieder, um nicht eine vorzeitige Abberufung befürchten zu müssen. Der Gesetzgeber hat den Mitgliedern der Vergabekammer somit eine richterähnliche Unabhängigkeit eingeräumt (vgl. Noch, a. a. O., § 105 GWB, Rdnr. 5, m. w. N.).
Aufgrund dieser durch den Gesetzgeber umfassend und eindeutig geregelten Unabhängigkeit ihrer Mitglieder sind die Vergabekammern deshalb als vorlageberechtigte Gerichte im Sinne des Art. 267 AEUV und damit im europarechtlichen Sinne einzustufen (vgl. EuGH, Urteil vom 18.09.2015 i. d. Rechtssache C-549/13; Fritz in: Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 114, Rdnr. 3; Otting in: Bechtold, GWB, 6. Auflage, § 105, Rdnr. 1; anderer Auffassung vor der Entscheidung des EuGH offenbar noch OLG München, Beschluss vom 18.10.2012 - Verg 13/12, zitiert nach ibr-online).
Die Vergabekammer könnte also im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens die Frage der Europarechtskonformität der Regelung in § 4 Abs. 3 Satz 2 NTVergG durch den EuGH im Wege eines Vorlagebeschlusses nach Art. 247 AEUV klären lassen. Dies wiederum käme faktisch aber einer über ein Jahr dauernden Aussetzung des Nachprüfungsverfahrens gleich, was wiederum mit dem Beschleunigungsgrundsatz des § 113 GWB kollidiert. Die VK Düsseldorf hat daher mit Beschluss vom 09.01.2013 - VK-29/2012-L - von einer derartigen Vorlage an den EuGH abgesehen, obwohl sie ausdrücklich europarechtliche Zweifel an der Vereinbarkeit der dort verfahrensgegenständlichen Regelung zur Mindestlohnverpflichtung in § 4 Abs. 3 TVgG-NRW mit der gemeinschaftsrechtlichen Dienstleistungsfreiheit gemäß AEUV Art. 56 festgestellt und in dem Beschluss auch erörtert hat.
Die Vergabekammer hält daher vorliegend eine erneute Vorlage an den EuGH im Wege eines Vorabentscheidungersuchens gemäß Art. 267 AEUV über die Vereinbarkeit der Regelung des § 4 Abs. 3 Satz 2 NTVergG mit der durch Art. 49 EG-Vertrag (EGV) und Art. 56, 57 AEUV gewährleisteten Dienstleistungsfreiheit und der Entsenderichtlinie angesichts der eindeutigen Rechtsprechung des EuGH in der "Rüffert-Entscheidung" vom 03.04.2008 - Rs. C-346/06 -, die der EuGH auch in folgenden Entscheidungen in keiner Weise geändert oder "abgemildert" hat, für nicht vereinbar mit dem vergaberechtlichen Beschleunigungsgrundsatz des § 113 GWB. Der EuGH hat vielmehr auch in seinem aktuellen, zum Tariftreue- und Vergabegesetz Nordrhein-Westfalen (TVgG-NRW) ergangenen Urteil vom 18. September 2014 in der Rechtssache C-549/13 noch einmal ausdrücklich seine in der "Rüffert-Entscheidung" aufgestellten Maßstäbe für die Europarechtskonformität von Tariftreue- und Mindestlohnvorgaben bestätigt. Dort heißt es unter Rn. 31:
"Eine solche nationale Maßnahme kann grundsätzlich durch das Ziel des Arbeitnehmerschutzes gerechtfertigt sein, auf das sich der Gesetzgeber des Landes Nordrhein-Westfalen in dem Gesetzentwurf, der zum Erlass des TVgG-NRW führte, ausdrücklich berufen hat, nämlich das Ziel, zu gewährleisten, dass die Beschäftigten einen angemessenen Lohn erhalten, um sowohl "Sozialdumping" als auch eine Benachteiligung konkurrierender Unternehmen zu vermeiden, die ihren Arbeitnehmern ein angemessenes Entgelt zahlen."
Weiter heißt es dann unter Rn. 32:
"Der Gerichtshof hat jedoch bereits entschieden, dass eine solche nationale Maßnahme, soweit sie nur auf öffentliche Aufträge Anwendung findet, nicht geeignet ist, das genannte Ziel zu erreichen, wenn es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass die auf dem privaten Markt tätigen Arbeitnehmer nicht desselben Lohnschutzes bedürfen wie die im Rahmen öffentlicher Aufträge tätigen Arbeitnehmer (vergleiche in diesem Sinne Urteil Rüffert, EU: C: 2008:189, Rn. 38-40)."
Diesen eindeutigen, nach wie vor unveränderten Vorgaben des EuGH trägt auch ein Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Tariftreue- und Vergabegesetzes (NTVergG) vom 31. Oktober 2013 (Nds. GVBL. Seite 259) nebst Begründung (Anlage 1 und 2) Rechnung, der der Vergabekammer in der Fassung vom 10.03.2015 mit Begründung in der Fassung vom 02.04.2015 vorliegt. Der Entwurf befindet sich derzeit in der Normprüfung gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GGO. Die betroffenen Ressorts haben den Entwurf nach Auskunft des zuständigen Referats 16 des niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr bereits mitgezeichnet, ohne Änderungswünsche vorzutragen. Der Entwurf sieht vor, dass die streitbefangene Tariftreueregelung für den Bereich des freigestellten Schülerverkehrs in § 4 Abs. 3 Satz 2 NTVergG ersatzlos gestrichen wird. Zur Begründung wird in dem Entwurf ebenfalls auf die Unvereinbarkeit mit den nach wie vor geltenden Vorgaben der "Rüffert"-Entscheidung verwiesen. Da der Entwurf allerdings noch die Kabinettsbefassung zur Freigabe der Verbandsanhörung, die Verbandsanhörung selbst, die dann folgende Kabinettsbefassung zur Einbringung in den Landtag und schließlich die Landtagsbefassung selbst durchlaufen muss, ist mit einer Verabschiedung und einem Inkrafttreten des Änderungsgesetzes nicht vor Anfang 2016 zu rechnen.
Die oben erörterte eindeutige, vom EuGH mit seiner aktuellen Entscheidung vom 18. September 2014 noch einmal bestätigte Rechtsprechung und aber auch der vorliegende Referentenentwurf für die Novellierung des NTVergG lassen daher die Frage der Verwerfungskompetenz jedenfalls für die vorliegend streitbefangene Regelung des § 4 Abs. 3 Satz 2 NTVergG in einem anderen Licht erscheinen. Denn einerseits gebietet die Rechtssicherheit zwar, dass nicht jeder mögliche Verstoß gegen Unionsrecht zur Nichtanwendung der betreffenden nationalen Rechtsnorm führt. Es bestünde in diesem Fall die Gefahr unterschiedlicher Einschätzungen und divergierender Anwendungen innerstaatlicher Normen.
Auf der anderen Seite trifft jedoch alle Träger der Verwaltung, auch die Gemeinden und sonstigen Körperschaften sowie schließlich auch die Vergabekammer eine Normverwerfungspflicht für den Fall, dass innerstaatliche Normen eindeutig nicht mit dem Unionsrecht vereinbar sind (vergleiche EuGH, Urteil vom 22.06.1989, Rs.
C-103/88, Rn. 30). Die nationalen Verwaltungsbehörden haben deshalb in Fällen offenkundiger Unionsrechtswidrigkeit das nationale Recht unangewendet zu lassen (vgl. Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 5, Wirkungen und Rechtsschutz, Seite 55, Rn. 163 ff., m. w. N.; VK Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 23.02.2015 - VK1-39/14, die für den dortigen Fall allerdings keine offenkundige Unionsrechtswidrigkeit angenommen hat, zitiert nach ibr-online).
Das NTVergG vom 31.10.2013 ist daher europarechtskonform dahin gehend auszulegen, dass die dortige Mindestlohnregelung für den Bereich des freigestellten Schülerverkehrs gemäß § 4 Abs. 3 Satz 2 NTVergG keine Anwendung findet. Zulässige und zwingende Lohnuntergrenze für diesen Bereich ist vielmehr der bundesweit einzuhaltende Mindeststundenlohn in Höhe von derzeit 8,50 € gemäß § 1 MiLoG und § 5 Abs. 1 NTVergG.
Gemäß § 114 Abs. 1 GWB trifft die Vergabekammer die geeigneten Maßnahmen, um eine Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern. Der durch die Auferlegung der Tariftreuepflicht vorliegend bewirkte Verstoß gegen das gemeinschaftsrechtliche Verbot der Behinderung des freien Dienstleistungsverkehrs gem. Art. 49 ff. EG-Vertrag und Art. 56, 57 AEUV erfordert es, den Antragsgegner zu verpflichten, das laufende Vergabeverfahren an den Zeitpunkt vor Aufforderung zur Angebotsabgabe zu versetzen und den Bietern noch im laufenden Vergabeverfahren die Möglichkeit zu geben, ein erneutes Angebot ohne Forderung einer Tariftreueerklärung nach § 4 Abs. 3 Satz 2 NTVergG zu unterbreiten. Einer Aufhebung des Vergabeverfahrens bedurfte es vorliegend nicht.
III. Kosten
Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 GWB in der seit dem 24.04.2009 geltenden Fassung (Art. 1 Nr. 27 des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechtes vom 20.04.2009, BGBl. I, S. 790).
Die in Ziffer 3 des Tenors festgesetzte Gebühr ergibt sich aus einer Interpolation des Auftragswertes innerhalb des Gebührenrahmens nach § 128 Abs. 2 GWB. Die von der Vergabekammer festzusetzende regelmäßige Mindestgebühr beträgt 2.500 €, die Höchstgebühr 50.000 € und die Höchstgebühr in Ausnahmefällen 100.000 €.
Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes in der zzt. gültigen Fassung aus Dezember 2009. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 € (§ 128 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 € zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 50.000 € (§ 128 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. € (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996-1998) gegenübergestellt. Dazwischen wird interpoliert.
Der zu Grunde zu legende Gesamtauftragswert für alle 8 ausgeschriebenen Lose beträgt nach der in der europaweiten Bekanntmachung vom xxxxxx.2015 veröffentlichten Schätzung des Antragsgegners der xxxxxx € brutto (xxxxxx zzgl. MwSt.). Dieser Betrag entspricht dem Interesse der Antragstellerin am Auftrag.
Bei einer Ausschreibungssumme von xxxxxx € brutto ergibt sich eine Gebühr in Höhe von xxxxxx €. Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein. Gutachterkosten oder Kosten durch Zeugenvernehmungen in der mündlichen Verhandlung sind nicht angefallen.
Die in Ziffer 2 des Tenors verfügte Kostentragungspflicht folgt aus § 128 Abs. 3 Satz 1 GWB. Danach hat ein Beteiligter, soweit er im Nachprüfungsverfahren unterliegt, die Kosten zu tragen. Hier war zu berücksichtigen, dass der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin begründet ist.
Der Antragsgegner ist jedoch von der Pflicht zur Entrichtung ihres Kostenanteils gemäß § 128 Abs. 1 GWB i. V. m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 BVwKostG befreit (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 13.07.2005, Az.: 13 Verg 9/05; OLG Dresden, Beschluss vom 25. 01. 2005, Az.: WVerg 0014/04).
Gemäß Ziffer 4 des Tenors hat der Antragsgegner der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen gemäß § 128 Abs. 4 GWB zu erstatten. Gemäß § 128 Abs. 4 GWB i. V. m. § 80 Abs. 2 VwVfG in entsprechender Anwendung war auf den Antrag der Antragstellerin gem. Ziffer 4 des Tenors auszusprechen, dass die Zuziehung eines Rechtsanwalts im Nachprüfungsverfahren für die Antragstellerin notwendig war. Ungeachtet der Tatsache, dass das GWB für das Nachprüfungsverfahren 1. Instanz vor der Vergabekammer keine rechtsanwaltliche Vertretung vorschreibt, bedurfte die Antragstellerin gleichwohl wegen der Komplexität des Vergaberechts und des das Nachprüfungsverfahren regelnden Verfahrensrechts einerseits sowie auch der Komplexität des konkreten streitbefangenen Vergabeverfahrens rechtsanwaltlicher Beratung und Begleitung.
Angesichts der Tatsache, dass der Antragsgegner im Nachprüfungsverfahren unterlegen ist, hat er die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Kosten der Antragstellerin zu tragen.
IV. Rechtsbehelf
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