Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 25.03.1997, Az.: 5 U 186/96
Anhörung des Arztes bei Zweifeln an einer dokumentationsgerechten Aufklärung; Aufklärungsumfang bei einem auch kosmetisch bedingten Eingriff; Beweisfunktion einer Aufklärungsdokumentation
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 25.03.1997
- Aktenzeichen
- 5 U 186/96
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1997, 21687
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1997:0325.5U186.96.0A
Fundstellen
- MDR 1997, 684-685 (Volltext mit red. LS)
- VersR 1998, 854-855 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Zweifel an einer dokumentationsgerechten Aufklärung gebieten die Anhörung des Arztes - Aufklärungsumfang bei einem auch kosmetisch bedingten Eingriff
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Ersatz materieller und immaterieller Schäden und Feststellung der Ersatzpflicht für Zukunftsschäden, die sie aus einer operativen Bauchdecken-Reduktionsplastik herleitet, in die sie nicht wirksam eingewilligt habe und die fehlerhaft vorgenommen worden sei.
Wegen Beschwerden nach der Schwangerschaft und Geburt eines Kindes 1993 wurde die Klägerin von ihrer Frauenärztin den Beklagten überwiesen. Auf die Diagnose einer Bauchdeckeninsuffizienz mit ausgeprägter Fettschürze empfahl ihr am 05.04.1995 der bei dem Beklagten zu 1) als Chefarzt der Chirurgie tätige Beklagte zu 2) eine Bauchdecken-Reduktionsplastik. Anhand einer Skizze erläuterte er Verlauf und Technik der Operation einschließlich der Notwendigkeit, den Bauchnabel zu versetzen und wies auf Infektions- und Nekroserisiken hin. Weitere Einzelheiten des Aufklärungsgesprächs sind zwischen den Parteien streitig. Bei der stationären Aufnahme am 11.06.1995 nach Erhalt der Deckungszusage von der Krankenkasse besprach der Assistenzarzt mit der Klägerin noch einmal den Ablauf des Eingriffs und ließ sich von ihr einen Aufklärungs- und Anamnesebogen sowie eine Einwilligungserklärung unterschreiben. Nach der Operation am 12.06.1995 wurde die Klägerin darüber unterrichtet, dass sich intraoperativ zwei seitliche konische Hautgeschwülste ausgebildet hätten, die wegen der Gefahr einer Durchwachsung mit Gefäßen nicht sogleich hätten entfernt werden können.
Die vorgeschlagene Korrekturoperation nach 9 - 12 Monaten hat die Klägerin bislang nicht vornehmen lassen.
Die Klägerin hat behauptet, sie habe in den Eingriff nicht wirksam eingewilligt, da sie über die eventuelle Notwendigkeit von Korrektur- bzw. Folgeoperationen nicht unterrichtet worden sei, auch wenn in den Krankenunterlagen solche Aufklärungshinweise enthalten seien. Bei ausreichender Aufklärung hätte sie diesem Eingriff nicht zugestimmt. Im Übrigen sei er grob mangelhaft ausgeführt worden, was sich bereits den ungleichen Hautgeschwülsten und dem ungleichmäßigen Narbenverlauf entnehmen lasse.
Sie haben behauptet, die Klägerin sei entsprechend der ständigen Praxis des Beklagten zu 2) und wie sich bereits aus der in ihrer Gegenwart angefertigten Skizze mit dem Vermerk "Korrektur Op. für Conusbildung" ergebe, umfassend aufgeklärt worden. Im übrigen sei der Eingriff fachgerecht vorgenommen worden.
Das Landgericht hat nach Vernehmung von Zeugen (Freund der Klägerin, Assistenzarzt, Arztsekretärin) zur Frage der Aufklärung und Auswertung der Krankenunterlagen den materiellen Schadensersatzanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, ein Schmerzensgeld in Höhe von 20.000,00 DM zugesprochen, dem Feststellungsantrag stattgegeben und im übrigen die Klage abgewiesen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hätten die Beklagten nicht bewiesen, dass die der Klägerin bei so genannten Schönheitsoperationen geschuldete schonungslose Aufklärung erfolgt sei. Die im Beweisbeschluss vorgesehene Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Indikation und Durchführung der Operation hat das Landgericht nicht mehr vorgenommen.
Mit ihrer Berufung verfolgen die Beklagten das Klagabweisungsbegehren in vollem Umfang weiter.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung führt in der Sache zur Aufhebung und zur Zurückverweisung in die erste Instanz.
Das landgerichtliche Verfahren leidet an einem wesentlichen Verfahrensmangel, 539 ZPO. Ein Belassen des Verfahrens in der Berufungsinstanz erscheint nicht sachdienlich, 540 ZPO, da das Verfahren zur materiellen Schadenshöhe ohnehin noch beim Landgericht anhängig ist und im übrigen vor dem Senat die gesamte bisherige Beweisaufnahme wiederholt werden müsste und zusätzlich die Anhörung/Vernehmung des Beklagten zu 2) sowie die bisher nicht vorgenommene sachverständige Aufklärung über die Operation selbst (Indikation und Durchführung) zu erfolgen hätte.
Ausweislich der Krankenunterlagen ist die Klägerin am 05.04.1995 in ausreichendem Maße über den vorgeschlagenen Eingriff aufgeklärt worden. Ihre Einwilligung ist auf dieser Grundlage wirksam erfolgt.
Der behandelnde Arzt schuldet zunächst der Patientin die so genannte Grundaufklärung, bei der ihr ein zutreffender Eindruck von der Schwere des Eingriffs und von der Art der Belastungen vermittelt werden muss, die für die spätere Lebensführung auf sie zukommen können (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BGH VersR 1991, 777 ff; 1992, 238 ff [BGH 12.11.1991 - VI ZR 369/90]; Senat VersR 1994, 221). Bei Operationen, die nicht zur Abwendung einer akuten oder auch nur schwer wiegenden Gefahr veranlasst sind, bestehen insoweit noch gesteigerte Anforderungen an die Aufklärungspflichten im Sinne einer detaillierten für den medizinischen Laien verständlichen Darlegung der Chancen und Risiken (vgl. nur BGH VersR 1988, 493). Das ist insbesondere bei Eingriffen anerkannt, die - wie hier - auch aus kosmetischen Gründen begehrt werden (BGH VersR 1991, 227; zuletzt Senat - Urteil vom 03.12.1996 - 5 U 104/96 - zur Veröffentlichung in NJW - EV vorgesehen).
Diesen Anforderungen hat der Beklagte zu 2) aber nach den Eintragungen in der Krankenkartei genügt. Diese beziehen sich auf sämtliche von der Klägerin beanstandeten Aufklärungsdefizite. Anhand einer Skizze ist ihr der Eingriff erläutert worden und darin ausdrücklich die mögliche "Korrektur Op. für Conusbildung" vermerkt.
Zusätzlich ist der Inhalt der Aufklärung stichwortartig festgehalten. Danach hat der Beklagte der Klägerin mögliche Komplikationen wie Infektionen und Nekrosen vor Augen geführt und die von ihr nach wie vor als unterblieben gerügte "eventuelle Notwendigkeit von Korrekturoperationen nach 9 Monaten" dargelegt. Das so vermittelte Bild von der Tragweite des Eingriffs - einschließlich seiner Risiken, Erfolgschancen und möglichen Folgebehandlungen erfüllt angesichts der weiteren auch von der Klägerin anerkannten Unterrichtung, die von dem Assistenzarzt noch einmal vertieft worden ist, die Voraussetzungen der zu fordernden umfassenden Aufklärung selbst unter Berücksichtigung der auch aus kosmetischen Grün den erwogenen Operation. Immerhin muss hier insoweit von einem Grenzbereich ausgegangen werden, als die Klägerin selbst eine da neben bestehende medizinische Indikation eingeräumt hat in Zusammenhang mit den durch das Übergewicht bedingten physischen und psychischen Belastungen. Dementsprechend musste auch für den Erhalt der Kostendeckungszusage von der Krankenkasse entsprechende Darlegungen seitens der Behandlungsseite erfolgen.
Entgegen der Berufungserwiderung kommt einer solchen Aufklärungsdokumentation, deren entsprechende ständige Übung zudem noch von der Arztsekretärin bestätigt worden ist, eine erhebliche Beweisfunktion zu (vgl. nur BGH VersR 1985, 361; Senat VersR 1994, 1423). Wenn das Landgericht demgegenüber etwa auf Grund von anderen Zeugenaussagen die dokumentationsgerechte ausreichende Aufklärung in Zweifel ziehen will, so hätte der Beklagte zu 2) selbst dazu gehört werden müssen. Das gilt umso mehr, wenn es von einer unzulässigen verharmlosenden Eingriffsdarstellung des Arztes ausgehen will. Nur so kann eine ausreichende Beurteilungsgrundlage geschaffen werden, um über die dann erforderliche Gewichtung der Beweis mittel den an den forensischen Nachweis der Patientenaufklärung im Gespräch gesetzten Grenzen und der deswegen bestehenden besonderen tatrichterlichen Verantwortung ausreichend Rechnung zu tragen (vgl. Steffen, Neue Entwicklungslinien der BGH Rechtsprechung zum Arzthaftungsrecht, 6. Aufl., Seite 164 f m.w.N.).
Schließlich durfte der streitige Parteivortrag zum Behandlungsfehlervorwurf nicht übergangen und von einer Sachverständigenbegutachtung abgesehen werden. Die Klägerin hat diesen Vorwurf unter Hinweis auf das Operationsergebnis und die Narbenbildung genügend substantiiert erhoben. Selbst wenn die Aufklärungsrüge auch nach erneuter Beweisaufnahme erfolgreich bleiben sollte, muss der Frage, ob die Operation fehlerfrei erfolgt ist oder nicht - so wie im Beweisbeschluss auch vorgesehen - nachgegangen werden, da sich Fehler bei der Vornahme der Bauchdeckenplastik jedenfalls auf die Höhe des Schmerzensgeldes auswirken können.