Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 04.03.1997, Az.: 5 U 168/96

Verbleib einer abgerissenen Nadel im Bohrkanal als Behandlungsfehler; Aufklärungspflicht eines Arztes

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
04.03.1997
Aktenzeichen
5 U 168/96
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 21701
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1997:0304.5U168.96.0A

Fundstelle

  • NJW-RR 1997, 1384-1385 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

Kein Behandlungsfehler durch Verbleib einer abgerissenen Nadel im Bohrkanal - Aufklärungspflicht gegenüber dem Patienten

Tatbestand

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Am 05.02.1991 nahm der Beklagte im Krankenhaus ... bei dem 1963 geborenen Kläger wegen einer Instabilität des linken Kniegelenks eine Kreuzbandersatzplastik vor. Beim Durchziehen des zuvor aus dem Oberschenkel herauspräparierten körpereigenen Sehnentransplantats verstärkend vernäht mit einem körperfremden Treviraband durch den oberen gebohrten Knochenkanal verklemmte die Nadel, riss ab und verblieb im Knochen. Sie wurde bei dem stationären Aufenthalt im evangelischen Krankenhaus in ... vom 5. bis 19.01.1993 operativ entfernt.

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Das Landgericht hat sachverständig beraten der Klage in Höhe von 10.000-- DM stattgegeben. Der Beklagte habe ohne nähere Aufklärung nicht die risikoreiche Operationstechnik mit einer atraumatischen gekrümmten, am Faden belassenen Nadel wählen dürfen und noch während der Operation nach der Nadel suchen und sie entfernen müssen; auch habe er ihn über den Verbleib der Nadel anschließend aufklären müssen. Da dem Sachverständigen zufolge erfahrungsgemäß etwa 1 Jahr nach einer solchen Operation Schmerzfreiheit eintrete und nicht ausgeschlossen werden könne, dass evtl. Oxidationsvorgänge Schmerzen und die Kenntnis von dem Fremdkörper sich psychisch darstellende Beschwerden auslösen könnten, sei unter Berücksichtigung der Folgeoperation ein Schmerzensgeld in dieser Höhe angemessen.

4

Mit der dagegen gerichteten Berufung verfolgt der Beklagte sein Klagabweisungsbegehren insgesamt weiter.

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Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.

7

Die auf Grund der Beweisaufnahme zu treffenden Feststellungen belegen kein behandlungsfehlerhaftes Vorgehen des Beklagten, das die vom Kläger beschriebenen Beschwerden ausgelöst haben könnte.

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Nach den in sich stimmigen insgesamt überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen hat der Beklagte eine von zahlreichen Operationstechniken gängige und anerkannte Behandlungsmethode gewählt. Die verwandten Instrumente und ihre Anwendung verlangen keine besondere vorherige Aufklärung, vielmehr ist es Sache des Arztes - selbstverständlich bei Einhaltung der erforderlichen Grundaufklärung -, die operative Vorgehensweise zu wählen, die ihm am Geeignetesten erscheint (vgl. nur Steffen, Neue Entwicklungslinien der BGH Rspr., 6. Aufl., S. 141 ff m.v.w.N.). Das hat der Sachverständige zu Grunde gelegt. Bei verständiger Würdigung seiner Erläuterungen hat er dem Beklagten attestiert, die gebotenen medizinischen Standards eingehalten zu haben. Die Erörterungen über die einzelnen geringeren oder höheren Risiken je nach Art der Operationstechnik bei den verschiedenen Operationsschritten, die die Berufungserwiderung in Übereinstimmung mit dem Landgericht heranzieht, vermögen ein fehlerhaftes Vorgehen nicht zu stützen. Vielmehr gehört, das belegen die unmissverständlichen mündlichen Ausführungen des Sachverständigen bei seiner Anhörung, die vom Beklagten wählte Operationsweise zu dem geschuldeten fachärztlichen Standard. Insbesondere gilt das für die benutzte Nadel, deren Belassen am Faden und den Versuch, sie so durch den Bohrkanal zu ziehen. Dass dem Beklagten für dieses Verfahren, mit den ihm eigenen spezifischen Vorteilen, wie z.B. die der "kleinen Löcher", die erforderliche Erfahrung gefehlt hat, behauptet nicht einmal der Kläger. Dafür ist auch im Übrigen kein Anhalt ersichtlich. Das Abreißen der Nadel deutet, da es bei dieser Operationstechnik zu den nicht vollkommen beherrschbaren Risiken gehört, ebenfalls nicht auf einen Behandlungsfehler hin. Das gilt auch für das Belassen der Nadel im Bohrkanal. Die Behauptung des Klägers, die Nadelentfernung sei möglich und einfach durchzuführen gewesen, so der Beklagte denn nach ihr gesucht hätte, hat der Sachverständige nicht bestätigen können. Im Gegenteil hat er die Auffassung des Beklagten gestützt, dass es risikoärmer war, die Nadel dort zu belassen, da der Versuch einer Entfernung eine Erweiterung des Bohrkanals zur Folge hätte haben können. Dass es dem Beklagten auf jeden Fall möglich gewesen wäre, die Nadel komplikationslos zu entfernen, hat der Sachverständige hingegen nicht angeben können, sondern vielmehr offen lassen müssen. Das geht zu Lasten des Klägers, da er einen darauf gestützten Behandlungsfehlervorwurf zu beweisen hätte.

9

Damit verbleibt als haftungsbegründender Behandlungsfehlervorwurf lediglich der unterbliebene Versuch, die Nadel zu entfernen, bzw. die unterlassene Unterrichtung des Klägers über das Operationsergebnis. Für beide Vorwürfe fehlt in dem Operationsbericht jeglicher Hinweis, dass der Beklagte diesen Anforderungen genügt hätte. Da es sich insoweit laut Sachverständigem um dokumentationspflichtige Maßnahmen handelt, könnte der Schluss gerechtfertigt sein, dass insoweit auch nichts seitens der Behandlungsseite unternommen worden ist. Dem braucht der Senat jedoch nicht abschließend nachzugehen. Daraus ggf. abzuleitende Behandlungsmängel einschließlich der unzureichenden Aufklärung über den Verbleib der Nadel als unterbliebene therapeutische Aufklärung haben bei dem Kläger zu keiner Schädigung geführt, für die er immateriellen Ausgleich verlangen könnte.

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Der Folgeoperation zur Nadelentfernung, so sie denn indiziert gewesen ist, hätte sich der Kläger in jedem Fall unterziehen müssen. Die zur Haftungsbegründung allenfalls heranzuziehenden Unterlassungen hätten diese Operation nicht verhindern können. Für eine unzureichende Unterrichtung über das Operationsergebnis versteht sich das von selbst. Bezüglich des Vorwurfs eines unterbliebenen Entfernungsversuchs muss davon ausgegangen werden, dass die Nadel - so sie später - vorgefunden fest verankert war ohne zwischenzeitige Wanderung bzw. Lockerungsbewegungen. Damit ist es an dem Kläger zunächst darzulegen und zu beweisen, dass der Versuch die realistische Chance einer Entfernung ohne Bohrkanalerweiterung in sich geborgen hätte. Solange das aber offen ist - was der Sachverständige bestätigt hat - kann nicht von einem Ursachenzusammenhang im Hinblick auf die Folgeoperation ausgegangen werden. Beweiserleichterung stehen dem Kläger dafür nicht zur Seite. Für ein großes Versagen des Beklagten besteht diesbezüglich kein Anhalt.

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Für die von dem Kläger für sein immaterielles Ausgleichsbegehren herangezogenen jahrelangen Schmerzen ist er ebenfalls den erforderlichen Zusammenhangsnachweis schuldig geblieben. Für den Sachverständigen ist ein Zusammenhang mit dem Verbleib der Nadel nicht vorstellbar. Das ist überzeugend. Unterstützt wird diese Einschätzung durch das Fehlen eines jeglichen Hinweises auf stattgefundene Entzündungsprozesse, die bei den röntgenologischen Kontrollen zu Tage getreten und dann auch festgehalten worden wären. Psychisch vermittelte Schmerzen allein durch das Bewusstsein von dem Fremdkörper im Knochen scheiden nach dem eigenen Vorbringen aus, da der Kläger erst im Oktober 1992 - also über 1 3/4 Jahr nach der Operation - davon Kenntnis erlangt haben will. Die nach der zweiten Operation behaupteten erheblichen Schmerzen, wie bereits in der Klageschrift unmissverständlich ausgeführt, streiten ebenfalls gegen solche psychisch vermittelten Schmerzen. Für einen Immaterialausgleich können sie als Folge der nicht vorzuwerfenden zweiten Operation nicht herangezogen werden. Im Übrigen sind der behandelnden Neurologin zufolge auch danach wieder persistierende Schmerzen angegeben worden, obwohl die Nadel seit über drei Monaten entfernt war. Damit bleibt die Möglichkeit einer behandlungsunabhängigen Schmerzempfindung, beispielsweise auf Grund einer neurologisch bedingten sozialen Anpassungsstörung.

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