Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 18.03.1997, Az.: 5 U 3/96
Nachweis eines Behandlungsfehlers; Voraussetzungen für das Eingreifen von Beweiserleichterungen im Arzthaftungsprozess; Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht; Voraussetzungen für die Anhörung eines Sachverständigen durch eine Prozesspartei; Umfang des Anhörungsrechts
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 18.03.1997
- Aktenzeichen
- 5 U 3/96
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1997, 22022
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1997:0318.5U3.96.0A
Rechtsgrundlagen
- § 397 ZPO
- § 402 ZPO
Fundstellen
- MedR 1998, 24
- MedR 1998, 25
- OLGReport Gerichtsort 1998, 17-18
- VersR 1998, 636-637 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Hüftkopfnekrose nach der Operation eines Oberschenkelbruches deutet nicht auf Behandlungsfehler hin. Anhörung des Sachverständigen nur bei Darlegung eines Erläuterungsbedarfs.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Ersatz des immateriellen Schadens sowie Feststellung der Ersatzpflicht für künftige materielle und immaterielle Schäden wegen fehlerhafter Behandlung einer Hüftkopfnekrose.
Der am 19. März 1972 geborene Kläger erlitt während seiner Ausbildung zum Landwirt bei einem Verkehrsunfall am 9. März 1990 einen Oberschenkelbruch links. Die Fraktur wurde noch am Unfalltag im Krankenhaus osteosynthetisch versorgt. Am 30. März 1990 wurde der Kläger aus der stationären Behandlung entlassen. Am 17. Oktober 1990 stellte er sich mit Schmerzen im Bereich der linken Hüfte erneut beim Beklagten vor. Nach der daraufhin gefertigten Röntgenaufnahme ergaben sich keine Veränderungen im Vergleich zum Röntgenbefund vom 11. September 1990. Am 12. Februar 1991 stellte sich der Kläger wiederum mit Schmerzen im linken Hüftbereich bei dem Beklagten vor. Das osteosythese Material lag reizlos. Der Beklagte entschloss sich, die Metallplatte nicht vor Ende 1991 zu entfernen. Am 12. Juni 1991 suchte der Kläger den Beklagten erneut mit Schmerzen im linken Hüftbereich auf. Der Beklagte ließ eine weitere Röntgenaufnahme anfertigen. Er dokumentierte hierzu, dass die Aufnahme den hüftgelenknahen Oberschenkelbruch in regelrechter Stellung bei reizloser Metallage knöchern fest durchbaut zeige. Zusätzlich stellte er fest, dass die Hüftgelenkfunktion nur endgradig eingeschränkt, jedoch schmerzhaft war und der Gang links hinkend vorgeführt wurde. Am 21. August 1991 veranlasste der Beklagte eine neurologische Untersuchung mit Tomographie, die ohne Befund blieb. Nach der folgenden ambulanten Vorstellung vom 23. September 1991 wurde die Metallplatte entfernt. Im November 1991 stellte der Beklagte auf Grund erneuter Röntgenaufnahmen die Verdachtsdiagnose einer Teilnekrose des Hüftkopfes, die auf Grund weiterer Untersuchungen bestätigt wurde. Der Beklagte veranlasste daraufhin die Überweisung des Klägers an die Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Duisburg-Buchholz. Die ihm dort vorgeschlagene Hüftgelenksversteifung lehnte der Kläger ab. In der Zeit vom 26. April bis 28. Mai 1993 befand sich der Kläger im Bundeswehrkrankenhaus in Hamburg. Ihm wurde ein neues Hüftgelenk links eingesetzt.
Der Kläger hat behauptet, das Einsetzen des künstlichen Hüftgelenks wäre nicht erforderlich gewesen, wenn der Beklagte die beginnende Teilnekrose rechtzeitig erkannt hätte. Spätestens am 12. Juni 1991 hätte er diese Möglichkeit in Erwägung ziehen müssen. Infolge der fehlerhaften ärztlichen Behandlung könne er jetzt seinen angestrebten Beruf in der Landwirtschaft nicht mehr ausüben.
Durch das angefochtene Urteil, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Klage abgewiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat Ansprüche des Klägers auf Zahlung eines Schmerzensgeldes und auf Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige Schäden zu Recht verneint.
Diese Ansprüche scheitern bereits daran, dass ein Fehler des Beklagten bei der Behandlung des Oberschenkelbruchs nicht festgestellt werden kann. Der vom Landgericht als Sachverständiger zur Beratung hinzugezogene Facharzt für Chirurgie Dr. S hat in seinem Gutachten vom 26.7.1995 überzeugend ausgeführt, dass die schwere Verletzung des Klägers durch eine korrekte Osteosynthese erstklassig versorgt und dass die später aufgetretene Hüftkopfnekrose nicht schuldhaft zu spät erkannt worden ist. Auf den Röntgenbildern vom 12.6.1991 sei die beginnende Nekrose erst retrospektiv - beim Vergleich mit den späteren Aufnahmen vom 30.9.1991 nach der Metallentfernung - auszumachen gewesen. Dass bei der zwischenzeitlichen Vorstellung des Klägers am 21.8.1991 keine weiteren Röntgenaufnahmen angefertigt worden sind, sondern stattdessen eine neurologische Abklärung der vom Kläger geklagten Beschwerden mit einer Tomographie der Bandscheibensegmente L 2/L 3 bis L 5/S.1 vorgenommen worden ist, hat der Sachverständige ausdrücklich nicht als Versäumnis bezeichnet. Diese Feststellungen hat er in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 18.11.1996 nochmals bekräftigt. Dort hat er auch ausgeführt, dass eine frühere Entfernung der Metallplatte nicht erfolgen musste.
Zwar hat der Kläger zutreffend darauf hingewiesen, dass der Beklagte verpflichtet war, einen fachröntgenologischen Befundbericht auszuwerten. Dieser Befundbericht lag dem Sachverständigen Dr. S nicht vor, ist aber inzwischen vom Beklagten in Fotokopie überreicht worden. Aus ihm ergibt sich, dass auch der Röntgenologe gegenüber der Voruntersuchung keine signifikante Befundänderung festgestellt hat.
Darauf, ob Dr. B von der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik D.-B. später erklärt hat, dass eine Umstellungsosteotomie möglich gewesen wäre, wenn die Hüftkopfnekrose früher erkannt worden wäre, kommt es nicht an. Selbst wenn Dr. B diese Auffassung vertreten hätte und sie darüber hinaus medizinisch haltbar wäre, führt sie nicht zu einer Haftung des Beklagten, weil kein Behandlungsfehler vorliegt. Auch die vom Kläger herangezogene medizinische Fachliteratur besagt hierzu nichts, sondern befasst sich nur mit der Frage, welche Maßnahmen im Falle einer Hüftkopfnekrose in Betracht kommen.
Zudem hat der Sachverständige, insbesondere in seinem Ergänzungsgutachten, ausführlich dargelegt, dass ein frühzeitigeres Erkennen der Nekrose den Verlauf nicht hätte ändern können bzw. dass ein günstigerer Heilungsverlauf reine Spekulation sei. Damit ist selbst für den Fall, dass eine Erkennbarkeit der Nekrose schon am 12.6.1991 zugrunde gelegt wird, nicht festzustellen, dass ein Fehlverhalten des Beklagten für den später eingetretenen Zustand ursächlich geworden ist.
Beweiserleichterungen für den Kläger sind mangels eines groben Behandlungsfehlers nicht in Betracht zu ziehen.
Entgegen der Auffassung des Klägers haftet der Beklagte auch nicht wegen Verletzung der Aufklärungspflicht. Wie sich aus dem Sachverständigengutachten zweifelsfrei ergibt, stellt die Hüftkopfnekrose keine Folge der Operation, sondern eine des Unfalls dar. Aber selbst wenn den Beklagten insoweit die Verpflichtung zu einer Aufklärung getroffen hätte, ist nicht ersichtlich, inwieweit sich dann an dem Kausalverlauf etwas geändert hätte. Der Kläger behauptet selbst nicht, dass er dann hinsichtlich der Einwilligung zur Operation in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre. Die Operation war absolut indiziert.
Angesichts der klaren und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen bestand für den Senat keine Veranlassung, eine mündliche Anhörung oder eine weitere Ergänzung anzuordnen.
Unabhängig davon steht zwar auch dem Kläger gemäß §§ 397, 402 ZPO grundsätzlich das Recht zu, den Sachverständigen mündlich befragen zu können (BGH NJW-RR 1987, 339, 340 [BGH 21.10.1986 - VI ZR 15/85]; VersR 1996, 211 f). Voraussetzung dafür ist aber, dass es um offen gebliebene medizinische Fragen oder um die medizinische Erläuterung von Unklarheiten oder Widersprüchen innerhalb der einzelnen Äußerungen des Sachverständigen geht. Das Anhörungsrecht bezieht sich nicht auf Fragen, die für die zu treffende Entscheidung unerheblich oder bereits eindeutig beantwortet sind, ohne dass insoweit ein Erläuterungsbedarf besteht oder zumindest nachvollziehbar geltend gemacht wird. Danach konnte eine Anhörung zu den mit Schriftsatz vom 6.2.1997 gestellten Fragen unterbleiben.
Soweit sich der Sachverständige zur Möglichkeit, die Nekrose bei liegendem Osteosynthesematerial zu erkennen, unterschiedlich geäußert hat, kann von der dem Kläger günstigeren Möglichkeit ausgegangen werden. Die Erkennbarkeit der Nekrose ändert nichts an der - auch im Ergänzungsgutachten - getroffenen Feststellung des Sachverständigen, dass insoweit kein Behandlungsfehler des Beklagten vorliegt. Daß die beginnende Hüftkopfnekrose nicht bereits am 12.6.1991 zu erkennen war, hat der Sachverständige eindeutig dargelegt. Unerheblich ist, dass er die Frage, ob ein Bruch der vorliegenden Art spätestens nach einem Jahr verheilt sein müsste, nicht expressis verbis beantwortet hat, da es in diesem Zusammenhang nur auf den Zeitpunkt der Metallplattenentfernung ankam. Dazu hat er eindeutig Stellung genommen.
Ebenso hat sich der Sachverständige ausführlich mit der Frage befasst, ob eine Umstellungsosteotomie als Alternative in Betracht gekommen wäre, und ist dabei zu dem Schluss gelangt, dass es sich keinesfalls um die Unterlassung einer zwingenden Operations- und Behandlungsmaßnahme gehandelt hat. Ein Versäumnis oder ein ärztlicher Kunstfehler sei nicht erkennbar.
Der Vorwurf des Klägers, der Sachverständige habe bei dieser Feststellung Fachliteratur unberücksichtigt gelassen, geht fehl. Soweit sich der Kläger auf das Werk "Atlas Manual für Praxis und Studium" bezieht, hat der Sachverständige gerade auch dieses erwähnt und die Seiten zitiert, die der Kläger jetzt in Fotokopie vorlegt. Er hat die dort beschriebene Möglichkeit der Umstellungsosteotomie als allgemeinen Hinweis bezeichnet, der in diesem Fall ohne Aussagekraft ist. Ein weiteres vom Kläger zitiertes Buch "Praxis der Orthopädie" soll in zweiter Auflage von 1992 stammen und konnte daher für den Beklagten im Jahre 1991 nicht maßgeblich sein. Dort ist im Übrigen ausgeführt, dass von der Umstellungosteotomie allenfalls eine zeitlich begrenzte Schmerzminderung erwartet werden kann. Darüber hinaus bleibe nur die Möglichkeit eines Ersatzes durch eine Totalendoprothese. Diese Darstellung unterscheidet sich damit nicht von der umfangreichen Literatur, die der Sachverständige ausgewertet hat. Insbesondere steht sie seiner Feststellung nicht entgegen, es gebe keine überzeugende Darstellung in der Literatur, aus der hervorgeht, dass mit großen Chancen für eine dauerhafte Wiederherstellung eine Osteotomie ein unabdingbares Operationsverfahren ist. Eine weitere sachverständige Erläuterung zu diesem Punkt ist daher nicht erforderlich.