Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 23.11.1994, Az.: 9 L 5351/92

Bebauungsplan; Gemeindeverkehrsfinanzierung; Heranziehungsbescheid; Erschliessungsbeitrag; Erschließungsanlage

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
23.11.1994
Aktenzeichen
9 L 5351/92
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1994, 14014
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1994:1123.9L5351.92.0A

Verfahrensgang

vorgehend
3 A 30/91

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade - 3. Kammer Lüneburg - vom 30. Juni 1992 geändert.

Der Heranziehungsbescheid der Beklagten vom 20. November 1989 und deren Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 1990 werden aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des gesamten Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

1

I.

Der Kläger ist Eigentümer des 1.459 qm großen, u.a. mit einem Wohnhaus bebauten Flurstücks 58/5 der Flur 1 der Gemarkung .... Das Grundstück grenzt mit einer schmalen Schrägseite an die Straße "..." und mit einer längeren Seite an einen öffentlichen Stichweg, der auf diese Straße führt, und zwar im Bereich der Einmündung in die ... Landstraße. Die Straße "..." liegt im nördlichen Bereich des Ortsteils ... der Beklagten. Sie zweigt im Westen von der ... Landstraße - der L ... - ab, verläuft in östlicher Richtung und stößt nach etwa 600 m auf die ... straße. Südlich der Straße "..." befindet sich, an die ... Landstraße angelehnt sowie beidseitig der ... Straße ein Gebiet, in dem sich gewerbliche Betriebe niedergelassen haben. An der nördlichen Seite liegt, großenteils durch einen Stichweg mit der Straße "..." verbunden, nahe der Einmündung zur ... Landstraße eine kleinere Wohnsiedlung. An die weitere, in östlicher Richtung verlaufende längere Nordseite der Straße grenzen Grünflächen an. An der Südseite der Straße östlich der Einmündung der Nebenstraße "..." erstreckt sich ebenfalls eine Grünfläche, daran schließt sich ostwärts eine gemeindliche Veranstaltungshalle mit vorgelagerten Parkplätzen an. Es folgen in östlicher Richtung ein Spielplatz, ein Gebäude für eine gemeindliche Schießsportanlage sowie eine weitere Parkfläche. In südöstlicher Richtung befindet sich, der Veranstaltungshalle benachbart, der unter anderem an die Kirchstraße angelehnte historische Ortskern von ....

2

Am 27. März 1979 beschloß der Rat der Beklagten den Bebauungsplan "... 21, Nördlicher Ortskern". In diesem Plan wurde eine neue Straßenverbindung, die spätere Straße "..." als Abschnitt einer Nordtangente zwischen der ... Landstraße und der ... ausgewiesen. Diese Straße sollte dem Zweck dienen, den Verkehr im Ortskern von ... zu entlasten und außerdem die verkehrsmäßige Anbindung für eine noch zu errichtende Veranstaltungshalle zu schaffen. Die Straße wurde in den Jahren 1980 bis 1983 einschließlich beidseitiger Gehwege, der Anlage für eine Straßenentwässerung und der Beleuchtungseinrichtung hergestellt. Dabei wurde die bisher in nordwestlicher Richtung in etwa geradlinig bis zur ... Landstraße verlaufende ... Straße in der Weise verändert, daß sie nunmehr, mit einer Kurve in nördliche Richtung verschwenkt, an die Straße "..." herangeführt wurde und über diese Straße mittelbar eine Verbindung zur ... Landstraße erhielt. Die Baumaßnahme wurde mit Fremdmitteln aufgrund des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes - GVFG - vom 13. März 1972 (BGBl. I S. 501) und der Richtlinien zur Durchführung dieses Gesetzes - R-GVFG - vom 3. April 1973 (Nds.MBl. S. 801) gefördert (u.a. Bescheid der Bezirksregierung Lüneburg vom 14. 6. 1979 über eine Bewilligung von 500.000,-- DM für das Haushaltsjahr 1979). Nach Fertigstellung der Straße "..." beschloß der Rat der Beklagten am 26. September 1983 den Bebauungsplan "... 25, ..."; in ihm wurden in einem Teilbereich südlich der Straße erweiterte Flächen für den Gemeinbedarf, u.a. für die Veranstaltungshalle und eine gemeindliche Schießsportanlage ausgewiesen. Durch einen Ratsbeschluß vom 20. Dezember 1984 widmete die Beklagte die Straße "..." als Gemeindestraße, nach Angaben der Beklagten wurde die Widmung am 21. März 1985 wirksam. Die Straße war ursprünglich im Hinblick auf eine ihr zugedachte überörtliche Verkehrsfunktion im Zuge der Nordtangente als Kreisstraße vorgesehen gewesen, die Verwirklichung der gesamten Nordtangente wurde jedoch im Jahre 1984 aufgrund einer Verkehrsprognose fallengelassen, nach der eine den weiteren Ausbau rechtfertigende Verkehrsbelastung nicht zu erwarten sei.

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Die Beklagte ermittelte die Gesamtkosten für die Herstellung der Straße auf 1.400.973,55 DM. Darauf rechnete sie die aufgrund des GVFG gewährten Zuwendungen in Höhe von 758.082,84 DM an. Ausgehend von einem umlagefähigen Erschließungsaufwand von 642.891,31 DM zog sie den Kläger durch Bescheid vom 20. November 1989 unter Hinweis auf ihre Erschließungsbeitragssatzung vom 26. Mai 1983 (ABl. LK Harburg S. 391) in der Fassung der Änderungssatzung vom 25. September 1985 (ebenfalls veröffentlicht im ABl. LK Harburg) für das Flurstück 58/5 zu einem Erschließungsbeitrag in Höhe von 11.494,44 DM heran. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde durch Bescheid vom 28. Juni 1990 (zugegangen am 2. 7. 1990) als unbegründet zurückgewiesen.

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Der Kläger hat am 1. August 1990 Klage erhoben und beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 20. November 1989 und deren Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 1990 aufzuheben.

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Die Beklagte ist dem entgegengetreten.

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Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit einem Urteil vom 30. Juni 1992 abgewiesen; auf die Gründe der Entscheidung wird Bezug genommen.

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Gegen das ihm am 18. September 1992 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 19. Oktober 1992 - einem Montag - Berufung eingelegt. Er macht unter anderem geltend, daß es nicht gerechtfertigt sei, die privaten Anlieger mit einem Erschließungsbeitrag zu den Kosten für die Herstellung der Straße "..." auf gesamter Länge zu belasten.

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Der Kläger beantragt,

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das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem Klageantrag zu entscheiden.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Klage- und Berufungsverfahren wird auf deren Schriftsätze verwiesen.

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Im Rechtsmittelverfahren hat der Berichterstatter des Senats die Sache am 12. April 1994 mit den Beteiligten erörtert; auf die entsprechende Niederschrift wird verwiesen.

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Dem Senat haben die Verwaltungsunterlagen zum Heranziehungsbescheid sowie zum Widerspruchsverfahren, ferner die Unterlagen der Beklagten zum Ausbau und zur Abrechnung der Straße "..." sowie zu den genannten Bebauungsplänen vorgelegen.

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II.

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Die Anfechtungsklage muß Erfolg haben. Der das Flurstück 58/5 betreffende Heranziehungsbescheid vom 20. November 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 1990 ist nicht rechtmäßig.

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Für den durch die Herstellung der Straße "Am Göhlenbach" entstandenen Aufwand durfte die Beklagte keinen Erschliessungsbeitrag erheben, weil diese Straße keine Erschließungsanlage nach der hier lediglich in Betracht kommenden Vorschrift des § 127 Abs. 2 Nr. 1 BBauG = § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB ist.

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1. Soweit es sich um den Abschnitt der Straße "Am Göhlenbach" handelt, der sich von der Einmündung in die ...straße auf der nördlichen Seite bis zur Grenze des im Bebauungsplan "... 21" ausgewiesenen allgemeinen Wohngebietes (im Bereich gegenüber der Einmündung der ... Straße gelegen), auf der südlichen Seite bis zur Einmündung in die Straße "..." erstreckt, ist die Verkehrsanlage keine "zum Anbau bestimmte" Straße. Dieses für Erschließungsanlagen nach § 127 Abs. 2 Nr. 1 BBauG geltende Erfordernis setzt u.a. voraus, daß an der Straße (rechtlich) gebaut werden darf, d.h. daß von "Baugrundstücken zu ihr Zugang genommen werden darf" (BVerwG, Urteil v. 23. 5. 1973 - BVerwG IV C 19.72 -, Buchholz 406.11 § 127 BBauG Nr. 15 (S. 25) = DVBl. 1973, 887; Urteil v. 29. 4. 1977 - BVerwG IV C 1.75 -, BVerwGE 52, 364 (366 f.) [BVerwG 29.04.1977 - IV C 1/75]). Bei der hier gebotenen verallgemeinernden Betrachtungsweise (vgl. dazu grds. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 3. Aufl., Rdn. 317) liegt diese Voraussetzung für den vorbezeichneten Straßenabschnitt nicht vor. Für die an die nördliche, ca. 450 m lange Seite dieses Teilstücks angrenzenden Flächen ist im Bebauungsplan "... 21" vom 27. März 1979 - entsprechend den damaligen tatsächlichen Gegebenheiten - eine Nutzung als Grünfläche festgesetzt worden. Auch die südliche von der Einmündung in die ...straße bis zur Abzweigung der Straße "..." reichende, ca. 380 m lange Seite des Straßenabschnitts kann rechtlich ebenfalls nicht als anbaubare Straßenseite gesehen werden. Östlich der Straße "..." schließt sich eine in der Front 120 m lange Grünfläche an, dem folgt eine im Bebauungsplan "... 25" vom 26. September 1983 ausgewiesene Fläche für Gemeinbedarf (für eine Veranstaltungshalle, eine Schießsportanlage und u.a. für Parkplätze) mit einer Straßenfront von ca. 175 m. Das restliche Gelände bis zur Einmündung in die ...straße ist nach den planerischen Festlegungen als Parkfläche nutzbar. Soweit es den Geltungsbereich des Bebauungsplans "... 25" angeht, ist eine Bebauung lediglich mit der Veranstaltungshalle (in ihrem bisherigen Bestand) und einem 1983 noch nicht erstellten Gebäude für eine Schießsportanlage zugelassen. Die Begründung zu diesem Plan vom 2. August 1983 ergibt deutlich, daß eine Bebauung der Fläche für Gemeinbedarf auf diese beiden Anlagen begrenzt und bauliche Erweiterungen ausgeschlossen werden sollen (S. 3 f.). Ist hiervon auszugehen, so ist, insgesamt gesehen, die an der Südseite des bezeichneten Abschnitts der Straße "..." angrenzende Gesamtfläche lediglich in einem so geringen Ausmaß rechtlich bebaubar, daß auch keine "einseitige Anbaubarkeit" angenommen werden kann (vgl. zu einer noch ins Gewicht fallenden teilweisen Bebaubarkeit BVerwG, Urteil v. 26. 5. 1989 - BVerwG 8 C 6.88 -, BVerwGE 82, 102).

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2. Soweit es das sich hieran westlich anschließende Teilstück der Straße "..." angeht, liegt ebenfalls eine beitragsfähige Erschließungsanlage nach § 127 Abs. 2 Nr. 1 BBauG nicht vor. Zwar sind die an die nördliche Straßenseite angrenzenden, in einem Bereich gegenüber der Einmündung der ... Straße gelegenen Flächen im Bebauungsplan "... 21" als allgemeines Wohngebiet ausgewiesen. Auch ist westlich der Einmündung der Straße "..." durch den Plan ein allgemeines Wohngebiet und für die anliegenden Grundstücksflächen beiderseits der Einmündung der ... Straße ein Mischgebiet festgesetzt worden. Gleichwohl können diese Gebiete nicht als durch die Straße "..." verkehrsmäßig erschlossen angesehen werden, soweit für die Anliegergrundstücke - vom Bereich der Einmündung in die ... Landstraße abgesehen - mit dem Bebauungsplan "... 21" ein durchgehendes Anpflanzungsgebot festgesetzt ist mit der Folge, daß diese Grundstücke von der Straße "..." her nicht zugänglich sind. Für die Beurteilung, ob eine Straße "zum Anbau bestimmt" ist, kommt es auch darauf an, ob die anliegenden Grundstücke durch sie verkehrsmäßig erreichbar sind (vgl. dazu Driehaus, a.a.O., Rdnr. 316 ff. (318)). Soweit im Mischgebiet gelegene, gewerblich nutzbare Anliegergrundstücke gemäß den Planfestsetzungen vom Anpflanzungsgebot - ohne die Ausnahme einer Zufahrtsmöglichkeit - betroffen sind, bedarf es keiner Darlegung, daß sie über die vorgenannte Straße nicht in einer ihrer Nutzbarkeit entsprechenden Weise erreichbar sind; es kann von der Straße nicht heraufgefahren werden. Die fraglichen Grundstücke werden auch von der ... Straße her erschlossen. Soweit es sich um die im allgemeinen Wohngebiet nördlich und südlich der Straße "..." liegenden Grundstücke handelt, ist deren Erreichbarkeit ebenfalls zu verneinen, und zwar deshalb, weil das im Bebauungsplan "... 21" enthaltene Gebot, dichtwachsende Bäume und Sträucher im Bereich der straßennahen Grundstücksflächen anzupflanzen, verhindert, daß Fußgänger oder Personen aus herangefahrenen Personen- oder Versorgungsfahrzeugen die Grundstücke unter zumutbaren Umständen betreten können (zu diesem Erfordernis für das Erschlossensein eines einzelnen Grundstücks nach § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB vgl. BVerwG, Urteil v. 17. 6. 1994 - BVerwG 8 C 24.92 -, DVBl. 1995. 55); das Anpflanzungsgebot gilt nach den Festsetzungen des Bebauungsplans ohne räumliche Unterbrechungen.

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Ohne Erfolg macht die Beklagte demgegenüber geltend, das festgesetzte Anpflanzungsgebot sei nicht zwingend in dem Sinne, daß Zufahrten und Zuwegungen unzulässig seien; deshalb seien auch für Wohnhäuser, die in dem westlich der Einmündung der Straße "..." befindlichen Wohngebiet (WA-Gebiet II g) errichtet worden seien, Zufahrten und Zuwegungen zur Straße "..." ohne eine förmliche Befreiung von den Planfestsetzungen eingeräumt worden. Mit dem Bebauungsplan "... 21" sind für die dort gekennzeichneten Flächen Anpflanzungsgebote verbindlich festgesetzt worden, Ausnahmeregelungen oder -möglichkeiten hat der gemeindliche Satzungsgeber nicht vorgesehen. Wenn die Beklagte im Bereich des vorgenannten allgemeinen Wohngebiets nachträglich - im Zuge einer Parzellierung des ursprünglich einheitlichen großen Grundstücks - zu einer Verwaltungspraxis übergegangen ist, die auf eine Abweichung von dem sich aus dem Anpflanzungsgebot ergebenden rechtlichen Regelung im Sinne eines Zugangshindernisses hinausläuft, so berührt das die Verbindlichkeit der planerischen Entscheidung im Bebauungsplan vom 27. März 1979 nicht. Die Festsetzungen zu den Anpflanzungsgeboten sind auch in der Folgezeit nicht geändert worden. Sie sind für die Beantwortung der Frage maßgebend, ob die Straße zum Anbau "bestimmt" ist.

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Eine andere Beurteilung ist auch nicht mit der Begründung angezeigt, das ausnahmslos geltende Anpflanzungsgebot sei, soweit es zu Wohnzwecken nutzbare Anliegergrundstücke betreffe, rechtsfehlerhaft. Soweit es das südlich der Straße "..." gelegene genannte Wohngebiet anbetrifft, ist das zur Zeit des Bebauungsplans "... 21" im Jahre 1979 noch einheitliche, aus einem Flurstück bestehende Grundstück von der Straße "..." erschlossen worden. Soweit es das an die nördliche Straßenseite angrenzende, vom Anpflanzungsgebot betroffene Flurstück 54/1 (Grundstück ...) angeht, kann offen bleiben, ob ein ausnahmslos geltendes, den Zugang zum Grundstück möglicherweise versperrendes Anpflanzungsgebot rechtens ist. Sollte dies der Fall sein, so würde dies nur für ein einzelnes Grundstück gelten; es würde nichts daran ändern, daß die Straße "..." bei der gebotenen verallgemeinernden Betrachtungsweise in ganz überwiegender Länge - auch nicht einseitig - nicht zum Anbau bestimmt ist. Das Grundstück Steinwehe weist eine Frontlänge von ca. 100 m auf, dies ist lediglich ein Bruchteil der gesamten nördlichen Straßenseite.

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Darüber hinaus würde ein solcher Mangel nichts daran ändern, daß die Beklagte im Bebauungsplan "... 21" bestimmt hat, daß die zwischen der ... Landstraße - der L ... - und der ...straße zu schaffende Straße nach ihrer Konzeption lediglich dem Durchgangsverkehr dienen solle. Diese Straße wurde im Zuge des Vorhabens einer "Nordtangente" geplant. Es war bezweckt, mit ihr den Verkehr im Ortskern (von ...) zu entlasten, d.h. den Durchgangsverkehr aus dem Ortskern herauszuhalten. Die neue Straße wurde von der Beklagten als "überörtliche Verkehrsverbindung" bezeichnet, die "keine Anliegerfunktion" erfülle. All dies ergibt sich aus der Begründung zum Bebauungsplan "...- ... 21, Nördlicher Ortskern" vom 5. Februar 1979 (S. 1, 10, 11). Zur "weiteren Eingrünung" der Nordtangente, die zum großen Teil durch öffentliche Flächen verlaufen werde, wurde im Bereich der Misch- und allgemeinen Wohngebiete ein Anpflanzungsgebot für dichtwachsende Bäume und Sträucher vorgesehen (Planbegründung S. 4 f.). Es erscheint naheliegend, daß diese Umstände, nämlich daß die neu anzulegende Verkehrsverbindung weitgehend in öffentlicher Hand befindliche Flächen durchschneiden werde, sowie die gestalterische Maßnahme, die Misch- und Wohngebiete auf dem restlichen Straßenabschnitt zur Straße hin mit einem Gürtel dichten Bewuchses abzuschließen, die Bewertung der Beklagten wesentlich mitbeeinflußt hat, daß der zu schaffenden Verkehrsverbindung "keine Anliegerfunktion" zukomme. Folgerichtig wird in der Begründung zum Bebauungsplan "... 21" zum Ausdruck gebracht, daß die Gemeinde, von anderweitigen Zuschüssen abgesehen, die Finanzierung der Nordtangente voll übernehmen müsse (Planbegründung S. 11). Im Zusammenhang mit dieser Einschätzung steht, daß der Landkreis ... mit einem Antrag vom 30. Mai 1979 eine nach dem GVFG und den Richtlinien zur Durchführung dieses Gesetzes - R-GVFG - zu gewährende Finanzhilfe für den Ausbau der Nordtangente beantragt hat. Hierbei wurde darauf abgehoben, daß die neue Verkehrsverbindung eine "innerörtliche Hauptverkehrsstraße" (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 a) GVFG, Nr. 2 2.1 R-GVFG) darstelle.

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Die Beklagte hat ihre Einschätzung, daß die - im Jahre 1983 fertiggestellte - Straße "..." dem Durchgangsverkehr zu dienen bestimmt sei und eine Erschließungsfunktion lediglich für die im Bebauungsplan "... 25" ausgewiesene Fläche für den Gemeinbedarf zu bejahen sei, auch nicht nachträglich geändert. Sie hat den Umstand, daß infolge einer 1984 angestellten Verkehrsprognose der Ausbau eines weiteren Abschnittes der Nordtangente - zwischen der Straße "..." und der ... Chaussee - fallengelassen wurde, nicht zum Anlaß genommen, die neue Straße auch als Anliegerstraße einzustufen. Dieses Unterlassen mag seine Erklärung darin finden, daß die Beklagte in einem solchen Falle besorgen mußte, daß die inzwischen gewährten erheblichen Zuwendungen aufgrund des GVFG zurückzuzahlen seien, es ändert aber nichts daran, daß die ursprüngliche planerische Entscheidung bestehengeblieben ist. Eine Änderung in der Bewertung der Funktion der Straße kann nicht darin gesehen werden, daß die Beklagte die ursprünglich als Kreisstraße vorgesehene neue Verkehrsverbindung mit einem im Dezember 1984 gefaßten Ratsbeschluß als Gemeindestraße gewidmet hat. Denn diese straßenrechtliche Maßnahme ist keine Entscheidung des Inhalts, daß die Beklagte die Straße "..." unter Berücksichtigung ihrer Funktion als innerörtlicher Verkehrsweg nunmehr auch als anbaubare Straße eingestuft hat. Für eine entsprechende "Bestimmung" im Sinne des § 127 Abs. 2 Nr. 1 BBauG hätte es vielmehr einer dahingehenden gemeindlichen Willensäußerung bedurft, etwa einer entsprechenden Änderung des Bebauungsplans.

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3. Der noch verbleibende, im wesentlichen aus dem Bereich einer trichterförmigen Einmündung zur ... Landstraße bestehende Abschnitt der Straße "..." ist keine Erschließungsanlage nach § 127 Abs. 2 Nr. 1 BBauG, weil ihm die erforderliche erschliessungsrechtliche Selbständigkeit fehlt. Die Südseite der Einmündung wird, soweit das Anpflanzungsgebot nicht die Anliegerflächen des Mischgebiets erfaßt, aus der in einer Kurve verlaufenden Front des Grundstückes der Firma ... GmbH gebildet, das aus den Flurstücken 53/6 und 52/14 besteht. Auf der nördlichen Seite grenzt das im allgemeinen Wohngebiet gelegene, ebenfalls nicht mehr vom Anpflanzungsgebot betroffene Flurstück 58/5 (Grundstück des Klägers) mit einer Frontlänge von knapp 10 m an die sich allmählich ausweitende Straße an. Es ist zusätzlich ebenso wie weitere in dem Wohngebiet gelegene Hausgrundstücke über einen öffentlichen Weg, eine Teilfläche des im gemeindlichen Eigentum stehenden Flurstücks 88/13 = früher 88/7, das früher zur Verkehrsfläche der ... Straße gehörte, mittelbar mit der Straße "..." verbunden. Neben dem öffentlichen Stichweg erstreckt sich zur ... Straße hin eine Grünfläche. Der ca. 50 m bis 60 m lange Straßenabschnitt des Einmündungsbereichs ist nach seinem sich aus den vorgelegten fotografischen Aufnahmen in Verbindung mit dem Kartenmaterial ergebenden Erscheinungsbild ein lediglich unselbständiges Teilstück der gesamten ca. 600 m langen Anlage der Straße "..."; er vermittelt im wesentlichen die Anbindung dieser Straße und mittelbar derjenigen der ... Straße an die ... Landstraße - die L ... -. Allerdings ist anerkannt, daß auch bei einem Eindruck der Unselbständigkeit eines Straßenteils, bedingt durch die Zuordnung zur Hauptanlage, andere Gründe dazu führen können, gleichwohl eine selbständige Erschließungsanlage anzunehmen (vgl. BVerwG, Urteil v. 18. 5. 1990 - BVerwG 8 C 80.88 -, Buchholz 406.11 § 127 Nr. 61 (S. 61 ff.)). Derartige Gründe sind hier indessen nicht gegeben. Der vorliegende Fall unterscheidet sich in wesentlicher Beziehung von einem Fall, in dem das Bundesverwaltungsgericht das Erfordernis einer erschließungsrechtlichen Selbständigkeit auch bei einer in ihrer flächenmäßigen Ausdehnung kleinen Verkehrsanlage bejaht hat: Im Urteil vom 18. Mai 1990 - BVerwG 8 C 80.88 - ist trotz der "Anhängsel"-Qualität einer Stichstraße im Verhältnis zur "Haupt"-Straße die erschließungsrechtliche Selbständigkeit mit der Erwägung gerechtfertigt worden, daß die Kosten für die Herstellung einer derartigen Stichstraße, die zeitlich nach der Herstellung der "Haupt"-Straße und nach der Entstehung der auf diese Erschließungsanlage bezogenen sachlichen Beitragspflichten angefallen seien, nicht mehr auf die begünstigten Grundstückseigentümer abgewälzt werden könnten, wenn die Stichstraße nicht als selbständige Erschließungsanlage anzusehen wäre; ein solches auf die volle Kostenlast der Gemeinde und damit letztlich der Allgemeinheit hinauslaufendes Ergebnis sei nicht interessengerecht (Urteil v. 18. 5. 1990, a.a.O., S. 62 f.). Dieser Gesichtspunkt kommt hier nicht zum Tragen, weil im vorliegenden Fall die Kosten für den Ausbau des im wesentlichen aus dem Einmündungsbereich bestehenden Teilabschnittes und der restlichen Strecke der Straße "..." gleichzeitig angefallen sind und der Aufwand - das Vorliegen einer Erschließungsanlage für die gesamte Straße und die sonstigen Voraussetzungen für die Entstehung der sachlichen Beitragspflichten unterstellt - einheitlich im Wege eines Erschließungsbeitrages umgelegt werden könnte. Ist aber bei dieser Sachlage kein Grund gegeben, der eine abweichende Beurteilung rechtfertigen würde, so muß es dabei verbleiben, daß ein nach seinem Erscheinungsbild unselbständiges Straßenteilstück keine Erschließungsanlage nach § 127 Abs. 2 Nr. 1 BBauG darstellt.

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Hiernach war auf die Berufung des Klägers das angefochtene Urteil zu ändern und der Klage stattzugeben.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO iVm § 708 Nr. 10 ZPO.

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Gründe, die Revision zuzulassen (§ 132 Abs. 2. VwGO), liegen nicht vor.

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Dr. Hamann

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Dr. Claaßen

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Der Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Berthold ist wegen eines Urlaubs gehindert zu unterschreiben. Dr. Hamann