Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 21.11.1994, Az.: 18 L 5509/93
Art und Weise der Beteiligung bei Mehrarbeit und Überstunden; Anträge zur Ausübung eines Mitbestimmungsrechts durch den Personalrat; Anordnung von Mehrarbeit und Überstunden
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 21.11.1994
- Aktenzeichen
- 18 L 5509/93
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1994, 18709
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:1994:1121.18L5509.93.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Hannover - 09.09.1993 - AZ: PL A 14/91
Rechtsgrundlage
Verfahrensgegenstand
Personalvertretungsrecht des Landes Niedersachsen
In der Personalvertretungssache
hat der 18. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts - Fachsenat für Landespersonalvertretungssachen -
auf die mündliche Anhörung vom 21. November 1994
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Dembowski,
die Richter am Oberverwaltungsgericht Schwermer und Dr. Uffhausen
sowie die ehrenamtlichen Richter Grevecke und Bajog
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichts Hannover - Fachkammer für Landespersonalvertretungssachen in Hildesheim - vom 9. September 1993 wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Zwischen dem Antragsteller und dem Beteiligten besteht seit längerem Streit über die Art und Weise der Beteiligung bei Mehrarbeit und Überstunden.
In diesem Verfahren geht es um die Organisationseinheit Unternehmens- und Beteiligungsberatung. Mit Schreiben vom 4. Februar 1991 unterrichtete der Beteiligte den Antragsteller davon, daß der Leiter dieser Organisationseinheit dem Dienststellenleiter mit Schreiben vom 28. Januar 1991 nachträglich nicht vorhersehbare und planbare Mehrarbeit von sechs namentlich genannten Mitarbeitern im Zeitraum vom 2. Januar 1990 bis zum 31. Dezember 1990 im Umfang von insgesamt 1.086 Stunden angezeigt hatte.
Der Antragsteller hat daraufhin am 31. Mai 1991 das personalvertretungsrechtliche Beschlußverfahren eingeleitet und beantragt,
- 1.
einen Anerkenntnisbeschluß zu erlassen bezüglich der von ihm begehrten Feststellung, daß sein Mitbestimmungsrecht durch die im Zeitraum vom 2. Januar 1990 bis 31. Dezember 1990 für die genannten Mitarbeiter der Organisationseinheit Unternehmens- und Beteiligungsberatung durchgeführte Mehrarbeit verletzt wurde,
- 2.
den Beteiligten zu verpflichten, rechtzeitig vor Anordnung oder Zulassung von Mehrarbeit, die auf Beratungsgeschäfte in der ehemaligen DDR, auf Bewertung von börsenfähigen und - interessierten Unternehmen, auf dringliche und kurzfristige Bearbeitung von Beratungsobjekten, auf das Ausscheiden von Mitarbeitern zurückzuführen ist, dem Personalrat die Anträge zur Ausübung des Mitbestimmungsrechts vorzulegen,
- 3.
dem Beteiligten zu untersagen, ohne Zustimmung des Personalrats bzw. Ersetzung der Zustimmung des Personalrats durch die Einigungsstelle in der Organisationseinheit Unternehmens- und Beteiligungsberatung Mehrarbeit anzuordnen oder zuzulassen, die auf das Beratungsgeschäft in der ehemaligen DDR, auf die Bewertung von börsenfähigen und -interessierten Unternehmen, auf die Bearbeitung von Beratungsobjekten, auf das Ausscheiden von Mitarbeitern zurückzuführen ist.
Der Beteiligte hat beantragt,
die Anträge zu Ziffer 2) und 3) abzulehnen, und im übrigen anerkannt, daß das Mitbestimmungsrecht des Antragstellers durch die im Zeitraum vom 2. Januar 1990 bis 31. Dezember 1990 für die genannten Mitarbeiter durchgeführte Mehrarbeit verletzt wurde.
Er hat insoweit eine Verletzung des Mitbestimmungsrechts des Antragstellers eingeräumt und darauf verwiesen, daß er personalwirtschaftliche Maßnahmen für die Organisationseinheit Unternehmens- und Beteiligungsberatung getroffen habe, um eine Wiederholung zu vermeiden. Soweit der Antragsteiler mit den Anträgen zu Ziffer 2) und 3) darauf abziele, in künftigen, noch nicht absehbaren ähnlichen Situationen ein bestimmtes Verhalten des Beteiligten zu erzwingen, bestehe hierfür weder ein Rechtsschutzinteresse noch eine Rechtsgrundlage.
Mit Beschluß vom 9. September 1993 hat das Verwaltungsgericht die dem Anerkenntnis des Beteiligten entsprechende Feststellung getroffen, die Anträge des Antragstellers im übrigen jedoch als unzulässig abgelehnt, im wesentlichen aus folgenden Gründen:
Für den Antrag, den Beteiligten zu verpflichten, rechtzeitig vor Anordnung oder Zulassung von Mehrarbeit, die auf Beratungsgeschäfte in der ehemaligen DDR, auf Bewertung von börsenfähigen und -interessierten Unternehmen, auf dringliche und kurzfristige Bearbeitung von Beratungsprojekten, auf das Ausscheiden von Mitarbeitern zurückzuführen sei, ihm die Anträge zur Ausübung des Mitbestimmungsrechts vorzulegen, fehle das Feststellungsinteresse. Zum einen ergebe sich die Verpflichtung zur Beteiligung des Antragstellers unmittelbar aus § 75 Abs. 1 Nr. 2 NdsPersVG, ohne daß es hierfür eines gerichtlichen Ausspruchs bedürfte. Einen materiellrechtlichen Verpflichtungsanspruch sehe das Nds.PersVG nicht vor; ein solcher Anspruch sei auch dem Beschluß des BVerwG vom 27. Juli 1990 nicht zu entnehmen, der sich ausschließlich mit der Zulässigkeit einer einstweiligen Verfügung mit einem Anspruch verfahrensrechtlichen Inhalts befasse. Ein durch Art. 20 Abs. 3 GG gebotenes Verfahrensrecht könne jedoch nicht weiter gehen als das materielle Recht, Wenn das NdsPersVG einen materiell-rechtlichen Verpflichtungsanspruch nicht kenne, könne auch das Verfahrensrecht einen solchen Anspruch nicht begründen. Zum anderen fehle für die vom Antragsteller begehrte Verpflichtung der konkrete Bezug zu einem personalvertretungsrechtlichen Streitfall; zur Erstattung abstrakter Rechtsgutachten seien die Verwaltungsgerichte nicht berufen. Schließlich sei der Antrag so gefaßt, daß die Anordnung oder Zulassung von Mehrarbeit generell der Mitbestimmung des Antragstellers unterliege. Ein solch umfassendes Mitbestimmungsrecht sehe das Nds.PersVG in der derzeit gültigen Fassung nicht vor. Zwar bestimme der Personalrat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, bei der Anordnung von Mehrarbeit und überstunden mit. In Rechtsprechung und Literatur bestehe aber Einigkeit darüber, daß § 75 Abs. 1 Nr. 2 NdsPersVG der (einschränkenden) verfassungskonformen Auslegung dahingehend bedürfe, daß nicht die Anordnung der Mehrarbeit als solche (das "Ob" der Anordnung), sondern lediglich das "Wie" der Umsetzung in die Sphäre der Mitarbeiter, also die zeitliche Plazierung am Arbeitstag und die Verteilung auf die Wochentage, der Mitbestimmung unterliege. Danach sei zu unterscheiden, ob überhaupt und ggf. in welchem Umfang überstunden zur Erfüllung der Aufgaben der Dienststelle zu leisten seien und wie die Anordnung als solche in die Sphäre der Beschäftigten umgesetzt werde, d.h. welche Beschäftigten zu welcher Zeit konkret Mehrarbeit zu leisten hätten. Das gelte jedenfalls dann, wenn die Notwendigkeit von Mehrarbeit in nicht unbeträchtlichem Umfang voraussehbar gewesen sei und sich die Anordnung der Überstunden und deren Ableistung ohne weiteres trennen ließen. Darüber hinaus müsse es sich bei den Mitarbeitern nicht nur um ausschließlich nach der individuellen Bereitschaft ausgewählte und Somit auch nur individuell betroffene Beschäftigte, sondern um eine nach objektiven Gesichtspunkten allgemein und umfassend bestimmte Gruppe handeln. Dem Antrag zu 3) fehle ebenfalls das Feststellungsinteresse. Der Charakter des personalvertretungsrechtlichen Beschlußverfahrens als eines objektiven Verfahrens stehe einem materiell-rechtlichen Unterlassungsanspruch eindeutig entgegen. Auch die besondere Stellung der Norddeutschen Landesbank rechtfertige keine Ausnahme. Der Beteiligte habe mit Recht darauf hingewiesen, daß auch die Norddeutsche Landesbank einer Rechtsaufsicht durch den Nds. MF unterstehe. Darüber hinaus fehle auch hier der erforderliche konkrete Bezug zu einem personalvertretungsrechtlichen Streitfall. Schließlich sei der Antrag so weit gefaßt, daß er auch Situationen einbeziehe, die gar nicht mitbestimmungspflichtig seien.
Gegen den ihm am 1. Oktober 1993 zugestellten Beschluß richtet sich die am 29. Oktober 1993 eingelegte und am 5. November 1993 begründete Beschwerde des Antragstellers, mit der er sein erstinstanzliches Vorbringens vertieft und insbesondere den Rechtsausführungen des Verwaltungsgerichts zur Unzulässigkeit der weiter verfolgten Anträge entgegentritt.
Der Antragsteller beantragt,
unter teilweiser Abänderung des erstinstanzlichen Beschlusses
- den Beteiligten zu verpflichten, rechtzeitig vor Anordnung oder Zulassung von Mehrarbeit, die auf Beratungsgeschäfte in der ehemaligen DDR, auf Bewertung von börsenfähigen und interessierten Unternehmen, auf dringliche und kurzfristige Bearbeitung von Beratungsprojekten, auf das Ausscheiden von Mitarbeitern zurückzuführen ist, dem Personalrat die Anträge zur Ausübung des Mitbestimmungsrechts vorzulegen; sowie
- dem Beteiligten zu untersagen, ohne Zustimmung des Personalrats bzw. Ersetzung der Zustimmung des Personalrats durch die Einigungsstelle in der Organisationseinheit Unternehmens- und Beteiligungseinheit Mehrarbeit anzuordnen oder zuzulassen, die auf das Beratungsgeschäft in der ehemaligen DDR, auf die Bewertung von börsenfähigen und -interessierten Unternehmen, auf die Bearbeitung von Beratungsprojekten, auf das Ausscheiden von Mitarbeitern zurückzuführen ist.
Der Beteiligte beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er verteidigt insoweit den angefochtenen Beschluß.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, die Gegenstand der mündlichen Anhörung waren, Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens sind, nachdem der Beteiligte hinsichtlich des ursprünglichen Antrags zu 1. eine Verletzung des Mitbestimmungsrechts des Antragstellers anerkannt, das Verwaltungsgericht daraufhin durch Anerkenntnisbeschluß (vgl. dazu Grunsky, ArbGG, 5. Aufl., § 80 Rn. 30 m.N.) diesem Antrag entsprochen hat und ein Rechtsmittel insoweit nicht eingelegt worden ist, nur noch die vom Antragsteller weiter verfolgten ursprünglichen Anträge zu 2. und 3. Diese Anträge hat das Verwaltungsgericht indessen zu Recht abgelehnt.
1.
Im Hinblick auf das Inkrafttreten des neuen Nds.PersVG zum April 1994 und die besondere rechtliche Lage der Norddeutschen Landesbank bestehen bereits erhebliche Bedenken, ob dem Antragsteller noch das erforderliche Rechtsschutzinteresse zur Seite steht. Denn aufgrund des Staatsvertrages zwischen den Ländern Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern vom 22./23./28. Oktober 1992 (Nieders.GVBl. S. 348) ist die Norddeutsche Landesbank eine gemeinsame Anstalt dieser drei Länder. Auf sie findet gemäß § 7 Abs. 1 des Staatsvertrages das Nds.PersVG i.d.F. vom 8. August 1985 (Nieders.GVBl. S. 261), zuletzt geändert durch Gesetz vom 12. November 1991 (Nieders.GVBl. S. 293), Anwendung. Innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten des Staatsvertrages werden die Länder sich über eine Neuregelung des Personalvertretungsrechts für die Bank verständigen. Nach seinem § 15 ist der Staatsvertrag vom 12. Januar 1993 in Kraft getreten (Nieders.GVBl. S. 24).
Bei dieser Rechtslage wird das alte, zum 1. April 1994 außer Kraft getretene Nds. PersVG aufgrund der staatsvertraglichen Vereinbarung aber nur noch für eine begrenzte Übergangszeit auf die Norddeutsche Landesbank anwendbar sein. Welche Neuregelung die beteiligten Länder auch immer treffen mögen, ausgeschlossen erscheint jedenfalls, daß sie noch einmal die Geltung des außer Kraft getretenen Nds. PersVG vereinbaren. Es ist deshalb zweifelhaft, ob der Antragsteller, dessen Anträge auf die Verpflichtung des Beteiligten zu einem in der Zukunft liegenden Verhalten gerichtet sind, noch ein schützwürdiges Interesse an ihrer Verfolgung hat, da sie nach dem geltenden Staatsvertrag nur auf der Grundlage des nicht mehr geltenden Nds. PersVG a. F. beurteilt werden können.
2.
Auch wenn von diesen Bedenken abgesehen wird, müssen die weiter verfolgten Anträge des Antragstellers aber jedenfalls deshalb erfolglos bleiben, weil sie in ihrer Abstraktion von einem konkreten Anlaß zu unbestimmt sind und die Grenzen verkennen, die dem Mitbestimmungsrecht nach § 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Nds. PersVG a. F. gezogen waren. Zunächst bestand dieses Mitbestimmungsrecht schon nach § 75 Abs. 1 Satz 2 Nds.PersVG a. F. dann nicht, wenn die Notwendigkeit, Mehrarbeit oder Überstunden anzuordnen, nicht vorauszusehen war. Nach der Rechtsprechung des Senats war die Vorschrift des § 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Nds. PersVG a. F. ferner verfassungskonform dahin einzuschränken, daß nicht das "Ob" der Anordnung von Überstunden, sondern lediglich die Umsetzung solcher Anordnungen in die Sphäre der Beschäftigten der Mitbestimmung unterlag; auch dies galt nur, wenn sich die zeitliche Lage der Mehrarbeit bzw. überstunden von ihrer Anordnung ohne weiteres trennen ließ (Nds. OVG, Beschl. v. 4.11.1992 - 18 L 8485/91 -; vom 24.2.1993 - 18 L 8483/91 -). Aus diesen rechtlichen Begrenzungen ergibt sich, daß für eine vom Antragsteller erstrebte generelle Verpflichtung des Beteiligten, in Zukunft vor jeder Anordnung oder Zulassung von Mehrarbeit rechtzeitig das Mitbestimmungsverfahren einzuleiten, auf der Grundlage des hier noch anzuwendenden § 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Nds.PersVG a. F. kein Raum war, nach dieser Vorschrift die Frage, ob und inwieweit hinsichtlich der zeitlichen Lage von Mehrarbeit ein Mitbestimmungsrecht bestand, vielmehr von den konkreten Umständen des jeweiligen Anlasses abhing. Die erforderliche Konkretisierung erhält der Antrag des Antragstellers auch nicht dadurch, daß in ihm in allgemeiner Form Ursachen genannt werden, auf denen eine künftige Anordnung von Mehrarbeit beruhen kann. Denn diese allgemeinen Ursachen sagen noch nichts darüber aus, inwieweit im konkreten Einzel fall eine künftige Mehrarbeit vorhersehbar, dringlich sowie hinsichtlich Anordnung und zeitlicher Lage trennbar ist. Dies gilt in gleicher Weise für den weiter verfolgten ursprünglichen Antrag zu 3., der auf eine Untersagung einer künftigen Anordnung oder Zulassung von Mehrarbeit gerichtet ist; bei ihm kommt noch hinzu, daß ein solcher Unterlassungsanspruch dem Personalrat nach ständiger Rechtsprechung nicht zusteht (vgl. Grabendorff/Windscheid/Ilbertz/Widmaier, BPersVG, 7. Aufl., § 69 Rn. 35 m. N., § 83 Rn. 25 m. N.).
Die Beschwerde war danach zurückzuweisen.
Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen dafür nicht gegeben sind.
Schwermer,
Dr. Uffhausen,
Bajog,
Grevecke