Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 30.07.1999, Az.: 71/74 IN 145/99

Durchsuchung von Privaträumen des Geschäftsführers im Insolvenzverfahren; Beschlagnahme aufgefundener Geschäftsunterlagen; Befugnis zur Anwendung von Gewalt und des Nachsuchens der Unterstützung von polizeilichen Vollzugsbeamten im Falle des Widerstandes

Bibliographie

Gericht
AG Göttingen
Datum
30.07.1999
Aktenzeichen
71/74 IN 145/99
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1999, 29978
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGGOETT:1999:0730.71.74IN145.99.0A

Verfahrensgang

vorgehend
NULL

In dem Insolvenzantragsverfahren über
das Vermögen wird zum Zwecke
der Herausgabevollstreckung
die Durchsuchung folgender Räumlichkeiten
angeordnet:

Tenor:

  1. 1.

    Geschäftsräume der G GmbH, 37073 Göttingen

  2. 2.

    der Privaträume des Geschäftsführers

    Es wird weiter die Beschlagnahme aufgefundener Geschäftsunterlagen der Insolvenzantragsschuldnerin angeordnet.

    Der zuständige Gerichtsvollzieher wird ermächtigt, zu diesem Zwecke die Wohnung und die Geschäftsräume nebst Nebengelassen zu betraten und zu durchsuchen. Er ist befugt, verschlossene Haustüren, Zimmertüren und Behältnisse öffnen zu lassen. Er ist weiter, wenn er Widerstand vorfindet, zur Anwendung von Gewalt befugt und kann zu diesem Zweck um die Unterstützung der polizeilichen Vollzugsbeamten nachsuchen.

    Die vorstehende Ermächtigung gilt für die Dauer von 3 Monaten ab Erlass des Beschlusses.

Gründe

1

Das Insolvenzgericht hat mit Beschluss vom 2. Juli 199 einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt und gem. § 21 Abs. 2 Ziff. 2, 2 HS Ink) angeordnet, dass Verfügungen der Schuldnerin nur mit Zustimmung des vorläufigen Verwalters wirksam sind. Nach mehrfachen vergeblichen Aufforderungen des vorläufigen Verwalters hat der Geschäftsführer der Schuldnerin am Nachmittag des 26. Juni 1999 einen Teil der Geschäftsunterlagen herausgegeben. Esfehlen jedoch noch eine Vielzahl von Unterlagen, u.a. Bilanzen, Kontoauszüge und Kontoeröffnungsunterlagen über Konten bei der Sparkasse und Volksbank. Der Geschäftsführer der Schuldnerin nutzt einen Geschäftsraum in den Räumlichkeiten der G GmbH, bei der er angestellt ist. Weiter hat er den vorläufigen Verwalter auf die Frage, wo sich die übrigen Geschäftsunterlagen befinden, erklärt: "Bei mir"

2

Auf Antrag des vorläufigen Verwalters vom 28.07.199Ö war die Durchsuchung der Geschäftsräume der G und der Privaträume des Geschäftsführers und die Beschlagnahme von aufgefundenen Geschäftsunterlagen anzuordnen.

3

1)

Gemäß § 22 Abs. 3 S.2 InsO hat der Schuldner den vorläufigen Insolvenzverwalter Einsicht in seine Bücher und Geschäftspapiere zu gestatten. Für die Durchsetzung dieses Anspruches verweist die Regelung in § 22 Abs. 3 S. 3 InsO u.a. auch die §§ 97, 98 InsO.

4

Im vorliegenden Fall hat das Gericht von einer zwangsweisen Vorführung und evtl. Haftanordnungen (§ 98 Abs. 2 InsO) abgesehen. Es sind nämlich die allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsätze zu beachten (Berliner Kommentar - Biersch § 98 Rd.-Nr. 17). Es ist daher zu prüfen, ob mildere Mittel als Vorführung und insbesondere Haft in Betracht kommen (FK-lnsO/Scherbach § 20 Rd.-Nr. 10). Daher sind auch unter Geltung der Insolvenzordnung Durchsuchung der Wohn-und Geschäftsräume des Schuldners und seiner gesetzlichen Vertreter sowie die Beschlagnahme von Geschäftsunterlagen zulässig (FK-lnsO/Schmerbach §20 Rd.-Nr. 10).

5

2)

Aufgrund der Äußerung des Geschäftsführers der Schuldnerin, die übrigen Geschäftsunterlagen befänden sich bei ihm, kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie sich in den Privaträumen des Geschäftsführers befinden. Daher hat das Gericht die für die Durchsuchung von Wohnraum erforderliche besondere gerichtliche Durchsuchungsanordnung erteilt (vgl. FK-lnsO/Schmerbach § 23 Rd.-Nr. 20).

6

3)

Weiter hat das Insolvenzgericht die Durchsuchung der Geschäftsräume der Firma G GmbH angeordnet. Anerkannt ist, dass gegen einen reicht am Verfahren beteiligten Dritten die Durchsuchung und Beschlagnahme angeordnet werden kann, wenn der Verdacht besteht, dass der Dritte an einer Vermögens-Verschiebung beteiligt ist, indem er Gegenstände des Schuldners lediglich zum Schein in Gewahrsam genommen hat (FK-lnsO/Schmerbach § 20 Rd.-Nr. 10). Ob diese Voraussetzung im vorliegenden Fall gegeben sind, kann dahinstehen. Der Geschäftsführer der Insolvenzantragsschuldnerin ist zugleich Angestellter der G. Seiner Verpflichtung als Geschäftsführer zur vollständigen Herausgabe der Unterlagen ist er nicht nachgekommen. Die G muss sich das Verhalten ihres Angestellten, der zugleich als Geschäftsführer tätig ist, zurechnen lassen, mit der Folge, dass eine Durchsuchung ihrer Geschäftsräume zulässig ist. Auch in diesem Fall ist die Herausgabebereitschaft eines Dritten im Sinne des § 809 ZPO ausnahmsweise entbehrlich (vgl. AG Gelsenkirchen ZIP 1997, 2092 = EWiR 1997, J1097, 1098).

7

4)

Schließlich hat das Insolvenzgericht die Beschlagnahme aufgefundener Geschäftsunterlagen angeordnet, da auf andere Weise die Durchsetzung des Anspruchs des vorläufigen Insolvenzverwalters auf Einsichtnahme in Bücher und Geschäftspapiere (§22 Abs. 3 S. 2 InsO) nicht möglich ist. Es ist davon auszugehen, dass die unter Geltung der Konkursordnung anerkannte Beschlagnahmemöglichkeit (FK-lnsO/Schmerbach § 20 Rd.-Nr. 10) auch unter Geltung der InsO fortbesteht, insbesondere, wenn (Durchsuchung und) Beschlagnahme das mildere Mittel gegenüber einer Vorführung und evtl. Verhaftung sind.

8

5)

Um den Erfolg der Maßnahmen nicht zu gefährden, ist die Anordnung ohne vorherige Gewährung rechtlichen Gehöres getroffen worden.

Schmerbach Richter am Amtsgericht