Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 01.12.2022, Az.: 14 PA 286/22
BAföG
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 01.12.2022
- Aktenzeichen
- 14 PA 286/22
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2022, 59717
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 11.07.2022 - AZ: 3 A 1736/19
Rechtsgrundlagen
- § 24 Abs 3 BAföG
- § 20 Abs 1 BAföG
- § 25 Abs 4 BAföG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Zu den Voraussetzungen eines Antrags nach § 25 Abs. 6 BAföG nach Ablauf des Bewilligungszeitraums
Tenor:
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichter der 3. Kammer - vom 11. Juli 2022 wird zurückgewiesen.
Das Beschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Die Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung des erstinstanzlichen Klageverfahrens ist nicht begründet.
Auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens ist davon auszugehen, dass das Verwaltungsgericht die beantragte Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussicht i.S.d. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu Recht verneint hat.
Hinreichende Aussicht auf Erfolg bedeutet bei einer an Art. 3 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG orientierten Auslegung des Begriffs einerseits, dass Prozesskostenhilfe nicht erst dann bewilligt werden darf, wenn der Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung gewiss ist, andererseits aber auch, dass Prozesskostenhilfe zu versagen ist, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (BVerfG, Beschl. v. 13.3.1990 - 2 BvR 94/88 -, juris Rn. 26).
Letzteres ist hier der Fall. Die Klage hat keine hinreichende Erfolgschance. Ausgehend vom derzeitigen Sach- und Streitstand hat das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass die angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 17. Januar 2019 und vom 15. März 2019 im Hinblick auf die Rückförderung eines Betrages von 2.388,00 Euro voraussichtlich nicht zu beanstanden sein werden. Der Senat macht sich die zutreffenden Erwägungen des angefochtenen Beschlusses zu Eigen und verweist deshalb auf sie (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).
Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Einschätzung. Die Klägerin trägt im Kern lediglich vor, das Verwaltungsgericht habe bislang in keiner Weise geprüft, ob der Rückforderung Vertrauensschutzgesichtspunkte entgegenstünden. Entgegen der Auffassung der Klägerin ergibt sich aus § 20 Abs. 1 BAföG aber keineswegs, dass die §§ 44 bis 50 SGB X im Falle einer Rückforderung nach § 20 Abs. 1 Nr. 4 BAföG anzuwenden sind. Diese Regelung ist vielmehr eine eigenständige und in sich geschlossene Anspruchsgrundlage, die einen Rückgriff auf Vertrauensschutzgesichtspunkte nach den §§ 44 ff. SGB X nicht zulässt (vgl. Rauschenberg, in: Rothe/Blanke, BAföG, Stand: November 2021, Band 2, § 20 Rn. 20.2). Der Hinweis auf die §§ 44 bis 50 SGB X in § 20 Abs. 1 BAföG bedeutet lediglich, dass sich in den von § 20 Abs. 1 Nrn. 3 und 4 BAföG nicht erfassten Fällen die Aufhebung des Förderungsbescheides nach den Voraussetzungen dieser Vorschriften richtet (vgl. Rauschenberg, in: Rothe/Blanke, BAföG, Stand: November 2021, Band 2, § 20 Rn. 3.2).
Soweit die Klägerin darüber hinaus mit ihrer Beschwerde geltend macht, das Verwaltungsgericht habe übersehen, dass für den hier streitgegenständlichen Zeitraum zum Zeitpunkt der Stellung des Härtefallantrags mit Schreiben vom 11. Dezember 2018 noch gar keine abschließende rechtskräftige Entscheidung vorgelegen habe, ist für den Senat nicht recht verständlich, was sie damit in der Sache geltend machen will. Sollte sie meinen, über ihren - im Bewilligungszeitraum gestellten - Aktualisierungsantrag sei zu diesem Zeitpunkt noch nicht entschieden worden, ist das nicht nachvollziehbar. Denn die Beklagte hat - wie die Klägerin selbst vorträgt - bereits am 30. November 2016 über diesen Aktualisierungsantrag entschieden (Bl. 117 des Verwaltungsvorgangs). Sollte die Klägerin dagegen meinen, die Beklagte habe erst zu einem späteren Zeitpunkt, nämlich mit Bescheid vom 17. Januar 2019, über die Aufhebung des Vorbehalts nach § 24 Abs. 3 Satz 3 BAföG entschieden, trifft das zwar zu, rechtfertigt aber voraussichtlich keine andere rechtliche Beurteilung ihres Härtefallantrags.
Das Verwaltungsgericht hat zu Recht hervorgehoben, dass ein Härtefallantrag nach § 25 Abs. 6 BAföG entgegen dem Wortlaut der Regelung auch noch nach Ablauf des Bewilligungszeitraums gestellt werden kann, wenn dem Auszubildenden die geänderten Umstände erst nachträglich bekannt werden. Der Antrag muss in diesem Fall jedoch unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern gestellt werden; es gelten nach wie vor die vom Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 15. November 1990 (- 5 C 78.88 -, juris) entwickelten Maßgaben (vgl. zum Ganzen Rauschenberg, in: Rothe/Blanke, BAföG, Stand: November 2021, Band 2, § 25 Rn. 48 m.w.N.). Bis zum Ergehen der abschließenden Entscheidung über den Förderungsantrag darf der Auszubildende mit der Stellung des Antrags aber grundsätzlich nur warten, wenn er erst im Zusammenhang mit dieser Entscheidung erkennen kann, dass das vom Amt für Ausbildungsförderung in Ansatz gebrachte Einkommen zu einer Anrechnung auf den Bedarf und damit zu einer Rückforderung der unter Vorbehalt geleisteten Ausbildungsförderung führt. Werden dem Auszubildenden schon vorher Umstände bekannt, die derartige Folgewirkungen erwarten lassen, hat er Gründe, die nach seiner Auffassung die Zuerkennung eines Härtefreibetrages nach § 25 Abs. 6 BAföG rechtfertigen können, bei der Behörde unverzüglich geltend zu machen (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.11.1990 - 5 C 78.88 -, juris Rn. 20).
Auf der Grundlage des derzeitigen Sach- und Streitstandes begegnet die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Klägerin habe einen Härtefallantrag daran gemessen nicht unverzüglich gestellt, keinen durchgreifenden Bedenken. Das Verwaltungsgericht hat angenommen, aus dem Schreiben der Klägerin, welches bei der Beklagten am 5. Oktober 2018 eingegangen sei (Bl. 177 der Verwaltungsvorgänge), sei eindeutig zu erkennen, dass der Klägerin jedenfalls zu diesem Zeitpunkt alle erheblichen Umstände bereits bekannt gewesen seien. In dem Schreiben führt die Klägerin aus, dass ihre Mutter im Jahre 2016 aufgrund ihrer Krankheit über mehrere Monate in einem Pflegeheim gelebt habe. Im Jahre 2016 sei auch die Berufsunfähigkeitsrente ausgezahlt worden. Wegen der Auszahlung dieser Rente hätten die Heimkosten von ihrer Mutter selbst getragen werden müssen. Diese seien vom ehemaligen Betreuer überwiesen worden. Für die Klägerin war damit klar zu erkennen, dass sich die Einkommensverhältnisse ihrer Mutter (auch) für das Jahr 2016 entscheidend geändert hatten (Nachzahlung der Rente in erheblicher Höhe von 21.046,55 Euro). Sie musste daher damit rechnen, dass das bislang für den streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum in Ansatz gebrachte Einkommen zu niedrig bemessen sein könnte und sie deshalb mit einer Rückforderung der unter Vorbehalt geleisteten Ausbildungsförderung konfrontiert werden könnte. Zugleich war für die Klägerin ersichtlich, dass wegen der gleichzeitigen Übernahme der Heimkosten ein Umstand vorlag, dem im Rahmen eines Härtefallantrages Rechnung getragen werden könnte. Entgegen ihrer Auffassung ist es nicht erforderlich, dass jede Einzelheit der Einkommensverhältnisse bekannt ist.
Auf den entsprechenden Hinweis des Verwaltungsgerichts hat die Klägerin nichts vorgetragen, was ihre Behauptung, sie habe frühestens im November, möglicherweise sogar erst im Dezember 2018 die entsprechenden Informationen zu den finanziellen Verhältnissen ihrer Mutter erhalten, nachvollziehbar erscheinen lässt. Sie hat auch sonst keine Erklärung dafür geboten, dass sie nicht spätestens Anfang Oktober 2018 einen Antrag nach § 25 Abs. 6 BAföG gestellt hat. Dass der Betreuer ihrer Mutter ihr erst im November oder sogar erst im Dezember 2018 ausdrücklich zu einem Härtefallantrag geraten haben mag, ändert nichts daran, dass ihr nach den obigen Ausführungen die maßgeblichen Umstände für eine etwaige Rückforderung und für die mögliche Zuerkennung eines Härtefreibetrages spätestens seit Anfang Oktober 2018 bekannt waren. Dem Vorbringen der Klägerin ist kein Grund dafür zu entnehmen, warum sie angesichts der ihr vorliegenden Informationen nicht dazu in der Lage gewesen sein könnte, diese entsprechend zu bewerten und der Beklagten gegenüber unverzüglich geltend zu machen.
In ihrer Beschwerdebegründung ist die Klägerin auf diese - den angefochtenen Beschluss tragenden - Gesichtspunkte nicht mehr eingegangen. Aus dem als Anlage zur Beschwerdebegründung übermittelten Schreiben des Betreuers der Mutter der Klägerin vom 1. März 2019 ergeben sich hierzu keine weiterführenden Informationen. Zu den zeitlichen Abläufen enthält es vielmehr den Hinweis, dass sich die Nachforschungen und Beschaffungen von Unterlagen nach der Übernahme der Betreuung im Juli 2016 „über ein Jahr hingezogen“ haben sollen und die „Nachmeldung der zugeflossenen Beträge (...) im Zeitpunkt des Übergangs der gesetzlichen Betreuung (...) nicht im Blickpunkt“ war. Damit ist aber nicht im Ansatz erklärt, dass die Klägerin von den maßgeblichen Umständen bis Ende 2018 keine Kenntnis gehabt haben will. Aus dem Schreiben des Betreuers vom 10. Mai 2018 ergibt sich lediglich, dass „die neue Beschaffung der alten Unterlagen (...) bis heute noch nicht abgeschlossen“ ist. Der Betreuer bat in diesem Zusammenhang um eine „Stundung der Angelegenheit für einige Wochen“.
Nur der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass die Beklagte in ihrer Klageerwiderung die von der Klägerin mit ihrer Klageschrift angegriffene Berechnung des maßgeblichen Einkommens ihrer Mutter nachvollziehbar erläutert und insbesondere zutreffend darauf hingewiesen hat, dass sich die Anrechenbarkeit von Zahlungen auf das Einkommen nach dem Zuflussprinzip richtet (vgl. hierzu auch OVG Berl.-Bbg., Beschl. v. 20.11.2015 - OVG 6 N 69/15 -, juris Rn. 6).
Gerichtskosten werden gemäß § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO nicht erhoben. Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO werden die Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht erstattet.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).