Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 07.12.2022, Az.: 8 LA 90/21

Streitwert; Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
07.12.2022
Aktenzeichen
8 LA 90/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 59805
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 28.04.2021 - AZ: 5 A 226/18

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Der pauschalierende Eckwert des Streitwertkatalogs von 15.000 € in berufsrechtlichen Verfahren nichtärztlicher Gesundheitsberufe dient der Vereinheitlichung und Vorhersehbarkeit der Streitwertbemessung vor allem im Interesse der Beteiligten und der Vermeidung von Einzelfallermittlungen des Gerichts.

Tenor:

Das Verfahren wird eingestellt, nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben. Das Urteil des Verwaltungsgerichts - 5. Kammer - vom 28.04.2021 ist unwirksam.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren und das erstinstanzliche Klageverfahren auf 15.000 EUR festgesetzt; insoweit wird der Streitwertbeschluss des Verwaltungsgerichts vom 28. April 2021 geändert.

Gründe

Aufgrund der beiderseitigen Erledigungserklärungen ist das Verfahren einzustellen und die Unwirksamkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts auszusprechen (vgl. §§ 92 Abs. 3 Satz 1; 173 VwGO i. V. m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO analog).

Entsprechend ihrer mit Schriftsatz vom 22.11.2022 erklärten Bereitschaft zur Kostenübernahme trägt die Klägerin die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen (§ 161 Abs. 2 VwGO).

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG. In Anwendung von Nr. 14.1 und im Vergleich mit Nrn. 16.1 und 54.1, 54.2., 54.3.1 sowie 54.3.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (https://www.bverwg.de/user/data/media/streitwertkatalog.pdf) hält der Berichterstatter in Absprache mit den Mitgliedern des Senats einen Streitwert von 15.000 € für angemessen und ausreichend, um das wirtschaftliche Interesse der Klägerin an dem Verfahren abzubilden:

Bei dem Eckwert des Streitwertkataloges handelt es sich um einen „gegriffenen“ Wert, der entsprechend dem Grundgedanken des Katalogs, zur Vereinheitlichung und Vorhersehbarkeit der Streitwertfestsetzung vor allem im Interesse der Beteiligten beizutragen (vgl. Vorbemerkungen z. Streitwertkatalog 2004, NVwZ 2004, 1327), die übliche Spanne von Einkommen aus der betreffenden beruflichen Tätigkeit abdecken soll, und der daher vom Senat in seiner ständigen Festsetzungspraxis bei Verfahren, die die Berufsausübung nichtärztlicher Gesundheitsberufe betreffen, regelmäßig angesetzt wird, unabhängig davon, ob der Betreffende selbstständig bzw. freiberuflich tätig oder abhängig beschäftigt ist (vgl. aus der Senatsrechtsprechung: Senatsbeschl. v. 18.01.2017 – 8 LA 162/16 –, juris, Rn. 17 [Hebamme]; v. 17. 2.2016 – 8 ME 213/15 –, juris [Rettungsassistent]; v. 4.3.2014 – 8 LA 138/13 –, juris Rn. 25 [Hebamme]; v. 27.5.2009 - 8 ME 62/09 -, juris u. Rechtsprechungsdatenbank des Gerichts [Krankenpfleger]; v. 23.12.2004 - 8 ME 169/04 -, BeckRS 2005, 20582 [Altenpflegerin]; zuletzt Beschl. v. 25.8.2022 – 8 LC 110/20 –, n.v. [Gesundheits- u. Krankenpflegerin]; ebenso z.B. auch OVG Bremen, Urt. v. 2.10.2019 – 2 B 229/19 –, juris Rn. 14 [Physiotherapeut]; Bayerischer VGH, Beschl. v. 17.6.2020 – 21 ZB 18.1807 –, juris Rn. 31 [Hebamme]; v. 20.2.2020 – 21 CS 19.660 –, juris Rn. 24 [Gesundheits- und Krankenpflegerin] u. Urt. v. 2.3.2010 – 21 B 08.3008 –, juris 33 [Altenpfleger]; OVG Thüringen, Beschl. v. 2.4.2020 – 3 EO 231/19 –, juris Rn. 29 [Krankenschwester]).

Davon abzuweichen, besteht auch unter Berücksichtigung der vom Verwaltungsgericht zur Grundlage seiner Streitwertfestsetzung genommenen Mitteilung des erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Klägerin, die beiden zusammen mit ihrem Ehemann betriebenen Praxen hätten im Jahr 2016 einen „… betrieblichen Gewinn von 121.372,67 €“ erzielt, kein hinreichender Anlass. Es geht bei der Streitwertbemessung darum, das wirtschaftliche Interesse an der Ausübung des Berufes zu erfassen. Der Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben (sog. Einnahmeüberschussrechnung – EÜR - nach § 4 Abs. 3 EStG) ist dafür keine ausreichende Grundlage. Es handelt sich um eine vereinfachte Gewinnermittlungsmethode, bei der Sonderausgaben, d. h. insbesondere Aufwendungen für die Alterssicherung und die Krankenversicherung, sowie außergewöhnliche Belastungen (§ 2 Abs. 4 EStG) und auch Freibeträge (§ 2 Abs. 5 EStG), wie etwa der Grund- und die Kinderfreibeträge, (noch) nicht abgezogen sind (§§ 2 Abs. 1 Nrn. 1 und 2; 4 Abs. 1 und 3 EStG). Erst unter Berücksichtigung solcher Abzugsbeträge würde sich aber ein realistisches Bild des wirtschaftlichen Interesses des Betreffenden an der Fortführung seiner beruflichen Tätigkeit ergeben, die Grundlage der Streitwertbemessung sein soll. Das macht im Übrigen auch die Überlegung deutlich, dass etwa ein Jahresgewinn von 15.000 €, wie er dem Mindestbetrag der Nrn. 14.1, 54.1, 54.2., 54.3.1 und 54.3.2 des Streitwertkataloges entspricht, kaum das Existenzminimum erreichen würde, wenn die genannten Aufwendungen außer Betracht blieben. Entsprechende Einzelfallermittlungen zu vermeiden, ist aber gerade Ziel der pauschalierenden Ansätze für die Streitwertbemessung durch den Streitwertkatalog.

Der von der Klägerin erzielte Gewinn von rd. 120.000 €, den sie mit ihrem Ehemann als Betriebs(mit)inhaber teilt, liegt – unter Berücksichtigung der bei Arbeitnehmern (im Wesentlichen) zur Hälfte vom Arbeitgeber getragenen Sozialversicherungsaufwendungen – noch im Rahmen eines durchschnittlichen Einkommens. Das macht der Vergleich mit den durchschnittlichen Bruttoverdiensten von Arbeitnehmern deutlich, die 2016 monatlich 3.703 €, d. h. 44.436 € im Jahr (https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Verdienste/Verdienste-Verdienstunterschiede/Tabellen/liste-bruttomonatsverdienste.html#134694), betrugen, sodass das Interesse an der Fortführung des Berufs mit einem Streitwert von 15.000 € angemessen bewertet ist. Der vom Verwaltungsgericht erstinstanzlich angesetzte höhere Streitwert von 50.000 € ist daher von Amts wegen herabzusetzen (§ 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).