Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 01.12.2022, Az.: 1 KN 147/20

Abwägungsentscheidung; Bebauungsplan; Festsetzung; Fortgeltung; Gebietsänderungsvertrag; Gemeindegebiet; Gemeindegebiet, Änderung; Gemeindegebietsübergreifender Bebauungsplan; Gemeindegrenze; Gemeinsamer Bebauungsplan; interkommunales Abstimmungsgebot; Planungshoheit; Satzungsgewalt

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
01.12.2022
Aktenzeichen
1 KN 147/20
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2022, 59788
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Fundstellen

  • DÖV 2023, 266
  • NordÖR 2023, 119
  • ZAP EN-Nr. 291/2023
  • ZAP 2023, 432

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Es verstößt nicht gegen die nach § 2 Abs. 1 Satz 1 BauGB auf das eigene Gemeindegebiet begrenzte Planungsbefugnis, wenn zwei Gemeinden ein gemeindegebietsübergreifendes Wohngebiet durch Bebauungsplan dergestalt festsetzen, dass jede Gemeinde Festsetzungen (nur) für ihr eigenes Gemeindegebiet trifft, der Planung aber eine einheitliche, auf das gesamte Baugebiet bezogene Abwägungsentscheidung zugrunde liegt und eine einheitliche Planzeichnung und -begründung unter eindeutiger Kennzeichnung der Plangebiets- und Gemeindegrenzen erstellt wird.

2. Überlässt eine Gemeinde mittels eines Gebietsänderungsvertrags Teile ihres Gemeindegebiets an eine Nachbargemeinde, lässt dies die Rechtswirksamkeit der Festsetzungen eines für das überlassene Gebiet bestehenden Bebauungsplans grundsätzlich unberührt.

3. Landesrecht kann die Gemeinden zu abweichenden Regelungen bezüglich der Fortgeltung der Festsetzungen eines Bebauungsplans in einem Gebietsänderungsvertrag ermächtigen. Von dieser Möglichkeit hat Niedersachsen mit § 26 Abs. 1 Satz 1 NKomVG Gebrauch gemacht.

Tenor:

Soweit die Antragstellerinnen zu 1. und 2. ihren Antrag zurückgenommen haben, wird das Verfahren eingestellt.

Der Antrag des Antragstellers zu 3. wird abgelehnt.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens zu jeweils einem Drittel. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Vollstreckungsschuldner können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweilige Vollstreckungsgläubigerin zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Antragsteller zu 3. wendet sich - nach Rücknahme des gleichgerichteten Antrags der Antragstellerinnen zu 1. und 2. - gegen den Bebauungsplan Nr. 30 der Antragsgegnerin „Westlich K.“; er befürchtet insbesondere eine Belästigung durch Freizeit- und Verkehrslärm sowie einen Verlust seiner bisherigen Feldrandlage.

Die Antragstellerin zu 1. ist Eigentümerin des Grundstücks A-Straße; die Antragstellerin zu 2. ist Eigentümerin des Grundstücks B-Straße. Der Antragsteller zu 3. ist Miteigentümer des Grundstücks E-Straße. Die Grundstücke der Antragsteller zu 1. und 3. liegen im Gemeindegebiet der Antragsgegnerin; das Grundstück der Antragstellerin zu 2. befindet sich im Gebiet der Gemeinde E-Stadt. Alle drei Grundstücke sind mit selbst genutzten Wohnhäusern bebaut. Das Grundstück des Antragstellers zu 3. liegt nördlich des Plangebiets und westlich der geplanten Einmündung der weiteren Erschließungsstraße in die Straße E.. Zwischen seiner östlichen Grundstücksgrenze und der Einmündung liegen öffentlichen Zwecken dienende Grundstücke; die Entfernung beträgt rund 25 m; zwischen Wohnhaus und Einmündung liegen rund 50 m.

Mit dem angegriffenen Bebauungsplan verfolgt die Antragsgegnerin gemeinsam mit der angrenzenden Gemeinde E-Stadt in Übereinstimmung mit dem im Parallelverfahren geänderten Flächennutzungsplan der Samtgemeinde N. (Feststellungsbeschluss zur 23. Änderung am 19.12.2019, Genehmigung am 28.4.2020, Bekanntmachung am 6.6.2020) das Ziel, in der Nähe des Bahnhofs und des Ortskerns in unmittelbarem Anschluss an bestehende Wohnbebauung neue Wohnbauflächen auszuweisen. Zu diesem Zweck setzt der angegriffene Plan, den die beiden Gemeinden in zeitlich und inhaltlich koordinierten, aber jeweils selbstständig durchgeführten Verfahrensschritten (Satzungsbeschlüsse der Antragsgegnerin am 22.6.2020 und der Gemeinde E-Stadt am 27.1.2020) aufgestellt haben, auf dem südlich bzw. westlich an die bestehende Ortslage anschließenden Ackerland Wohnbauflächen für 60 bis 70 Bauplätze fest. Bei Planungsbeginn lag nur ein kleiner Teil des Plangebiets, nämlich ein Grünstreifen im Norden sowie ein Teil der bereits bestehenden Straße E. auf dem Gebiet der Antragsgegnerin. Anlässlich des Planungsverfahrens verständigten sich die beiden beteiligten Gemeinden darauf, dass die nördliche Hälfte des Plangebiets zukünftig zu der Antragsgegnerin gehören sollte. Der Gebietsänderungsvertrag vom 26. Mai/25. Juni 2020 wurde am 2. September 2020 vom Landkreis Schaumburg genehmigt und in dessen Amtsblatt vom 30. Oktober 2020 - nach Inkrafttreten des angegriffenen Bebauungsplans am 30. September 2020 - bekannt gemacht.

Die verkehrliche Erschließung des neuen Baugebiets erfolgt über ein Ringstraßensystem, das im Norden bzw. Osten des Plangebiets an die Straßen E. und K. angebunden ist. Ausweislich eines im Planverfahren eingeholten Verkehrsgutachtens können diese Straßen den zu erwartenden Mehrverkehr von rund 500 Kfz/Tag aufnehmen. Nach Westen setzt der Plan eine Anbindung an den N. Weg fest, dessen Ausbau allerdings nicht vorgesehen ist.

Die Antragstellerinnen zu 1. und 2. erhoben gemeinsam mit weiteren Anwohnern im Planaufstellungsverfahren eine Vielzahl von Einwänden. Insbesondere begehrten sie auch unter Berufung auf entsprechende frühere Äußerungen des Bürgermeisters der Antragsgegnerin die Freihaltung des Ackers von Bebauung, um den Naherholungswert und das Landschaftsbild zu bewahren. Zudem wandten sie sich gegen den von der angestrebten Wohnnutzung ausgehenden Lärm. Diese Einwände wies die Antragsgegnerin zurück. Soweit seinerzeit geäußert worden sei, dass eine weitere Bebauung nicht erfolgen solle, binde das die Gemeinde nicht auf ewig. Ihre Aufgabe sei es vielmehr, den erheblichen Bedarf an Wohnbauflächen zu decken. Dabei könne der einzelne Anlieger kein Recht auf Freihaltung von Sichtbeziehungen in die freie Landschaft für sich reklamieren. In Bezug auf die Verkehrsentwicklung und die zukünftig zu erwartende Immissionssituation seien keine erheblichen Beeinträchtigungen der bestehenden Wohnsiedlungsbereiche zu erwarten.

Die Antragstellerin zu 1. hat am 14. Oktober 2020, die weiteren Antragsteller haben am 20. Mai 2021 Normenkontrollantrag gestellt. Namentlich der Antrag des Antragstellers zu 3. sei zulässig, weil er sich auf einen abwägungserheblichen Belang, nämlich auf eine Zunahme des Verkehrs und der damit verbundenen Lärmimmissionen berufen könne. Er wohne direkt neben der nördlichen Zufahrt des Neubaugebiets, für die eine Belastung von bis zu 500 Kfz/Tag prognostiziert werde. Seine Antragsbefugnis resultiere zudem aus dem Verlust der bislang freien Feldsicht, den neu entstehenden Einsichtsmöglichkeiten auf sein Grundstück und der Belastung durch Freizeitlärm aus dem zukünftig angrenzenden Wohngebiet. Er wohne außerdem neben dem Regenrückhaltebecken, dessen Errichtung zu Bauschäden führen könne. In der Sache sei der Plan bereits in formeller Hinsicht rechtswidrig, weil grenzüberschreitend geplant worden sei. Aus der nachträglichen Gebietsänderung resultiere zudem ein Abwägungsmangel. Das Planungsziel der planenden Gemeinden sei jeweils auf die Deckung des in ihrer Gemeinde bestehenden Wohnbedarfs bezogen gewesen. Damit stehe es nicht in Einklang, dass die Gemeinde E-Stadt bereits wenige Monate nach Satzungsbeschluss einen erheblichen Teil ihres Gebiets an die Antragsgegnerin übertragen habe. Weitere Abwägungsmängel folgten aus der unzureichenden Behandlung der Verkehrssituation und der fehlenden Abwägung des Interesses der Anwohner am Erhalt ihrer freien Aussicht. Der Plan verstoße auch gegen Raumordnungsrecht, das verlange, dass sich neue Wohnbebauung an bestehende Baugebiete, und zwar solche der eigenen Gemeinde, anschließe. Schließlich sei die 23. Änderung des Flächennutzungsplans erst nach dem Satzungsbeschluss der Gemeinde E-Stadt in Kraft gesetzt worden; daher sei auch das Entwicklungsgebot verletzt.

Nachdem die Antragstellerinnen zu 1. und zu 2. ihre Normenkontrollanträge in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen haben, beantragt der Antragsteller zu 3.,

den im Amtsblatt für den Landkreis Schaumburg vom 30. September 2020 bekannt gemachten Bebauungsplan Nr. 15 / Nr. 30 „Westlich Kornweg“ in der Fassung der 1. Änderung, bekannt gemacht im Amtsblatt des Landkreises Schaumburg vom 30. September 2021, für unwirksam zu erklären.

Die Antragsgegnerin und die Beigeladene beantragen,

den Antrag abzulehnen.

Der Antrag sei aufgrund fehlender Antragsbefugnis bzw. fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, aber auch unbegründet. Mit der Planung werde ein Neubaugebiet in attraktiver Lage entwickelt. Die damit einhergehenden Belastungen der Nachbarschaft bewegten sich im Bereich des Üblichen und seien zumutbar.

Anträge der Antragstellerin zu 1., die Bebauungspläne vorläufig außer Vollzug zu setzen, hat der Senat mit Beschlüssen vom 3. März 2021 (1 MN 163/20, juris, und 1 MN 164/20, n.v.) als unzulässig abgelehnt. Das Baugebiet ist nach Auskunft der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung mittlerweile zu etwa 80 % ausgenutzt. Im Amtsblatt für den Landkreis Schaumburg vom 30. September 2021 haben die Antragsgegnerin und die Gemeinde E-Stadt eine unselbstständige 1. Änderung des angegriffenen Bebauungsplans bekannt gemacht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie die beigezogenen Vorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Soweit die Antragstellerinnen zu 1. und zu 2. ihre Normenkontrollanträge zurückgenommen haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.

Der Normenkontrollantrag des Antragstellers zu 3. bleibt ohne Erfolg. Er ist zulässig, aber unbegründet.

I.

Der Normenkontrollantrag des Antragstellers zu 3. ist zulässig; ihm fehlt weder die Antragsbefugnis noch das Rechtsschutzbedürfnis.

1.

Gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist im Normenkontrollverfahren eine Person nur antragsbefugt, wenn sie geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Ist ein Antragsteller Eigentümer oder Nutzer von Grundstücken außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs eines Bebauungsplans, kann die Antragsbefugnis insbesondere aus dem subjektiven Recht auf gerechte Abwägung der eigenen Belange aus § 1 Abs. 7 BauGB folgen. Das dort normierte bauplanungsrechtliche Abwägungsgebot gewährt ein subjektives Recht. Der Betroffene kann verlangen, dass seine eigenen Belange in der Abwägung entsprechend ihrem Gewicht „abgearbeitet“ werden. Ein Antragsteller kann sich daher im Normenkontrollverfahren darauf berufen, dass seine abwägungserheblichen privaten Belange möglicherweise fehlerhaft abgewogen wurden. In diesem Fall obliegt es ihm, einen eigenen Belang als verletzt zu bezeichnen, der für die Abwägung beachtlich war. Nicht abwägungsbeachtlich sind insbesondere geringwertige oder mit einem Makel behaftete Interessen sowie solche, auf deren Fortbestand kein schutzwürdiges Vertrauen besteht, oder solche, die für die Gemeinde bei der Entscheidung über den Plan nicht erkennbar waren (vgl. zusammenfassend BVerwG, Beschl. v. 28.10.2020 - 4 BN 44.20 -, juris Rn.7 m.w.N.).

Nach diesen Maßgaben ist der Antragsteller zu 3. aufgrund eines im Planverfahren zu berücksichtigenden eigenen abwägungserheblichen Belangs antragsbefugt, weil sein Wohngrundstück in nur geringer Entfernung zu der nördlichen Zufahrt zum Plangebiet liegt. Legt man zugrunde, dass etwa die Hälfte der 500 Kfz-Fahrten/Tag aus dem Plangebiet über die nördliche Zufahrt abgewickelt wird und der nach Westen orientierte Teil dieser Fahrten das Grundstück des Antragstellers zu 3. passieren wird, bedeutet das eine abwägungserhebliche Verschlechterung seiner bislang privilegierten und ruhigen Wohnsituation. Das bestätigt das im Planverfahren eingeholte Schallgutachten. Danach erhöht sich die Immissionsbelastung des der Zufahrt gegenüberliegenden Wohngrundstücks von bislang 44 dB(A) tags und 34/35 dB(A) nachts auf zukünftig 50 dB(A) tags und 40 dB(A) nachts (Anlage 5, IO 12). Für das Grundstück des Antragstellers zu 3. dürfte die Mehrbelastung - da die Wohngebäude rund 50 m auseinanderliegen und sich auf das Grundstück des Antragstellers zu 3. im Wesentlichen der nach Westen abfließende Verkehr auswirkt - geringer sein; die damit bewirkte Veränderung seiner Situation liegt aber immer noch im abwägungserheblichen Bereich.

Soweit die Antragsgegnerin dem in der mündlichen Verhandlung entgegengehalten hat, der Senat habe in einem anderen Fall eine vergleichbare Belastung nicht genügen lassen, trifft das nicht zu. In der von ihr angeführten Entscheidung, der ein im Grundsatz vergleichbarer Sachverhalt zugrunde lag, hat der Senat den Antrag nicht als unzulässig, sondern als unbegründet abgelehnt. Die Antragsbefugnis stand in diesem Verfahren nicht in Frage (vgl. Senatsbeschl. v. 1.6.2022 - 1 MN 35/22 -, n.v.).

Die Antragsbefugnis besteht hinsichtlich beider Pläne. Die in rechtlicher Hinsicht nur für das jeweils eigene Gemeindegebiet geltenden Pläne sind insofern als Einheit zu betrachten, weil sie aufeinander bezogen sind und nur im Zusammenhang einen Sinn ergeben. Ihre Auswirkungen auf den Antragsteller zu 3. sind mithin nur gemeinsam und nicht isoliert zu betrachten, sodass die Antragsbefugnis insgesamt gegeben ist.

2.

Ein Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers zu 3. besteht. Es ist nicht offenkundig ausgeschlossen, dass er von einem erfolgreichen Ausgang dieses Verfahrens profitieren kann. Das Baugebiet, gegen dessen belastende Wirkungen er sich wendet, ist erst zu rund 80 % ausgenutzt; jede weitere Ausnutzung vergrößert die Belastungen. Zudem ist weder dargelegt noch ersichtlich, dass Rechtsschutzmöglichkeiten in Bezug auf die ausgenutzten Bauplätze nicht mehr zur Verfügung stehen. Dass in allen Fällen die für Rechtsmittel mangels Nachbarzustellung von Baugenehmigungen einzuhaltende Jahresfrist abgelaufen ist, ist nach Lage der Dinge nicht anzunehmen.

II.

Der Normenkontrollantrag ist unbegründet.

1.

Der Wirksamkeit des Bebauungsplans steht nicht entgegen, dass die Antragsgegnerin und die Gemeinde E-Stadt eine abgestimmte Bauleitplanung vorgenommen haben. Ein unzulässiger gemeinsamer Bebauungsplan im Rechtssinne liegt nicht vor.

Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 BauGB sind die Bauleitpläne von der Gemeinde in eigener Verantwortung aufzustellen. Ihre diesbezügliche Zuständigkeit bezieht sich - der gemeindlichen Planungshoheit aus Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG, Art. 57 Abs. 1 NV folgend - auf ihr eigenes Gemeindegebiet; ihre Planungs- und Satzungsgewalt ist räumlich beschränkt. Über weitergehende Planungsmöglichkeiten verfügt sie nur im Rahmen der §§ 203 ff. BauGB bzw. kommunalverfassungsrechtlicher Bestimmungen. Unberührt davon bleibt indes das interkommunale Abstimmungsgebot des § 2 Abs. 2 Satz 1 BauGB, wonach die Bauleitpläne benachbarter Gemeinden aufeinander abzustimmen sind. § 2 Abs. 2 Satz 1 BauGB liegt als einer besonderen Ausprägung des Abwägungsgebots des § 1 Abs. 7 BauGB die Vorstellung zu Grunde, dass benachbarte Gemeinden sich mit ihrer Planungsbefugnis im Verhältnis der Gleichordnung gegenüberstehen. Die Vorschrift verlangt einen Interessenausgleich zwischen diesen Gemeinden und fordert dazu eine Koordination der gemeindlichen Belange (vgl. BVerwG, Urt. v. 1.8.2002 - 4 C 5.01 - BVerwGE 117, 25 = juris Rn. 21 m.w.N.). Den daraus folgenden rechtlichen Maßgaben und Begrenzungen ist die Antragsgegnerin gerecht geworden.

Die planerische Konzeption der Antragsgegnerin war darauf gerichtet, gemeinsam mit der Nachbargemeinde E-Stadt ein Wohngebiet zu entwickeln, dessen Bauflächen zunächst noch im Wesentlichen im Gebiet der Gemeinde E-Stadt lagen. Vor diesem Hintergrund sollte ein nach dem äußerlichen Erscheinungsbild einheitlicher Gesamt-Bebauungsplan, bestehend aus zwei auf das jeweils eigene Gemeindegebiet beschränkten, rechtlich eigenständigen Bebauungsplänen (Nr. 15 der Gemeinde E-Stadt und Nr. 30 der Antragsgegnerin) aufgestellt werden. Der Idee eines Gesamt-Bebauungsplans entsprechend war die im Satzungsbeschluss zum Ausdruck kommende Abwägung der Gemeinde gemeindegebietsübergreifend auf die gesamte Plankonzeption bezogen. In rechtlicher Hinsicht sollte sich die Beschlussfassung - den rechtlichen Grenzen der eigenen Planungshoheit entsprechend - aber nur auf das jeweils eigene Gemeindegebiet und die dieses Gebiet betreffenden Festsetzungen beziehen; die für das jeweils andere Gemeindegebiet geltenden Festsetzungen werden nur gewissermaßen nachrichtlich wiedergegeben. Dieses Verständnis wird auf S. 17 f. der Planbegründung in Verbindung mit der auf S. 19 dargestellten Skizze, die sowohl die (vormalige) Gemeindegrenze als auch die rechtlichen Geltungsbereiche der Bebauungspläne Nr. 15 und 30 zeigt und abgrenzt, deutlich. Eine vergleichbare Abgrenzung enthält die Planzeichnung, die nach den Bebauungsplänen Nr. 15 und 30 unterscheidet und diese Pläne räumlich den jeweiligen Gemeinden zuordnet. Auch das zeigt, dass trotz der jeweils auf den gesamten Plan bezogenen Abwägungsentscheidung die Gemeinde E-Stadt rechtlich nur für den Bebauungsplan Nr. 15 und die Antragsgegnerin nur für den Bebauungsplan Nr. 30 verantwortlich zeichnen sollte.

Ein unzulässiger gemeinsamer Bebauungsplan, der mit der Ausübung von Satzungsgewalt außerhalb der eigenen Gemeinde verbunden ist (vgl. zur Unzulässigkeit eines „echten“ gemeinsamen Bebauungsplans OVG RP, Urt. v. 28.10.2003 - 8 C 10303/03 -, BauR 2004, 1119 = BRS 66 Nr. 51 = juris; OVG LSA, Urt. v. 25.11.2021 - 2 K 34/20 -, juris Rn. 44 ff.), liegt damit nicht vor. Es handelt sich vielmehr um zwei rechtlich eigenständige, jedoch gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 BauGB inhaltlich abgestimmte Pläne. Die Abstimmung geht dabei so weit, dass beide Pläne miteinander verschränkt sind und sie - hier schon mit Blick auf die Erschließung - nur gemeinsam ein sinnvolles Ganzes ergeben; die Vollzugsfähigkeit des einen Plans hängt von der Vollzugsfähigkeit des anderen Plans ab. Diese Verschränkung führt jedoch nicht dazu, dass die planenden Gemeinden die Grenzen ihrer auf das eigene Gemeindegebiet beschränkten Satzungsgewalt überschritten hätten. Auch eine Umgehung der in den §§ 203 ff. BauGB vorgesehenen beschränkten Möglichkeiten einer gemeindegebietsübergreifenden Bauleitplanung liegt darin nicht. Den vorgenannten Vorschriften ist kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, dass sie gemeindliche Kooperationen unterhalb der Schwelle einer echten gemeinsamen Bauleitplanung begrenzen könnten.

Keinen grundsätzlichen Bedenken begegnet auch die gemeinsame Abwägungsentscheidung, die dergestalt getroffen wurde, dass sich beide Gemeinden den gesamten Auswirkungen der Planung gestellt haben. Eine solche gemeinsame Abwägung stellt vielmehr das Höchstmaß der von § 2 Abs. 2 Satz 1 BauGB ausdrücklich geforderten interkommunalen Abstimmung dar (vgl. zur Zulässigkeit einer einheitlichen Abwägungsentscheidung Runkel, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 204 Rn. 21 <Stand der Bearbeitung: Februar 2015>). Die nach der Vorschrift gebotene Betrachtung der Auswirkungen der eigenen Planung auch auf die Nachbargemeinden gelingt in geradezu idealer Weise, wenn sich die Gemeinden auf ein abgestimmtes Vorgehen zur Erreichung eines gemeinsamen städtebaulichen Ziels einigen.

2.

Dem Bebauungsplan fehlt nicht die Erforderlichkeit gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB. Nach dieser Vorschrift haben die Gemeinden Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit dies für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. Gegen dieses Gebot verstößt ein Bebauungsplan, der aus tatsächlichen oder Rechtsgründen der Vollzugsfähigkeit entbehrt und folglich seinen gestalterischen Auftrag verfehlt. Daher ist ein Bebauungsplan unwirksam, dessen Verwirklichung im Zeitpunkt seines In-Kraft-Tretens dauerhafte Hindernisse tatsächlicher oder rechtlicher Art entgegenstehen würden. Dieser Maßstab verlangt als Prognose keine letzte Gewissheit, dass der Vollzug der Regelung unter allen Umständen ausgeschlossen sein wird, sondern die von den konkreten Einzelfallumständen abhängige Prüfung, ob auf der Grundlage der Darlegungen des Planungsträgers in der Planbegründung die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Bebauungsplan bzw. einzelne seiner Festsetzungen realistischerweise umgesetzt werden können (stRspr., vgl. zuletzt BVerwG, Beschl. v. 24.2.2022 - 4 BN 49.21 -, BauR 2022, 1024 = juris Rn. 4 m.w.N.). Gemessen daran fehlt dem Plan nicht die Erforderlichkeit. Zum Zeitpunkt seiner Bekanntmachung bestanden - und bestehen weiterhin - keine Zweifel an seiner Vollzugsfähigkeit.

Zum Zeitpunkt der Bekanntmachung der nur gemeinsam vollziehbaren Pläne Nr. 15 und Nr. 30 am 30. September 2020 war die Vollzugsfähigkeit der Planung insbesondere nicht dadurch in Frage gestellt, dass eine Gebietsverschiebung von der einen in die andere Gemeinde unmittelbar bevorstand. Zwar hatten die planenden Gemeinden bereits im Mai/Juni 2020 einen - am 2. September 2020 genehmigten - Gebietsänderungsvertrag geschlossen, der vorsah, dass der nördliche Teil des bis dahin der Gemeinde E-Stadt zugehörigen Plangebiets der Antragsgegnerin zufallen sollte. Diesem Vertrag fehlte zur Erlangung rechtlicher Wirksamkeit lediglich noch die - wenig später am 30. Oktober 2020 erfolgte - Bekanntmachung (§ 26 Abs. 3 NKomVG). Auf die Wirksamkeit der beiden Bebauungspläne Nr. 15 und Nr. 30 war diese bevorstehende Verschiebung der Gemeindegrenze indes ohne Einfluss.

Grundsätzlich bleibt im Fall einer Gebietsveränderung ein für einen Gebietsteil bestehender Bebauungsplan wirksam. Mangels besonderer bundesgesetzlicher Regelung - § 204 Abs. 2 BauGB erfasst nur Flächennutzungspläne - gilt, dass das Baugesetzbuch einem „Inkraftbleiben“ eines wirksamen Bebauungsplans nach einer Gebietsänderung nicht entgegensteht (vgl. für den Flächennutzungsplan vor Inkrafttreten des § 204 BauGB BVerwG, Urt. v. 22.2.1974 - IV C 6.73 -, BVerwGE 45, 25 = juris Rn. 19 ff.; für Bebauungspläne vgl. Schmidt-Eichstaedt, in: Brügelmann, BauGB, § 204 Rn. 73 f. <Stand der Bearbeitung: Juli 2016>; Battis, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 15. Aufl. 2022, § 204 Rn. 12; Hornmann, in: BeckOK BauGB, § 204 Rn. 34 <56. Edition, Stand: 1.9.2022>; Schrödter/Otto, in: Schrödter, BauGB, 9. Aufl. 2019, § 204 Rn. 13), sofern dieser dadurch nicht unbrauchbar oder als Interessenabwägung nicht mehr vertretbar erscheint; beides ist hier nicht der Fall. Allerdings ist der Landesgesetzgeber zu eigenen Regelungen berechtigt (BVerwG, Urt. v. 22.2.1974 - IV C 6.73 -, BVerwGE 45, 25 = juris Rn. 16; Schmidt-Eichstaedt, in: Brügelmann, BauGB, § 204 Rn. 75 <Stand der Bearbeitung: Juli 2016>). Von dieser Möglichkeit hat Niedersachsen mit § 26 Abs. 1 Satz 1 NKomVG in allgemeiner Form Gebrauch gemacht. Die Vorschrift räumt den Kommunen das Recht ein, in einem Gebietsänderungsvertrag Regelungen über das neue Orts- oder Kreisrecht zu treffen, soweit nicht eine Regelung durch Gesetz erfolgt. Das schließt die Möglichkeit einer abweichenden Regelung in Bezug auf eine bestehende Bauleitplanung ein.

Von der in § 26 Abs. 1 Satz 1 NKomVG vorgesehenen Möglichkeit machen die Vertragsparteien in § 2 des Gebietsänderungsvertrags Gebrauch. Die Bestimmung regelt, dass mit dem Tag der Umgliederung das bisherige Ortsrecht durch das neue Ortsrecht ersetzt wird. Sie bewirkt, dass das bestehende Ortsrecht außer Kraft tritt und zugleich das Ortsrecht der gewinnenden Gemeinde - hier der Antragsgegnerin - Geltung erlangt. Bei Anwendung auf die streitgegenständliche Bauleitplanung hätte diese Regelung zur Folge, dass der für die an die Antragsgegnerin übertragenen Flächen geltende Teil des Bebauungsplans Nr. 15 mit der Übertragung erlöschen würde. Zugleich würde keine Regelung des Bebauungsplans Nr. 30 der Antragsgegnerin an dessen Stelle treten, weil sich dieser Plan - wie ausgeführt - nur auf ihr Gemeindegebiet zum Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses erstreckt. Die Folge wäre ein planfreier Bereich in der räumlichen Mitte des Plangebiets. Damit wäre der Vollzug des Bebauungsplans insgesamt nicht mehr gewährleistet; eine Bauleitplanung, bei der ein solches Schicksal unmittelbar absehbar ist, wäre nicht erforderlich im Sinne von § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB.

Die das Ortsrecht betreffende Regelung im Gebietsänderungsvertrag ist aber mit Blick auf dessen Präambel, die Absicht der Gemeinden, die Bebauungspläne so wie beschlossen in Kraft zu lassen, und das in den Plänen selbst zweifelsfrei erkennbare Verständnis, dass diese nur für das jeweils eigene Gemeindegebiet und nicht - unzulässigerweise - gebietsübergreifend beschlossen werden sollte, in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB einschränkend dahingehend auszulegen, dass die Bebauungspläne Nr. 15 und Nr. 30 unverändert fortbestehen sollten. Die Präambel betont, dass der Gebietsänderungsvertrag gerade anlässlich der gemeinsam abgestimmten Bauleitplanung abgeschlossen werden soll. Diese Bauleitplanung - bestehend aus den Plänen Nr. 15 und Nr. 30 - war demzufolge Geschäftsgrundlage der Gebietsänderung; ohne den vollständigen Bestand beider Pläne und deren Vollzug verlöre die Vereinbarung ihren Sinn. Beiden Beteiligten war - wie ausgeführt – zudem bewusst, dass ihr Satzungsbeschluss nur auf das jeweilige Gemeindegebiet und den darauf bezogenen Plan Nr. 15 bzw. Nr. 30 gemünzt war. Vor diesem Hintergrund ist der im Vertrag verwendete Begriff des Ortsrechts so zu verstehen, dass er das kommunale Satzungsrecht mit Ausnahme des Bebauungsplans für das übergehende Gebiet erfassen sollte (vgl. allgemein zur Möglichkeit einer solchen Auslegung Schrödter/Otto, in: Schrödter, BauGB, 9. Aufl. 2019, § 204 Rn. 13). Nur eine solche Auslegung, die in der Präambel des Vertrags einen hinreichend deutlichen Anknüpfungspunkt findet, wird den offensichtlichen Interessen und Zielen der Vertragsparteien gerecht. In der Folge berührt die Gebietsänderung die Wirksamkeit des Bebauungsplans - den eingangs dargestellten Grundsätzen des Bauplanungsrechts entsprechend - nicht.

3.

Gegen Ziele der Raumordnung verstößt der Plan nicht (§ 1 Abs. 4 BauGB). Es ist weder dargetan noch ersichtlich, welchen Zielen der Plan zuwiderlaufen könnte. Namentlich die Festlegungen zur Entwicklung der Siedlungsstruktur in Abschnitt 2.1 LROP 2017 sehen keine Ziele vor, mit denen der Plan in Konflikt stehen könnte.

4.

Der Bebauungsplan entspricht dem Entwicklungsgebot des § 8 Abs. 2 Satz 1 BauGB. § 8 Abs. 3 Satz 1 BauGB gestattet es den Gemeinden ausdrücklich, einen Bebauungsplan im Parallelverfahren zu einer erforderlichen Änderung des Flächennutzungsplans aufzustellen. Wie sich aus § 8 Abs. 3 Satz 2 BauGB im Umkehrschluss ergibt, erfordert dies im Allgemeinen nur, dass der geänderte Flächennutzungsplan in Kraft gesetzt ist, bevor der Bebauungsplan seinerseits durch Bekanntmachung wirksam wird. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die 23. Änderung des Flächennutzungsplans wurde am 6. Juni 2020 und damit vor dem Inkrafttreten des Bebauungsplans am 30. September 2020 wirksam. Ein etwaiger Verstoß gegen § 8 Abs. 2 Satz 1 BauGB wäre hier zudem gemäß § 214 Abs. 2 Nr. 4 BauGB unbeachtlich.

5.

Unter zu seiner Unwirksamkeit führenden Abwägungsfehlern leidet der Bebauungsplan nicht.

Das in § 1 Abs. 7 BauGB enthaltene Gebot gerechter Abwägung ist verletzt, wenn eine (sachgerechte) Abwägung überhaupt nicht stattfindet. Es ist auch verletzt, wenn in die Abwägung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss. Es ist ferner verletzt, wenn die Bedeutung der betroffenen privaten Belange verkannt oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten öffentlichen Belangen in einer Weise vorgenommen wird, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht. Beachtlich sind Verstöße gegen die Ermittlungspflicht und das Abwägungsgebot gemäß § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 BauGB nur, soweit sie offensichtlich und auf das Ergebnis des Verfahrens bzw. Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind.

Zu den in die Abwägung einzustellenden Belangen gehören die im Landesraumordnungsprogramm und im maßgeblichen Regionalen Raumordnungsprogramm enthaltenen Grundsätze der Raumordnung. Dazu gehört Plansatz 2.1 (05) des LROP 2017, nach dem die Entwicklung von Wohn- und Arbeitsstätten vorrangig auf die Zentralen Orte und vorhandenen Siedlungsgebiete mit ausreichender Infrastruktur konzentriert werden soll. Dieser Vorgabe wird die Planung gerecht. Das Wohngebiet entsteht im Anschluss an einen bestehenden Ortsteil in fußläufiger Entfernung zu Grundschule und Kindergarten. Ein Bahnhof mit S- und Regionalbahnverkehr unter anderem nach D-Stadt liegt vom Plangebiet nur rund 650 m (Luftlinie) entfernt. Das Geschäftszentrum der Antragsgegnerin entlang der Bundesstraße 442, das mit unter anderem zwei Supermärkten, Poststelle, Arzt/Apotheke und Tankstelle wesentliche Aspekte des Grundbedarfs abdeckt, liegt in nur wenig größerer Entfernung. Dass die hauptsächliche Anbindung über eine Eisenbahnüberführung führt, die für Radfahrer und Fußgänger nicht nutzbar ist, ändert daran nach dem Ergebnis der Erörterung dieses Gesichtspunkts in der mündlichen Verhandlung nichts. Auch für Fußgänger und Radfahrer ist eine ausreichende Anbindung an den Ortskern mittels einer Unterführung am Bahnhof der Antragsgegnerin gewährleistet.

Der Einwand, Plansatz 2.1 (05) des LROP 2017 beziehe sich nur auf das eigene Gemeindegebiet, sodass es der Gemeinde E-Stadt verwehrt sei, ein Wohngebiet im Anschluss an die Antragsgegnerin zu entwickeln, geht fehl. Das LROP 2017 nimmt eine landesweite Perspektive ein und zielt auf eine sinnvolle Planung in materieller Hinsicht ab; vor diesem Hintergrund ist es ohne Bedeutung, ob die Anforderungen in vollem Umfang im eigenen Gemeindegebiet oder unter Berücksichtigung „fremder“ Infrastruktur erfüllt werden. Dies zeigt auch Plansatz 2.1 (03) des LROP 2017, der benachbarte Gemeinde ausdrücklich zu einer gemeinsamen Strukturentwicklung anhält. Aus den gleichen Gründen bleibt der Einwand, die Gemeinde E-Stadt verhalte sich widersprüchlich, wenn sie die Notwendigkeit des Bebauungsplans mit dem eigenen Wohnbedarf begründe, anschließend aber einen Teil des Gemeindegebiets an die Nachbargemeinde abtrete. Auch insofern gilt, dass benachbarte Gemeinden zur Deckung eines Wohnbedarfs kooperieren dürfen und sollen. Abwägungsfehlerhaft ist dies ebenso wenig wie eine Berücksichtigung der wechselseitigen Bedarfe.

Abwägungsfehlerfrei sind die Interessen der bisherigen Anwohner des Plangebiets berücksichtigt. Hinsichtlich des entstehenden Verkehrs und des dadurch bedingten Lärms gelangt die Planbegründung auf der Grundlage des Schallgutachtens zu dem Ergebnis, dass der Verkehrslärm an den bestehenden Straßen weiterhin weitestgehend unter den Orientierungswerten der DIN 18005 liegt und deshalb zumutbar ist. Soweit eine Überschreitung vorliege, sei diese geringfügig, weil sie subjektiv nicht wahrnehmbar sei; die Gesundheitsgefährdungsschwelle werde in keinem Fall erreicht. Diese Überlegungen sind rechtlich ebenso wenig zu beanstanden wie die Feststellung, die bestehenden Straßen könnten den Mehrverkehr ohne Schwierigkeiten aufnehmen.

Soweit der Antragsteller zu 3. eine weitergehende Abwägung des Interesses am Erhalt einer Wohnlage ohne (weitere) Nachbarn und einer freien Aussicht vermisst, hat die Antragsgegnerin dieses Interesse an der Beibehaltung des bestehenden Zustands bedacht, aber hinter ihr Anliegen, den Bedarf an Bauplätzen zu befriedigen, zurückgestellt. Ein Abwägungsfehler folgt daraus nicht. Grundsätzlich - und so auch hier - haben es die Eigentümer und Nutzer eines Wohngrundstücks hinzunehmen, dass auch von Nachbargrundstücken die mit einer Wohnnutzung verbundenen Geräusche emittiert werden; das Interesse der Plannachbarn, dies zu verhindern, muss eine planende Gemeinde regelmäßig nicht in ihre Abwägung einstellen (vgl. Senatsbeschl. v. 28.4.2021 - 1 MN 41/21 -, BauR 2021, 1128 = juris Rn. 13; Senatsurt. v. 9.12.2021 - 1 KN 43/20 -, AUR 2022, 62 = juris Rn. 17). Dies gilt umso mehr, als die Anwohner aus dem Außenbereich, dem das Plangebiet bislang zugehörte, ggf. sogar Zwischenwerte und damit höhere Lärmeinwirkungen hätten dulden müssen als aus dem nun festgesetzten allgemeinen Wohngebiet. Besonderheiten des Falls, die eine andere Sichtweise ergeben könnten, weder dargetan noch erkennbar.

Der freie Blick in die Landschaft und der Erhalt des Landschaftsbildes sind keine Belange, die die Antragsgegnerin in ihrer Abwägung mit mehr als dem ihnen beigemessenen Gewicht hätte berücksichtigen müssen. Der Plan ermöglicht mittels der Festsetzung von Grün- und Wasserflächen bzw. Baugrenzen eine Bebauung erst in einem Abstand von mehr 10 m zu den bestehenden Wohngrundstücken; der Abstand zu bestehenden Wohngebäuden ist nochmals deutlich größer. Zulässig sind bei einer Grundflächenzahl von 0,35 nur Einzel- und Doppelhäuser mit einer Traufhöhe von maximal 4,5 m und einer Gesamthöhe von maximal 9,5 m. Bei dieser Sachlage kann keine Rede davon sein, dass die Sichtbeziehungen der bisherigen Anwohner in rechtlich relevanter Weise beeinträchtigt werden. Es verändert sich lediglich die Aussicht insoweit, als der Blick nun nicht mehr auf einen weiten Acker, sondern auf Wohnbebauung fällt. Eine solche Änderung einer keineswegs außergewöhnlichen Aussicht ist grundsätzlich - und so auch hier - kein privates Interesse von solchem Gewicht, dass es bei der Abwägung hätte berücksichtigt werden müssen (vgl. Senatsbeschl. v. 19.5.2009 - 1 MN 12/09 -, BRS 74 Nr. 51 = juris Rn. 8 f.; v. 3.3.2021 - 1 MN 163/20 -, juris Rn. 13). Daran ändert es nichts, dass bislang bei gutem Wetter in der Ferne der Kamm des Wesergebirges sichtbar sein mag. Auch das führt nicht dazu, dass von einer besonders schönen und deshalb ausnahmsweise schützenswerten Aussicht auszugehen ist. Mit Blick auf die Abstände musste die Antragsgegnerin auch der Vermeidung von Einsichtsmöglichkeiten auf die bestehenden Grundstücke kein stärkeres Gewicht beimessen. Den Anwohnern ist es möglich und zumutbar, zu Maßnahmen der Selbsthilfe auf den eigenen Grundstücken zu greifen, wenn sie Einsichtsmöglichkeiten begrenzen wollen.

Frühere Aussagen des Bürgermeisters der Antragsgegnerin, das Plangebiet solle schon aufgrund des Verlaufs der Gemeindegrenze unbebaut bleiben, führen nicht zu einer anderen Einschätzung (vgl. zu einem solchen Fall Senatsbeschl. v. 22.11.2016 - 1 MN 101/16 -, NordÖR 2017, 126 = juris Rn. 19). Denn nur der Rat ist befugt, verbindliche Erklärungen über künftige Planungsabsichten der Gemeinde abzugeben (Senatsurt. v. 23.4.2008 - 1 KN 113/16 -, BauR 2008, 1846 = juris Rn. 61). Zudem hätte eine Zusage des Bürgermeisters gemäß § 86 Abs. 2 NKomVG schriftlich erfolgen müssen, wenn ihr Verbindlichkeit hätte zukommen sollen. Die Aussage des Bürgermeisters kann mithin allenfalls als eine Information über die Planungsabsichten des Rats zum damaligen Zeitpunkt angesehen werden und auch nur Vertrauen darauf begründen, dass sie insoweit zutrifft. Ein abwägungserhebliches Vertrauen darauf, dass sich die Planungsabsichten auch Jahre später nicht ändern werden, rechtfertigt sie nicht.

Eine mögliche Minderung des Verkehrswertes der Grundstücke der bisherigen Anwohner musste die Antragsgegnerin nicht berücksichtigen. Der Verkehrswert ist nur ein Indikator für die gegebenen und erwarteten Nutzungsmöglichkeiten eines Grundstücks. Er hängt von vielen Faktoren, insbesondere auch der Nutzung der umliegenden Grundstücke, ab. Der den Verkehrswert bestimmende Grundstücksmarkt berücksichtigt auch solche Umstände, die von der planenden Gemeinde nicht im Rahmen der städtebaulichen Belange berücksichtigt werden können oder müssen. In die Abwägung sind deshalb nicht die potentiellen Wertveränderungen von Grundstücken einzustellen, sondern nur die Auswirkungen, die von dem Vorhaben ausgehen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 9.2.1995 - 4 NB 17.94 -, BRS 57 Nr. 42 = juris Rn. 13).

Ein Abwägungsfehler folgt schließlich nicht aus möglichen Bauschäden am Wohnhaus des Antragstellers zu 3. infolge der Errichtung des Regenrückhaltebeckens. Dass ein solches Becken an der vorgesehenen Stelle ausschließlich unter Inkaufnahme derartiger Schäden errichtet werden konnte, ist nicht anzunehmen; vor diesem Hintergrund ist der Antragsteller zu 3. erforderlichenfalls auf einen zivilrechtlichen Schadensausgleich verwiesen.

6.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 2, § 159 Satz 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig, weil sie sich durch Antragstellung einem Kostenrisiko ausgesetzt hat.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10 analog, § 709 Satz 2, § 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.