Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 14.12.2022, Az.: 1 ME 103/22

Auslegung; Baugenehmigung; Bebauungsplan, vorhabenbezogener; Erschließung, ausreichende; Nachbareinwendungen; Rücksichtnahmegebot; Vorhabenbezogener Bebauungsplan; Zu- und Abfahrtsverbot

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
14.12.2022
Aktenzeichen
1 ME 103/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 59809
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 30.08.2022 - AZ: 2 B 696/22

Fundstellen

  • BauR 2023, 415-418
  • DÖV 2023, 314
  • NordÖR 2023, 119
  • ZfBR 2023, 283

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Wird ein Grundstück durch textliche Festsetzung von einem festgesetzten Zu- und Abfahrtsverbot für Kfz ausgenommen, geht dies nicht zwingend mit dem Versprechen einer direkten Zu- bzw. Abfahrt für Kfz einher.

2. Ist ein wirksamer Bebauungsplan - wie bei vorhabenbezogenen Bebauungsplänen üblich - bereits so konkret, dass die Dimension des in Aussicht genommenen Vorhabens klar erkennbar ist, ist für eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens dann kein Raum, wenn die nunmehr gegen die Baugenehmigung gerichteten Einwendungen des Nachbarn im Rahmen der planerischen Abwägung fehlerfrei abgearbeitet wurden.

Tenor:

Auf die Beschwerde der Beigeladenen wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Stade - 2. Kammer - vom 30. August 2022 geändert. Der Antrag der Antragsteller auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs vom 14. Januar 2022 gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 20. Dezember 2021 wird abgelehnt.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragsteller wenden sich gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für den Neubau einer Seniorenwohn-/pflegeresidenz.

Die Antragsteller sind Miteigentümer des 184 qm großen Grundstücks H. Str. I. (Flurstück J., Flur K., Gemarkung A-Stadt). An dieses grenzt nördlich die Oste und östlich die H. Straße (Ortsdurchfahrt der L 130). Auf dem Grundstück befindet sich auf der Grundlage einer Baugenehmigung vom 27. April 1961 ein ohne Abstand an die südliche und westliche Grenze gebautes, das Grundstück (weitgehend) ausschöpfendes Wohn- und Geschäftshaus (ehemals Friseur L.), das seit mehreren Jahren leer steht.

Die Beigeladene erwarb 2018 das ca. 2.800 qm große Grundstück H. Str. K. (Flurstück M., Flur K., Gemarkung A-Stadt), welches sich entlang der H. Straße südlich an das Antragstellergrundstück anschließt und bis zum Jahr 2020 mit einer im Norden grenzständig errichteten Gaststätte mit Hotel („N.“) bebaut war. Die Südwand der ehemaligen Bebauung verlief in sehr geringem Abstand zur Grundstücksgrenze zum O., der südlich des Grundstücks der Beigeladenen verläuft, im Osten in die H. Straße einmündet und im Westen als Sackgasse ausgestaltet ist. Die Südostecke des vormaligen Bestandsgebäudes lag nahezu auf der Südostecke des Grundstücks und damit unmittelbar an dem Fuß- und Radweg der H. Straße. Die Ostseite der vormaligen Bebauung verlief ausgehend von der Südostecke in einer nach Westen geneigten Linie, sodass sie an der Grenze zu dem Antragstellergrundstück einen Abstand zur östlichen Grundstücksgrenze von ca. 4 m hatte. Dieser Streifen war asphaltiert bzw. gepflastert.

Nördlich und westlich angrenzend erstreckt sich das Grundstück eines Schützenvereins. Dessen östlicher Teil ist mit einem Schießstand bebaut, der sich über die gesamte Grundstücksbreite erstreckt und das Antragstellergrundstück nach Westen hin abriegelt.

Sowohl das Antragstellergrundstück als auch das der Beigeladenen lagen zunächst im Gebiet des Bebauungsplans Nr. 17d „Ortskern-Süd“ der Gemeinde A-Stadt aus dem Jahr 1987. Festgesetzt war ein Kerngebiet (§ 7 BauNVO 1977), in dem Wohnungen ausnahmslos nur oberhalb des Erdgeschosses zulässig sind (vgl. TF Nr. 1). Für das Antragstellergrundstück und den östlichen Teil des Beigeladenengrundstücks waren maximal zwei Vollgeschosse in geschlossener Bauweise, eine GRZ von 1,0 und eine GFZ von 1,6 vorgesehen. Der westliche Teil des Beigeladenengrundstücks liegt in einem Kerngebiet, in dem maximal ein Vollgeschoss in offener Bauweise mit einer GRZ und GFZ von jeweils 1,0 zulässig war. Für diesen Teil des Beigeladenengrundstücks war kein Baufenster, sondern eine sich im Norden bis auf das Grundstück des Schützenvereins erstreckende Fläche mit der Zweckbestimmung Stellplätze ausgewiesen.

Um die planungsrechtlichen Voraussetzungen für das Vorhaben der Beigeladenen zu schaffen, beschloss der Rat der Gemeinde A-Stadt am 26. November 2020 den vorhabenbezogenen Bebauungsplan Nr. 54 „Scheeßeler Str. 2“, der am 15. Dezember 2020 in Kraft trat. Sein räumlicher Geltungsbereich umfasst das Beigeladenen- und das Antragstellergrundstück und setzt für beide Grundstücke ein Urbanes Gebiet, in dessen Baugrenzen Gebäude mit maximal drei Vollgeschossen bis zu einer Höhe von 41 m über NN zulässig sind, fest. Auf dem Antragstellergrundstück weist der Plan eine GRZ von 0,8 und die geschlossene Bauweise aus. Für das Grundstück der Beigeladenen, auf das sich der Geltungsbereich des Vorhaben- und Erschließungsplans beschränkt, wird bei einer GRZ von 0,6 eine abweichende Bauweise mit Gebäudelängen über 50 m zugelassen. Hinsichtlich der Grenzbebauungen und -abstände verweist der Plan auf die Maßgaben des Vorhaben- und Erschließungsplans (vgl. TF Nr. 4 Satz 2), der als Bestandteil des Bebauungsplans bezeichnet wird (vgl. TF Nr. 8). Die Erschließung des Vorhabens erfolgt im Süden durch den O.. Über eine Fläche an der Westgrenze des Vorhabengrundstücks soll der Schießstand erschlossen werden (vgl. TF Nr. 7). Entlang der H. Straße ist ein Bereich ohne Ein- und Ausfahrt festgesetzt. Dieses Verbot gilt nicht für Grundstücke, deren Erschließung nur über die H. Straße gesichert werden kann (vgl. TF Nr. 6 Satz 2).

Gegen diesen Bebauungsplan stellten die Antragsteller unter dem 7. Januar 2021 einen Normenkontrollantrag (Az.: 1 KN 5/21). Ihren gleichzeitigen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz (Az.: 1 MN 6/21) lehnte der erkennende Senat mit Beschluss vom 16. April 2021 ab.

Zur Frage einer direkten Zu- und Ausfahrt vom Antragstellergrundstück auf die H. Straße (= L 130) äußerte sich die Niedersächsische Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr (im Folgenden NLStBV) mit E-Mail vom 6. September 2021 ablehnend, da aufgrund der örtlichen Gegebenheiten (Nahbereich einer Brücke mit eingeschränkten Sicht- und Fahrbeziehungen auf den Geh- und Radweg sowie hohes Verkehrsaufkommen) die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs auf der L 130 gefährdet würde.

Unter dem 20. Dezember 2021 erteilte der Antragsgegner der Beigeladenen die Baugenehmigung für den Neubau einer Senioren-/pflegeresidenz mit ca. 75 Plätzen, die in Gestalt eines im Norden grenzständig errichteten, umgedrehten „L“ mit drei Vollgeschossen und einem Flachdach errichtet werden soll.

Gegen die Baugenehmigung legten die Antragsteller unter dem 14. Januar 2022 Widerspruch ein. Nachdem der Antragsgegner ihren Antrag vom 28. Februar 2022 auf Aussetzung der Baugenehmigung mit Schreiben vom 21. März 2022 abgelehnt hatte, beantragten die Antragsteller unter dem 25. Mai 2022 bei dem Verwaltungsgericht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs. Zur Begründung seines stattgebenden Beschlusses vom 30. August 2022 hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, der Antrag sei zulässig. Die Antragsteller hätten ein berechtigtes Interesse daran, dass die Erschließung ihres Grundstücks für die Zukunft gesichert werde. Der Antrag sei auch begründet. Der vorhabenbezogene Bebauungsplan Nr. 54 „Scheeßeler Str. 2“ sei nichtig. Die Textliche Festsetzung Nr. 6 sei so auszulegen, dass der Plangeber den Antragstellern die Möglichkeit einer direkten Zufahrt von ihrem Grundstück auf die H. Straße habe einräumen wollen. Diese sei jedoch laut der NLStBV straßenrechtlich nicht möglich. Könne diese textliche Festsetzung rechtlich nicht vollzogen werden, sei sie nichtig. Dies habe die Gesamtnichtigkeit des vorhabenbezogenen Bebauungsplans zur Folge, da dieser nur unter Einbeziehung des Antragstellergrundstücks sinnvoll umgesetzt werden könne und dessen Erschließung bzw. Bebaubarkeit voraussetze. Gemessen an den Vorgaben des danach maßgeblichen Bebauungsplans Nr. 17d „Ortskern-Süd“ sei das Vorhaben wegen eines Verstoßes gegen den erforderlichen Grenzabstand rechtswidrig und verletze die Antragsteller in ihren Rechten. Die Regelung des § 5 Abs. 5 Satz 1 NBauO greife nicht ein, da das städtebauliche Planungsrecht in Gestalt des Bebauungsplans Nr. 17d lediglich eine maximal zweigeschossige Bebauung zulasse.

In einer im Verfahren 1 KN 5/21 ergänzend abgegebenen Stellungnahme vom 14. Oktober 2022 hat die NLStBV - einerseits - ausgeführt, ihre Stellungnahme vom 6. September 2021 habe weiterhin Gültigkeit, gleichzeitig fordert sie - andererseits - „in Ergänzung zu meiner o.g. Stellungnahme […] Nachweise zur Machbarkeit der Herstellung einer direkten Zu- und Ausfahrt zur L 130“, bei denen näher bestimmte Punkte zu beachten seien.

II.

Die Beschwerde der Beigeladenen gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stade vom 30. August 2022 hat aus den fristgerecht dargelegten Gründen, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), Erfolg.

Die Beigeladene wendet sich gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, der für die Baugenehmigung maßgebliche vorhabenbezogene Bebauungsplan sei nichtig, weil eine direkte Zu- und Abfahrt vom Grundstück der Antragsteller auf die H. Straße (L 130) nach Einschätzung der NLStBV straßenrechtlich nicht möglich sei. Hierzu hat die Beigeladene innerhalb der Monatsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO unter Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Beschlusses hinreichend substantiiert Umstände vorgetragen, die diese zunächst geäußerte Einschätzung der NLStBV erschüttern. Die Ausführungen der Beigeladenen lassen Zweifel daran aufkommen, ob die NLStBV sowohl die Sichtbeziehungen vom Antragstellergrundstück aus als auch das Verkehrsaufkommen auf der H. Straße zutreffend eingeschätzt hat. Soweit die Beigeladene hierzu nach Ablauf der Begründungsfrist gutachterliche Stellungnahmen vorgelegt hat, sind diese als Vertiefung des fristgerechten Beschwerdevorbringens zulässig. Dass das Ergebnis bezüglich der direkten Zu- und Abfahrt entgegen den Ausführungen des Verwaltungsgerichts nicht eindeutig ist, wird auch dadurch gestützt, dass die NLStBV selbst in ihrer Einlassung vom 14. Oktober 2022 zwar einerseits ausgeführt hat, dass sie an ihrer vorherigen Einschätzung festhalte, andererseits aber aufgelistet hat, welche Nachweise für eine direkte Zu- und Ausfahrt zur L 130 erforderlich seien. Dass die direkte Zu- und Ausfahrt keinesfalls möglich sei, kann daraus nicht geschlossen werden.

Hat die Beigeladene damit erfolgreich die Grundlage der Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Begründetheit erschüttert, hat der Senat im Beschwerdeverfahren eine eigenständige Prüfung des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz vorzunehmen. Diese ergibt, dass die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller nicht nach § 80a Abs. 3, Abs. 1 Nr. 2 und § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO anzuordnen ist, weil dieser nach summarischer Prüfung keinen Erfolg haben wird. Er ist zulässig, aber unbegründet.

Soweit das Verwaltungsgericht das Rechtsschutzbedürfnis - richtig: die Antragsbefugnis - der Antragsteller mit der Begründung bejaht hat, diese hätten ein berechtigtes Interesse daran, dass die Erschließung ihres zumindest potenziell nutzbaren Grundstücks für die Zukunft gesichert sei, sodass sie mit dem Verfahren gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung ihre „tatsächliche bzw. rechtliche Position“ verbessen könnten, verkennt es, dass die Baugenehmigung unbeschadet privater Rechte Dritter erteilt wird (vgl. Senatsbeschl. v. 20.9.2021 - 1 LA 59/21 -, juris Rn. 12 m.w.N.). Wäre die von den Antragstellern behauptete bisherige Erschließung ihres Grundstücks vom O. aus unter Inanspruchnahme des an die H. Straße grenzenden Teils des Beigeladenengrundstücks zivilrechtlich gesichert - was ausweislich des Grundbuchauszugs spätestens seit dem Jahr 1991 nicht mehr der Fall ist -, änderte die Baugenehmigung an dieser Position nichts. Gleichwohl ist der Antrag der Antragsteller zulässig, da sie sich auch auf eine Verletzung der Grenzabstandsvorschriften und des Gebietserhaltungsanspruchs sowie einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme berufen.

Der Antrag der Antragsteller ist jedoch nicht begründet, da die angegriffene Baugenehmigung rechtmäßig ist.

Der zugrundeliegende vorhabenbezogene Bebauungsplan Nr. 54 weist nach summarischer Prüfung keine zu seiner Unwirksamkeit führende Fehler auf. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat auf seinen Beschluss vom 16. April 2021 in dem Normenkontrolleilverfahren (Az.: 1 MN 6/21).

Soweit die Antragsteller gegen die Einbeziehung ihres Grundstücks nunmehr ergänzend einwenden, dass eine Erschließung ihres Grundstücks wegen der tatsächlichen Unmöglichkeit der Umsetzung der TF Nr. 6 Satz 2 nicht gesichert sei, verfängt dies nicht. In dieser Hinsicht verkennen die Antragsteller zum einen die Anforderungen an die Erschließung ihres Grundstücks. Hierfür ist zwar eine Anbindung an das öffentliche Straßennetz erforderlich, für die jedoch - jedenfalls bei einer Wohnnutzung - regelmäßig die Möglichkeit, mit Personen- und Versorgungsfahrzeugen an das Grundstück heranzufahren, ausreicht (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.9.2006 - 9 C 4.05 -, BVerwGE 126, 378 = NVwZ 2007, 81 = BRS 75 Nr. 108 = juris Rn. 20, 23). Zum anderen verkennen sie den Inhalt der TF Nr. 6 Satz 2. Diese nimmt das Antragstellergrundstück lediglich von dem in Satz 1 der Textlichen Festsetzung geregelten Zu- und Abfahrtsverbot aus. Entgegen der Auffassung der Antragsteller und des Verwaltungsgerichts bedeutet dies jedoch nicht, dass die Gemeinde positiv eine (direkte) Zu- und Ausfahrt von dem Antragstellergrundstück auf die H. Straße festgesetzt hat. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Gemeinde die Erschließungssituation des Antragstellergrundstücks verbessern wollte. Sie wollte den Antragstellern insoweit aber auch keine Rechte nehmen, sodass die Ausnahme von dem für das Beigeladenengrundstück aus Sachgründen gewählten Zu- und Abfahrtsverbot dazu dienen sollte, wie zuvor die Möglichkeit einer direkten Zu- und Ausfahrt - sofern mit den straßenrechtlichen Vorgaben vereinbar - offen zu halten.

Soweit die Antragsteller behaupten, dass sie „seit jeher ohne direkt Zu- und Abfahrt auf die L 130 über Freiflächen vor dem [ehemals] benachbarten Niedersachsenhof vom O. ihr Grundstück erreichen konnten“, konnte dies im Zeitpunkt der Planung allenfalls tatsächlich und jedenfalls im südlichen Bereich des Beigeladenengrundstücks nur unter Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsflächen geschehen. Die Südostecke des Niedersachsenhofs ließ es nämlich nicht zu, mit einem Pkw vom O. über das Grundstück der Beigeladenen auf das Antragstellergrundstück zu gelangen. Vielmehr musste dafür die östlich angrenzende Fläche des Gehwegs - straßenverkehrsrechtlich kaum zulässig - in Anspruch genommen werden. Selbst wenn eine derartige Erschließung in der Baugenehmigung aus dem Jahr 1961 vorgesehen gewesen sein sollte (vgl. Anlage A 2, S. 2 Auflage Nr. 3 und Nr. 6) - woran die in den Planunterlagen enthaltenen Auszüge aus der entsprechenden Bauakte Zweifel aufkommen lassen; danach sollten anscheinend zwei Einstellplätze südlich des Wohn- und Geschäftshauses vor dem Saal des Niedersachsenhofs angelegt werden -, bestand eine zivilrechtliche Sicherung spätestens seit 1991 nicht mehr. Eine etwaige tatsächliche Nutzung (auch) der Fläche des Beigeladenengrundstücks, die angesichts der Tatsache, dass ausweislich der in erster Instanz vorgelegten Lichtbilder nicht einmal ein abgesenkter Bordstein bestand, in der Örtlichkeit nicht angelegt war, musste die Gemeinde bei ihrer Planung nicht berücksichtigen.

Soweit die Antragsteller gegen den vorhabenbezogenen Bebauungsplan einwenden, dass der Senat in seiner Entscheidung vom 16. April 2021 die Regelung des § 22 Abs. 3 BauNVO unberücksichtigt gelassen habe, und erneut ausführen, die Bestandsbebauung auf ihrem und dem Grundstück des Schützenvereins erfordere analog § 22 Abs. 4 Satz 2 BauNVO die Festsetzung einer Baugrenze, die 6 m Abstand zuzüglich der Kipphöhe des grenzständigen Nachbargebäudes des Schützenvereins zum Flurstücks hält, womit sie sich möglicherweise gegen die im Vorhaben- und Erschließungsplan festgesetzte Grenzbebauung zum Grundstück des Schützenvereins wenden wollen, verkennen sie, dass § 22 Abs. 3 BauNVO keine Anforderungen an die Bauleitplanung stellt. Auch § 22 Abs. 4 Satz 2 BauNVO enthält lediglich eine Ermächtigungsgrundlage. Der Senat hat im Normenkontrolleilverfahren im Übrigen dargelegt, dass die Abwägung hinsichtlich der Auswirkungen des Plans auf die vorhandene Bebauung nicht zu beanstanden ist (s. 1 MN 6/21, BA S. 20 f.).

Soweit die Antragsteller meinen, dass die Planung eine rückwärtige Anleiterung an ihr Bestandsgebäude sicherstellen müsse, ist eine Rechtsgrundlage nicht erkennbar. Wirksame Löscharbeiten i.S.d. § 14 NBauO sind von der Scheeßeler Straße aus möglich. Der vorhabenbezogene Bebauungsplan ändert insoweit nichts an der zuvor bestehenden Situation, in der das Antragstellergrundstück bis zum Abriss des Niedersachsenhofs ebenfalls nur von Osten her zu erreichen war. Die Beigeladene hat für ihr Vorhaben ein Brandschutzkonzept vorgelegt, das Bestandteil der streitgegenständlichen Baugenehmigung ist.

Die auf der Grundlage des vorhabenbezogenen Bebauungsplans Nr. 54 erlassene streitgegenständliche Baugenehmigung verletzt keine Rechte der Antragsteller.

Soweit die Antragsteller einen Verstoß gegen Grenzabstandsvorschriften (§ 5 Abs. 5 und Abs. 2 NBauO) geltend machen, verkennen sie bereits im Ausgangspunkt, dass sich die Grenzbebauungen und -abstände aus dem Vorhaben- und Erschließungsplan ergeben (vgl. TF Nr. 4 Satz 2). Dieser ist gemäß § 12 Abs. 3 Satz 1 BauGB Bestandteil des vorhabenbezogenen Bebauungsplans und schreibt vor, dass das Vorhaben im Norden grenzständig zu errichten ist. Folglich ist gemäß § 5 Abs. 5 Satz 1 NBauO kein Grenzabstand i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 1 NBauO einzuhalten, wie der Senat bereits im Normenkontrolleilverfahren ausgeführt hat (1 MN 6/21, BA S. 21). Die Regelung des § 5 Abs. 5 Satz 2 NBauO ist nicht einschlägig.

Eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs liegt nicht vor. Die geplante Seniorenwohn- und -pflegeresidenz mit 75 Plätzen ist als Wohngebäude oder Anlage für soziale bzw. gesundheitliche Zwecke gemäß § 6a Abs. 2 Nr. 1 bzw. Nr. 5 BauNVO allgemein zulässig. Soweit sie befürchten, dass faktisch ein Allgemeines Wohngebiet entstünde, obwohl sie Anspruch auf die Erhaltung bzw. die Herstellung des festgesetzten Urbanen Gebiets hätten, lassen sie außer Acht, dass das ebenfalls zum Plangebiet gehörende eigene Grundstück potentiell einer anderen der in § 6a Abs. 1 Satz 1 BauNVO genannten Hauptnutzungen zugeführt werden könnte. Hinzu kommt, dass die im Urbanen Gebiet angelegte - nicht zwingend gleichgewichtige (vgl. § 6a Abs. 1 Satz 2 BauNVO) - Nutzungsmischung hier nicht allein auf dem Gebiet des vorhabenbezogenen Bebauungsplans entstehen muss. Wie der Senat im Normenkontrolleilverfahren bereits ausgeführt hat (1 MN 6/21, BA S. 19), hat die Gemeinde bei der Festsetzung einen größeren Bereich in den Blick genommen. So setzt der nördlich an die Oste grenzende Bebauungsplan Nr. 51 „Neue Ortsmitte-Süd“ östlich und westlich der Straße Am Markt (= Verlängerung der H. Straße in nördlicher Richtung) diverse Urbane Gebiete fest. Das im Bebauungsplan Nr. 54 festgesetzte Urbane Gebiet stellt eine Erweiterung dieser Gebiete dar und ist mit diesen gemeinsam zu betrachten (vgl. zu dieser Möglichkeit Senatsurt. v. 7.10.2021 - 1 KN 3/20 -, BauR 2022, 197 = juris Rn. 25).

Der von den Antragstellern geltend gemachte Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO liegt nicht vor. Zunächst ist festzuhalten, dass der Senat im Normenkontrolleilverfahren bereits festgestellt hat, dass der vorhabenbezogene Bebauungsplan die Auswirkungen des geplanten Vorhabens auf das Antragstellergrundstück in hinreichender Weise berücksichtigt (1 MN 6/21, BA S. 20). Ist ein wirksamer Bebauungsplan - wie bei vorhabenbezogenen Bebauungsplänen üblich und so auch hier - bereits so konkret, dass die Dimension des in Aussicht genommenen Vorhabens klar erkennbar ist, ist für eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens dann kein Raum, wenn die nunmehr gegen die Baugenehmigung gerichteten Einwendungen des Nachbarn im Rahmen der Abwägung - wie hier - fehlerfrei abgearbeitet wurden. Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die nach Norden grenzständige Bebauung der zuvor planungsrechtlich vorgesehenen und auch tatsächlich vorhandenen geschlossenen Bauweise entspricht. Nicht in den Blick zu nehmen ist dagegen die kurzzeitige Bebauungssituation nach Abriss des Niedersachsenhofs. Freiflächen, auf die sich das Vorhaben auswirken könnte, sind auf dem Antragstellergrundstück lediglich - in sehr geringem Umfang - nach Osten zur Straße und nach Norden hin, d.h. vom Vorhaben abgewandt vorhanden. Die von den Antragstellern offenbar als „beengt“ empfundene Situation ist in erster Linie der nahezu vollständigen Ausnutzung ihres kleinen Grundstücks geschuldet. Die durch die im Verhältnis zum vorherigen Bestand größere Höhe des Vorhabens (drei statt zwei Geschosse) führt aus denselben Gründen zu keiner unzumutbaren Verschattung.

Soweit die Antragsteller - wie bereits im Normenkontrolleilverfahren - auch gegen die Baugenehmigung vorbringen, die Planung berücksichtige nicht, dass sich im „vorderen Bereich des Gebäudes“ der Antragsteller Versorgungsleitungen, Zuleitungen zu den Öltanks sowie Telefon- und Kabelanschlüsse befinden, die freizuhalten seien, ist bereits nicht ersichtlich, wie sich das Vorhaben der Beigeladenen hierauf auswirkt. Abgesehen davon hat der Senat bereits in seinem Beschluss vom 16. April 2021 darauf hingewiesen, dass mit einer Baugrenze keine Bauverpflichtung einhergeht (1 MN 6/21, BA S. 21 f.).

Soweit sie geltend machen, dass die Baugenehmigung die bisher vorhandene Erschließungsmöglichkeit ihres Grundstücks entfallen lasse, ist dies - wie oben bereits ausgeführt - nicht zutreffend; mangels rechtlicher Sicherung trifft die Beigeladene keinerlei Verpflichtung, an der Erschließung des Antragstellergrundstücks mitzuwirken.

Der Einwand, dass das Vorhaben mit nur 10 Stellplätzen keine ausreichende Zahl an Einstellplätzen aufweise, basiert auf unzutreffenden Annahmen. Ausweislich des grün gestempelten Stellplatznachweises weist die Beigeladene statt der nach den Richtzahlen aus der Anlage zu den Ausführungsempfehlungen zu § 47 NBauO (RdErl. d. MU v. 16.12.2019, Nds. MBl. 2020, 24) ermittelten 7 (aufgerundet von 6,52) Stellplätzen insgesamt 18 Einstellplätze, d.h. 11 Einstellplätze auf ihrem Grundstück sowie 7 Einstellplätze auf dem benachbarten Grundstück des Schützenvereins nach. Sie entspricht damit der Annahme der Antragsgegnerin in der Planbegründung (ebd. S. 8). Diese Stellplätze sind entgegen der Darstellung der Antragsteller auch durch eine Dienstbarkeit im Grundbuch abgesichert (vgl. sog. Herrschvermerk im Grundbuchausblatt Nr. 2145, lfd. Nr. 3 im Bestandsverzeichnis sowie grün gestempelte Baulasterklärung). Ihr Verweis auf „Nr. 1.2 der Ausführungsbestimmungen zu § 47 NBauO“ [gemeint ist möglicherweise Nr. 2.1 der oben bez. Ausführungsempfehlungen], nach dem die Zahl der Stellplätze zwingend zu erhöhen sei, geht damit ins Leere. Hinzu kommt, dass § 47 Abs. 1 Satz 1 NBauO nicht für sich genommen, sondern lediglich im Rahmen des Rücksichtnahmegebots Nachbarschutz entfaltet. Dass sich die Zahl der Einstellplätze beispielsweise wegen des dadurch bedingten Parksuchverkehrs für ihr Grundstück als unzumutbar darstellt, ist von den Antragstellern nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen beruht die Entscheidung auf § 162 Abs. 3 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.