Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 25.10.2023, Az.: 14 OB 62/23

Beiladung; Novel-Food-Verordung; Rechtsposition; Sortenschutz; Unterlassungserklärungen; Zur Beiladung eines konkurrierenden Unternehmens in einem lebensmittelrechtlichen Verfahren

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
25.10.2023
Aktenzeichen
14 OB 62/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 38868
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2023:1025.14OB62.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Braunschweig - 28.04.2023 - AZ: 4 A 12/33

Tenor:

Die Beschwerde der Beiladungsinteressenten gegen den die Beiladung ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Braunschweig - Berichterstatterin der 4. Kammer - vom 28. April 2023 wird zurückgewiesen.

Die Beschwerdeführer tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens jeweils zur Hälfte.

Gründe

Die nach § 146 Abs. 1 VwGO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde gegen die Ablehnung der Beiladung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Beiladungsanträge zu Recht abgelehnt.

1. Soweit die Beschwerdeführer einen Verfahrensfehler im Sinne einer Gehörsverletzung (vgl. Art. 103 Abs. 1 GG) geltend machen, kann dieses Vorbringen der Beschwerde schon im Ansatz nicht zum Erfolg verhelfen. Unabhängig davon, dass ein solcher Verfahrensfehler - sollte er vorliegen - jedenfalls durch die Äußerungsmöglichkeit im Rahmen des Beschwerdeverfahrens geheilt wäre, kann der Senat der Beschwerde nur stattgeben, wenn der geltend gemachte Anspruch auf Beiladung besteht. Dies beurteilt sich allein nach den Voraussetzungen des § 65 VwGO.

2. Die Voraussetzungen für eine notwendige Beiladung gemäß § 65 Abs. 2 VwGO sind nicht gegeben. Es liegt kein Fall vor, in dem die Sachentscheidung nicht getroffen werden kann, ohne dass dadurch gleichzeitig unmittelbar und zwangsläufig in Rechte der Beschwerdeführer eingegriffen wird und diese gestaltet, bestätigt oder festgestellt, verändert oder aufgehoben werden (vgl. hierzu BVerwG, Beschl. v. 7.2.2011 - 6 C 11.10 -, juris Rn. 2; NdsOVG, Beschl. v. 12.3.2021 - 10 OB 28/21 -, juris Rn. 11). Weder die Abweisung der Klage noch die - mit der Klage allein begehrte - Aufhebung der angefochtenen Bescheide, nach denen "Kräutertee aus Cistuskraut (Cistus x incanus L.)" als ein (weiterhin) nur in Nahrungsergänzungsmitteln nicht neuartiges Lebensmittel einzustufen ist, hätte derartige Auswirkungen für die Beschwerdeführer, namentlich für die Zulassung nach der Novel-Food-Verordnung für die Sorte "Cistus-incanus L. F." oder das hierfür bestehende Sortenschutzrecht. Gleiches gilt für den Fall, dass die Beklagte - anders als mit dem angekündigten Klageantrag begehrt - zu einer Neubescheidung verpflichtet werden würde. Dementsprechend haben auch die Beschwerdeführer in ihrer Beschwerdebegründung hervorgehoben, dass nach ihrer Auffassung die Voraussetzungen des § 65 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.

3. Eine einfache Beiladung der Beschwerdeführer nach § 65 Abs. 1 VwGO kommt ebenfalls nicht in Betracht. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht, solange das Verfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen oder in höherer Instanz anhängig ist, von Amts wegen oder auf Antrag andere, deren rechtliche Interessen durch die Entscheidung berührt werden, beiladen.

Rechtliche Interessen werden in diesem Sinne durch die zu erwartende Entscheidung des Gerichts, d.h. durch den der Rechtskraft fähigen Entscheidungssatz (vgl. hierzu im Einzelnen Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl. 2022, § 65 Rn. 8; Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl., § 65 Rn. 9; Bier/Steinbeiß-Winkelmann, in: Schoch/Schneider, VwGO, 44. EL März 2023, § 65 Rn. 14) berührt, wenn der Dritte in einer solchen Beziehung zu einem Hauptbeteiligten des Verfahrens oder zum Streitgegenstand steht, dass das Unterliegen eines der Hauptbeteiligten seine Rechtsposition verbessern oder verschlechtern könnte, wenn also eine in der Sache ergehende Entscheidung für den Dritten ohne Vornahme der Beiladung zwar keine Rechtswirkungen (vgl. § 121 Nr. 1 VwGO) hätte, sich aber auf die Rechtsstellung des Dritten jedenfalls faktisch, beispielsweise wegen der (faktischen) Präjudizialität des Urteils auswirken würde (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 16.6.2015 - 7 E 506/15 -, juris Rn. 5; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl. 2022, § 65 Rn. 9). Ist dieser Tatbestand erfüllt, trifft das Beschwerdegericht die Entscheidung über die Beschwerde gegen die Ablehnung nach eigenem Ermessen, ohne auf die Nachprüfung des Ermessens der Vorinstanz beschränkt zu sein (BayVGH, Beschl. v. 19.5.2022 - 23 C 22.156 -, juris Rn. 7 m.w.N.; OVG NRW, Beschl. v. 16.6.2015 - 7 E 506/15 -, juris Rn. 5).

Das Verwaltungsgericht hat angenommen, durch den Entscheidungssatz des Gerichts würden allenfalls wirtschaftliche Interessen der Beschwerdeführer berührt. Die von ihnen behauptete Beeinträchtigung ihres aus der Zulassung der Cistus Incanus L.-Sorte "Cistus Incanus L. F." als neuartiges Lebensmittel herrührenden Rechts zum Vertrieb sei nicht gegeben. Auch das wettbewerbsrechtliche Sortenschutzrecht für die Sorte "Cistus Incanus L. F. (Kraut)" werde von der Entscheidung der Kammer unabhängig von ihrem Ausgang nicht berührt. Schließlich hätte selbst eine stattgebende Entscheidung keine relevanten Auswirkungen auf die mit Konkurrenten der Beschwerdeführer geschlossenen Unterlassungsverträge. Folge könne allenfalls sein, dass die Beiladungsantragsteller gegenüber der Klägerin keine Unterlassungsverträge mehr dahingehend durchsetzen könnten, "Cistus incanus anderer Sorten als Cistus Incanus L. F. als Lebensmittel in den Verkehr zu bringen, wenn keine Zulassung dieser Sorten als neuartiges Lebensmittel gem. der VO EU 2015/2283 erfolgt ist". Selbst dieser Umstand würde sich jedoch nicht durch eine stattgebende Entscheidung im vorliegenden Verfahren ergeben, da nach dem Klagantrag nur eine Aufhebung des angefochtenen Bescheids der Beklagten in Betracht komme, mit dem sie im Konsultationsverfahren gegenüber der Klägerin eine Einstufung des "Cistus Incanus L." abseits von Nahrungsergänzungsmitteln als nicht neuartig im Sinne der Novel-Food-Verordnung abgelehnt habe.

Das Verwaltungsgericht hat damit - obgleich im letzten Absatz des angefochtenen Beschlusses eine Ermessensreduktion thematisiert wird - im Kern bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine einfache Beiladung verneint. Diesem Ergebnis stimmt der Senat zu. Denn die rechtlichen Interessen der Beschwerdeführer werden durch die Sachentscheidung im vorliegenden Verfahren nicht berührt.

In Abgrenzung zum Begriff der "rechtlichen" Interessen sind rein ideelle, soziale, kulturelle oder wirtschaftliche Interessen im Rahmen des § 65 Abs. 1 VwGO nicht von Relevanz; auch eine zu erwartende Auswirkung der Entscheidung auf andere, gleichgelagerte Fälle begründet kein rechtliches Interesse i. S. d. § 65 Abs. 1 (vgl. Bier/Steinbeiß-Winkelmann, in: Schoch/Schneider, VwGO, 44. EL März 2023, § 65 Rn. 13). Ausgehend hiervon kommen als Rechtspositionen, die ggf. durch die Entscheidung des Verwaltungsgerichts berührt werden können, hier allein die Zulassung nach der Novel-Food-Verordnung, das geltend gemachte Sortenschutzrecht sowie die gegenüber den Beschwerdeführern abgegebenen Unterlassungserklärungen in Betracht. Hinsichtlich der beiden erstgenannten Rechte fehlt es an relevanten Auswirkungen der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung, und aus den Unterlassungsverträgen lässt sich schon keine Rechtsposition herleiten.

a) Die Zulassung nach der Novel-Food-Verordnung für die Sorte "Cistus incanus L. F." und deren Dokumentation in der Unionsliste zugelassener neuartiger Lebensmittel gewährt den Beschwerdeführern das Recht, diese Sorte als ein Lebensmittel rechtmäßig in den Verkehr bringen zu dürfen. Diese Rechtsposition würde indessen weder von einer stattgebenden gerichtlichen Entscheidung noch von einer klageabweisenden Entscheidung beeinträchtigt werden, wobei hier nur der erstgenannte Fall näher zu betrachten ist, denn im letztgenannten Fall bliebe ohnehin der Status quo gewahrt.

Ob von einer stattgebenden Entscheidung im Anfechtungsprozess - wie bereits erwähnt ist lediglich die Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsakte, nicht aber die Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung beantragt worden - überhaupt rechtliche Interessen der Beschwerdeführer maßgeblich berührt werden könnten, erscheint bereits fraglich. Unbeschadet dessen wäre auch in dem Fall einer als Folge des Rechtsstreits ergehenden Neubescheidung durch die Beklagte (im Sinne des Begehrens der Klägerin) keine aus der Zulassung nach der Novel-Food-Verordnung folgende Rechtsposition der Beschwerdeführer berührt. Insoweit gehen sowohl die Beklagte als auch die Beschwerdeführer übereinstimmend davon aus, dass infolge einer solchen Neubescheidung das Kraut "Cistus incanus L." nicht als neuartig anzusehen wäre und diese Feststellung durch die Beklagte im Konsultationsverfahren nachfolgend von der Kommission auf ihren Internetseiten veröffentlicht werden würde. Rechtsfolge wäre, so führt die Beklagte zutreffend in ihrer Beschwerdeerwiderung aus, dass EU-weit allen interessierten Lebensmittelunternehmern das Inverkehrbringen von "Cistus incanus L. (Kraut)" ermöglicht würde. Den Beschwerdeführern bliebe es jedoch auch dann - unabhängig von einer etwaigen nachfolgenden Bereinigung der Unionsliste - unbenommen, das von ihnen vertriebene "Cistus incanus L. F." rechtmäßig in den Verkehr zu bringen. Eine darüberhinausgehende Rechtsposition im Sinne eines Wettbewerbsvorteils gegenüber anderen Lebensmittelunternehmern oder gar einer Alleinstellungsposition auf dem Markt vermittelt die Zulassung nach der Novel-Food-Verordnung für die Sorte "Cistus incanus L. F." aber nicht. Hierbei handelt es sich lediglich um ein (mittelbares) wirtschaftliches Interesse der Beschwerdeführer.

b) Die Beklagte hat in ihrer Beschwerdeerwiderung (Seiten 7 bis 10) zutreffend ausgeführt, dass auch das Sortenschutzrecht für die Sorte "Cistus incanus L. F." keine relevanten rechtlichen Interessen der Beschwerdeführer begründet, die im - insoweit allein interessierenden - Fall einer verneinenden Entscheidung des Konsultationsverfahrens bzgl. der Neuartigkeit von "Cistus incanus L." berührt werden könnten. Auf die Ausführungen wird verwiesen. Auch insoweit machen die Beschwerdeführer im Kern allein wirtschaftliche Interessen geltend.

c) Unzutreffend ist schließlich auch die Annahme der Beschwerdeführer, eine schützenswerte Rechtsposition sei unmittelbar aus den ihnen gegenüber abgegebenen Unterlassungserklärungen herzuleiten. Zwar können "rechtliche Interessen" im Sinne des § 65 Abs. 1 VwGO sowohl öffentlich-rechtlicher wie auch privatrechtlicher Art sein (vgl. nur Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl., § 65 Rn. 9). Die Unterlassungserklärungen begründen aber - im Gegensatz zu den von den Beschwerdeführern beispielhaft angeführten Mietverträgen - keine originären Rechtspositionen. Sie sind vielmehr allein Ausdruck und Folge wettbewerbsrechtlicher Abwehransprüche gegen unlautere geschäftliche Handlungen, die ihrerseits voraussetzen, dass das Handeln der Konkurrenten einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 der Novel-Food-Verordnung darstellt. Die Beklagte legt in ihrer Beschwerdeerwiderung zutreffend dar, dass die Abwehransprüche als solche durch den vorliegenden Rechtsstreit nicht berührt werden. Den Beschwerdeführern stehen vielmehr nach wie vor gegen ein unlauteres Verhalten von Konkurrenten die wettbewerbsrechtlichen Abwehransprüche zu. Die Beschwerdeführer haben aber demgegenüber keinen Rechtsanspruch darauf, dass die rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen, nach denen sie ihr wirtschaftliches Handeln ausgerichtet haben, unverändert bleiben. Anders ausgedrückt haben sie kein Recht darauf, dass ein bestimmtes geschäftliches Handeln ihrer Konkurrenten auf Dauer als unlauter zu kategorisieren ist, bzw. sich die Rechtsstellung ihrer Konkurrenten nicht verbessern darf. Eine solche Rechtsposition vermittelt auch das von ihnen angeführte "Zusammenspiel von Sortenschutzrecht und der Zulassung für Cistus incanus L. F." nicht. Die Beschwerdeführer haben sich vielmehr lediglich eine für sie günstige Rechts- und Marktkonstellation zu Nutzen gemacht, ohne aber auf deren Bestand einen rechtlich gesicherten Anspruch zu haben. So konnten sie sich gerade nicht darauf verlassen, dass die Entscheidung, bei "Cistus incanus L." handele es sich um ein neuartiges Lebensmittel, nicht aus von ihnen nicht zu beeinflussenden Gründen revidiert wird, wie auch der von der Beklagten angeführte Beispielfall (Hochdruck-pasteurisierte Fruchtzubereitungen) zeigt. Ebenso erscheint es nicht ausgeschlossen, dass Konkurrenten für eine andere als die von den Beschwerdeführern vertriebene Sorte von Cistus incanus L. eine Zulassung nach der Novel-Food-Verordnung erreichen können. Davon gehen die Beschwerdeführer offenbar auch selbst aus, wie der Wortlaut der Unterlassungserklärungen zeigt. Denn diese enthalten Formulierungen wie "... in den Verkehr zu bringen, wenn keine Zulassung als neuartiges Lebensmittel gemäß der Verordnung (EU) 2015/2283 erfolgt ist".

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 1 VwGO, 100 Abs. 1 ZPO.

Einer Streitwertfestsetzung bedarf es im Hinblick auf die in Nr. 5502 der Anlage 1 zum GKG vorgesehene Festgebühr nicht.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).