Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 17.10.2023, Az.: 1 LA 55/23
Ablehnung; Bauantrag; Bauvorlagen; Bearbeitung; Etikettenschwindel; Ablehnung der weiteren Bearbeitung eines Bauantrags; Nachforderung von Bauvorlagen bei Verdacht auf "Etikettenschwindel"
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 17.10.2023
- Aktenzeichen
- 1 LA 55/23
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2023, 39900
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2023:1017.1LA55.23.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Hannover - 08.03.2023 - AZ: 12 A 5732/19
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- BauR 2024, 77-78
- IBR 2024, 40
- KommJur 2024, 14-16
- NJW-Spezial 2024, 13
- NVwZ-RR 2024, 179-181
- NordÖR 2024, 48
- ZfBR 2024, 52-54
Amtlicher Leitsatz
Besteht der begründete Verdacht, dass der Bauherr tatsächlich ein anderes als das genehmigte Vorhaben verwirklichen will (sog. "Etikettenschwindel"), darf die Bauaufsichtsbehörde Bauvorlagen nachfordern, um den Verdacht auszuräumen oder zu erhärten.
Tenor:
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 12. Kammer - vom 8. März 2023 wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Wert des Streitgegenstandes für das Zulassungsverfahren wird auf 20.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Kläger wendet sich gegen die Ablehnung der weiteren Bearbeitung seines Bauantrags zum Ausbau einer landwirtschaftlichen Betriebsstätte.
Der Kläger ist Landwirt und zugleich Inhaber eines Lohnunternehmens sowie eines Agrar- und Kommunalservices. Alle drei Betriebe führt er von seiner im Ortsteil Hüddessum der Beigeladenen gelegenen Hofstelle. Zum landwirtschaftlichen Betrieb gehört das im Außenbereich gelegene Baugrundstück am Ostrand des Ortsteils, das mit einer zu landwirtschaftlichen Zwecken genehmigten Mehrzweckhalle mit Maschinenabstellbereichen, Getreidelager und Maschinenbetankungs- und Reinigungsbetrieb bebaut ist. Abweichend von der dem Rechtsvorgänger des Klägers im Jahr 2012 erteilten Baugenehmigung ist die die Mehrzweckhalle umgebende Hoffläche auf ca. 4.530 qm statt 2.064 qm befestigt und im Norden und Westen mit einem Erdwall umgeben. Hoffläche und Halle wurden in der Vergangenheit bis zu einer entsprechenden Nutzungsuntersagung auch zu gewerblichen Zwecken genutzt. Versuche, eine entsprechende Nutzung unter anderem durch Aufstellung eines Bebauungsplans legalisieren zu lassen, scheiterten.
Mit Bauantrag vom 28. September 2018 beantragte der Kläger die Erteilung einer Baugenehmigung für die Erweiterung der genehmigten Hoffläche und den Erdwall. Sein landwirtschaftlicher Betrieb habe sich von ursprünglich 57 ha bewirtschafteter Fläche auf 159 ha vergrößert und werde in Kürze 312 ha bewirtschaften. Daher benötige er die erweiterte Stellfläche sowie den Erdwall zum Schutz der benachbarten Wohnbebauung vor den Emissionen des landwirtschaftlichen Betriebs. Dem Bauantrag beigefügt war eine Auflistung von insgesamt 50 landwirtschaftlichen Fahrzeugen und Maschinen im Bestand, die um mehr als 11 weitere Fahrzeuge und Großmaschinen ergänzt werden sollte.
Der Beklagte forderte den Kläger daraufhin mit Schreiben vom 15. November 2018 unter anderem auf, Betriebsbeschreibungen für Landwirtschaft und Lohnunternehmen sowie zur konkreten Nutzung von Halle und Hoffläche vorzulegen. Zur Begründung verwies er darauf, dass für das Lohnunternehmen kein neuer Standort vorhanden und zur Prüfung, ob insoweit ein mitgezogener Betriebszweig vorliege, das Verhältnis der beiden Betriebszweige zueinander zu klären sei. Zudem verwies er auf eine ungeklärte Immissionsproblematik ausgehend von dem Zu- und Abgangsverkehr. Der Kläger antwortete mit Schreiben vom 10. Dezember 2019, dass auf dem Baugrundstück keine gewerblichen Tätigkeiten stattfänden; der landwirtschaftliche Betrieb vermiete lediglich in untergeordnetem Umfang einige Maschinen an andere Betriebe. Der Beklagte hielt diese Angaben aufgrund der Vielzahl der Fahrzeuge und Maschinen sowie der Beobachtung, dass äußerlich dem Lohnunternehmen zugeordnete Fahrzeuge auf dem Baugrundstück zu sehen waren, für unglaubhaft und forderte unter Fristsetzung erneut die Vorlage einer Betriebsbeschreibung für das Lohnunternehmen sowie einer Gewichtung der Grundstücksnutzung. Dies lehnte der Kläger mit Schreiben vom 9. Januar 2019 ab; zugleich gab er an, einzelne Maschinen gelegentlich an das Lohnunternehmen zu vermieten. Mit Bescheid vom 6. Juni 2019 und Widerspruchsbescheid vom 30. Oktober 2019 lehnte der Beklagte daraufhin die weitere Bearbeitung des Bauantrags unter Hinweis auf das Fehlen einer vollständigen Betriebsbeschreibung für alle Betriebszweige einschließlich des Lohnunternehmens ab.
Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Hannover mit dem angegriffenen Urteil vom 8. März 2023 abgewiesen. Der Beklagte habe die weitere Bearbeitung des Bauantrags gemäß § 69 Abs. 2 NBauO a.F. zu Recht abgelehnt, weil die Bauvorlagen unvollständig gewesen seien. Zur Beurteilung des klägerischen Bauvorhabens seien zumindest eine Betriebsbeschreibung des Lohnunternehmens, eine nach gewerblicher und landwirtschaftlicher Nutzung gewichtete Betriebsbeschreibung der Halle und Freifläche sowie eine nähere Beschreibung des Zu- und Abgangsverkehrs erforderlich gewesen. Es bestünden ernsthafte Anhaltspunkte dafür, dass der auf eine allein landwirtschaftliche Nutzung bezogene Bauantrag einen "Etikettenschwindel" darstelle und tatsächlich eine auch gewerbliche Nutzung beabsichtigt sei, sodass es einer Abgrenzung der Betriebszweige bedürfe. Das gelte insbesondere deshalb, weil das Lohnunternehmen in der Vergangenheit von dem Baugrundstück ausgehend betrieben und ein neuer Standort nicht mitgeteilt worden sei.
II.
Der dagegen gerichtete, auf die Zulassungsgründe ernstlicher Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtsache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) sowie grundsätzlicher Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1.
Ernstliche Zweifel sind dann dargelegt, wenn es dem Rechtsmittelführer gelingt, wenigstens einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit plausiblen Gegenargumenten derart in Frage zu stellen, dass sich dadurch etwas am Entscheidungsergebnis ändern könnte. Überwiegende Erfolgsaussichten sind nicht erforderlich; es genügt, wenn sich diese als offen erweisen. Nach diesen Maßstäben ist es dem Kläger nicht gelungen, die Feststellungen des Verwaltungsgerichts in Zweifel zu ziehen.
§ 69 Abs. 2 NBauO (in der hier anwendbaren, bis zum 31.12.2021 geltenden Fassung (a.F.); die Vorschrift wurde durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung der Niedersächsischen Bauordnung und des Niedersächsischen Denkmalschutzgesetzes vom 10.11.2021, NdsGVBl. Nr. 43/2021, S. 732, grundlegend geändert) regelt das Verfahren bei unvollständigen oder sonst mangelhaften Bauvorlagen. Sind der Bauantrag oder die Bauvorlagen unvollständig oder weisen sie sonstige erhebliche Mängel auf, so fordert die Bauaufsichtsbehörde die Bauherrin oder den Bauherrn nach § 69 Abs. 2 Satz 1 NBauO a.F. zur Behebung der Mängel innerhalb einer angemessenen Frist auf. Werden die Mängel innerhalb der Frist nicht behoben, so soll die Bauaufsichtsbehörde die Bearbeitung des Bauantrages unter Angabe der Gründe ablehnen (§ 69 Abs. 2 Satz 2 NBauO a.F.). Die Befugnis der Bauaufsichtsbehörde, die Bearbeitung von Bauanträgen beim Vorliegen erheblicher Mängel abzulehnen, betont die Eigenverantwortung von Bauherrin oder Bauherr (vgl. bereits die damalige Gesetzesbegründung LT-Drs. 16/3195, S. 103). In Abgrenzung zu einer Versagung der Baugenehmigung wegen fehlender Genehmigungsfähigkeit kommt eine Ablehnung der weiteren Bearbeitung des Bauantrags nach § 69 Abs. 2 Satz 2 NBauO a.F. in Betracht, wenn im Ergebnis eine materielle Prüfung des Vorhabens durch die Bauaufsichtsbehörde aufgrund der festgestellten Mängel schon nicht hinreichend möglich ist (vgl. Senatsbeschl. v. 25.3.2022 - 1 LA 89/21 -, BauR 2022, 896 = NdsVBl 2022, 217 = juris Rn. 10). Gemessen daran hat das Verwaltungsgericht zu Recht und mit zutreffender Begründung die Ablehnung der weiteren Bearbeitung des Bauantrags für rechtmäßig erachtet.
Ohne Erfolg meint der Kläger, der Beklagte habe eine sein Lohnunternehmen berücksichtigende Betriebsbeschreibung einschließlich einer gewichtenden Beschreibung der Nutzung von Halle und Hoffläche durch seine verschiedenen Betriebe nicht verlangen dürfen. Er als Bauherr habe die Entscheidungsgewalt darüber, welches Vorhaben er zur Genehmigung stelle. Daraus ergebe sich der Umfang der vorzulegenden Bauvorlagen. Zur Genehmigung gestellt habe er nach dem Scheitern seiner ursprünglichen Planungen allein eine landwirtschaftliche Nutzung. Um diese beurteilen zu können, bedürfe es keiner Darlegungen zu seinen gewerblichen Betrieben. Das trifft aus den zutreffenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts, die sich der Senat gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO zur Vermeidung von Wiederholungen ergänzend zu eigen macht, nicht zu.
Richtig ist zwar, dass ein Bauvorhaben grundsätzlich in der Gestalt zu beurteilen ist, in der es der Bauherr mittels seines Bauantrags und den beigefügten Bauvorlagen zur Prüfung gestellt hat. Eine andere Beurteilung ist aber ausnahmsweise dann gerechtfertigt, wenn bereits den Bauvorlagen zu entnehmen ist, dass die zur Genehmigung gestellte Nutzung entweder objektiv gar nicht möglich ist oder vom Bauherrn tatsächlich nicht angestrebt wird. Nur in Fällen eines derartigen "Etikettenschwindels" ist ein Durchgriff auf das tatsächlich zur Genehmigung gestellte Vorhaben geboten (vgl. Senatsbeschl. v. 7.2.2022 - 1 LA 108/20 -, BauR 2022, 762 = juris Rn. 12; v. 12.12.2013 - 1 LA 123/13 -, DVBl. 2014, 254 = juris Rn. 18). Ein "Etikettenschwindel" liegt hier nach den Gesamtumständen des Falles aber mehr als nahe. Für das weiterhin betriebene Lohnunternehmen des Klägers, das vormals vom Baugrundstück aus betrieben worden ist, hat der Kläger keinen neuen Betriebsstandort benannt. Im Gegenteil hat sein Entwurfsverfasser gegenüber dem Beklagten geäußert, dass es keinen neuen Standort gebe. Damit drängt sich der Verdacht auf, dass das Baugrundstück weiterhin als Betriebsstandort genutzt und mit dem Anschein der Legalität versehen werden soll. Verstärkt wird dieser Verdacht dadurch, dass die Auflistung der dem landwirtschaftlichen Betrieb zugeordneten Fahrzeuge und Maschinen einen enormen Umfang - darunter beispielsweise fünf Lastkraftwagen - aufweist und Erweiterungsabsichten bekundet werden. Hinzu kommt, dass der Kläger selbst eingeräumt hat, Maschinen an das Lohnunternehmen zu vermieten. Schon das erfordert die Abgrenzung, denn auch diese Vermietung ist keine Landwirtschaft. Ihr genauer Umfang muss geklärt werden, um zu bestimmen, ob sie "mitgezogen" werden kann. Die dazu vom Kläger getätigten vagen Angaben im Schreiben vom 9. Januar 2019, die mit der Verweigerung weiterer Angaben verbunden waren, ermöglichen eine solche Klärung nicht. In der Gesamtschau konnte der Beklagte daher nicht davon ausgehen, der Kläger habe - wie er mit dem Zulassungsantrag erneut vorbringt - eine gewerbliche Nutzung von Halle und Hoffläche endgültig aufgegeben. Angesichts dessen war die Anforderung einer Betriebsbeschreibung des Lohnunternehmens und weiterer Angaben zur konkreten Nutzung von Halle und Hoffläche auf dem Baugrundstück zur Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit notwendig.
Dahinstehen kann vor diesem Hintergrund, ob es zusätzlich weiterer Angaben zum Zu- und Abgangsverkehr bedurfte. Allein das Fehlen der erforderlichen Angaben zur Betriebsführung und die endgültige Weigerung des Klägers, diese nachzureichen, zwangen zur Ablehnung der weiteren Bearbeitung des Bauantrags.
2.
Besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO sind mit der vorstehenden Feststellung nicht verbunden. Alle maßgeblichen Rechtsfragen sind in der Rechtsprechung des Senats seit langem geklärt. Tatsächlich ist der Fall einfach gelagert.
3.
Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, die der Kläger ihr beimisst. Den aufgeworfenen Fragen, "welche Unterlagen die Behörde zur Prüfung eines Bauantrags konkret fordern darf" bzw. "welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit der sachlich begründete Verdacht eines ,Etikettenschwindels' vorliegt, aufgrund dessen die Behörde berechtigt sein kann, Unterlagen in Bezug auf einen anderen als den zur Prüfung gestellten Betrieb zu verlangen", kommt ungeachtet der Frage, ob den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügt ist, keine grundsätzliche Bedeutung zu. Fordern darf - und muss - die Bauaufsichtsbehörde nach näherer Konkretisierung in der Bauvorlagenverordnung die Vorlage derjenigen Unterlagen, die für die Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit erforderlich sind (vgl. Senatsbeschl. v. 25.3.2022 - 1 LA 89/21 -, BauR 2022, 896 = NdsVBl 2022, 217 = juris Rn. 11). Das ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt und liegt im Übrigen auf der Hand. Ebenso geklärt ist nach den obigen Ausführungen, wann ausnahmsweise ein "Etikettenschwindel" vorliegt, der einen Durchgriff auf das tatsächlich zur Genehmigung gestellte Vorhaben gebietet. Ob diese Voraussetzungen im konkreten Fall erfüllt sind bzw. ob ein entsprechender, im Baugenehmigungsverfahren zu erhärtender oder auszuräumender Verdacht besteht, ist - wie die vom Kläger zitierte weitere Senatsrechtsprechung belegt - nach allen Umständen des Einzelfalls zu beurteilen und entzieht sich einer abstrakten Bestimmung.
Die weitere aufgeworfene Frage, "ob die TA Lärm analog auf den nicht genehmigungsbedürftigen landwirtschaftlichen Betrieb anwendbar ist und ob in Folge dessen ein Lärmgutachten überhaupt gefordert werden darf, oder ob die Privilegierung des Betriebs im Außenbereich, die zusätzlich durch Nr. 1 c) der TA Lärm hervorgehoben wird, bewirkt, dass die landwirtschaftlichen Geräuschemissionen als gebietstypisch hinzunehmen sind", ist - wie ausgeführt - nicht entscheidungserheblich und würde sich daher in einem Berufungsverfahren nicht stellen.
4.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG und entspricht der Festsetzung des Verwaltungsgerichts.