Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 27.10.2023, Az.: 2 ME 91/23

Anerkennung; Auslandsschule; Auslandsschulgesetz; Deutsche Auslandsschule; KMK; Kultusministerkonferenz; Versetzungsentscheidung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
27.10.2023
Aktenzeichen
2 ME 91/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 39714
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2023:1027.2ME91.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 19.09.2023 - AZ: 6 B 4568/23

Amtlicher Leitsatz

Für eine schulaufsichtliche Verantwortung des nach dem Beschluss des Bund-Länder-Ausschusses für schulische Arbeit im Ausland (BLASchA) vom 18. März 2021 zuständigen Bundeslandes auch für Versetzungsentscheidungen von Deutschen Auslandsschulen bedarf es deren zusätzlichen Anerkennung durch die Kultusministerkonferenz.

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 6. Kammer - vom 19. September 2023 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt die vorläufige Versetzung in den 10. Schuljahrgang einer in Ägypten ansässigen Deutschen Auslandsschule.

Die 2008 geborene Antragstellerin, die deutsche Staatsangehörige ist, wohnt mit ihren Eltern in Ägypten. Dort besuchte sie im Schuljahr 2022/23 die 9. Jahrgangsstufe der Deutschen Schule A-Stadt (DSH). Bei der DSH handelt es sich um eine 2004 von einem privaten Schulträger gegründete internationale Schule mit sowohl deutschem als auch ägyptischem Curriculum, der 2014 nach dem Gesetz über die Förderung Deutscher Auslandsschulen (Auslandsschulgesetz - ASchulG) vom 26. August 2013 (BGBl. I S. 3306) der Status "Deutsche Auslandsschule" verliehen wurde.

Am Ende des Schuljahres 2022/23 wurde die Antragstellerin nicht versetzt. Ihr Zeugnis vom 22. Juni 2023 wies im Fach Mathematik die Note "ungenügend" aus, was nach Nr. 5.4 der Versetzungsordnung der Sekundarstufe I der DHS eine Versetzung ausschließt; ein Ausgleich ist nicht möglich. In der Niederschrift der Versetzungskonferenz vom 19. Juni 2023 wurde festgehalten, dass die das Fach Mathematik unterrichtende Lehrerin ausführlich und nachvollziehbar die Notengebung bezüglich der Antragstellerin belegt habe und eine Diagnose bezüglich einer Dyskalkulie nicht vorliege.

Mit E-Mail vom 29. Juni 2023 wandte sich die Antragstellerin an die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (ZfA) beim Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten und bat um Mitteilung, an welcher Stelle ein Widerspruch gegen eine die Versetzung hindernde Benotung einer deutschen Schule in Ägypten eingereicht werden müsse, wenn diese Schule ferienbedingt bereits geschlossen sei; den Namen der von ihr besuchten Schule gab sie dabei nicht an. Die ZfA leitete die Anfrage an das Kultusministerium des Antragsgegners weiter, dem nach dem mit der Beschwerdeerwiderung vorgelegten Beschluss des Bund-Länder-Ausschusses für schulische Arbeit im Ausland (BLASchA) vom 18. März 2021 im Zeitraum 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2025 die schulaufsichtliche Zuständigkeit u.a. für das Land Ägypten zukommt. Mit E-Mail vom 5. Juli 2023 antwortete das Kultusministerium der Antragstellerin, dass grundsätzlich ein Widerspruch gegen eine Benotung bzw. eine nicht erfolgte Versetzung zunächst bei der betreffenden Schule einzureichen sei, selbst wenn diese ferienbedingt geschlossen sei. Erst wenn diese Instanz nicht abhelfen könne, sei der Antragsgegner als von der Kultusministerkonferenz (KMK) für die Region Ägypten Beauftragter die nächste Instanz, sofern es sich um einen deutschen Bildungsgang handele.

Mit E-Mail vom 6. Juli 2023 legte die Antragstellerin bei der DSH Widerspruch gegen ihre Nichtversetzung ein. Mit Schreiben vom 21. August 2023 trat die Leiterin der DSH den zur Begründung vorgebrachten Einwendungen gegen die Bewertung der Leistungskontrolle "Lineare Funktionen" im Einzelnen entgegen. Das Notenergebnis werde sich nicht ändern. Die Nichtversetzung sei korrekt und nicht nur aufgrund der schwachen Leistungen, sowohl schriftlich als auch mündlich, im Fach Mathematik erfolgt. Aufgrund der Lernhaltung der Antragstellerin, des gezeigten Desinteresses am Unterricht und den fehlenden mathematischen Grundlagen hätten sich keine Argumente ergeben, die eine Versetzung in Klasse 10 rechtfertigen würden. Hinzu kämen die schwachen Leistungen im Fach Chemie (mangelhaft) und im Fach Physik (ausreichend). Die Antragstellerin könne bei Wiederholung der Klasse 9 mit weniger Druck die Grundlagen für Klasse 10 in Mathematik erarbeiten und dann auch Erfolgserlebnisse erreichen. Das Elternhaus müsse allerdings auch diesen Neustart begleiten und mit positiver Haltung unterstützen.

Nach Aufnahme des Unterrichts an der DSH im Schuljahr 2023/24 am 27. August 2023 hat die Antragstellerin unter Wiederholung und Vertiefung ihrer Angriffe gegen die ihr im Fach Mathematik erteilte Note "ungenügend" beim Verwaltungsgericht Hannover um vorläufigen Rechtsschutz mit dem Begehren nachgesucht, den Antragsgegner "im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, sie bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung in der Hauptsache vorläufig am Unterricht der Klasse 10 teilnehmen zu lassen". Nachdem die Antragsschrift trotz Aufforderung der Kammervorsitzenden innerhalb der hierfür bestimmten Frist nicht um eine ladungsfähige Anschrift der Antragstellerin ergänzt worden ist, hat das Verwaltungsgericht ihren Eilantrag mit dem hier angegriffenen Beschluss als schon unzulässig abgelehnt.

II.

Die Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg. Zwar ist die Beschwerde frist- und formgerecht eingelegt worden und reicht auch die ladungsfähige Anschrift der Antragstellerin nach. Das mit ihr weiter verfolgte Bestreben der Antragstellerin, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu verpflichten, sie bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung in der Hauptsache vorläufig am Unterricht der Klasse 10 teilnehmen zu lassen, lässt sich aber gleich aus mehreren Gründen nicht erreichen.

Die Antragstellerin hat ihrem Eilrechtsschutzbegehren schon selbst die Grundlage entzogen. Ausweislich des von dem Antragsgegner mit der Beschwerdeerwiderung vorgelegten Verwaltungsvorgangs ist die Antragstellerin, die nach Beginn des Schuljahres 2023/24 zunächst aus Krankheitsgründen nicht am Unterricht an der DSH teilnahm, zeitgleich mit dem Erlass des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses zu einer anderen - nicht über den Status "Deutsche Auslandsschule" verfügenden - internationalen Privatschule in Kairo gewechselt. Warum die erstrebte einstweilige Regelung dennoch im Sinne von § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Abwendung wesentlicher Nachteile für die Antragstellerin nötig erscheinen sollte, erschließt sich nicht und ist von ihr auch auf den Hinweis des Senats vom 6. Oktober 2023 nicht dargelegt worden. Vielmehr dürfte durch den Abgang von der DSH nicht nur der Anordnungsgrund, sondern auch das bereits für die Zulässigkeit eines Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz erforderliche Rechtsschutzbedürfnis (Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl. 2022, § 123 Rn. 22 u. § 80 Rn. 136) entfallen sein.

Zudem war der Antragsgegner für die von der Antragstellerin erstrebte vorläufige Versetzung in den 10. Schuljahrgang an der DSH von vornherein nicht passivlegitimiert. In seiner E-Mail vom 5. Juli 2023 hat das Kultusministerium des Antragsgegners zu Recht dessen Befugnis, die Nichtversetzungsentscheidung der DSH zu überprüfen, durch die Formulierung "sofern es sich um einen deutschen Bildungsgang handelt" eingeschränkt.

Denn zwar ist gemäß § 4 ASchG mit der Verleihung des Status "Deutsche Auslandsschule" eine Schulaufsicht verbunden, in deren Rahmen den Deutschen Auslandschulen auch Weisungen erteilt werden können. Grundlagen der Schulaufsicht sind aber ausdrücklich nur der Verleihungsvertrag und der Fördervertrag. Für eine schulaufsichtliche Verantwortung des nach dem Beschluss des BLASchA vom 18. März 2021 zuständigen Bundeslandes auch für Versetzungsentscheidungen von Deutschen Auslandsschulen bedarf es daher deren zusätzlichen Anerkennung durch die KMK. Wie der Antragsgegner in seiner Beschwerdeerwiderung dargelegt hat, impliziert der Verleihungsvertrag nach § 2 Abs. 1 ASchG keine automatische Anerkennung durch die KMK, ist allerdings in der Regel eine Voraussetzung dafür, weil mit dem Verleihungsvertrag das kulturpolitische oder sonstige Interesse des Bundes vorliegt, welches Kriterium für die Anerkennung der KMK ist. Durch eine Anerkennung nach dem von dem Antragsgegner ebenfalls im Beschwerdeverfahren eingereichten Beschluss der KMK "Bildungsgänge und Abschlüsse im Sekundarbereich I an Deutschen Schulen im Ausland" vom 17. September 2008 erhalten die Schulen das Recht, Zeugnisse zu erteilen, die die gleiche Berechtigung verleihen wie die öffentlichen Schulen in der Bundesrepublik Deutschland (vgl. auch BFH, Beschl. v. 14.12.2004 - XI R 32/03 -, juris Rn. 24). Daraus folgt zugleich, dass die Schulaufsicht der Bundesländer die Sicherung der Vergleichbarkeit der deutschen Bildungsgänge und somit auch der Versetzungen umfasst. Ohne eine Anerkennung durch die KMK sind dagegen mit der Vergabe von Versetzungszeugnissen keine Berechtigungen verbunden, die denen öffentlicher Schulen im Bundesgebiet gleichgestellt sind. Demgemäß besteht weder Anlass noch Befugnis, Versetzungsentscheidungen Deutscher Auslandsschulen zu überprüfen.

Bei der DSH handelt es sich jedoch nicht um eine durch die KMK anerkannte Deutsche Auslandsschule, so dass die von der Schule ausgestellten Versetzungszeugnisse keine Berechtigung in Deutschland vermitteln und der Antragsgegner infolgedessen auch keine schulaufsichtliche Verantwortung für die Versetzungsentscheidungen an der DSH wahrnimmt. Nach den Darlegungen des Antragsgegners in der Beschwerdeerwiderung hat die DSH zwar für das Schuljahr 2016/17 erstmalig die Genehmigung zur Durchführung der Abschlussprüfungen der Sekundarstufe I erhalten. Eine Anerkennung der Schule und damit die Gleichstellung der Versetzungszeugnisse ist ausweislich der vorgelegten Übersicht über die von der KMK anerkannten Deutschen Auslandsschulen aber nicht gegeben.

Ohne eine Passivlegitimation des Antragsgegners sind aber auch weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wie die Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit und die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Komm., 28. Aufl. 2022, § 123 Rn. 17) nicht erfüllt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren, die der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung entspricht, beruht auf §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG (vgl. Senatsbeschl. v. 13.10.2023 - 2 ME 79/23 -, juris Leitsatz 5 und Rn. 6 m.w.N.).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).