Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 20.10.2023, Az.: 4 LA 206/21

Ermessen; Vorkaufsrecht; naturschutzrechtliches Vorkaufsrecht; Naturschutzrechtliches Vorkaufsrecht nach § 66 BNatSchG i.V.m. § 40 NNatSchG

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
20.10.2023
Aktenzeichen
4 LA 206/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 40550
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2023:1020.4LA206.21.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Stade - 25.08.2021 - AZ: 1 A 1344/18

Fundstelle

  • NVwZ-RR 2024, 188-189

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Die Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 66 BNatSchG i.V.m. § 40 NNatSchG steht im Ermessen der Naturschutzbehörde.

  2. 2.

    Im Rahmen der gebotenen Ermessensentscheidung sind neben den Belangen des Naturschutzes auch die Interessen des Vorkaufsverpflichteten und des Erwerbers zu berücksichtigen.

  3. 3.

    Von der Ermessensausübung zu unterscheiden ist die Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Ausübung eines Vorkaufsrechts gemäß § 66 Abs. 2 BNatSchG, wonach dies aus Gründen des Naturschutzes und der Landschaftspflege einschließlich der Erholungsvorsorge erforderlich sein muss.

Tenor:

Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade - 1. Kammer - vom 25. August 2021 wird abgelehnt.

Der Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. und 2., die diese selbst tragen.

Der Streitwert des Zulassungsverfahrens wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Beklagten,

die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zuzulassen,

hat keinen Erfolg. Der von dem Beklagten geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor.

Das Verwaltungsgericht hat mit dem erstinstanzlichen Urteil den Bescheid des Beklagten vom 8. März 2018 in der Form des Widerspruchsbescheids vom 17. April 2018 aufgehoben. Mit diesem Bescheid hatte der Beklagte sein Vorkaufsrecht zugunsten des Landes Niedersachsen für das Flurstück K. der Flur L. in der Gemarkung M. -Stadt ausgeübt. Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass der Bescheid des Beklagten rechtswidrig sei, weil ein rechtlich beachtlicher Ermessensfehler in Form des Ermessensausfalls vorliege (Urteilsabdruck, S. 7 ff.).

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Die Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 66 BNatSchG i.V.m. § 40 NNatSchG steht im Ermessen der Naturschutzbehörde (Senatsbeschl. v. 14.1.2013 - 4 LA 171/11 -, juris Rn. 3; Frenz/Müggenborg, BNatSchG, 3. Aufl. 2021, § 66 Rn. 53; Blum/Agena/Brüggeshemke, Niedersächsisches Naturschutzrecht, Stand: April 2023, § 40 Rn. 69). Im Rahmen der gebotenen Ermessensentscheidung sind neben den Belangen des Naturschutzes auch die Interessen des Vorkaufsverpflichteten und des Erwerbers zu berücksichtigen (vgl. Bay. VGH, Urt. v. 9.7.2020 - 14 B 19.96 -, juris Rn. 34; OVG Saarlouis, Urt. v. 29.4.2010 - 2 A 403/09 -, juris Rn. 80 m.w.N.; Blum/Agena/Brüggeshemke, Niedersächsisches Naturschutzrecht, Stand: April 2023, § 40 Rn. 69). Von der Ermessensausübung zu unterscheiden ist die Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Ausübung eines Vorkaufsrechts gemäß § 66 Abs. 2 BNatSchG, wonach dies aus Gründen des Naturschutzes und der Landschaftspflege einschließlich der Erholungsvorsorge erforderlich sein muss. Ob dies unter Berücksichtigung der Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege gemäß § 1 BNatSchG der Fall ist, ist - anders als die zu treffende Ermessensentscheidung - in vollem Umfang gerichtlich überprüfbar (vgl. Bay. VGH, Urt. v. 1.10.2019 - 14 BV 17.419 -, juris Rn. 35; Blum/Agena/ Brüggeshemke, Niedersächsisches Naturschutzrecht, Stand: April 2023, § 40 Rn. 71). Von den vorgenannten Rechtssätzen ist das Verwaltungsgericht zutreffend ausgegangen (Urteilsabdruck, S. 8 f.).

Die Ausübung eines Vorkaufsrechts ist gemessen an den vorgenannten Maßstäben daher nur rechtmäßig, wenn die Naturschutzbehörde die erforderliche Abwägung öffentlicher Interessen und schutzwürdiger privater Belange vorgenommen und dabei die wesentlichen Gesichtspunkte berücksichtigt hat. Daran fehlt es hier.

Ob die Behörde ihrer Verpflichtung zu der gebotenen Ermessensausübung nachgekommen ist, ist durch Auslegung des Bescheides zu ermitteln (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.10.1978 - III C 18.77 -, juris Rn. 20; Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 114 Rn. 18). Eine fehlende Begründung der Ermessensentscheidung indiziert dabei einen Ermessensnichtgebrauch, sofern sich nicht aus den Gesamtumständen ergibt, dass die Behörde eine Ermessensentscheidung getroffen und welche Erwägungen sie hierzu angestellt hat (vgl. BVerwG, Beschl. v. 15.1.1988 - 7 B 182.87 -, juris Rn. 7; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 24.2.2022 - 1 S 2283/20 -, juris Rn. 56 m.w.N.; Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 114 Rn. 23).

Weder dem Ausgangsbescheid vom 8. März 2018 noch dem Widerspruchbescheid vom 17. April 2018 kann nach dem Wortlaut oder Inhalt bzw. nach den Gesamtumständen entnommen werden, dass der Beklagte im Rahmen der Ausübung seines Vorkaufsrechts die erforderliche Interessenabwägung vorgenommen hat. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf die zutreffenden Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung (Urteilsabdruck, S. 8 ff.). Zu Recht hebt das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang hervor, dass weder ausdrücklich noch sonst in der Sache ersichtlich von dem Beklagten im Rahmen der von ihm getroffenen Entscheidung berücksichtigt worden ist, dass der Verkauf des streitgegenständlichen Grundstücks bereits 2010 erfolgt und vollzogen worden ist. Mit Blick auf den zeitlichen Ablauf (Ausübung des Verkaufsrechts acht Jahre nach dem Verkaufsvorgang) und dem von dem Beklagten nicht widersprochenen Vorbringen des Beigeladenen zu 2., dass in der Vergangenheit in weniger bedeutsamen Fällen von der Ausübung des Vorkaufsrechts abgesehen worden sei, wenn der Verkauf erst nachträglich bekannt geworden sei, hat es sich geradezu aufgedrängt, die schutzwürdigen Belange der Klägerin und des Beigeladenen zu 1. unter Berücksichtigung des zeitlichen Ablaufs zu würdigen und gegenüber dem öffentlichen Interesse zu gewichten. Hieran fehlt es jedoch.

Dass die gebotene Interessenabwägung erfolgt ist, lässt sich entgegen dem Zulassungsvorbringen des Beklagten nicht daraus schließen, dass sich der Bescheid vom 8. März 2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 17. April 2018 zu der Erforderlichkeit der Ausübung des Vorkaufsrechts gemäß § 66 Abs. 2 BNatSchG verhält. Die in dem streitgegenständlichen Bescheid von dem Beklagten dargelegten naturschutzfachlichen Gründe für die Ausübung des Vorkaufsrechts betreffen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 BNatSchG und beinhalten nicht zugleich die gebotene Berücksichtigung und Gewichtung privater Nutzungs- und Verkaufsinteressen. Der weitere Einwand des Beklagten, dass im Widerspruchsbescheid nur das Vorbringen der Klägerin und des Beigeladenen zu 1. im Verwaltungsverfahren gewürdigt worden sei und andere Belange sich nicht aufgedrängt hätten, verfängt nicht. Denn gerade mit Blick auf den zeitlichen Ablauf hat sich - wie ausgeführt - eine Würdigung dieses Umstands im Rahmen einer Interessenabwägung aufgedrängt. Entgegen dem Zulassungsvorbringen kommt die für eine Ermessensentscheidung erforderliche Abwägung der öffentlichen Belange mit dem Interesse an einem Verbleib der Flächen im privaten Eigentum auch nicht hinreichend dadurch zum Ausdruck, dass nach der Widerspruchsbegründung eine freie landwirtschaftliche Nutzung einer Verwendung der Fläche für Naturschutzzwecke entgegenstehe (Widerspruchsbescheid, S. 2). Denn auch diese Begründung betrifft die Erforderlichkeit der Ausübung des Verkaufsrechts im Sinn des § 66 Abs. 2 BNatSchG, nicht hingegen die Abwägung der widerstreitenden Interessen. Schließlich vermag auch der Hinweis des Beklagten auf den Senatsbeschluss vom 14. Januar 2013 - 4 LA 171/11 - eine andere Entscheidung in der Sache nicht zu rechtfertigen. Denn anders als in dem hier zu entscheidenden Fall hatte die Naturschutzbehörde in dem diesem Verfahren zugrundeliegenden Bescheid erkennbar zum Ausdruck gebracht, dass sie die privaten Interessen an dem Verblieb des Grundstücks in privater Hand berücksichtigt und mit dem von ihr dargelegten öffentlichen Interesse an der Ausübung des Vorkaufsrechts abgewogen hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 9.6.2 des Streitwertkatalogs (zur Streitwertfestsetzung bei Anfechtung der Ausübung des Vorkaufsrechts durch den Verkäufer vgl. Senatsbeschl. v. 6.6.2023 - 4 OA 32/23 -, juris Rn. 6).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).