Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 26.10.2023, Az.: 14 LA 268/22

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
26.10.2023
Aktenzeichen
14 LA 268/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 39713
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2023:1026.14LA268.22.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Lüneburg - 12.05.2022 - 6 A 245/20

Tenor:

Auf den Antrag des Beklagten wird die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 6. Kammer - vom 12. Mai 2022 zugelassen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

Der zulässige Antrag des Beklagten, die Berufung gegen das im Tenor bezeichnete Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg zuzulassen, hat Erfolg.

I. Die Klägerin ist Tierärztin und betreibt eine tierärztliche Praxis mit tierärztlicher Hausapotheke in der im Landkreis C. liegenden Gemeinde A-Stadt. Am 13. Mai 2018 zeigte die Klägerin dem Beklagten formlos an, dass ab dem 14. Mai 2018 keine Arzneimittel mehr in ihrer Praxisnebenstelle in D. gelagert würden, sondern stattdessen in ihrer Zweitpraxis in E.. Daraufhin informierte der Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 27. Juni 2018, dass der Betrieb einer zweiten tierärztlichen Hausapotheke in E. gegen die Regelung in § 9 Abs. 1 Satz 1 TÄHAV verstoße. Die Klägerin erwiderte hierauf, dass es sich bei der Praxis in E. um eine Untereinheit ihrer Praxis in A-Stadt handele, in der Arzneimittel gelagert werden dürften, weil sie die jederzeitige und uneingeschränkte Kontrolle über die ordnungsgemäße Lagerung habe. Daraufhin führte der Beklagte erfolgreich ein Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen die Klägerin, im Rahmen dessen schließlich das Oberlandesgericht Oldenburg in seinem Urteil vom 7. August 2019 feststellte, dass ein Verstoß gegen § 9 Abs. 1 TÄHAV vorliege, weil die Klägerin wissentlich und willentlich in ihrer Praxis in E. Arzneimittel lagere.

Mit Schreiben vom 30. September 2019 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass in ihrer Praxis in E. keine Arzneimittel mehr gelagert würden.

Am 27. November 2019 fand in der Praxis der Klägerin in E. eine Kontrolle durch die zuständigen bremischen Behörden statt. Ausweislich des Berichts und der darin befindlichen Fotos habe sich in der Praxis ein Schrank mit Arzneimitteln, eine Art Werkzeugwagen, ein Kasten aus Kunststoff zum Transport von Durchstechflaschen und ein Behälter aus Styropor zum Transport von kühlpflichtigen Impfstoffen befunden. Die Klägerin habe erklärt, dass sie die Medikamente seit dem Gerichtsurteil täglich zwischen A-Stadt und E. hin und her transportiere und diese täglich in die Schränke im Behandlungsraum ein- und wiederausräume. Um den Werkstattwagen in das Auto transportieren zu können, sei außerdem eine mobile Rampe in der Praxis vorhanden.

Im Anschluss an die Kontrolle hörte der Beklagte die Klägerin zu dem streitgegenständlichen Bescheid an. Die Klägerin teilte dem Beklagten mit, dass sie die Arzneimittel täglich zwischen A-Stadt und E. hin und her transportiere. Zu diesem Zweck würden fahrbare Trolleys benutzt, aus denen die Arzneimittel herausgegeben würden. Eine stationäre Aufbewahrung und Lagerung für eine spätere Verwendung finde nicht statt. Die Arzneimittel seien nur wenige Stunden im Trolley und würden am Ende eines Arbeitstages nach A-Stadt zurückgebracht.

Mit Bescheid vom 11. Juni 2020 ordnete der Beklagte gegenüber der Klägerin unter Auferlegung der Kostenpflicht an, innerhalb von zwei Wochen nach Bestandskraft der Verfügung die Lagerung von Arzneimitteln an einem der von der Klägerin betriebenen Standorte in A-Stadt bzw. E. einzustellen, wobei die Klägerin benennen sollte, an welchem Standort sie die Lagerung beendet. Für den Fall der Nichtbefolgung wurde die Festsetzung eines Zwangsgeldes in Höhe von 500 Euro angedroht. Den Bescheid begründete der Beklagte damit, dass ein Verstoß gegen § 9 Abs. 1 Satz 1 TÄHAV vorliege, indem eine Lagerung von Arzneimitteln durch die Klägerin an beiden Praxisstandorten erfolge. Eine Lagerung setze dabei nicht voraus, dass die Medikamente über Nacht an dem Ort verbleiben würden. Lagern läge bei jeder stationären Aufbewahrung oder bei einem Ablegen an einem Ort für eine spätere Verwendung vor, wobei die Dauer des Ablegens bzw. der Aufbewahrung keine Rolle spiele. Eine Lagerung sei deshalb durch das Aufbewahren der Medikamente tagsüber am Standort in E. gegeben. Die in § 9 Abs. 1 Satz 2 TÄHAV enthaltenen Ausnahmen könnten nicht geltend gemacht werden. Eine Bezugnahme auf § 11 TÄHAV sei für die Vorgehensweise der Klägerin nicht möglich, da sie nicht dem Wortlaut entsprechend eine Außenpraxis betreibe.

Das Verwaltungsgericht hat der von der Klägerin am 9. Juli 2020 gegen diesen Bescheid erhobenen Klage durch das - ohne mündliche Verhandlung ergangene - Urteil vom 12. Mai 2022 stattgegeben. Es hat festgestellt, dass am Hauptstandort in A-Stadt eine tierärztliche Hausapotheke bestehe und die Klägerin die erforderlichen Arzneimittel zur Anwendung und Abgabe an Tierhalter unter Nutzung eines Werkstattwagens täglich zwischen A-Stadt und E. hin und her transportiere. Ein Verstoß gegen § 9 Abs. 1 Satz 1 TÄHAV liege nicht vor. Das tägliche Transportieren der Arzneimittel zur Praxisnebenstelle und der damit verbundene zeitweilige Aufenthalt dieser Medikamente in E. stelle kein Lagern im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1 TÄHAV dar, solange die Klägerin nach Beendigung ihres Arbeitstages alle Arzneimittel wieder in das Lager im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1 TÄHAV, also in ihre Hauptpraxis, verbringe.

II. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124a Abs. 5 Satz 2 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dies hat der Beklagte auch in einer (noch) den Anforderungen des § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO genügenden Weise dargelegt.

a) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung sind anzunehmen, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 8.12.2009 - 2 BvR 758/07 -, juris Rn. 96). Die Richtigkeitszweifel müssen sich dabei auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.3.2004 - 7 AV 4.03 -, juris Rn. 9). Eine den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügende Darlegung dieses Zulassungsgrundes erfordert, dass im Einzelnen unter konkreter Auseinandersetzung mit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ausgeführt wird, dass und warum Zweifel an der Richtigkeit der Auffassung des erkennenden Verwaltungsgerichts bestehen sollen. Hierzu bedarf es regelmäßig qualifizierter, ins Einzelne gehender, fallbezogener und aus sich heraus verständlicher Ausführungen, die sich mit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage einer eigenständigen Sichtung und Durchdringung des Prozessstoffes auseinandersetzen (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 5.1.2022 - 7 LA 51/21 -, juris Rn. 7 m.w.N.).

b) Nach diesen Maßstäben ist die Berufung zuzulassen.

Das Verwaltungsgericht hat sein Urteil tragend auf die Annahme gestützt, dass ein Verstoß gegen § 9 Abs. 1 Satz 1 TÄHAV nicht vorliege.

Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 TÄHAV muss der Tierarzt alle Arzneimittel in Betriebsräumen an einem einzigen Standort lagern. Abweichend von Satz 1 dürfen Arzneimittel auch in anderen Betriebsräumen gelagert werden, die sich in Zoologischen Gärten, Tierheimen, Versuchstierhaltungen, Tierkliniken, Hochschulen, Besamungsstationen oder höchstens einer Untereinheit der Praxis befinden, wenn 1. die Arzneimittel ausschließlich zur arzneilichen Versorgung der dort vorhandenen oder, im Falle einer Untereinheit der Praxis, von dort behandelten Tiere bestimmt sind und 2. die Betriebsräume ausschließlich der Verfügungsgewalt des Tierarztes unterstehen. Nach Satz 3 der Vorschrift müssen die Praxis und die Untereinheit der Praxis innerhalb desselben Kreises oder derselben kreisfreien Stadt oder in einem angrenzenden Kreis oder einer angrenzenden kreisfreien Stadt liegen. Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 TÄHAV dürfen hingegen Arzneimittel in der Außenpraxis mitgeführt werden, allerdings nur in allseits geschlossenen Transportbehältnissen, die Schutz bieten vor einer nachteiligen Beeinflussung der Arzneimittel, insbesondere durch Licht, Temperatur, Witterungseinflüsse oder Verunreinigungen.

Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass ein Lagern im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1 TÄHAV bedeute, dass Arzneimittel als Vorrat für einen Verbrauch zu einem noch nicht näher bestimmten, späteren Zeitpunkt in eine ruhende Stellung verbracht würden. Begrifflich spiele eine zeitliche Komponente insofern eine Rolle, als dass eine Lagerung eine gewisse zumindest mögliche Finalität aufweise und deshalb ein sehr kurzweiliges Ablegen oder Aufbewahren nicht erfasst sei. Getragen werde dies durch die Abgrenzung zum Begriff des Mitführens im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 TÄHAV, wonach Arzneimittel in der Außenpraxis nur in allseits geschlossenen Transportbehältnissen mitgeführt würden, die den näher bestimmten Schutzanforderungen gerecht würden. Dies sei kein Lagern, da ein Mitführen andernfalls grundsätzlich einen Verstoß gegen § 9 Abs. 1 Satz 1 TÄHAV darstellen würde. Dabei schließe § 11 Abs. 1 TÄHAV weder mit dem Begriff "Außenpraxis" noch durch eine andere Regelung aus, dass eine Mitnahme von Medikamenten zu einer Untereinheit der Praxis für einen Behandlungstag rechtlich zulässig sei. Eine Außenpraxis sei als Ort zu verstehen, an dem der Tierarzt seiner Tätigkeit nachkomme, ohne dass dort die Hauptpraxis mit einem Arzneimittellager sei. Erfasst werde dabei auch eine Tätigkeit eines Tierarztes außerhalb seiner Hauptpraxis, bei der die Patienten zu ihm kämen, da eine Eingrenzung auf Besuche durch den Tierarzt bei den Patienten aus der Norm nicht zu erkennen und keinem nachvollziehbaren Sinn folgen würde. Zudem ergebe sich aus dem Sinn und Zweck des § 9 TÄHAV, dass ein Lagern nicht schon beim Mitnehmen für den Tagesbedarf vorliegen müsse. Dass Arzneimittel grundsätzlich nur an einem einzigen Standort gelagert werden dürften, diene dem Schutz der Sicherheit des Verkehrs mit Arzneimitteln. Dieser werde indes nicht dadurch konterkariert, dass während des Arbeitstages des Tierarztes sich Medikamente nicht im Lager, sondern im unmittelbaren Einwirkungsbereich des Tierarztes befänden. Der Tierarzt, der sich nicht am Standort des Lagers aufhalte, habe insofern über die mitgeführten Medikamente eine bessere Kontrolle. Durch das Zusammenführen der übrig gebliebenen mitgenommenen Medikamente und der im Lager befindlichen Arzneimittel am Ende des Arbeitstages, bleibe eine Übersichtlichkeit über den vorhandenen Bestand erhalten. Insofern laufe die Regelung des § 9 TÄHAV keineswegs dadurch ins Leere, dass zur Behandlung in einer Untereinheit der Praxis Medikamente mitgeführt, aber nicht dort gelagert werden dürften, da der Zweck der Lagerung an nur einem Standort dadurch nicht negativ berührt werde.

Dem ist der Beklagte unter konkreter Auseinandersetzung mit der erstinstanzlichen Entscheidung entgegengetreten und hat ausgeführt, dass der Begriff des Lagerns im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1 TÄHAV bereits in wörtlicher Hinsicht anders auszulegen sei. Danach sei eine Bereitlegung zur Aufbewahrung oder zur späteren Verwendung gemeint, ohne dass eine zeitliche Komponente maßgeblich sei. Ausschlaggebend sei dabei, dass eine bestimmte Anzahl von Medikamenten vorgehalten werde, ohne dass vorhergesagt werden könne, welche konkret gebraucht würden. Ferner läge hier keine zulässige Ausübung einer Außenpraxis im Sinne des § 11 TÄHAV vor. Der Begriff der Außenpraxis könne nur dahin verstanden werden, dass eine Tätigkeit außerhalb der genutzten Praxisräume vorliegen müsse. Dies werde von der Ausnahmeregelung in § 9 Abs. 1 Satz 2 TÄHAV gestützt. Die Regelung über eine Begrenzung auf einen weiteren Standort, welcher sich innerhalb eines bestimmten und eingrenzbaren Bereichs zum Hauptstandort zu befinden habe, wäre anderenfalls überflüssig. Mitunter liefe auch die Regelung in § 11 TÄHAV ins Leere. Es könne keinen Unterschied machen, ob die Medikamente auf dem Wagen verblieben oder in die Regale innerhalb der Praxisräume verbracht würden. Würde ein regelmäßig ausgesuchter, fest begrenzter Aufenthaltsort nur dadurch zur Außenpraxis werden, dass die Medikamente nicht fest in den Bestand eingegliedert würden, hätte der Verordnungsgeber keine Ausnahmeregelungen erlassen. Durch die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Auslegung würde jeder Standort zur Außenpraxis, solange Medikamente nicht lediglich ausgeräumt würden. Dies entspreche nicht dem Sinn und Zweck der Verordnung.

Diese Einwände lassen hinreichende Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung aufkommen. Sollte - der Argumentation des Beklagten folgend - die Klägerin vorliegend nicht die Arzneimittel in ihrer Außenpraxis mitführen, könnte ein Verstoß gegen § 9 Abs. 1 Satz 1 TÄHAV vorliegen, sofern die Vorgehensweise der Klägerin ein Lagern der Arzneimittel im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1 TÄHAV darstellt und Ausnahmen hierfür nicht greifen.

2. Es kann dahinstehen, ob die vom Beklagten geltend gemachten weiteren Zulassungsgründe ebenfalls durchgreifen.

Ob die Entscheidung des Verwaltungsgerichts aus anderen Gründen richtig ist, kann erst im Berufungsverfahren entschieden werden.

3. Das Zulassungsverfahren wird als Berufungsverfahren unter einem neuen Aktenzeichen fortgeführt, das den Beteiligten mit einem gesonderten Schreiben mitgeteilt wird. Der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht. Die Berufung ist innerhalb eines Monats zu begründen. Die Begründung ist bei dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in Lüneburg einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von der Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig (§ 124a Abs. 3 Sätze 3 bis 5 und Abs. 6 VwGO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).