Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 20.10.2023, Az.: 4 LA 103/22

Akteur; Bewusst; bewusst und zielgerichtet Handeln; humanitäre Verhältnisse; innerstaatlicher Konflikt; zielgerichtet; Subsidiärer Schutz (Herkunftsland Äthiopien)

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
20.10.2023
Aktenzeichen
4 LA 103/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 41058
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2023:1020.4LA103.22.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 11.07.2022 - AZ: 1 A 1994/18

Fundstelle

  • InfAuslR 2024, 177-178

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Die Vielzahl der Ursachen für die die schlechten humanitären Verhältnisse in Äthiopien spricht dagegen, dass diese maßgeblich auf das bewusste und zielgerichtete Handeln eines Akteurs im Sinne des § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c AsylG zurückzuführen sind.

  2. 2.

    Die im Berufungszulassungsverfahren aufgeführten Erkenntnismittel legen nicht nahe, dass ein landesweiter bewaffneter Konflikt in Äthiopien einschließlich der Region Addis Abeba vorliegt.

Tenor:

Die Anträge der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - Einzelrichter der 1. Kammer - vom 11. Juli 2022 und auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren im zweiten Rechtszug werden abgelehnt.

Die Kläger tragen die außergerichtlichen Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Die Berufung ist nicht wegen der von den Klägern geltend gemachten Versagung rechtlichen Gehörs nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

Das Verwaltungsgericht hat den Anspruch der Kläger auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht dadurch verletzt, dass es ihre in der mündlichen Verhandlung hilfsweise gestellten Anträge, "zum Beweis der Tatsache, dass sich für die Kläger als rückkehrende Zivilpersonen amharischer Volkszugehörigkeit aus Äthiopien die Sicherheitslage aktuell durchgreifend - aufgrund der in fast allen Provinzen stattfindenden militärischen Auseinandersetzungen zwischen Milizen der jeweiligen Volksgruppen untereinander und teilweise gegen die Streitkräfte des äthiopischen Staates - verändert" sowie "zum Beweis der Tatsache, dass den Kläger als rückkehrende Zivilpersonen amharischer Volkszugehörigkeit aus Äthiopien bereits unmittelbar nach Ankunft in Äthiopien die Verelendung - wegen Fehlens des Zugangs zu den minimalen Grundbedürfnissen ,Bett, Brot, Seife' - droht", jeweils ein "Sachverständigengutachten (Auskunft des Auswärtigen Amtes, Amnesty International, Schweizerische Flüchtlingshilfe, ACCORD)" einzuholen, abgelehnt hat.

In der Ablehnung eines Beweisantrags liegt grundsätzlich nur dann eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, wenn die Ablehnung aus Gründen erfolgt, die im Prozessrecht keine Stütze finden, wenn also ein Beweisantrag aus den angegebenen Gründen schlechthin nicht abgelehnt werden darf (BVerwG, Beschl. v. 14.2.2022 - 1 B 49.21 -, juris Rn. 18; Senatsbeschl. v. 25.10.2022 - 4 LA 225/20 -, juris Rn. 14 jeweils m.w.N.). Das Verwaltungsgericht hat die Beweisanträge mit der Begründung abgelehnt, dass es vor dem Hintergrund der von ihm vorgenommenen Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse in Äthiopien allgemein als auch der persönlichen Verhältnisse der Kläger sowie der ständigen Aktualisierung der vom Gericht verwendeten Erkenntnismittel einer erneuten Beweiserhebung nicht bedurft habe (vgl. Urteilsabdruck, S. 13). Diese Begründung des Verwaltungsgerichts für die Ablehnung der Beweisanträge findet im Prozessrecht eine ausreichende Stütze.

Das Tatsachengericht darf einen auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens oder einer amtlichen Auskunft gerichteten Beweisantrag insbesondere in asylgerichtlichen Verfahren, in denen regelmäßig eine Vielzahl amtlicher Auskünfte und sachverständiger Stellungnahmen über die politischen Verhältnisse im Heimatstaat zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden, im Allgemeinen nach tatrichterlichem Ermessen mit dem Hinweis auf eigene Sachkunde verfahrensfehlerfrei ablehnen und die Gefährdungsprognose im Einzelfall auf der Grundlage einer tatrichterlichen Beweiswürdigung eigenständig vornehmen (BVerwG, Beschl. v. 17.9.2019 - 1 B 43.19 -, juris Rn. 46 m.w.N.; ferner OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 13.7.2022 - 1 A 187/21.A -, juris Rn. 7). Schöpft das Gericht seine besondere Sachkunde aus vorhandenen Gutachten und amtlichen Auskünften, so muss der Verweis hierauf dem Einwand der Beteiligten standhalten, dass in diesen Erkenntnisquellen keine, ungenügende oder widersprüchliche Aussagen zur Bewertung der aufgeworfenen Tatsachenfragen enthalten sind. Ist dies der Fall, steht die Einholung eines (weiteren) Gutachtens bzw. einer (weiteren) Auskunft auch dann im Ermessen des Gerichts (s.a. § 98 VwGO i.V.m. § 412 Abs. 1 ZPO), wenn die Erkenntnisquellen, aus denen das Gericht seine eigene Sachkunde schöpft, nicht in dem jeweiligen Verfahren eingeholt oder gerade auch nach § 411a ZPO in das Verfahren eingeführt worden sind; die Ablehnung eines hierauf gerichteten Beweisantrages setzt dann auch nicht voraus, dass das im Antrag angebotene Beweismittel schlechterdings untauglich oder völlig ungeeignet sei (BVerwG, Beschl. v. 17.9.2019 - 1 B 43.19 -, juris Rn. 46 und v. 9.12.2019 - 1 B 74/19 -, juris Rn. 6 jeweils m.w.N.).

Ausgehend von diesen Maßstäben hat das Verwaltungsgericht sein ihm zustehendes Ermessen hinsichtlich der Einholung eines über die von ihm verwendeten Erkenntnismittel hinausgehenden Sachverständigengutachtens fehlerfrei ausgeübt. Anhaltspunkte dafür, dass sich dem Verwaltungsgericht die Notwendigkeit der von den Klägern beantragten Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen, sind weder hinreichend dargelegt noch sonst für den Senat ersichtlich. Die Kläger wenden insofern ein, dass in Bezug auf Äthiopien aktuellere als die vom Gericht genutzten Erkenntnismittel vorhanden gewesen seien, wozu sie bereits in ihrem Schriftsatz vom 21. Juni 2022 ausgeführt hätten. Die vom Gericht genutzten Erkenntnismittel seien im Gegensatz dazu nicht aktuell. Weshalb aus ihrer Sicht die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens erforderlich sein sollte, legen sie hiermit aber bereits nicht dar. Denn aus diesem Vortrag ergibt sich nichts dazu, weshalb aus ihrer Sicht eine über die mit Schriftsatz vom 21. Juni 2022 in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel (u.a. Meldung "Hilfsorganisation stellt Hilfe in Äthiopien ein" der Jungen Welt vom 11. September 2021, Artikel "Die Nacht der Brandstifter" von Ilona Eveleens vom 27. Juli 2021 und Artikel "Dem Vielvölkerstaat Äthipien droht der innere Zerfall" von Ilona Eveleens und Dominic Johnson vom 27. Juli 2021) hinausgehende weitere Beweiserhebung in Gestalt einer Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens erforderlich gewesen sein sollte. Vielmehr fehlt es dem Zulassungsvorbringen an jeglichen Ausführungen dazu, weshalb in den vom Verwaltungsgericht verwendeten Erkenntnismitteln keine, ungenügende oder widersprüchliche Aussagen zur Beantwortung der von ihnen mit den Hilfsbeweisanträgen aufgegriffenen Tatsachenfragen enthalten sein sollten, welche die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens rechtfertigen könnten. Eine Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts und den von ihm verwendeten Erkenntnismitteln zur Konzentration der Auseinandersetzungen auf die Konfliktregionen Tigray und Oromia (Urteilsabdruck S. 11 f.) sowie zu den humanitären Bedingungen in Äthiopien (Urteilsabdruck S. 12 f.) ist der Begründung der von den Klägern erhobenen Gehörsrüge nicht zu entnehmen.

Der von den Klägern weiterhin geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) liegt ebenfalls nicht vor.

Eine Rechtssache ist nur dann im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG grundsätzlich bedeutsam, wenn sie eine höchstrichterlich oder obergerichtlich bislang noch nicht beantwortete Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die im Rechtsmittelverfahren entscheidungserheblich ist und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf (Senatsbeschl. v. 25.10.2022 - 4 LA 225/20 -, juris Rn. 3; GK-AsylG, § 78 Rn. 88 ff.; Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, § 78 AsylG Rn. 15 ff. - jeweils m.w.N.). Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache im Sinne des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG erfordert daher, dass eine derartige Frage konkret bezeichnet und darüber hinaus erläutert worden ist, warum sie im angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich und klärungsbedürftig wäre und aus welchen Gründen ihre Beantwortung über den konkreten Einzelfall hinaus dazu beitrüge, die Rechtsfortbildung zu fördern oder die Rechtseinheit zu wahren. Des Weiteren muss substantiiert dargetan werden, warum die aufgeworfene Frage im Berufungsverfahren anders als im angefochtenen Urteil zu entscheiden sein könnte und - im Falle einer Tatsachenfrage - welche neueren Erkenntnismittel eine anderslautende Entscheidung nahelegen (Senatsbeschl. v. 25.10.2022 - 4 LA 225/20 -, juris Rn. 3; GK-AsylG, § 78 Rn. 591 ff. m.w.N.). Im Rahmen dieser Darlegung ist eine konkrete und ihm Einzelnen begründete Auseinandersetzung mit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung geboten (BVerwG, Beschl. v. 2.5.2022 - 1 B 39.22 -, juris Rn. 18, 21 m.w.N.; Senatsbeschl. v. 25.10.2022 - 4 LA 225/20 -, juris Rn. 3).

Die von den Klägern aufgeworfene Frage,

"ob nicht davon auszugehen ist, dass im gesamten Staatsgebiet Äthiopiens - einschließlich der (Haupt-) Stadt Addis Abeba - vom Vorliegen von tatsächlichen humanitären Verhältnissen im Bereich der Versorgung mit Grundnahrungsmitteln, Wasser, Wohnraum und medizinischer Hilfe auszugehen ist, die zu dem Schluss führen müssen, dass jedem Betroffenen - im Falle erzwungener Rückkehr - eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG droht?",

bedarf keiner Klärung in einem von ihnen angestrebten Berufungsverfahrens.

In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung wegen der schlechten humanitären Situation im Herkunftsland nur dann einen Anspruch auf subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG begründet, wenn sie maßgeblich und nicht nur in geringem Umfang auf das bewusste und zielgerichtete Handeln eines Akteurs im Sinne des § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c AsylG zurückzuführen sind (BVerwG, Urt. v. 20.5.2020 - 1 C 11.19 -, juris Rn.12 ff. u. Beschl. v. 13.2.2019 - 1 B 2.19 -, juris Rn. 13; vgl. ferner Senatsbeschl. v. 25.2.2021 - 4 LA 212/19 -, juris Rn. 8).

Soweit das Verwaltungsgericht die schlechten humanitären Bedingungen in Äthiopien lediglich im Zusammenhang mit der Frage des Bestehens eines möglichen Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK geprüft hat (vgl. Urteilsabdruck, S. 12 ff.), nicht jedoch bereits unter dem Gesichtspunkt eines hieraus gegebenenfalls folgenden Anspruchs auf subsidiären Schutz, steht dies jedenfalls nicht in Widerspruch zu der dargestellten höchstrichterlichen Rechtsprechung. Der Verweis der Kläger in ihrem Zulassungsvorbringen darauf, dass der Einzelrichter in der angefochtenen Entscheidung im Hinblick auf eine Würdigung der humanitären Verhältnisse im Rahmen der Bewertung des subsidiären Schutzes davon ausgegangen sei, dass eine abschließende Prüfung nicht erforderlich sei, da es jedenfalls an einer Verursachung durch einen (zielgerichtet) handelnden Akteur fehle (vgl. Zulassungsantrag, S. 8), erweist sich in diesem Zusammenhang als unzutreffend. Unabhängig hiervon besteht zu der o.g. Frage aber auch kein weiterer Klärungsbedarf in rechtlicher Sicht und ergibt sich auch nicht aus dem Zulassungsvorbringen der Kläger, dass es zur Wahrung des Schutzgehalts des Art. 3 EMRK einer "erweiternden Auslegung des Art. 15b RL 2011/95/EU und des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG" bedürfe.

Soweit die Kläger ferner geltend machen, es sei "davon auszugehen, dass die schlechte humanitäre Lage überwiegend durch die herrschenden bewaffneten Konflikte und damit im Sinne von § 3c AsylG auf Aktionen staatlicher und nicht-staatlicher Konfliktparteien, gegen die der Staat keinen Schutz bieten kann, zurückzuführen sind", liegt ein Klärungsbedarf in tatsächlicher Sicht nicht vor bzw. ist von den Klägern nicht aufgezeigt worden. Die Kläger bringen vor, dass sich die humanitäre Lage auch ohne die kriegerischen Auseinandersetzungen dramatisch durch die Folgen der Corona-Pandemie sowie der (landesweiten) Heuschreckenplage zugespitzt habe. Auch wenn diese verschiedenen Ursachen zunächst keinem Akteur im Sinne von § 3c AsylG zugeschrieben werden könnten, seien aktive Handlungen, insbesondere Maßnahmen der Kontaktbeschränkung und der Einschränkungen der Mobilität und des Alltags sowie Unterlassengen (z.B. Unterstützungsleistungen im Bereich der Grundversorgung für Rückkehrer) zielgerichtet. Die Kläger verkennen mit ihrem Vorbringen jedoch, dass es eines zielgerichteten Handelns bzw. Unterlassens eines Akteurs bedarf, das die schlechte humanitäre Lage hervorruft oder erheblich verstärkt. Dies erfordert eine direkte oder indirekte Aktion eines Akteurs, die die unmenschliche Lebenssituation im Sinne einer Zurechenbarkeit, die jenseits nicht intendierter Nebenfolgen ein auf die bewirkten Effekte gerichtetes Handeln oder gar Absicht erfordert, zu verantworten hat (BVerwG, Urt. v. 20.5.2020 - 1 C 11.19 -, juris Rn.12 u. Beschl. v. 13.2.2019 - 1 B 2.19 -, juris Rn. 13). Das Zulassungsvorbringen der Kläger zu der verschärften humanitären Lage in Äthiopien aufgrund der Corona-Pandemie, der Naturkatastrophen wie Überschwemmungen und Heuschreckenplage sowie der ethnisch motivierten Konflikte enthalten jedoch keine greifbaren Anhaltspunkte dahingehend, dass die Handlungen oder Unterlassungen von Akteuren im Sinne des § 3c AsylG in diesem Zusammenhang auf eine Verschlechterung der Lebensbedingungen der Zivilbedingungen abzielen. Die Vielzahl der Ursachen für die die schlechten humanitären Verhältnisse in Äthiopien spricht vielmehr dagegen, dass diese maßgeblich auf das bewusste und zielgerichtete Handeln eines Akteurs zurückzuführen sind.

Die Kläger haben einen Klärungsbedarf zu der weiteren von ihnen aufgeworfenen Frage,

"ob nicht davon auszugehen ist, dass im gesamten Staatsgebiet Äthiopiens - einschließlich der (Haupt-) Stadt Addis Abeba - vom Vorliegen tatsächlicher Verhältnisse im Bereich der Sicherheitslage auszugehen ist, die zu dem Schluss führen müssen, dass jedem Betroffenen - im Falle erzwungener Rückkehr - ein ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG droht?",

nicht aufgezeigt.

Das Verwaltungsgericht hat einen Anspruch der Kläger auf Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG mit der Begründung verneint, dass eine Ausweitung der ethnischen Konflikte, die sich im Wesentlichen auf die Konfliktregionen Tigray und Oromia konzentrierten und die nicht die Schwelle eines Bürgerkrieges erreichen würden, auf die Hauptstadt Addis Abeba nicht erkennbar sei. Insofern seien jedenfalls interne Ausweichmöglichkeiten i.S.d. § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3e AsylG gegeben, um der Betroffenheit von dem Tigray-Konflikt zu entgehen (vgl. Urteilsabdruck, S. 11).

Die Kläger haben mit ihrem Zulassungsantrag keine Gesichtspunkte aufgezeigt, die es nahelegen, dass entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts in Äthiopien landesweit, einschließlich der Hauptstadt Addis Adeba, ein bewaffneter Konflikt vorliegt.

Ihr Einwand, dass in asylrechtlichen Streitigkeiten die Pflicht zu einer "tagesaktuellen" Erfassung und Bewertung der entscheidungserheblichen Tatsachengrundlage bestehe und die Bezugnahme auf Entscheidungen des VG B-Stadt und des VG Köln aus 2021 nicht genüge, ist insoweit unzureichend. Zum einen lassen die Kläger unberücksichtigt, dass das Verwaltungsgericht seine Entscheidung auch auf weitere und zum Teil jüngere Erkenntnismittel gestützt hat (z.B. UNHCR, UNHCR Position On Returns To Ethiopia, März 2022), zum anderen setzen sich die Kläger inhaltlich nicht mit den vom Verwaltungsgericht berücksichtigten Erkenntnismitteln auseinander.

Die Kläger haben mit ihrem Zulassungsantrag allerdings weitere Erkenntnismittel zur Sicherheitslage in Äthiopien benannt. Die von ihnen angeführten Erkenntnismittel lassen indes keine hinreichenden Rückschlüsse auf das Vorliegen eines landesweiten bewaffneten Konflikts in Äthiopien einschließlich der Region Addis Abeba zu.

Aus der Meldung "Hilfsorganisation stellt Hilfe in Äthiopien ein" der Jungen Welt vom 11. September 2021 geht hervor, dass die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) ihre medizinische und humanitäre Hilfe als Reaktion auf ein Verbot der Behörden in Addis Abeba in den Regionen Amhara, Gambella und Somali sowie dem Westen und Nordwesten von Tigray eingestellt habe. Das Verbot stehe im Zusammenhang mit dem Vorwurf gegen MSF, Mitarbeitende ohne die notwendige Arbeitserlaubnis beschäftigt, Fehlinformationen über soziale Medien verbreitet und illegal importierte Satellitentelefone benutzt zu haben. Dass die Einstellung der Hilfstätigkeit vor dem Hintergrund eines landesweiten bewaffneten Konflikts erfolgt ist, ist dieser Meldung hingegen nicht zu entnehmen.

Der Artikel "Die Nacht der Brandstifter" von Ilona Eveleens vom 27. Juli 2021 befasst sich mit den Auswirkungen der ethnischen Konflikte in Äthiopien in dem Ort Ataye im Hochgebirge, 300 Kilometer nördlich von Addis Abeba gelegen. Der Ort Ataye sei ein Bespiel dafür, wie bewaffnete Konflikte sich in immer mehr Landesteilen Äthiopiens ausbreiteten. Die Hauptursachen der ethnischen Konflikte seien lokale Meinungsverschiedenheiten über den Besitz oder die Nutzung von Land und Wasser sowie über den Zugang zu staatlichen Ressourcen. Da jede Region ihre eigene, ethnisch rekrutierte Regionalarmee habe, könnten daraus leicht größere bewaffnete Konflikte werden und in Grenzgebieten zwischen zwei Regionen gehe es oft darum, eine ethnische Gruppe ganz zu vertreiben. Dem Bericht kann insoweit aber nicht entnommen werden, dass diese zunehmenden lokalen Auseinandersetzungen ein derartiges Ausmaß erreicht hätten, dass ein landesweiter bewaffneter Konflikt besteht. Insbesondere zu der Region Addis Abbeba sind dem Bericht keine Informationen zu der Sicherheitslage und den Auswirkungen der ethnischen Auseinandersetzungen zu entnehmen.

Entsprechendes gilt für den Artikel "Dem Vielvölkerstaat Äthipien droht der innere Zerfall" von Ilona Eveleens und Dominic Johnson vom 27. Juli 2021. Danach gebe es neben dem Tigray-Konflikt nun in Äthiopien unzählige kleine und große Brennpunkte. Ein Beispiel seien die aneinander grenzenden Regionen und der Somali-Oromo-Konflikt. Auch dieser Artikel enthält keine hinreichenden Anhaltspunkte dahingehend, dass die - wenn auch zunehmenden - lokalen Konflikte insbesondere in Grenzregionen ein Ausmaß erreicht haben, dass ein landesweiter bewaffneter Konflikt vorliegt.

Die Meldung "Kämpfe in Äthiopien fordern mehr als 100 Tote" der Jungen Welt vom 24. April 2021 bezieht sich allein auf die Region Amhara. Auch soweit nach der Meldung "Äthiopien: Festnahmen in Hauptstadt" der Jungen Welt vom 19. Juli 2021 in Addis Abeba mehr als 300 Menschen wegen Verdachts auf Verbindungen zu den Rebellen in der Konfliktregion Tigray festgenommen worden seien, ergeben sich hieraus keine Anhaltspunkte für eine bewaffnete Auseinandersetzung in dieser Region.

Soweit nach dem Länderreport 33 (Äthiopien - Allgemeine politische Lage) des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ethnische Spannungen und Gewaltkonflikte in einem "bisher nicht dagewesenen Ausmaß" angestiegen seien, heißt es dazu weiter, dass als Folge hierzu "in einigen Landesteilen" die öffentliche Ordnung zusammengebrochen sei. Auch nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 24. April 2020 haben die ethnischen Spannungen "in vielen Teilen des Landes" zugenommen. Auch aus diesen Berichten kann aber nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass nunmehr ein landesweiter bewaffneter Konflikt vorliegen könne.

Schließlich verhalten sich die Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes vom 19. August 2022 zu Kampfhandlungen in den Regionen Tigray, Amhara und Afar und sprechen Reisewarnungen für bestimmte Regionen, nicht hingegen für das gesamte Land aus.

Soweit die Kläger den Klärungsbedarf der von ihnen aufgeworfenen Frage unter Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts sowie des Europäischen Gerichtshofs, insbesondere dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 10. Juni 2021- C-901/19 -, damit begründen, dass für die Bewertung der Gefahr eines ernsthaften Schadens im Rahmen eines bewaffneten Konflikts einer wertenden Gesamtbetrachtung Vorrang vor einer quantitativen Ermittlung von Verfolgungsschlägen einzuräumen sei, verhalten sie sich nicht zu dem Vorliegen eines bewaffneten Konflikts, der Voraussetzung für Gewährung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ist und den das Verwaltungsgericht verneint hat.

Es bedarf auch keiner weiteren Klärung zu der von den Klägern aufgeworfenen Rechtsfrage,

"ob nicht davon auszugehen ist, dass Art. 15 Buchst. c und Art. 2 Buchst. f der Richtlinie 2011/95/EU der Auslegung und Anwendung einer Bestimmung des nationalen Rechts entgegen stehen, wonach eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts (in dem Sinne, dass eine Zivilperson allein durch ihre Anwesenheit im betroffenen Gebiet tatsächlich Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein) in denjenigen Fällen, in denen diese Person nicht aufgrund von ihrer persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist, nur vorliegen kann, wenn eine Mindestzahl an bereits zu beklagenden zivilen Opfern (Tote und Verletzte) festgestellt worden ist?".

Genau diese Rechtsfrage ist dem Europäischen Gerichtshof zur Klärung der unionsrechtlichen Maßstäbe für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß Art. 15 Buchst. c i. V. m. Art. 2 Buchst. f der Richtlinie 2011/95/EU in Fällen konfliktbedingter willkürlicher Gewalt zulasten der Zivilbevölkerung durch den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 29. November 2019 - A 11 S 2374/19 - vorgelegt worden. Der Gerichtshof hat hierauf durch Urteil vom 10. Juni 2021 - C-901/19 - entschieden, dass Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95 der Auslegung einer nationalen Regelung in der vorbeschriebenen Weise entgegensteht (EuGH, Urt. v. 10.6.2021 - C-901/19 -, juris Rn. 37). Zudem hat er geurteilt, dass Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95 dahin auszulegen ist, dass zur Feststellung, ob eine "ernsthafte individuelle Bedrohung" im Sinne dieser Bestimmung gegeben ist, eine umfassende Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der die Situation des Herkunftslands des Antragstellers kennzeichnenden Umstände, erforderlich ist (EuGH, Urt. v. 10.6.2021 - C-901/19 -, juris Rn. 45). Ein weiterer Klärungsbedarf der unionsrechtlichen Maßstäbe für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß Art. 15 Buchst. c i. V. m. Art. 2 Buchst. f der Richtlinie 2011/95/EU besteht daher nicht.

Da die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, bleibt der Prozesskostenhilfeantrag der Kläger ebenfalls ohne Erfolg (vgl. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylG sowie auf § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).