Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 19.09.2002, Az.: 203-VgK-19/2002

Verpflichtung zur Rüge unverzüglich nach positiver Kenntnisnahme; Vorgaben des Transparenzgebot hinsichtlich der Dokumentation des Vergabeverfahrens und der wesentlichen Entscheidungen im Vergabeverfahren; Sinn und Zweck sowie Anwendungsbereich der Fertigung eines Vergabevermerks; Gleichzeitig statt nacheinander erfolgende Angebotswertung auf allen Wertungsstufen; Zulässigkeit der Vermengung von Wertungsphasen im Hinblick auf das Transparenzgebot; Dokumentation der verwendeten Zuschlagskriterien; Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots ausschließlich anhand des Preises; Anforderungen an die Prüfung von Nebenangeboten; Erfordernis einer Plausibilitätsprüfung bei ungewöhnlich niedrigem Preis

Bibliographie

Gericht
VK Lüneburg
Datum
19.09.2002
Aktenzeichen
203-VgK-19/2002
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 28763
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgegenstand

Bauvorhaben xxx, Laborgebäude, 3. BA, Los Nr. 1 Rohbau

Die Vergabekammer bei der Bezirksregierung Lüneburg hat
durch
den Vorsitzenden RD Gause,
die hauptamtliche Beisitzerin BOAR'in Schulte und
den ehrenamtlichen Beisitzer Dipl.-Ing. Lohmöller
auf die mündliche Verhandlung vom 16.09.2002
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist. Die Auftraggeberin wird verpflichtet, erneut in die Wertung des streitbefangenen Vergabeverfahrens einzutreten und diese unter Beachtung der aus den Entscheidungsgründen dieses Beschlusses ersichtlichen Rechtsauffassung der Vergabekammer erneut durchzuführen, dabei insbesondere Vergleichbarkeit und Gleichwertigkeit des Nebenangebotes 1 der Beigeladenen zu prüfen und Prüfung, Wertung und Ergebnis in einem den Anforderungen des § 30 VOB/A genügenden Vergabevermerk zu dokumentieren.

  2. 2.

    Die Kosten des Verfahrens trägt die Auftraggeberin.

  3. 3.

    Die Kosten werden auf 3.127,00 EUR festgesetzt.

  4. 4.

    Die Auftraggeberin hat der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Die Zuziehung eines Rechtsanwalts durch die Antragstellerin war notwendig.

Begründung

1

I.

Die Auftraggeberin hat mit Datum vom 13.05.2002 den Neubau des Laborgebäudes im offenen Verfahren europaweit öffentlich ausgeschrieben. Der Bekanntmachung war zu entnehmen, dass Bieter sich um 11 Einzellose bewerben können. Es wurde darauf hingewiesen, dass auch Systemanbieter und Anbieter über die Summe aller Lose zugelassen werden.

2

Generalübernehmer bzw. Betreuungsunternehmen waren nicht zugelassen. Ferner wurde darauf hingewiesen, dass Angebote für ein Los, mehrere Lose und alle Lose abgegeben werden können. Die Auftraggeberin hat sich die losweise Vergabe vorbehalten.

3

Nebenangebote und Sondervorschläge waren in Verbindung mit dem Hauptangebot zugelassen.

4

Wegen der Eignungskriterien für die Teilnahme am Wettbewerb war auf den § 8 Nr. 3 Abs. 1 lit. a - f VOB/A verwiesen worden.

5

Kriterien für die Auftragserteilung waren nicht benannt worden; ebenso keine technischen und wirtschaftlichen Kriterien. Es wurde insoweit auf die Vergabeunterlagen verwiesen. Dort sind als allgemeine Kriterien für die Auftragserteilung der Preis, die Ausführungsfrist und die Vergütungsbedingungen genannt.

6

Als technische und wirtschaftliche Kriterien wurden dort Qualität, Funktionalität, technischer Wert, Konstruktion, Folgekosten, Betriebskosten, Wartung und Rentabilität genannt.

7

Bei der Verdingungsverhandlung am 22.07.2002 ergab sich, dass die Antragstellerin mit einer rechnerisch geprüften Angebotssumme von 4.274.001,00 EUR das günstigste Angebot für das Los 1 - Rohbau - abgegeben hatte. Sie hatte ferner noch drei Nebenangebote abgegeben. Sie wies darauf hin, dass sie für Leistungen auf die ihr Betrieb eingerichtet sei als auch für Leistungen auf die ihr Betrieb nicht eingerichtet sei, Nachunternehmer einsetzen wolle.

8

Die Beigeladene bot die Leistungen für das Los 1 für rechnerisch geprüfte 4.854.451,22 EUR an. Sie hatte ferner fünf Nebenangebote abgegeben. Sie gab an, dass sie Nachunternehmer einsetzen wolle, obwohl ihr Betrieb auf ein derartiges Bauvorhaben eingerichtet sei. Deren Namen und Unterschrift wolle sie im Falle einer evtl. Auftragserteilung nachreichen.

9

Ferner hatte die Beigeladene ein Angebot über die Summe aller Lose abgegeben. Auch hierzu hatte sie hatte noch drei Nebenangebote abgegeben.

10

Bei der Prüfung der Angebote auf Vollständigkeit durch das beauftragte Planungsbüro ergab sich, dass das Angebot der Antragstellerin nur eine Unterschrift enthielt; die Formblätter EFB-Preis a/b/c und EVM Erg Tarif NV fehlten ebenso wie Angaben im Formblatt EFB Ang DV. Ferner waren keine Angaben in der Erklärung über die Dauer der Arbeitstage gemacht worden. Schließlich fehlten Ergänzungen, die im Leistungsverzeichnis abgefragt und einzutragen waren. Zum Punkt "Abweichungen vom Leistungsverzeichnis sind in gesonderten Unterlagen darzustellen, zu begründen und entsprechend dem Leistungsverzeichnis zu gliedern" wurde festgestellt: Absenkung, Einleitung RW Kanal entspricht nicht der Ausschreibung. Zur Art der Nebenangebote / Änderungsvorschläge war vermerkt: KS Großformat, Filigrandecke, Wasserhaltung Schluckbrunnen. Auch wurde vermerkt, dass der Bauzeitenplan, die Unbedenklichkeitsbescheinigung des Finanzamtes, die Freistellungsbescheinigung zum Steuerabzug durch Finanzamt, ein Auszug aus dem Gewerbezentralregister, die Unbedenklichkeitsbescheinigung der Krankenkasse und der Berufsgenossenschaft, der Haftpflichtversicherungsnachweis und der Nachweis der Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit fehlen.

11

Ferner habe die rechnerische Prüfung ergeben, dass ein Rechenfehler bei der Übertragung aus den einzelnen Titeln in die Zusammenstellung aufgetreten sei.

12

Bei der Prüfung der Angebote auf Vollständigkeit durch das beauftragte Architekturbüro ergab sich, dass das Angebot der Beigeladenen "o.k." sei. In der Erklärung über die Dauer der Arbeitstage seien 280 Tage eingetragen. Zur Art der Nebenangebote / Änderungsvorschläge war vermerkt: Baugrubenverbau, Wasserhaltung, Fertigteilwände, eigene Planung, Wiederholungsfaktor. Auch wurde festgehalten, dass die Beigeladene einen Haftpflichtversicherungsnachweis über 3,5 Mio. habe.

13

Zum Angebot der Beigeladenen über alle 11 Lose wurde ebenfalls vermerkt, dass es in Ordnung sei. Zur Art der Nebenangebote / Änderungsvorschläge war vermerkt: Pauschalierung. Auch hier wurde festgehalten, dass die Beigeladene einen Haftpflichtversicherungsnachweis über 3,5 Mio. habe.

14

Aus dem von dem Planungsbüro am 08.08.2002 gefertigten Preisspiegel ergab sich insoweit eine Ergänzung, als dass unter Berücksichtigung aller annehmbaren Nebenangebote das Angebot der Beigeladenen mit 3.502.940,15 EUR netto an erster Stelle lag und das der Antragstellerin mit 3.565.980,05 EUR netto um 1,8 % teurer an zweiter Stelle.

15

Ferner wurde in dem Preisspiegel festgehalten, dass ebenfalls unter Berücksichtigung aller annehmbaren Nebenangebote der jeweils Mindestbietenden für die einzelnen Fachlose sich eine Gesamtsumme für das Bauvorhaben von 12.346.249,30 EUR netto ergeben würde. Zum Angebot der Beigeladenen über die Summe aller Lose ergab sich unter Berücksichtigung aller annehmbaren Nebenangebote eine Gesamtnettosumme von 9.950.000,00 EUR.

16

Am 08.08.2002 übermittelte das beauftragte Planungsbüro der Auftraggeberin schriftlich das Ergebnis seiner Angebotsprüfung und den Vergabevorschlag. In der Vergabeempfehlung wird empfohlen, der Firma xxx auf Nebenangebote Nr. 1 und Nr. 3 über die Summe aller Lose den Auftrag zu erteilen.

17

Mit Informationsschreiben vom 09.08.2002 teilte die Auftraggeberin der Antragstellerin als Bieterin auf das Los Nr. 1 mit, dass sie beabsichtige, den Zuschlag der Beigeladenen zu erteilen, da ein wirtschaftlicheres Nebenangebot vorläge.

18

Mit Schreiben vom 15.08.2002 rügte die Antragstellerin gegenüber der Auftraggeberin die beabsichtigte Vergabe des Auftrages an die Beigeladene. Die Antragstellerin vertritt die Auffassung, dass sie das wirtschaftlichste Angebot abgegeben habe. Ihrer Meinung nach konnte die Beigeladene den Differenzbetrag von ~ 600.000,00 EUR zwischen den Hauptangeboten nicht durch zwei Nebenangebote erreichen. Ferner habe man ihr mitgeteilt, dass sie aufgrund von "Massenverschiebungen" nicht mehr günstigste Bieterin sei.

19

Die Auftraggeberin teilte mit Schreiben vom 16.08.2002 der Antragstellerin mit, dass auch Angebote über die Summe aller Lose zugelassen waren und dass das Angebot der Beigeladenen über die Summe aller Lose den Zuschlag erhalten soll und nicht die jeweils Mindestfordernde der Einzellose.

20

Mit Schreiben vom 22.08.2002, eingegangen bei der Vergabekammer per Telefax am selben Tage, beantragte die Antragstellerin die Einleitung des Nachprüfungsverfahrens.

21

Sie vertritt die Auffassung, dass sie durch die vergaberechtswidrige Bewertung ihres Angebotes und ihrer Nebenangebote in ihren Rechten in diesem Vergabeverfahren verletzt sei. Zur Begründung führt sie aus, dass im vorliegenden Verfahren als einziges Zuschlagskriterium der Preis gewesen sei. Ihrer Meinung nach ist es unmöglich, die Differenz des Hauptangebotes zwischen der Antragstellerin und dem drittgünstigsten Bieter (der Beigeladenen) von nahezu 600.000,00 EUR durch lediglich zwei Nebenangebote auszugleichen.

22

Erst auf ihre Rüge hin habe die Auftraggeberin erstmalig mitgeteilt, dass die Beigeladene angeblich an der Ausschreibung für sämtliche Lose teilgenommen habe. Die Prüfung habe dann ergeben dass das Angebot der Beigeladenen über die Summe aller Lose das wirtschaftlich annehmbarste sei. Diese Begründung der Auftraggeberin gehe nicht aus der Submissionsliste und der Information nach § 13 VgV hervor. Sie müsse daher davon ausgehen, dass ein unzulässiges, den Wettbewerb verfälschendes Kopplungsangebot dergestalt vorläge, dass ein Preisnachlass auf Los 1 unter der Bedingung erteilt werde, dass die Auftragsvergabe sich über weitere Lose erstrecke.

23

Nach erfolgter Akteneinsicht am 10.09.2002 führte die Antragstellerin ferner aus, dass die Wertung des Hauptangebotes der Beigeladenen fehlerhaft sei. Die Beigeladene sei bewusst von der vorgegebenen Kostenverteilung abgewichen, indem sie nicht 6 % der angebotenen Angebotssumme für die Erstellung der Ausführungsplanung sowie die Koordination der Einzelgewerke mit dem Bauherrn gerechnet habe, sondern weniger. Da der Fachplaner aber nach den Grundsätzen der HOAI zu vergüten sei und die Vergütungsansprüche des Fachplaners sich nach den anrechenbaren Baukosten richte, habe demzufolge die öffentliche Auftraggeberin den Differenzbetrag an den Fachplaner zu zahlen. Diese bewusste Abweichung vom Leistungsverzeichnis hätte ihrer Meinung nach zu einem Ausschluss des Angebotes der Beigeladenen führen müssen. Im Übrigen dürfte bei einer korrekten Anwendung dieser Position der so ermittelte Angebotspreis über dem der Antragstellerin liegen.

24

Zur Wertung des Pauschalpreisangebotes der Beigeladenen bemerkt die Antragstellerin, dass bereits beim ersten Blick die gravierende Abweichung zwischen der Summe der Angebote für alle Einzellose der Beigeladenen von netto 13.538.196,38 EUR und der Summe des Pauschalpreisangebotes über alle Leistungen von netto 9.950.000,00 EUR auffalle. Die Beigeladene böte also einen Nachlass von 26,5% bei der Beauftragung der Gesamtleistung an. Ein solcher Nachlass ließe sich ihrer Meinung nach keinesfalls durch die Vorteile einer Pauschalierung der Leistung rechtfertigen. Es läge vielmehr die Vermutung nahe, dass das Nebenangebot (Pauschale) keinesfalls im Sinne des § 21 Nr. 2 VOB/A gleichwertig sei. Die Pauschalpreisangebote seien daher zwingend von der Wertung auszuschließen. Dies gelte im Übrigen auch für das dritte Nebenangebot, in dem ein Skonto angeboten werde, das bei der Wertung nicht berücksichtigt werden dürfe.

25

Das Pauschalpreisangebot der Beigeladenen sei auch aufgrund eines Verstoßes gegen das Gleichbehandlungsgebot des § 97 Abs. 2 GWB auszuschließen, da sich aus dem ersten Nebenangebot ergäbe, dass die Beigeladene im Gegensatz zu der Antragstellerin Einsicht in die bereits fertig gestellte Statik nehmen konnte. Nach alledem seien die Pauschalpreisangebote der Beigeladenen von der Wertung auszuschließen. Auch das Hauptangebot der Beigeladenen sei ihrer Meinung nach aufgrund der Veränderungen im Leistungsverzeichnis durch den Preis für die Ausführungsplanung bei der Wertung nicht zu berücksichtigen.

26

Die Antragstellerin beantragt,

die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Vergabeverfahren nicht weiterzuführen und ihr die Erteilung des Zuschlages zu untersagen,

  • der Antragstellerin Akteneinsicht in die Vergabeakten der Antragsgegnerin zu gewähren,
  • die Antragsgegnerin zu verpflichten, eine Neubewertung der Angebote unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer vorzunehmen,
  • der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Antragstellerin aufzuerlegen,
  • festzustellen, dass die Hinzuziehung der Bevollmächtigten der Antragstellerin notwendig war.

27

Die Auftraggeberin beantragt,

den Antrag der Antragstellerin auf Nachprüfung abzulehnen.

28

Zur Begründung führt sie aus, dass die Beigeladene bei alleiniger Betrachtung des Loses 1 und unter Berücksichtigung der dazu vorgelegten annehmbaren Nebenangebote aus ihrer Sicht das wirtschaftlich annehmbarste Angebot vorgelegt habe. Die Gesamtwertung bliebe davon unberührt. Alle eingereichten Nebenangebote der Beigeladenen für das Los 1 konnte die Auftraggeberin ihrer Meinung nach technisch und inhaltlich werten. Es ergab sich daher aus Sicht der Auftraggeberin, dass das Angebot der Antragstellerin nach Wertung der annehmbaren Nebenangebote 1,8 % teurer war als das der Beigeladenen.

29

Auch habe es bei der Angebotsauswertung keine Massenverschiebungen gegeben. Die ausgeschriebenen Massen hätten nach Ansicht des beauftragten Planungsbüros weiterhin ihre Gültigkeit beibehalten.

30

Ferner habe die Beigeladene neben den Angeboten zu den Einzellosen auch ein Hauptangebot über die Summe aller Lose abgegeben. Zu diesem Hauptangebot lägen drei Nebenangebote vor. Ein Preisnachlass auf das Los 1 unter der Bedingung der Beauftragung anderer Lose wurde nicht vorgelegt. Ein Kopplungsangebot läge nicht vor.

31

Die Beigeladene stellt keinen eigenen Antrag. Sie unterstützt das Vorbringen der Auftraggeberin. Dazu führt sie aus, dass sie sowohl isoliert für das Los 1 als auch über die Summe aller Lose das wirtschaftlichste Angebot abgegeben habe. Des Weiteren bezieht sie sich auf den Sachvortrag der Auftraggeberin vom 28.08.2002 und macht ihn sich vollumfänglich zu Eigen.

32

Wegen des übrigen Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Vergabeakte und das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 16.09.2002 Bezug genommen.

33

II.

Der Nachprüfungsantrag ist teilweise zulässig, teilweise mangels unverzüglicher Rüge unzulässig. Soweit der Nachprüfungsantrag zulässig ist, ist er auch begründet. Die Antragstellerin ist im Sinne der §§ 97 Abs. 7, 114 Abs. 1 GWB in ihren Rechten verletzt, weil die Auftraggeberin in mehrfacher Hinsicht gegen das Transparenzgebot des § 97 Abs. 1 GWB verstoßen hat, indem sie es entgegen § 30 Abs. 1 VOB/A versäumt hat, wichtige Verfahrensschritte zu dokumentieren und ihre Prüfungen und Entscheidungen im Vergabeverfahren nachvollziehbar zu begründen. Sie hat insbesondere nicht dokumentiert, dass sie die Vergleichbarkeit und Gleichwertigkeit des von ihr nach derzeitigem Stand des Vergabeverfahrens für den Zuschlag favorisierten Nebenangebotes 1 der Beigeladenen über die Summe aller Lose geprüft hat. Ferner hat sie versäumt, gemäß § 25 Nr. 3 Abs. 2 VOB/A angesichts des deutlichen Minderpreises des favorisierten Nebenangebotes von ca. 26 % gegenüber der Summe aller günstigsten Angebote auf die Einzellose die Angemessenheit dieses Nebenangebotes zu prüfen, dafür vom Bieter schriftlich Aufklärung über die Ermittlung der Preise für die Gesamtleistung oder für Teilleistungen zu verlangen und dies in der Vergabeakte zu dokumentieren.

34

1.

Der Nachprüfungsantrag ist teilweise zulässig. Bei der Auftraggeberin handelt es sich um eine GmbH und damit eine juristische Person des privaten Rechts. Diese erhält für das Projekt "Neubau eines Laborgebäudes - 3. Bauabschnitt" laut Auskunft der Auftraggeberin vom Land Niedersachsen und damit einer Gebietskörperschaft im Sinne des § 98 Nr. 1 GWB Mittel, mit denen das Vorhaben zu mehr als 50 v. H. finanziert wird (8,55 Mio. Euro vom Land bei einem Gesamtauftragsvolumen von ca. 10,5 Mio. Euro). Die xxx GmbH ist somit öffentliche Auftraggeberin im Sinne des § 98 Nr. 5 GWB. Der streitbefangene Auftrag übersteigt auch den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gem. § 100 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, die die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch Rechtsverordnung nach § 127 GWB festgelegt sind. Bei den ausgeschriebenen Leistungen handelt es sich um Bauleistungen im Sinne des § 1 VOB/A. Für Bauaufträge gilt gem. § 2 Nr. 4 der am 01.02.2001 in Kraft getretenen Vergabeverordnung (VgV) vom 09.01.2001 ein Schwellenwert von 5 Mio. Euro. Werden Bauaufträge, wie im vorliegenden Fall, losweise ausgeschrieben, so gilt gem. § 2 Nr. 7 VgV ein Schwellenwert von 1 Mio. Euro. Nach dem Ergebnis der streitbefangenen Ausschreibung erreicht der Wert des ausgeschriebenen und streitbefangenen Loses 1 "Rohbauarbeiten" mindestens 3.502.940,15 EUR netto. Das Vergabeverfahren ist damit einer Nachprüfung durch die Vergabekammer zugänglich.

35

Die Antragstellerin ist auch gem. § 107 Abs. 2 GWB antragsbefugt, da sie als Bieterin ein Interesse am Auftrag hat und eine Verletzung von Rechten durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht, indem sie behauptet, dass die Auftraggeberin ihr nur deshalb nicht den Zuschlag erteilt, weil er in vergaberechtswidriger Weise die Wertung durchgeführt habe und deshalb das Angebot der Beigeladenen über alle Fachlose als wirtschaftlichstes Angebot ermittelt habe, obwohl dieses von der Wertung auszuschließen sei. Vielmehr sei ihr Angebot insbesondere unter Berücksichtung ihrer drei Nebenangebote das wirtschaftlichste Angebot und die Nichtberücksichtigung vergaberechtswidrig. Voraussetzung für die Antragsbefugnis gem. § 107 Abs. 2 GWB ist, dass das antragstellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass der Antragsteller diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt (vgl. Boesen, Vergaberecht, § 107, Rdn. 52). Die Antragstellerin hat ein entsprechendes Rechtsschutzbedürfnis dargelegt. Sie hat schlüssig dargelegt, dass sie sogar eine Aussicht auf Erhalt des Zuschlags gehabt hätte, wenn der Auftraggeber die Angebotswertung ohne die von der Antragstellerin gerügten vermeintlichen Vergaberechtsverstöße durchgeführt hätte.

36

Die Antragstellerin ist hinsichtlich der von ihr im Nachprüfungsverfahren geltend gemachten vermeintlichen Vergaberechtsverstöße allerdings nur teilweise ihrer Pflicht gem. § 107 Abs. 3 GWB nachgekommen, vor Anrufung der Vergabekammer die behaupteten Verstöße gegen die Vergabevorschriften bereits im Vergabeverfahren selbst gegenüber der Auftraggeberin unverzüglich nach positiver Kenntnisnahme zu rügen bzw., soweit sie diese Verstöße nicht erkannt hat, diese aber aufgrund der Bekanntmachung erkennbar waren, nicht spätestens bis zum Ablauf der in der Bekanntmachung genannten Frist zur Angebotsabgabe zu rügen. Die Auftraggeberin hat die Antragstellerin wie auch die übrigen Bieter unstreitig mit Schreiben vom 09.08.2002 (in der Vergabeakte nicht enthalten), der Antragstellerin zugegangen am 12.08.2002, darüber informiert, dass beabsichtigt sei, den Zuschlag am 23.08.2002 der Beigeladenen zu erteilen, da diese ein wirtschaftlicheres Nebenangebot abgegeben habe. Informationen über Art oder Inhalt des zur Beauftragung vorgesehenen Nebenangebotes der Beigeladenen enthielt das Informationsschreiben gem. § 13 VgV nach unstreitigem Vortrag der Auftraggeberin und der Antragstellerin nicht. Die Antragstellerin hat daraufhin mit Schreiben vom 15.08.2002 die beabsichtigte Vergabe an die Beigeladene gerügt und diese Rüge begründet. Sie rügte, dass die Auftraggeberin den Auftrag nicht auf das offenbar wirtschaftlichste Angebot erteilt habe, sondern auf Nebenangebote der Beigeladenen.

37

Soweit sich die Antragstellerin mit ihrer Rüge vom 15.08.2002 gegen die beabsichtigte Zuschlagserteilung auf das ihr nicht näher bekannte Nebenangebot der Beigeladenen bezieht, erfolgte diese Rüge unverzüglich nach Kenntniserlangung im Sinne des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB, da die Antragstellerin erst aufgrund des bei ihr am 12.08.2002 eingegangenen Informationsschreibens der Auftraggeberin von der beabsichtigten Zuschlagserteilung erfahren hat, wobei das Informationsschreiben weder nähere Aussagen zur Art des favorisierten Nebenangebotes der Beigeladenen enthielt noch darlegte, in welchem Maße dieses Angebot wirtschaftlicher sei oder an welcher Position das Angebot der Antragstellerin nach dem Ergebnis der Wertung liege. Zu einer konkreteren substantiierteren Rüge hinsichtlich des favorisierten Nebenangebotes der Beigeladenen war die Antragstellerin erst nach erfolgter Akteneinsichtnahme im laufenden Nachprüfungsverfahren in der Lage.

38

Anders verhält es sich mit der Rüge bezüglich der grundsätzlichen Frage, ob der Beigeladenen aufgrund der Tatsache, dass sie den 1. Bauabschnitt errichtet hat, weiter gehendere Informationen zur Verfügung standen als der Antragstellerin. Diesbezüglich erfolgte die Rüge nicht unverzüglich im Sinne des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB. Bei der Vorschrift des § 107 Abs. 3 GWB handelt es sich um eine Präklusionsregel unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben. Ein Bieter soll Vergabefehler nicht auf Vorrat sammeln. Die Rügepflicht des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB entsteht, sobald ein Bieter oder Bewerber im Vergabeverfahren einen vermeintlichen Fehler erkennt. Vorausgesetzt ist positive Kenntnis des Bieters von den Tatsachen. Werden beim Durcharbeiten des Leistungsverzeichnisses Ungenauigkeiten festgestellt, liegt positive Kenntnis vor (vgl. Byok/Jaeger, Vergaberecht, § 107, Rdn. 680, 681, m.w.N.). Dabei ist zu unterscheiden zwischen Ungenauigkeiten im Leistungsverzeichnis und Zweifeln an der Rechtslage. Ungenauigkeiten, die beim Durcharbeiten des Leistungsverzeichnisses erkannt werden, müssen sofort zu einem entsprechenden Hinweis an den Auftraggeber führen. Lediglich bei Zweifeln an der Rechtslage ist positive Kenntnis ausgeschlossen, da Vermutungen nicht ausreichen. Soweit die Antragstellerin aufgrund des Nachprüfungsantrages und der mündlichen Verhandlung am 16.09.2002 der Auffassung ist, dass der Beigeladenen weiter gehendere Informationen zur Verfügung standen als der Antragstellerin, ist auf Folgendes hinzuweisen:

39

Aus den der Vergabekammer vorgelegten Unterlagen ergibt sich, dass die Auftraggeberin in der "Ergänzung zu den Vertragsbedingungen" alle Bieter darüber informiert hat, dass als Standard das im Dezember 2001 fertig gestellte Laborgebäude als Mindeststandard gilt. Bei Abweichungen und Widersprüchen sollten bestimmte Vertragsbestandteile gelten. An erster Stelle war wieder das bereits im Dezember 2001 errichtete Laborgebäude genannt. Alle Bieter hätten die Möglichkeit gehabt, sich nähere Informationen (inkl. Einsicht in die vorhandene Statik) über das bereits errichtete Laborgebäude zu beschaffen. Die Antragstellerin hätte die Möglichkeit gehabt, während der Ausschreibungsfrist sich nähere Informationen über das bereits fertig gestellte Laborgebäude zu besorgen und es ggf. auch zu besichtigen. Da sie dies nicht getan hat, sind diese von ihr geltend gemachten vermeintlichen Vergaberechtsverletzungen im Gegensatz zu ihrem Vortrag bezüglich des streitbefangenen, für den Zuschlag an die Beigeladene im Nachprüfungsverfahren gem. § 107 ff. GWB präkludiert.

40

2.

Der Nachprüfungsantrag ist begründet, soweit er sich gegen die Art und Weise der Prüfung und Wertung der Angebote der Beigeladenen durch die Auftraggeberin wendet. Die Auftraggeberin hat gegen das Transparenzgebot aus § 97 Abs. 1 GWB verstoßen, indem sie es versäumt hat, wichtige Verfahrensschritte in der Vergabeakte gem. § 30 Nr. 1 VOB/A zu dokumentieren. So ist anhand der Vergabeakte nicht nachvollziehbar, inwiefern die Auftraggeberin bei der Wertung der Angebote die Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes anhand sämtlicher von ihr mit der Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes unter Ziffer 5.2 vorgegebenen Zuschlagskriterien durchgeführt hat. Dokumentiert ist lediglich eine intensive Auseinandersetzung mit den Angebotspreisen. Ferner ist nicht ersichtlich, ob und inwieweit die Auftraggeberin sich mit den Nebenangeboten der Beigeladenen, insbesondere mit dem von ihr favorisierten Nebenangebot 1 (Pauschalangebot über die Summe aller Lose) auseinander gesetzt hat. Dies gilt zum einen für die notwendige Prüfung der Vergleichbarkeit und Gleichwertigkeit der Nebenangebote mit dem im Leistungsverzeichnis abgeforderten Hauptangebot. Zum anderen hat die Auftraggeberin versäumt, dieses Nebenangebot 1 einer Plausibilitätsprüfung gem. § 25 Nr. 3 Abs. 2 im Rahmen der Wertung zu unterziehen, obwohl dieses Nebenangebot über alle Lose im Preis 26 % unter der Summe der günstigsten Angebote für die Einzellose lag. Durch diese fehlende gebührende Auseinandersetzung mit dem von ihr für den Zuschlag favorisierten Nebenangebot 1 der Beigeladenen hat die Auftraggeberin ferner zu Lasten der Antragstellerin gegen das Gleichbehandlungsgebot gem. § 97 Abs. 2 GWB verstoßen.

41

a)

Die Auftraggeberin hat es entgegen § 30 VOB/A versäumt, wichtige Verfahrensschritte zu dokumentieren, so dass insbesondere die Berücksichtigung und der Ausschluss von Nebenangeboten sowie die Angebotswertung selbst gemessen an den Vorgaben des Transparenzgebotes gem. § 97 Abs. 1 GWB nicht hinreichend nachvollziehbar sind. Die an einem Vergabeverfahren beteiligten Bieter haben gem. § 97 Abs. 7 GWB ein subjektives Recht auf ausreichende Dokumentation des Vergabeverfahrens und insbesondere der wesentlichen Entscheidungen im Vergabeverfahren (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss v. 03.08.1999, NZBau 2000, S. 44 ff.).

42

Gemäß § 30 Nr. 1 VOB/A ist über die Vergabe ein Vermerk zu fertigen, der die einzelnen Stufen des Verfahrens, die Maßnahmen, die Feststellung sowie die Begründung der einzelnen Entscheidungen enthält. Sinn dieser Bestimmung ist es, die Überprüfbarkeit der im Rahmen des Vergabeverfahrens getroffenen Feststellungen und Entscheidungen herbeizuführen (vgl. Franke/Grünhagen, VOB, A § 30, Rdn. 1, m.w.N.). Der Anwendungsbereich des § 30 Nr. 1 VOB/A erstreckt sich dabei sowohl auf den formalen Verfahrensablauf als auch materiell auf die Maßnahmen, Feststellung und Begründung der einzelnen Entscheidungen. Der Vergabevermerk ist chronologisch zu fassen und muss sich dabei an der in der VOB/A vorgeschriebenen Reihenfolge orientieren (vgl. Beck'scher VOB-Kommentar, A § 30, Rdn. 12). Zu den materiellen Entscheidungen zählen insbesondere die Entscheidungen, bei denen die Vergabestelle eine Ermessensentscheidung zu treffen hat, wie beim Ergebnis der Prüfung der Angebote, Angaben über Verhandlungen mit Bietern und deren Ergebnis, sowie das Ergebnis der Wertung der Angebote (vgl. VK Sachsen, Beschluss v. 30.04.01, Az.: 1/SVK/23-01). Ebenso sind im Vergabevermerk die Gründe für die Erteilung des Zuschlags auf das betreffende Angebot anzugeben. Es ist eine nach § 30 Nr. 1 VOB/A zwingende Pflicht des Auftraggebers, die Auswahlentscheidung als wesentliche Entscheidung in nachvollziehbarer Weise zu dokumentieren, um für den Bewerber die erforderliche Überprüfbarkeit zu gewährleisten (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss v. 08.03.1999, a.a.O.). Eine fehlende Dokumentation wesentlicher Schritte bis zur Vergabeentscheidung ist daher rechtsfehlerhaft und führt zu einer Nichtvollziehbarkeit der getroffenen Entscheidung. Daraus folgt, dass im Vermerk die Gründe so dezidiert festzuhalten sind, dass auch einem Außenstehenden bei Kenntnis der Angebotsinhalte deutlich erkennbar und nachvollziehbar wird, warum gerade auf das betreffende Angebot der Zuschlag erteilt werden soll. Mängel der Erkennbarkeit und der Nachvollziehbarkeit in diesem Bereich gehen daher zu Lasten der Vergabestelle.

43

Zwar hat das von der Auftraggeberin beauftragte Planungsbüro ausweislich der Vergabeakte eine Prüfung und Auswertung der Angebote vorgenommen und einen Vergabevorschlag gefertigt. Dieser Vermerk genügt jedoch nicht den Anforderungen des § 30 Nr. 1 VOB/A, da es nicht möglich ist, anhand der Angebotsauswertung und des Vergabevorschlags die Entscheidung nachzuvollziehen. Der in der Vergabeakte enthaltene Vergabevorschlag vom 08.08.2002 beschränkt sich auf folgende Feststellungen:

  • Ein umfangreicher, detaillierter Preisspiegel mit Ermittlung und Darstellung der preislich günstigsten Angebote und Nebenangebote
  • Eine Übersicht über die Angebote, die nach dem Ergebnis der Prüfung nicht den Angebotsbedingungen entsprechen, verbunden mit der Erklärung, dass auf den offiziellen Ausschluss dieser Bieter verzichtet werde, weil das Angebot der Beigeladenen Firma xxx über die Summe aller Lose, unter Berücksichtigung der Nebenangebote deutlich unter den Mindestangeboten der Einzellose liege und eine Vergabe an Einzellose daher nicht in Betracht komme. Es wurde auf den offiziellen Ausschluss einzelner Bieter verzichtet, die nur ein Fachlos bedient hatten. Der dort beigefügten Übersicht über die Angebote, die nicht den Angebotsbedingungen entsprechen, ist zu entnehmen, dass offenbar alle Angebote zu Los 1 den Anforderungen entsprechen. Es wurde lt. Übersicht zu Los 1 kein Angebot ausgeschlossen.
  • Die Empfehlung, den Zuschlag auf das Nebenangebot Nr. 1 (Pauschalangebot) über die Summe aller Lose für Netto 9.950.000,00 EUR zu erteilen und dabei möglichst das Nebenangebot Nr. 3 der Beigeladenen über ein Angebot von 4 % Skonto bei Zahlung innerhalb 14 Tagen in Anspruch zu nehmen

44

Bedenklich ist bereits, dass die Auftraggeberin, wie sie in der mündlichen Verhandlung vom 16.09.2002 ausdrücklich erklärt hat, sämtliche Wertungsphasen nicht nacheinander, sondern parallel durchgeführt hat. Systematisch vollzieht sich die Wertung gem. § 25 VOB/A in 4 Wertungsphasen:

  • In der 1. Phase sind die auszuschließenden bzw. ausschließbaren Angebote zu ermitteln, ohne dass eine inhaltliche Wertung dieser Angebote vorzunehmen ist (§ 25 Nr. 1 VOB/A).
  • In der 2. Phase ist die Eignung der verbliebenen Bieter im Hinblick auf die erforderliche Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit für die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtung zu überprüfen (Nr. 2 Abs. 1).
  • Die 3. Wertungsphase hingegen befasst sich mit der Überprüfung ungewöhnlich niedriger Angebote im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung (Nr. 3 Abs. 2).
  • Die 4. und letzte Wertungsphase schließlich betrifft nur noch die Angebote, welche in die engere Wahl gekommen sind. Unter diesen ist das unter Berücksichtigung aller Umstände wirtschaftlichste Angebot zu ermitteln (Nr. 3 Abs. 3).

45

Zur Vermeidung schwer wiegender Vergabefehler empfiehlt sich in aller Regel die genaue Einhaltung der Wertungsphasen 1 bis 4 (vgl. Daub/Eberstein, VOL/A, 5. Auflage, § 25 Rdn. 8, m.w.N.). Dies gilt für das VOB-Vergabeverfahren wie auch für das VOL-Vergabeverfahren. Schon der das Vergabeverfahren beherrschende Transparenzgrundsatz gem. § 97 Abs. 1 GWB verbietet grundsätzlich eine Vermengung der Wertungsphasen.

46

Schwerwiegender ist im vorliegenden Fall indessen, dass die Auftraggeberin nicht dokumentiert hat, inwieweit die übrigen von ihr vorgegebenen Zuschlagskriterien außer dem Kriterium Preis bei der Wertung Berücksichtigung gefunden haben. Nach der den Bietern übersandten Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes hatte die Auftraggeberin unter Ziffer 5.2 folgende Zuschlagskriterien vorgegeben:

"5.2 Kriterien für die Auftragserteilung bei Haupt- und Nebenangeboten/ Änderungsvorschlägen

5.2.1 Allgemeine Kriterien: Preis, Ausführungsfrist, Vergütungsbedingungen

5.2.2 Technische und wirtschaftliche Kriterien: Qualität, Folgekosten, Rentabilität, Funktionalität, Konstruktion, Betriebskosten, technischer Wert, Wartung"

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Die Auftraggeberin hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, letztendlich habe sich ihre Wirtschaftlichkeitsprüfung auf den Preis reduziert, weil von insgesamt 74 Angeboten sich nur 3 Angebote mit der Ausführungsfrist dahingehend auseinander gesetzt hätten, dass Bauzeitenpläne beigefügt wurden. Die übrigen Angebote hätten derartige Bauzeitenpläne nicht aufgewiesen. Die für die Auftragserteilung vorgegebenen technischen und wirtschaftlichen Kriterien seien nicht ausdrücklich noch einmal abgefragt worden. Die Auftraggeberin habe zwar erwartet, dass insbesondere bei den Nebenangeboten Aussagen etwa zur Wirtschaftlichkeit durch niedrigere Folgekosten oder Rentabilität, Betriebskosten etc. gemacht würden. Dies sei allerdings nicht der Fall gewesen. Die Auftraggeberin hätte diese Erkenntnisse bereits in der Vergabeakte in einem den Anforderungen des § 30 VOB/A genügenden Vergabevermerk dokumentieren und darlegen müssen, warum sich im konkreten Fall das wirtschaftlichste Angebot letztlich ausschließlich über den Preis ermitteln ließ, weil die Angebote hinsichtlich der übrigen Zuschlagskriterien möglicherweise keine Unterschieden aufwiesen oder keine entsprechenden Rückschlüsse zuließen.

48

b)

Über die Verstöße gegen die Dokumentationspflicht hinaus hat sich das von der Auftraggeberin beauftragte Planungsbüro aber auch unter Berücksichtigung ihres Vorbringens in der mündlichen Verhandlung vom 16.08.2002 nicht in einer den Anforderungen der §§ 21 Nr. 3, 25 Nr. 5 VOB/A genügenden Weise mit den Nebenangeboten der Antragstellerin und der Beigeladenen auseinander gesetzt. Dies gilt insbesondere für das Nebenangebot (Pauschalangebot) über die Summe aller Lose der Beigeladenen. Zwar hatte die Auftraggeberin in ihren "Ergänzungen zu den Vertragsbedingungen" unter Ziffer 1.12 und 1.13 ausgeführt, welche Anforderung sie an Alternativ-, Nebenangebote und Sondervorschläge stellt; eine Prüfung der von den Bietern eingereichten Nebenangebote, ob sie diesen Anforderungen genügen, ist aber nicht dokumentiert. Insbesondere hat sich die Auftraggeberin nicht mit dem Nebenangebot (Pauschalangebot) der Beigeladenen über alle Lose auseinander gesetzt, dem sie den Zuschlag erteilen will. Bei Nebenangeboten hat der Auftraggeber eine besonders eingehende und alle Vergabekriterien gewichtende und zueinander ins Verhältnis setzende, vergleichend abwägende Wertung durchzuführen. Daher ist eine klare und in sich geschlossene übersichtliche und erschöpfende Beschreibung des Nebenangebotes durch den Bieter zwingend erforderlich. Dies geht so weit, dass in den Fällen, in denen ein Auftragnehmer die Gleichwertigkeit nicht nachweist, mit seinem Nebenangebot von der Wertung auszuschließen ist (vgl. Vergabekammer Nordbayern, Beschluss vom 25.03.2002, Az.: 320.VK-3194-06/02; BayObLG, Beschluss vom 21.11.2001, Az.: Verg 17/01, Vergabe News 4/2002, S. 28, 29). Angesichts dieser vergaberechtlichen Vorgaben durfte sich die Auftraggeberin nicht darauf beschränken, von der Gleichwertigkeit des Nebenangebotes der Beigeladenen schon deshalb auszugehen, weil die Beigeladene seinerzeit bereits das dem streitbefangenen Objekt weitgehend identische Gebäude "xxx" erstellt hatte und in ihrem Angebot vom 19.07.2002 ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass Ausführungen und Qualitäten diesem Gebäude entsprechen. Sie ist vielmehr gehalten, die Gleichwertigkeit und Vergleichbarkeit dieses Nebenangebotes zu prüfen, dabei sich etwa ergebende Fragen und Zweifel im Rahmen des nach § 24 VOB/A Zulässigen aufzuklären und diese Prüfung und ihr Ergebnis im Vergabevermerk zu dokumentieren. Gleiches gilt insbesondere auch hinsichtlich der von der Beigeladenen in ihrem Nebenangebot ausbedungenen Fabrikatsfreigabe für sämtliche Fabrikate. Ferner ist nicht dokumentiert, ob bei Annahme des Nebenangebotes Nr. 1 (Pauschalierung) in irgendeiner Weise auch die weiteren Nebenangebote der Beigeladenen Berücksichtigung finden. Erst eine solche eingehende Prüfung und Dokumentation versetzt die Auftraggeberin in die Lage, das für den Zuschlag in Betracht kommende, wirtschaftlichste Angebot zu ermitteln. Ein ohne diese Prüfung und Dokumentation vorgenommener Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen würde nicht nur gegen das Transparenzgebot verstoßen, sondern zu Lasten aller übrigen Bieter wie auch der Antragstellerin auch das Gleichbehandlungsgebot gem. § 97 Abs. 2 GWB verletzen.

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c)

Die Auftraggeberin hat ferner versäumt, das Nebenangebot 1 der Beigeladenen angesichts ihres gegenüber den übrigen Angeboten ungewöhnlich hohen Preisabstandes einer Plausibilitätsprüfung gem. § 25 Nr. 3 Abs. 2 VOB/A zu unterziehen und Prüfung und Ergebnis zu dokumentieren. Unstreitig ist das geprüfte Nebenangebot 1 (Pauschalangebot) der Beigeladenen 26,5 % günstiger als die Summe aller Mindestfordernden der einzelnen Fachlose. Bei einem solchen Preisunterschied darf die Auftraggeberin gem. § 25 Nr. 3 Abs. 1 VOB/A den Zuschlag nicht ohne jegliche Prüfung der Angemessenheit des Preises erteilen. Zur Beachtung dieser Vorgabe des § 25 Nr. 3 VOB/A ist in Niedersachsen durch den Gemeinsamen Erlass des MW und des MI vom 27.09.2002 - 32-32573/2/25 - (MBl. S. 685) geregelt, dass bei einer Abweichung von 10 % zum nächst höheren Angebot sich die Auftraggeberin als Vergabestelle zwingend mit der Kalkulation des billigsten Angebotes auseinander setzen muss. Dem Bieter ist aufzugeben, die ordnungsgemäße Kalkulation seines Angebotes schlüssig nachzuweisen. Ein Ausschluss des Angebotes ist nach diesem Erlass grundsätzlich erst dann vorzunehmen, wenn der Bieter seiner Nachweispflicht nicht nachgekommen ist. Gemäß § 25 Nr. 3 Abs. 1 VOB/A darf auf ein Angebot mit einem unangemessen hohen oder niedrigen Preis der Zuschlag nicht erteilt werden. Von einem solchen Missverhältnis zwischen Preis und Leistung ist allerdings nur dann auszugehen, wenn der Preis von den Erfahrungswerten wettbewerblicher Preisbildung so grob abweicht, dass dies sofort ins Auge fällt. Ein beträchtlicher Preisabstand zwischen dem niedrigsten und den nachfolgenden Angeboten allein ist für sich genommen noch kein hinreichendes Merkmal dafür, dass der niedrige Preis auch im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig ist. Hinzukommen müssen vielmehr Anhaltspunkte dafür, dass der Niedrigpreis wettbewerblich nicht begründet ist (vgl. Heiermann/Riedl/Rusam, VOB/A § 25, Rdn. 45 ff.; Kulartz, VOL/A, 5. Auflage, § 25 Rdn. 40 ff., m.w.N.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Bieter mangels verbindlicher Kalkulationsregeln grundsätzlich in seiner Preisgestaltung frei bleibt. Deshalb ist für die Prüfung der Auskömmlichkeit des Angebotes nicht auf einzelne Positionen des Leistungsverzeichnisses, sondern auf den Gesamtpreis, die Endsumme des Angebotes abzustellen. Auch ist ein öffentlicher Auftraggeber nicht verpflichtet, nur "auskömmliche" Angebote zu berücksichtigen (vgl. OLG Celle, Beschluss v. 08.11.2001, Az.: 13 Verg 12/01, m.w.N.). Bei einem grundsätzlich leistungsfähigen Bieter kann es verschiedenste Gründe geben, im Einzelfall ein auch nicht auskömmliches oder jedenfalls sehr knapp kalkuliertes Angebot abzugeben. Derartige Angebote sind im Sinne des Wettbewerbs erwünscht, solange an der ordnungsgemäßen Durchführung der Arbeiten keine Zweifel bestehen. Dies aber hat die Auftraggeberin unter Berücksichtigung einer Stellungnahme der Antragstellerin in der gebotenen Weise zu überprüfen. Lediglich wenn diese eingehende Plausibilitätsprüfung ein offenbares Missverhältnis des Preises zur Leistung ergibt, darf die Auftraggeberin der Antragstellerin den Zuschlag nicht erteilen.

50

Nach diesem zutreffenden Maßstab bestand und besteht für die Auftraggeberin zwar kein Anlass, das von ihr für den Zuschlag favorisierte Nebenangebot 1 der Beigeladenen ohne weiteres als Dumpingangebot einzustufen. Angesichts der Tatsache, dass dieses Nebenangebot 26,5 % günstiger als die Summe aller Mindestfordernden der einzelnen Fachlose ist, muss die Auftraggeberin sich aber zwingend gem. § 25 Nr. 3 Abs. 2 VOB/A mit der Kalkulation dieses Angebotes auseinander setzen und es einer eingehenden Plausibilitätsprüfung unterziehen. Sie ist ferner, ebenso wie hinsichtlich der Prüfung der Vergleichbarkeit und Gleichwertigkeit des Nebenangebotes gehalten, auch Prüfung und Ergebnis hinsichtlich der Angemessenheit des Preises in einem den Anforderungen des § 30 VOB/A genügenden Vergabevermerk zu dokumentieren. Unstreitig ist das geprüfte Nebenangebot (Pauschalangebot) der Beigeladenen 26,5 % günstiger als die Summe aller Mindestfordernden der einzelnen Fachlose. Bei einem solchen Preisunterschied darf die Auftraggeberin gemäß § 25 Nr. 3 Abs. 1 VOB/A den Zuschlag nicht ohne jegliche Prüfung erteilen. Bei einer Abweichung von 10 % zum nächst höheren Angebot muss sich die Auftraggeberin als Vergabestelle vielmehr zwingend mit der Kalkulation des billigsten Angebots auseinander setzen. Dem Bieter ist aufzugeben, die ordnungsgemäße Kalkulation seines Angebotes schlüssig nachzuweisen. Ein Ausschluss des Angebotes ist grundsätzlich erst dann vorzunehmen, wenn der Bieter seiner Nachweispflicht nicht nachgekommen ist.

51

Auch gemäß der Vorgabe des Gemeinsamen Erlasses des MW und des MI vom 27.09.2000 - 32-32573/2/25 - (MBl. S. 685) ist die Auftraggeberin verpflichtet, sich zwingend mit der Kalkulation des billigsten Angebots auseinander zu setzen und dem Bieter aufzugeben, die ordnungsgemäße Kalkulation seines Angebots schlüssig nachzuweisen.

52

Die Auftraggeberin hat bei der Auseinandersetzung mit dem Nebenangebot der Beigeladenen nicht nur die Plausibilität des Angebotes zu prüfen, sondern insbesondere auch, ob das favorisierte Nebenangebot auch tatsächlich von den mit den Verdingungsunterlagen verbindlich vorgegebenen Stückzahlen und Massen ausgeht oder auf eine Massenreduzierung spekuliert.

53

In der Vergabeakte ist nicht dokumentiert, dass sich die Auftraggeberin mit der Angemessenheit des Nebenangebotes der Beigeladenen über alle Lose auseinander gesetzt hat. Ein Vermerk, der den Vorgaben des § 25 Nr. 3 Abs. 2 VOB/A und dem o. g. Erlass entspricht, ergibt sich nicht aus der Vergabeakte.

54

Gemäß § 114 Abs. 1 GWB trifft die Vergabekammer die geeigneten Maßnahmen, um eine Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern. Wegen der festgestellten Verstöße gegen das vergaberechtliche Transparenzgebot ist es erforderlich, die Auftraggeberin zu verpflichten, erneut in die Angebotswertung einzutreten und diese unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer erneut durchzuführen. Dabei hat sie sich insbesondere mit den Nebenangeboten der Beigeladenen hinsichtlich Gleichwertigkeit, Vergleichbarkeit und Angemessenheit auseinander zu setzen und Prüfung und Ergebnis in der Vergabeakte zu dokumentieren. Gleiches gilt aber auch für die letzte Stufe der Angebotswertung, die sie anhand der von ihr in der Aufforderung zur Angebotsabgabe ausdrücklich formulierten und genannten Zuschlagskriterien durchführen muss. Von einer Aufhebung des streitbefangenen Vergabeverfahrens konnte die Vergabekammer dagegen absehen. Die von der Vergabekammer im Tenor zu 1 verfügte Verpflichtung der Auftraggeberin ist bereits geeignet und angemessen, die festgestellte Rechtsverletzung der Antragstellerin zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern. Die Auftraggeberin wird darauf hingewiesen, dass sie nach erneuter Wertung die Bieter im Vergabeverfahren vor Zuschlagserteilung erneut gemäß § 13 VgV informieren muss.

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III.

Kosten

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 GWB. Nach Art. 7 Nr. 5 des 9. Euro - Einführungsgesetzes (BGBl. 58/2001 vom 14.11.2001, S. 2992 ff.) vom 10.11.2001 werden die

57

DM-Angaben in § 128 GWB für die von der Vergabekammer festzusetzende Gebühr durch Angaben in Euro im Verhältnis 1 : 2 ersetzt, so dass die regelmäßige Mindestgebühr nunmehr 2.500 Euro, die Höchstgebühr 25.000 Euro bzw. in Ausnahmefällen 50.000 Euro beträgt.

58

Es wird eine Gebühr in Höhe von 3.127,00 EUR gemäß § 128 Abs. 2 GWB festgesetzt.

59

Der zugrunde zu legende Auftragswert für das hier streitbefangene Los 1 beträgt nach dem Ergebnis der streitbefangenen Ausschreibung 4.136.536,80 EUR (brutto, geprüft, einschließlich Nachlässen). Dieser Betrag entspricht den Kosten nach dem Hauptangebot der Antragstellerin für das streitbefangene Los 1 und damit ihrem Interesse am Auftrag.

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Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes vom 09.02.1999. Hiernach wird der Mindestgebühr von 5.000,00 DM (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 2 Mio. DM (Schwellenwert von 1 Mio. Euro; ca. 2 Mio. DM) zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 50.000,00 DM (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von 300 Mio. DM (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996 -1998) gegenübergestellt. Bei einer Ausschreibungssumme von 4.136.536,80 EUR ergibt sich durch Interpolation eine Basisgebühr von 3.127,00 EUR.

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Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein. Gutachterkosten und Kosten von Zeugenvernehmungen sind nicht angefallen.

62

Die im Tenor verfügte Kostentragungspflicht ergibt sich daraus, dass der Auftraggeber im Nachprüfungsverfahren i.S.d. § 128 Abs. 3 Satz 1 GWB unterlegen ist.

63

Die Erstattungspflicht bezüglich der Kosten der Antragstellerin, die dieser zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstanden sind, folgt aus § 128 Abs. 4 GWB i.V.m. § 80 VwVfG. Danach war auf Antrag der Antragstellerin festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes durch die Antragstellerin im konkreten Verfahren erforderlich war. Auch wenn man von einem fachkundigen, erfahrenen Bieter wie der Antragstellerin grundsätzlich verlangen darf, dass er über das notwendige personelle Know-how bezüglich der für eine Ausschreibung erforderlichen Rechtsgrundlagen, insbesondere der VOB/A verfügt, bedurfte er für eine angemessene Reaktion in der auch für einen erfahrenen Bieter ungewohnten Situation eines vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens besonderen rechtskundigen Beistandes.

64

Nach den zu § 80 VwVfG geltenden Grundsätzen ist die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes dann notwendig, wenn sie vom Standpunkt eines verständigen Beteiligten für erforderlich gehalten werden durfte (BVerwGE 55, 299, 306) [BVerwG 10.04.1978 - 6 C 27/77]. Dies ist nach der herrschenden Lehre nicht nur in schwierigen und umfangreichen Verfahren zu bejahen, sondern entspricht der Regel (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., § 80, Rdn. 45; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 5. Aufl., § 80, Rdn. 81). Dieser Grundsatz soll allerdings nur im Verhältnis des Bürgers zum Staat gelten. Schon beim materiellen Vergaberecht handelt es sich um eine überdurchschnittlich komplizierte Materie, die nicht nur in kurzer Zeit zahlreiche Veränderungen und Neuregelungen erfahren hat, sondern auch durch komplexe gemeinschaftsrechtliche Fragen überlagert ist. Entscheidend aber ist, dass das Nachprüfungsverfahren gerichtsähnlich ausgebildet ist, die Beteiligten also auch prozessuale Kenntnisse haben müssen, um ihre Rechte umfassend zu wahren. Deshalb ist im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren die nach § 80 VwVfG gebotene Rechtspraxis zur Erstattung der Rechtsanwaltskosten nicht übertragbar (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.11.2001, Az.: Verg 1/01; OLG Stuttgart, Beschluss v. 19.07.2000, 2 Verg 4/00, NZBau 11/2000, S. 543 ff.). Denn durch seinen Charakter als gerichtsähnlich ausgestaltetes Verfahren unterscheidet sich das Vergabenachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer eben grundlegend von dem Widerspruchsverfahren nach der VwGO.

65

Angesichts der oben erörterten Tatsache, dass die Auftraggeberin im Nachprüfungsverfahren unterlegen ist, hat sie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Kosten der Antragstellerin zu tragen. Da die Beigeladene den Vortrag der Auftraggeberin unterstützt hat, ist sie ebenfalls unterlegen i.S.d. § 128 Abs. 3 Satz 1 und 4 Satz 2 GWB. Eine Verpflichtung der Beigeladenen zur Beteiligung an den von der Auftraggeberin zu tragenden Kosten des Nachprüfungsverfahrens wäre indessen unbillig, da die oben unter II. dargelegten Vergaberechtsverletzungen allein in der Sphäre der Auftraggeberin begründet liegen und nicht der Beigeladenen zuzurechnen sind.

66

Die Auftraggeberin wird aufgefordert, den Betrag von 3.127,00 EUR unter Angabe des Kassenzeichens xxx auf folgendes Konto zu überweisen: xxx.

Gause
Schulte
Lohmöller