Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 20.08.2002, Az.: 203-VgK-12/2002

Sinn und Zweck sowie Voraussetzungen der Rügeobliegenheit; Darlegungsanforderungen bei der Begründung des Nachprüfungsantrages; Erstmalige Erwähnung einer erfolgten Rüge sowie Erweiterung des klägerischen Vortrags in der Hauptverhandlung; Verpflichtung zur Berücksichtigung verspätet eingerichter Vergaberechtsvertöße von Amts wegen; Rechtsfolgen nicht ordnungsgemäßen oder verspäteten Eingangs eines Angebots; Auslegung der Formulierung "braucht nicht" als unterhalb einer verwaltungsrechtlichen Ermessensausübung liegende Entscheidung

Bibliographie

Gericht
VK Lüneburg
Datum
20.08.2002
Aktenzeichen
203-VgK-12/2002
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 28764
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgegenstand

Vergabe von Entsorgungsdienstleistungen

In dem Nachprüfungsverfahren
hat die Vergabekammer bei der Bezirksregierung Lüneburg
durch
den Vorsitzenden RD Gause,
die hauptamtliche Beisitzerin Dipl.-Ing. Schulte und
den ehrenamtlichen Beisitzer Dr. Pade
auf die mündliche Verhandlung
vom 13.08.2002
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.

  2. 2.

    Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.

  3. 3.

    Die Kosten werden auf 10.700,00 EUR festgesetzt.

  4. 4.

    Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes durch die Auftraggeber war notwendig. Die Antragstellerin hat den Auftraggebern die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgungnotwendigen Aufwendungen zu erstatten.

Begründung

1

I.

Mit Datum vom 21.08.2001 wurde zwischen den Landkreisen xxxxxxx, xxxxxxx und xxxxxxx ein öffentlich-rechtlicher Vertrag gemäß § 54 ff Verwaltungsverfahrensgesetz geschlossen. Gegenstand des Vertrages ist die gemeinsame Ausschreibung der Vorbehandlung des beim jeweiligen Abfallentsorgungspflichtigen anfallenden Restabfalls. Der Landkreis xxxxxxx sollte dabei die Koordination der Ausschreibung in Abstimmung mit den Landkreisen xxxxxxx und xxxxxxx übernehmen.

2

Die Auftraggeber hatten mit Datum vom 05.10.2001 die Dienstleistung in der Abfallentsorgung europaweit im offenen Verfahren öffentlich ausgeschrieben, nachdem sie mit Bekanntmachung vom 15.05.2001 vorab darüber informiert hatten. Der Bekanntmachung war zu entnehmen, dass die Landkreise jeweils als eigenständige Auftraggeber auftraten. Es wurde offen gelassen, ob der Auftrag gemeinsam, zu zweit oder von den Landkreisen einzeln vergeben werden wird. Ferner war den Verdingungsunterlagen zu entnehmen, dass sieben Hauptvarianten mit Untervarianten abgefordert wurden. Nebenangebote waren zugelassen.

3

Den Ausschreibungsunterlagen war zu entnehmen, dass der Bieter zum Nachweis der wirtschaftlichen und technischen Leistungsfähigkeit, der erforderlichen Fachkunde sowie der Zuverlässigkeit entsprechende Unterlagen und Nachweise vorzulegen hat. Allgemeine Zuschlagskriterien für die Auftragserteilung sollten das wirtschaftlichste Angebot nach Maßgabe der Qualität (Entsorgungssicherheit, Umweltverträglichkeit) und des Preises sein.

4

Die Antragstellerin forderte am 25.10.2001 die Angebotsunterlagen an.

5

Auf Grund verschiedener Nachfragen sahen sich die Auftraggeber veranlasst, insgesamt vier Bieterinformationen mit Erläuterungen zu den Teilen A bis E der Verdingungsunterlagen mit Bewertungs- und Gewichtungsschema sowie Informationen zu den Stilllegungs- und Nachsorgungskosten der Deponien in den Landkreisen xxxxxxx und xxxxxxx herauszugeben.

6

Die Öffnung der Angebote erfolgte am 19.02.2002 um 12.00 Uhr. Der Niederschrift ist zu entnehmen, dass zwei Angebote nicht verschlossen eingegangen, aber bei Eingang sofort im verschlossenen Submissionszimmer aufbewahrt wurden. Die Prüfung dieser beiden Angebote erfolgte unter Vorbehalt bis zur endgültigen Klärung.

7

Einem Vermerk des Auftraggebers vom 20.02.2002 ist zu entnehmen, dass am Vormittag des 19.02.2002 die Anlieferung der Angebotsunterlagen der Antragstellerin in Umzugskartons erfolgte. Die Kartons waren nicht mit Klebeband verschlossen. Auch die Ordner in diesen Kartons waren nicht verpackt. Ein schriftliches Inhaltsverzeichnis der 40 Ordner wurde mitgeliefert, das auch den vorgesehenen Vergabeaufkleber enthielt.

8

Es wurde ferner vermerkt, dass die Angebotsunterlagen sofort nach Eingang in das Submissionszimmer gebracht worden sind und das Zimmer nach Einlagerung sofort wieder verschlossen wurde. Ein Zugriff Unberechtigter auf die Unterlagen war nach Auffassung der Auftraggeber lt. Vermerk somit ausgeschlossen.

9

Auch wurde in dem Vermerk festgehalten, dass sieben andere Angebote ordnungsgemäß verschlossen und in vorgegebener Weise äußerlich gekennzeichnet waren. Die Prüfung der nicht mit Klebeband verschlossenen Angebote erfolgte lt. Vermerk ausdrücklich unter Vorbehalt bis zur endgültigen rechtlichen Klärung. Dies habe man auch entsprechend in der Verhandlungsniederschrift aufgenommen.

10

Der Bevollmächtigte der Auftraggeber wurde gebeten, zur rechtlichen Würdigung der Frage, ob das Angebot in "einem verschlossenen Umschlag" i.S.d. § 18 Nr. 2 Abs. 1 Satz 1 VOL/A abgegeben worden ist, Stellung zu nehmen.

11

Mit Telefax vom 16.04.2002 führte er u.a. aus, warum seiner Meinung nach das Angebot der Antragstellerin nicht zum eigentlichen Wettbewerb zuzulassen und daher wegen Verstoßes gegen Formvorschriften auszuschließen sei.

12

Mit Schreiben vom 17.04.2002 teilte das mit der Durchführung der Ausschreibung beauftragte Ingenieurbüro der Antragstellerin mit, dass ihr Angebot ausgeschlossen werde, da es unverschlossen und unvollständig gekennzeichnet eingereicht worden sei. Dies stelle ein Verstoß gegen § 22 Nr. 1 VOL/A dar. Zur Begründung führte das beauftragte Ingenieurbüro aus, dass in den Verdingungsunterlagen unmissverständlich mitgeteilt worden sei, dass die Angebote verschlossen und entsprechend gekennzeichnet einzureichen seien.

13

Mit Schreiben vom 19.04.2002 rügte die Antragstellerin den Ausschluss des Angebotes vom weiteren Vergabeverfahren. Sie machte geltend, dass ihrer Meinung nach die Angebote ordnungsgemäß i.S.d. § 23 Nr. 1 VOL/A eingereicht worden seien.

14

Ordnungsgemäß verschlossen i.S.d. § 22 Nr. 3 i.V.m. Nr. 1 VOL/A bedeute in jedem Fall nicht, dass ein verklebter Umschlag beigefügt werden müsse. Der Begriff "verschlossen" dürfe nicht mit den Begriffen "verklebt" bzw. "zugeklebt" gleichgesetzt werden. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Unterlagen der Antragstellerin erst am Submissionstag um 9.00 Uhr beim Auftraggeber eingingen, sei eine Manipulation, gemessen am Umfang des Angebotes unmöglich gewesen.

15

Da ferner die verschlossenen Kartons direkt in das Submissionszimmer gebracht und damit der Obhut der Auftraggeber übergeben worden seien, bestand seiner Meinung nach nicht mehr die Möglichkeit, an die Unterlagen zu gelangen.

16

Ferner rügte die Antragstellerin, dass die Anforderung im Leistungsverzeichnis unzureichend sei. Man habe von Seiten der Auftraggeber lediglich den Wortlaut des § 18 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A wieder gegeben und nicht darauf hingewiesen, dass die Angebote in einem fest verklebten Karton einzureichen seien.

17

Ebenso wenig könne man der Antragstellerin vorwerfen, dass sie ihr Angebot nicht ordnungsgemäß gekennzeichnet habe, da die Auftraggeber den Verdingungsunterlagen nur einen Aufkleber zur Kennzeichnung beigefügt hätten.

18

In dem Rügeschreiben beantragte der Bevollmächtigte ferner hilfsweise für seine Mandantin, das Angebot nach§ 23 Nr. 1 lit. a) 2. HS VOL/A zu werten, da sie seiner Meinung nach den nicht ordnungsgemäßen Eingang des Angebotes die Antragstellerin nicht zu vertreten habe.

19

Äußerst hilfsweise beantragte der Bevollmächtigte in dem Rügeschreiben eine Prüfungspflicht nach § 23 Nr. 1 VOL/A, da die Auftraggeber nicht vorgegeben hätten, in welcher Form die Angebote einzureichen seien.

20

Abschließend wies die Antragstellerin darauf hin, dass ihrer Meinung nach die Auftraggeber das Recht verwirkt hätten, in dem schon fortgeschrittenen Verfahrensstadium den Ausschluss über den § 23 Nr. 1 VOL/A zu klären.

21

Nachdem der Bevollmächtigte der Auftraggeber mit Schreiben vom 23.04.2002 ausgeführt hatte, warum nach Auffassung der Auftraggeber der Rüge nicht stattzugeben sei, rief der Bevollmächtigte der Antragstellerin mit Schreiben vom 19.06.2002, eingegangen per Telefax am gleichen Tage, die Vergabekammer an.

22

Nach Durchführung der Akteneinsicht machte die Antragstellerin weiterhin geltend, dass im vorliegenden Fall keine Präklusion eingetreten sei, da es ihrer Meinung nach keine gesetzliche Frist im Gegensatz zur Rüge gibt, in der ein Nachprüfungsantrag eingereicht werden muss. Sie konnte vielmehr davon ausgehen, dass nach einem Zeitungsbericht vom 23.04.02 mit der Aufhebung der Ausschreibung zu rechnen gewesen sei. Ferner sei die Bindefrist während des laufenden Verfahrens bis zum 31.03.2003 verlängert worden.

23

Die Antragstellerin führt ergänzend aus, warum ihrer Auffassung nach die formalen Anforderungen des § 22 VOL/A erfüllt seien. Die Auftraggeber hätten selbst vermerkt, dass dadurch, dass die Angebotsunterlagen sofort in das Submissionszimmer gebracht wurden, ein Zugriff Unberechtigter ausgeschlossen sei. Schon tatbestandsmäßig läge daher bei der Auslegung der § 18 bzw. 22 Nr. 1 VOL/A nach Sinn und Zweck kein Verstoß vor.

24

Im Übrigen habe das mit der Ausschreibung beauftragte Ingenieurbüro unzutreffend das Angebot gemäß § 22 Nr. 1 VOL/A ausgeschlossen. Es wurde eine Rechtsfolge ausgesprochen, die ihrer Meinung nach nur dem § 25 VOL/A vorbehalten sei. Die Auftraggeber seien demzufolge wegen des angeblich nicht ordnungsgemäß verschlossenen Angebotes nicht berechtigt gewesen, den Ausschluss auszusprechen.

25

Abschließend weist die Antragstellerin darauf hin, dass die Auftraggeber gegen ihre Verpflichtung verstoßen haben, wesentliche Entscheidungen selbst zu treffen. Die Mitteilung über den Ausschluss erfolgte durch das beauftragten Ingenieurbüro, das darauf hinwies, dass es diese Entscheidung im Auftrage übermittelt hätte. Aus alledem ergibt sich, dass der Ausschluss des Angebotes der Antragstellerin ihrer Meinung nach rechtswidrig sei und das Angebot aus ihrer Sicht in die weitere Prüfung aufzunehmen sei.

26

Die Antragstellerin hat beantragt,

  1. 1.

    Die Antragsgegner zu 1) bis 3) zu verpflichten, die Angebote der Antragstellerin zu prüfen und in die weitere Wertung einzubeziehen.

  2. 2.

    Hilfsweise: Die Kammer wirkt auch unabhängig von dem Antrag zu 1. auf die Rechtmäßigkeit des Verfahrens hin.

  3. 3.

    Der Antragstellerin wird Akteneinsicht in die Vergabeakten der Antragsgegner gewährt (§ 111 GWB).

  4. 4.

    Der Nachprüfungsantrag wird den Antragsgegnern unverzüglich - notfalls per Telefax - zugestellt.

  5. 5.

    Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Vertreters für die Antragstellerin wird für notwendig erklärt.

  6. 6.

    Die Antragsgegner tragen die Kosten des Verfahrens.

27

Die Auftraggeber beantragen,

die Nachprüfungsanträge zu 1. bis 6. abzuweisen.

28

Sie sind der Auffassung, dass der Antrag der Antragstellerin präkludiert sei.

29

Ferner sind die Auftraggeber der Auffassung, dass das Angebot der Antragstellerin zu Recht ausgeschlossen worden sei, dies ergäbe sich bereits aus dem vorgelegten Gutachten des Bevollmächtigten der Auftraggeber.

30

Die Auftraggeber sind der Auffassung, dass das Angebot der Antragstellerin zu Recht gemäß §§ 22 Nr. 1, 23 VOL/A auszuschließen gewesen sei, da es nicht in einem verschlossenen Umschlag gemäß § 18 Nr. 2 Abs. 1 Satz 2 VOL/A abgegeben worden sei. Gemäß § 22 Nr. 1 VOL/A sind schriftliche Angebote auf dem ungeöffneten Umschlag mit Eingangsvermerk zu versehen und bis zum Zeitpunkt der Öffnung unter Verschluss zu halten. Angebote, die diesen Anforderungen nicht erfüllen, brauchen nach Meinung der Auftraggeber gemäß § 23 Nr. 1 a VOL/A nicht geprüft zu werden.

31

Die Kartons mit dem Angebot der Antragstellerin seien nicht zugeklebt oder sonst irgendwie mit Hilfsmitteln verschlossen gewesen. Die Deckel der Pappkartons waren nur ineinander gefaltet, sodass eineÖffnung keinerlei Spuren hinterlassen müsse.

32

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin sei auch die Poststelle des Landkreises xxxxxxx auf die Thematik angesprochen worden und habe folgenden Sachverhalt mitgeteilt:

"Zwei Mitarbeiter der Antragstellerin seien am Anlieferungstag in der Poststelle erschienen und hätten dort die Kartons mit den Aktenordnern abgeliefert. Sie hätten dann in der Poststelle gewartet, bis alle Kartons mit einem Eingangsstempel versehen worden seien. Danach hätten sie das xxxxxhaus II verlassen. Durch die Mitarbeiter der Poststelle seien dann die Kartons in das Submissionszimmer getragen worden. Nachdem sie bereits dorthin verbracht worden seien, seien die beiden Mitarbeiter der Firma xxxxxxx zurück in das xxxxxhaus II gekommen. Sie hätten das Submissionszimmer betreten und dort einen kurzen Moment verweilt, während sie überlegt hätten, ob nicht jeder einzelne Aktenordner mit einem Eingangsstempel zu versehen sei. Diese Überlegung teilten sie den dort anwesenden Personen mit. Nach ca. zwei bis drei Minuten hätten sie das Submissionszimmer wieder verlassen, ohne jedoch die Kartons noch einmal geöffnet oder gar angefasst zu haben."

33

Mithin sei das Angebot der Antragstellerin nicht ordnungsgemäß abgegeben worden.

34

In einem ersten Prüfakt habe dann der Verhandlungsleiter dann festgestellt, dass das Angebot der Antragstellerin nicht gemäß § 22 Nr. 3 VOL/A ordnungsgemäß verschlossen und äußerlich gekennzeichnet worden sei. Insoweit sei das Angebot der Antragstellerin nicht zum eigentlichen Wettbewerb zugelassen worden.

35

Auch weisen die Auftraggeber darauf hin, dass die Forderung nach einem "verschlossenen" Umschlag nicht wörtlich zu nehmen sei, aber z.B. auch ein zugeklebter Karton diesen Erwartungen entspreche. Unzumutbare Anforderungen im Leistungsverzeichnis seien damit nicht verbunden.

36

Es dürfte auf die ordnungsgemäße bzw. nicht ordnungsgemäße Kennzeichnung deshalb gar nicht ankommen.

37

Soweit die Antragstellerin hilfsweise eine Prüfungspflicht nach § 23 Nr. 1 lit. a) 2. Hs. VOLA beantragt, liegt ein solcher Fall hier nach Auffassung der Auftraggeber nicht vor, da alle anderen Bieter in der Lage gewesen seien, die Anforderungen der Auftraggeber und der VOL/A zu erfüllen.

38

Auch der Antrag auf Prüfpflicht nach § 23 Nr. 1 VOL/A besteht nach Ansicht der Auftraggeber nicht. ImÜbrigen behandele der § 23 VOL/A die Prüfung der Angebote, während der § 25 VOL/A sich mit deren Wertung beschäftige. Aus der Stufenfolge der Wertung ergebe sich, dass ausgeschlossene Angebote grundsätzlich nicht mehr an der Wertung teilnehmen.

39

Ferner sei das Ausschlussrecht der Auftraggeber auch noch nicht verwirkt, da das Angebot der Antragstellerin zum Abschluss der formalen Prüfung ausgeschlossen worden sei. Erst danach seien die Antragsgegner in die eigentliche Wertungsphase eingetreten.

40

In der mündlichen Verhandlung vom 13.08.2002 hat die Antragstellerin erstmalig in diesem Nachprüfungsverfahren geltend gemacht, dass die Auftraggeber den mit Schreiben vom 21.11.2001, 23.11.2001 und 06.12.2001 gerügten Verstößen gegen Vergabebestimmungen nicht abgeholfen hatten.

41

Bei diesen Verstößen handelt es sich nach Auffassung der Antragstellerin um

  1. a)

    eine unzulässige Bündelungsausschreibung nach VOL/A mit

    • einer unzulässigen Preisabfrage,

    • einer untransparenten Wertung ohne Vergleichbarkeit der Einzelvarianten zur Gesamtvergabe,

    • Wertung der Laufzeit der Verträge,

    • der Varianten "Deponieschließung" und "Deponieweiterbetrieb" und des Nebenangebotes "Transport"

    • Nachweis der Genehmigungen zum Anlagenbetrieb

  2. b)

    eine Unvereinbarkeit der Leistungsbeschreibung mit dem Abfallrecht mit

    • Lieferpflicht von Abfällen aus MBA bzw. MVA,

    • Abfällen auch aus anderen Landkreisen

  3. c)

    eine fehlerhafte Leistungsbeschreibung mit

    • Eigentumswechsel der Deponie Wesendorf

    • Zuordnung der Behandlungsentgelte

    • Technische Angaben

    • Verbindlichkeit der Outputangaben

  4. d)

    einen vergaberechtswidrigen Entsorgungsvertrag mit Heinwertbrandbreite

    • Eigenverwertung des Auftraggebers außerhalb des Vertrages

    • Preisgleitklausel

    • Anpassungsklausel

    • Weitergabe von Kostenvorteilen

    • Kündigungsklausel

    • Unkalkulierbares Risiko: Übernahme der Anlage

  5. e)

    eine unzulässige Verlängerung der Bindefrist und um

  6. f)

    eine unzulässige Pflicht zur Vorlage der Kalkulation.

42

Die Antragstellerin beantragt nunmehr,

  1. 1.

    hilfsweise das Vergabeverfahren wegen evidenter, irreparabler Vergabefehler aufzuheben,

  2. 2.

    hilfsweise das Vergabeverfahren von Amts wegen evidenter, irreparabler Vergabefehler aufzuheben.

43

Mit Antragsschreiben vom 19.08.2002 beantragt die Antragstellerin:

  1. 1.

    Die Antragsgegner zu 1) bis 3) zu verpflichten, die Angebote der Antragstellerin zu prüfen und in die weitere Wertung einzubeziehen.

  2. 2.

    Hilfsweise: das Vergabeverfahren wegen evidenter, irreparabler Vergabefehler aufzuheben.

  3. 3.

    Äußerst hilfsweise: Die Kammer wirkt auch unabhängig von den Anträgen zu 1) bis 3) auf die Rechtmäßigkeit des Verfahrens hin.

  4. 4.

    Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Vertreters für die Antragstellerin wird für notwendig erklärt.

  5. 5.

    Die Antragsgegner tragen die Kosten des Verfahrens.

44

Die Auftraggeber sind dem neuen Vortrag der Antragstellerin mit Schriftsatz vom 19.08.2002 entgegengetreten.

45

Sie beantragen,

die von der Antragstellerin gestellten Nachprüfungsanträge zurückzuweisen.

46

Gleichzeitig beantragen sie,

die Hinzuziehung eines anwaltlichen Vertreters durch die Antragsgegner zu 1) bis 3) für notwendig zu erklären.

47

Die Vergabekammer hat durch Verfügung des Vorsitzenden vom 17.07.2002 gem. § 113 Abs. 1 Satz 2 GWB die Frist für die abschließende schriftliche Entscheidung in diesem Verfahren über die gesetzliche 5-Wochen-Frist hinaus bis zum 23.08.2002 wegen besonderer tatsächlicher Schwierigkeiten des Verfahrens verlängert.

48

Wegen des übrigen Sachverhaltes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Vergabeakte und das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 13.08.2002 Bezug genommen.

49

II.

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig, soweit sich die Antragstellerin mit Antragsschriftsatz vom 19.06.2002 gegen die Nichtberücksichtigung ihrer Angebote bei der Wertung im streitbefangenen Vergabeverfahren wendet. Der Antrag ist jedoch unbegründet. Soweit die Antragstellerin erstmalig mit einem in der mündlichen Verhandlung am 13.08.2002 der Vergabekammer vorgelegten Schriftsatz vom 12.08.2002 Vergaberechtsverstöße und Verletzung von Rechten durch unzulässige Bündelungsausschreibung, Unvereinbarkeit der Leistungsbeschreibung mit dem Abfallrecht, eine fehlerhafte Leistungsbeschreibung, einen vergaberechtswidrigen Entsorgungsvertrag, eine unzulässige Verlängerung der Bindefrist und eine unzulässige Pflicht zur Vorlage der Kalkulation geltend macht, ist der Nachprüfungsantrag wegen Verstoßes gegen die Formvorschrift des § 108 GWB unzulässig.

50

1.

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig, soweit die Antragstellerin beantragt, die Auftraggeber zu verpflichten, die Angebote der Antragstellerin zu prüfen und in die weitere Wertung einzubeziehen. Bei den Auftraggebern handelt es sich um Gebietskörperschaften und damit um öffentliche Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 1 GWB. Der streitbefangene Auftrag übersteigt den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gemäß § 100 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil GWB nur für solche Aufträge, die die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch Rechtsverordnung nach § 127 GWB festgelegt sind. Bei den ausgeschriebenen Leistungen handelt es sich um einen Dienstleistungsauftrag betreffend die Restabfallbehandlung für die Landkreise xxxxxxx, xxxxxxx und xxxxxxx gemäß § 99 Abs. 1, Abs. 4 GWB, für den gemäß § 2 Nr. 3 der am 01.02.2001 in Kraft getretenen Vergabeverordnung (VgV) vom 09.01.2001 ein Schwellenwert von 200.000,00 EUR gilt. Der Wert des ausgeschriebenen Auftrages überschreitet deutlich den für die Anrufung der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert.

51

Die Antragstellerin ist insoweit auch gemäß § 107 Abs. 2 GWB antragsbefugt, da sie als Bieterin ein Interesse am Auftrag hat und eine Verletzung von Rechten durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht, indem sie behauptet, die Auftraggeber hätten zu Unrecht ihre Angebote nicht geprüft und bei der Bewertung nicht berücksichtigt.

52

Voraussetzung für die Antragsbefugnis gemäß § 107 Abs. 2 GWB ist weiterhin, dass das antragstellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass der Antragsteller diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt. Die Antragstellerin hat ein entsprechendes Rechtsschutzbedürfnis dargelegt. Sie hat zumindest schlüssig vorgetragen, dass sie möglicherweise eine Chance auf den Zuschlag gehabt hätte, wenn die Auftraggeber ihre Angebote nicht gemäß § 23 Nr. 1 VOL/A schon bei der Prüfung der Angebote ausgeschlossen hätten. Eine über die Schlüssigkeit hinausgehende Darstellung des Rechtsschutzbedürfnisses ist nicht erforderlich. Das tatsächliche Vorliegen der Rechtsverletzung ist vielmehr eine Frage der Begründetheit (vgl. Vergabekammer Südbayern, Beschluss vom 13.12.1999 - 11/99).

53

Die Antragstellerin hat die Nichtberücksichtigung ihrer Angebote bei der Prüfung auch unverzüglich gegenüber dem Auftraggeber gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB gerügt.

54

Bei der Vorschrift des § 107 Abs. 3 GWB handelt es sich um eine Präklusionsregel unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben. Der Bieter soll Vergabefehler nicht auf Vorrat sammeln. Die Rügepflicht des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB entsteht, sobald ein Bieter oder Bewerber im Vergabeverfahren einen vermeintlichen Fehler erkennt. Vorausgesetzt ist positive Kenntnis des Anbieters von den Tatsachen (vgl. Byok/Jaeger, Vergaberecht, § 107, Rn. 681). Der durch das Vergaberechtsänderungsgesetz dem Bieter erstmals gewährte Primärrechtsschutz im Vergabeverfahren setzt auf der anderen Seite voraus, dass sich der Bieter seinerseits auch stets gebührend um seinen Rechtsschutz bemüht. Dazu gehört gerade auch die vorprozessuale Rüge. Für die Kenntnis des konkreten von einem Bieter geltend zu machenden Vergaberechtsverstoßes bedarf es für ein fachkundiges Unternehmen in der Regel nicht der vorherigen Konsultation eines Rechtsanwaltes. Ausreichend für die positive Kenntnis eines Mangels im Sinne von § 107 Abs. 3 GWB ist bereits das Wissen um einen Sachverhalt, der den Schluss auf die Verletzung vergaberechtlicher Bestimmungen erlaubt und bei vernünftiger Betrachtung gerechtfertigt erscheinen lässt, das Verfahren als fehlerhaft zu beanstanden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.08.2000, Az.: Verg. 9/00). Unter Zugrundelegung dieses zutreffenden Maßstabes hat die Antragstellerin die Nichtberücksichtigung ihrer Angebote unverzüglich und damit rechtzeitig im Sinne des § 107 Abs. 3 GWB gerügt. Positive Kenntnis von der Nichtberücksichtigung hat sie auf Grund des Schreibens der Auftraggeber vom 17.04.2002 erlangt. Dort wurde ihr mitgeteilt, dass die von ihr eingereichten Angebote vom weiteren Vergabeverfahren ausgeschlossen würden, da diese zu dem in den Verdingungsunterlagen der Vergabestellen benannten Submissionstermin unverschlossen und unvollständig gekennzeichnet eingereicht worden seien. Die Antragstellerin hat daraufhin sofort reagiert und mit Anwaltsschriftsatz vom 19.04.2002, eingegangen bei den Auftraggebern per Telefax am gleichen Tage, die Nichtberücksichtigung als nicht vergaberechtsgemäß ausführlich gerügt.

55

2.

Der Nachprüfungsantrag ist jedoch unzulässig, soweit die Antragstellerin nunmehr mit dem im Zuge der mündlichen Verhandlung vom 13.08.2002 der Kammer vorgelegten Schriftsatz vom 12.08.2002 erstmalig hilfsweise beantragt, das Vergabeverfahren wegen vermeintlich evidenter, irreparabler Vergabefehler aufzuheben oder äußerst hilfsweise: Die Kammer wirkt auch unabhängig von den Anträgen zu 1.) bis 3.) auf die Rechtmäßigkeit des Verfahrens hin. Die Unzulässigkeit dieser hilfsweise gestellten Nachprüfungsanträge folgt aus § 108 Abs. 2 GWB. Danachmuss die Begründung des Nachprüfungsantrages bereits eine Beschreibung der behaupteten Rechtsverletzung mit Sachverhaltsdarstellung und die Bezeichnung der verfügbaren Beweismittel enthalten sowie darlegen, dass die Rüge gegenüber dem Auftraggeber erfolgt ist. Im Gegensatz zur Formvorschrift des § 108 Abs. 1 Satz 2 GWB, wonach der Antrag ein bestimmtes Begehren enthalten "soll", sind die Anforderungen an den Inhalt der Begründung erheblich höher, weil es nach dem Willen des Gesetzgebers darauf ankommt, den Nachprüfungsfall schnellstmöglich entscheidungsreif zu machen (vgl. Noch in Müller-Wrede, VOL/A, 1. Auflage, § 108 GWB, Rn. 6 m.w.N.). Ausreichend, aber auch erforderlich ist es, dass der Antragsteller deutlich macht,welche Handlung oder Unterlassung des Auftraggebers er für einen Verstoß gegen vergaberechtliche Vorschriften hält. Evtl. kann er vortragen, welche Vorgehensweise seiner Ansicht nach rechtmäßig gewesen wäre (vgl. Boesen, Vergaberecht, § 108 GWB, Rn. 20, 21). Er hat solche Umstände vorzutragen, von denen er Kenntnis hat oder in zumutbarer Weise haben könnte. Er ist verpflichtet, umfassend alle entscheidungserheblichen Tatsachen vorzutragen, die er als vermeintliche Vergaberechtsverstöße erkannt hat. Nur die Darlegung solcher Umstände, die nicht in seinem Bereich begründet sind und von denen er bei gewöhnlichem Verlauf des Verfahrens auch keine Kenntnis haben kann oder muss, kann ihm naturgemäß nicht abverlangt werden, so. z.B. Tatsachen bezüglich des Wertungsvorganges, von denen er erst nach Akteneinsicht im Nachprüfungsverfahren Kenntnis haben kann. Im vorliegenden Fall hat die Antragstellerin der Vergabekammer erstmalig in der mündlichen Verhandlung vom 13.08.2002 in einem vorbereiteten Schriftsatz vom Vortage ihren neuen Vortrag vorgelegt und nunmehr Vergaberechtsverstöße durch eine vermeintlich unzulässige Bündelungsausschreibung, eine Unvereinbarkeit der Leistungsbeschreibung mit dem Abfallrecht, eine fehlerhafte Leistungsbeschreibung, einen vergaberechtswidrigen Entsorgungsvertrag, eine unzulässige Verlängerung der Bindefrist und eine unzulässige Pflicht zur Vorlage der Kalkulation geltend gemacht. In ihrem Antragsschriftsatz vom 19.06.2002 wie auch im gesamten Nachprüfungsverfahren bis einschließlich der ersten Hälfte der mündlichen Verhandlung vom 13.08.2002 hat die Antragstellerin ihren Vortrag ausschließlich auf die Begründung ihres Klageantrages zu 1.), die Antragsgegner zu verpflichten, die Angebote der Antragstellerin zu prüfen und in die weitere Wertung einzubeziehen, beschränkt. Auch fügte sie gemäß § 108 Abs. 2 GWB lediglich die Rüge bezüglich der Nichtberücksichtigung ihres Angebotes vom 17.04.2002 als Anlage 3 bei. Rügen vom 21.11.2001, 23.11.2001 und 06.12.2001, auf die sich die Antragstellerin erstmalig mit ihrem Schriftsatz vom 12.08.2002 in der mündlichen Verhandlung berufen hat, erwähnte die Antragstellerin bis dahin mit keinem Wort, obwohl sie dazu gemäß § 108 Abs. 2 GWB verpflichtet gewesen wäre. Sie hat damit nicht nur gegen die zwingende Formvorschrift des § 108 Abs. 2 GWB verstoßen, sondern zugleich gegen ihre dem Beschleunigungsgrundsatz dienende Mitwirkungspflicht gemäß § 113 Abs. 2 Satz 1 GWB. Danach haben die Beteiligten ausdrücklich an der Aufklärung des Sachverhaltes mitzuwirken, wie es einem auf Förderung und raschem Abschluss des Verfahrens bedachten Vorgehen entspricht.

56

Erst als die Antragstellerin im Zuge der mündlichen Verhandlung merkte, dass sie mit ihrem ursprünglichen Hauptantrag - Berücksichtigung ihrer Angebote - voraussichtlich erfolglos bleiben würde, griff sie auf ihre zurückgehaltenen Rügen zurück. Diese Vorgehensweise mag zwar unter dem Gesichtspunkt einer Verfahrenstaktik erklärlich sein, wird aber eben durch § 108 Abs. 2 GWB und § 113 Abs. 2 GWB ausdrücklich nicht gedeckt.

57

Die Antragstellerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Vergabekammer die nunmehr geltend gemachten, vermeintlichen Vergaberechtsverletzungen schon von Amts wegen gemäß § 110 Abs. 1 GWB berücksichtigen müsste. Zwar räumt § 110 Abs. 1 GWB der Vergabekammer grundsätzlich weit reichendeÜberprüfungsmöglichkeiten ein. Trotz des öffentlichen Interesses an der Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens findet aber keine allgemeine Rechtmäßigkeitskontrolle durch die Vergabekammer statt. Auch wird der Untersuchungsgrundsatz bereits durch § 110 Abs. 1 Satz 2 GWB eingeschränkt. Danach achtet die Vergabekammer bei ihrer gesamten Tätigkeit darauf, den Ablauf des Vergabeverfahrens nicht unangemessen zu beeinträchtigen. Maßstab für die Vergabekammer ist daher einerseits die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens, andererseits dessen möglichst unbeeinträchtigter Ablauf. Im Ergebnis ist die Vergabekammer gehindert, neben den von dem Antragsteller erhobenen Beanstandungen in eine vertiefte Prüfung des Vergabeverfahrens einzusteigen (vgl. Byok, Vergaberecht, § 110 GWB, Rn. 702, m.w.N.). Der Vergabesenat des OLG Celle hat dementsprechend in seinem Beschluss vom 16.01.2002 - Az.: 13 Verg 1/02 entschieden, dass eine bis dahin auf die Senatsentscheidung vom 08.11.2001 (13 Verg 11/01) gestützte Auffassung der Vergabekammer, im Nachprüfungsverfahren sei grundsätzlich das gesamte Vergabeverfahren von Amts wegen auf Vergabefehler zu prüfen, auf einem Missverständnis dieser Senatsentscheidung beruhe (Seite 11 des Beschlusses vom 16.01.2002). Die Vergabekammer hatte daher keine Veranlassung und ist auf Grund des Beschleunigungsgrundsatzes auch gar nicht in der Lage, die erstmalig in der mündlichen Verhandlung vom 13.08.2002 geltend gemachten, bis dahin von der Antragstellerin zurückgehaltenen vermeintlichen Vergaberechtsverletzungen von Amts wegen zu überprüfen.

58

3.

Soweit der Nachprüfungsantrag zulässig ist, ist er jedoch unbegründet. Die Auftraggeber haben die Angebote der Antragstellerin zu Recht bei der Prüfung nicht berücksichtigt und dementsprechend auch nicht gewertet, weil die Angebote nicht in einem verschlossenen Behältnis und damit nicht ordnungsgemäß eingegangen sind. Gemäß § 23 Nr. 1 a) VOL/A brauchen Angebote, die nicht ordnungsgemäß oder verspätet eingegangen sind, nicht geprüft zu werden; es sei denn, dass der nicht ordnungsgemäß oder verspätete Eingang durch Umstände verursacht worden ist, die nicht vom Bieter zu vertreten sind. Der ordnungsgemäße Eingang wird definiert in §§ 18 Nr. 2 Abs. 1 Satz 2, 22 Nr. 3 VOL/A. Danach müssen die Angebote ordnungsgemäß verschlossen und äußerlich gekennzeichnet eingehen. Die in § 23 VOL/A vorgesehene formale und inhaltliche Prüfung der Angebote dient der Vorbereitung der Endwertung nach § 25 VOL/A. Prüfung und Wertung der Angebote sind streng zu unterscheiden. Die Prüfung jedes einzelnen Angebotes erfolgt für sich und unabhängig von den anderen in formeller und sachlicher Hinsicht, während bei der Wertung die Angebote miteinander verglichen und gegeneinander abgewogen werden, um das Angebot herauszufinden, das dem mit der Ausschreibung verfolgten Zweck am besten dient. Zweck der Prüfung gemäß § 23 VOL/A ist es, festzustellen, ob sich die einzelnen Angebote überhaupt zu einem solchen Vergleich eignen (vgl. Müller-Wrede, VOL/A, § 23, Rn. 4, m.w.N.). Die Regelung des § 22 Nr. 1 VOL/A, nach der schriftliche Angebote auf dem ungeöffneten Umschlag mit Eingangsvermerk zu versehen sind und bis zum Zeitpunkt der Öffnung unter Verschluss zu halten sind, dient den Interessen der Bieter, da diese Regelung einen fairen Wettbewerb sichern soll. Dieser soll unter gleichen Bedingungen stattfinden und verhindern, dass einzelne Bieter nachträglich ihr eigenes Angebot verändern, falls sie Einzelheiten von Angeboten ihrer Konkurrenz erfahren (vgl. Müller-Wrede, a.a.O., § 22, Rn. 3, 15), was insbesondere im Zusammenwirken mit einem Mitarbeiter einer Vergabestelle bei unverschlossenen Angeboten möglich wäre.

59

Angesichts des eindeutigen Zwecks dieser Vorschriften - Ausschluss jeglicher Manipulationsmöglichkeiten nach Angebotseingang - vermag der Vortrag der Antragstellerin, ihre streitbefangenen Angebote hätten schon wegen ihres Umfangs ja nicht in einem verschlossenen Umschlag im Sinne des § 18 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A zugestellt werden können und an den Verschluss eines Kartons könnten nicht die gleichen Anforderungen wie an den Verschluss eines Umschlags gestellt werden, nicht zu überzeugen. Der Begriff des "verschlossenen Umschlags" wurde vom Verdingungsausschuss auf Grund der ihm zugemessenen Bedeutung in die Neufassung der VOL/A aufgenommen. In der alten Fassung der VOL/A war nur die Rede von der Zustellung durch die Post - davon ausgehend, dass diese nur verschlossene Umschläge transportiert (vgl. Daub/Eberstein, VOL, § 18, Rn. 17). Der Verdingungsausschuss hat also besonderen Wert auf die Verschlossenheit der Umschläge bei Vergaben nach der VOL gelegt.

60

Die Kartons mit den Angeboten der Antragstellerin waren unstreitig nicht etwa mit Paketband oder ähnlichen Hilfsmitteln zugeklebt oder sonst wie verschlossen. Vielmehr waren lediglich die Deckel der Pappkartons ineinander gefaltet. Damit waren sie weder im technischen noch im rechtlichen Sinne verschlossen. Ein Behältnis gilt dann als verschlossen, wenn es mit Vorkehrungen versehen ist, die der Kenntnisnahme ein deutliches Hindernis bereiten. Ein bloßes Zusammenfalten oder Zusammenhalten reicht nicht aus (vgl. Dreher/Tröndle, Kommentar zum StGB, § 202, Rn. 5). Nur bei einem mit Klebeband verschlossenen Karton lässt sich, ebenso wie bei einem zugeklebten Umschlag im Eröffnungstermin erkennen, ob die Angebote ordnungsgemäß verschlossen sind, was nach § 22 Nr. 3 VOL/A ausdrücklich zu prüfen ist oder ob der Umschlag, der Karton oder sonstiges Behältnis im Zeitraum zwischen Zustellung und Beginn des Öffnungstermins schon einmal geöffnet wurden. Bei lediglich zusammengefalteten Kartondeckeln kann der Verhandlungsleiter diese zwingende Feststellung nicht treffen. Die Angebote der Antragstellerin sind somit nicht verschlossen und damit nicht ordnungsgemäß im Sinne der §§ 18 Nr. 2 Abs. 1, 22 Nrn. 1, 3 lit. a), 23 Nr. 1 VOL/A und damit nicht ordnungsgemäß eingegangen.

61

Die mangelnde Ordnungsgemäßheit wird nicht etwa dadurch unbeachtlich, dass zwischen dem Eingang der Angebote der Antragstellerin und der Angebotsöffnung nur wenige Stunden vergangen sind. Unstreitig wurde der Raum, in dem die Angebote aufbewahrt wurden, bis zum Beginn des Eröffnungstermins mehrfach geöffnet und betreten, als die weiteren Angebote der anderen Bieter eingingen. Es bestand damit - objektiv - grundsätzlich die Möglichkeit der Angebotsmanipulation - etwa durch Austausch von Angebotsordnern oder auch nur einzelnen Seiten - wenn auch nur im Zusammenwirken mit einem Mitarbeiter der Vergabestelle. Demgemäß brauchte die Antragstellerin gemäß § 23 Nr. 1 a) VOL/A die Angebote der Antragstellerin erst gar nicht zu prüfen, geschweige denn zu werten.

62

Dabei kann dahinstehen, ob aus der Formulierung "braucht nicht" zu schließen ist, dass an die Entscheidung des Auftraggebers geringere, unterhalb einer verwaltungsrechtlichen Ermessensausübung liegende Anforderungen zu stellen sind, wie die Auftraggeber geltend machen. #Nach einer im Schrifttum vertretenen Auffassung (vgl. von Baum in Müller-Wrede, a.a.O., § 18, Rn. 8) steht die Einhaltung der Formvorgaben auf Grund der Formulierung ausdrücklich im Ermessen des Auftraggebers. Nach Auffassung der Vergabekammer gebietet der das Vergaberecht beherrschende Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 97 Abs. 2 GWB) jedenfalls, dass der Auftraggeber die Entscheidung über die Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung von nicht ordnungsgemäß eingegangenen Angeboten jedenfalls nicht willkürlich trifft. Für die Annahme einer solchen willkürlichen Entscheidung hat die Vergabekammer jedoch im vorliegenden Fall keinen Anlass. Vielmehr ist in der Vergabeakte ein fünfseitiges Rechtsgutachten der von den Auftraggebern beauftragten Rechtsanwaltskanzlei xxxxxxx und Kollegen vom 16.04.2002 enthalten, in dem ausführlich zu den Rechtsfolgen eines nicht verschlossenen Angebotes Stellung bezogen wird. Höhere Anforderungen als die Einholung rechtskundlichen Rates kann man an das einem Auftraggeber eingeräumte Ermessen nicht stellen. Die Auftraggeber haben es sich im streitbefangenen Vergabeverfahren nicht leicht gemacht und keinesfalls willkürlich gehandelt, als sie sich entschlossen, der Antragstellerin mit Schreiben vom 17.04.2002 mitzuteilen, dass ihre Angebote im weiteren Vergabeverfahren unberücksichtigt bleiben. Es liegt weder ein Ermessensnichtgebrauch noch liegt ein ersichtlicher Ermessensfehlgebrauch vor. Erst recht liegt keine Ermessensreduzierung auf Null zu Gunsten des Begehrens der Antragstellerin auf Berücksichtigung ihrer Angebote im streitbefangenen Vergabeverfahren vor.

63

Der Nachprüfungsantrag ist daher zurückzuweisen.

64

III. Kosten

65

Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 GWB. Nach Art 7 Nr. 5 des 9. Euro - Einführungs- gesetzes (BGBl. 58/2001 vom 14.11.2001, S. 2992ff.) vom 10.11.2001 werden die DM-Angaben in § 128 GWB für die von der Vergabekammer festzusetzende Gebühr durch Angaben in Euro im Verhältnis 1 : 2 ersetzt, so dass die regelmäßige Mindestgebühr nunmehr 2.500 Euro, die Höchstgebühr 25.000 Euro bzw., in Ausnahmefällen, 50.000 Euro beträgt.

66

Es wird eine Gebühr in Höhe von 10.700,00 EUR gemäß § 128 Abs. 2 GWB festgesetzt.

67

Der zu Grunde zu legende Auftragswert beträgt nach dem Ergebnis der streitbefangenen Ausschreibung (niedrigstes Angebot der Antragstellerin für alle 3 Landkreise) 54.671.400,00 EUR (netto). Dieser Betrag entspricht den Kosten nach dem Angebot der Antragstellerin für eine Vertragslaufzeit von 48 Monaten (§ 3 Abs. 3 VgV).

68

Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes vom 09.02.1999. Hiernach wird der Mindestgebühr von 5.000,00 DM (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 2 Mio. DM (Schwellenwert von 1 Mio. Euro ca. 2 Mio. DM) zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 50.000,00 DM (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von 300 Mio. DM (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996 -1998) gegenübergestellt. Bei einer Angebotssumme von 54.671.400,00 EUR ergibt sich durch Interpolation eine Basisgebühr von 10.700,00 EUR.

69

Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein. Gutachterkosten und Kosten von Zeugenvernehmungen sind nicht angefallen.

70

Die Erstattungspflicht bezüglich der Kosten der Auftraggeber, die diesen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstanden sind, folgt aus § 128 Abs. 4 GWB i.V.m. § 80 VwVfG. Danach war auf Antrag des Auftraggebers festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes durch die Auftraggeber im konkreten Verfahren erforderlich war. Auch wenn man von öffentlichen Auftraggebern wie Landkreisen grundsätzlich verlangen darf, dass sie über das notwendige personelle Know-how bezüglich der für eine Ausschreibung erforderlichen Rechtsgrundlagen, insbesondere der VOL/A und der VOB/A verfügen, bedurften sie für eine angemessene Reaktion in der auch für einen erfahrenenöffentlichen Auftraggeber ungewohnten Situation eines vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens besonderen rechtskundigen Beistandes.

71

Nach den zu § 80 VwVfG geltenden Grundsätzen ist die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes dann notwendig, wenn sie vom Standpunkt eines verständigen Beteiligten für erforderlich gehalten werden durfte (BVerwGE 55, 299, 306). Dies ist nach der herrschenden Lehre nicht nur in schwierigen und umfangreichen Verfahren zu bejahen, sondern entspricht der Regel (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., § 80, Rdn. 45; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 5. Aufl., § 80, Rdn. 81). Dieser Grundsatz soll allerdings nur im Verhältnis des Bürgers zum Staat gelten. Zu Gunsten der Ausgangsbehörde im Verwaltungsverfahren wird demgegenüber die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten nur in besonders gelagerten Einzelfällen angenommen, da die Ausgangsbehörde in der Regel mit eigenem Fachpersonal so gut ausgestattet sein muss, dass sie ihre Verwaltungstätigkeit, zu der auch die Mitwirkung im Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) gehört, ohne fremde Unterstützung ausführen kann. Diese für die Situation der Ausgangsbehörde in einem Widerspruchsverfahren zutreffende Auffassung kann jedoch nicht auf das vergaberechtliche Nachprüfungsverfahrenübertragen werden. Schon beim materiellen Vergaberecht handelt es sich um eine überdurchschnittlich komplizierte Materie, die nicht nur in kurzer Zeit zahlreiche Veränderungen und Neuregelungen erfahren hat, sondern auch durch komplexe gemeinschaftsrechtliche Fragen überlagert ist. Entscheidend aber ist, dass das Nachprüfungsverfahren gerichtsähnlich ausgebildet ist, die Beteiligten also auch prozessuale Kenntnisse haben müssen, um ihre Rechte umfassend zu wahren. Deshalb ist im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren die nach § 80 VwVfG gebotene Rechtspraxis zur Erstattung der Rechtsanwaltskosten nicht übertragbar (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.11.2001, Az.: Verg 1/01; OLG Stuttgart, Beschluss v. 19.07.2000, 2 Verg 4/00, NZBau 11/2000, S. 543 ff.). Denn durch seinen Charakter als gerichtsähnlich ausgestaltetes Verfahren unterscheidet sich das Vergabenachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer eben grundlegend von dem Widerspruchsverfahren nach der VwGO.

72

Die Antragstellerin wird aufgefordert, den Betrag von 10.700,00 EUR unter Angabe des Kassenzeichens xxxxxx auf folgendes Konto zu überweisen:

73

xxx

Gause
Schulte
Dr. Pade