Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 22.05.2002, Az.: 203-VgK-08/2002
Antrag auf Nachprüfung eines Vergabeverfahrens; Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags wegen Unterbleibens der unverzüglichen Rüge; Rechtsschutz gegen die Aufhebung eines europaweit offenen Vergabeverfahrens; Schwellenwert bei losweiser Ausschreibung von Bauaufträgen; Erfordernis der Unverzüglichkeit der Rüge; Beendigung des streitbefangenen Vergabeverfahrens bereits vor Eingang des Nachprüfungsantrags; Ungerechtfertigte Aufhebung einer Ausschreibung und Schadensersatzansprüche der Bieter nach den Grundsätzen der c.i.c.
Bibliographie
- Gericht
- VK Lüneburg
- Datum
- 22.05.2002
- Aktenzeichen
- 203-VgK-08/2002
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 28516
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 107 Abs. 3 GWB
- § 26 Nr. 1c VOB/A
Verfahrensgegenstand
VOB-Vergabeverfahren Baumaßnahme Sanierung xxxxxxx, 3. Bauabschnitt,
hier: Vergabeverfahren Innentüren/Systemtrennwände
In dem Nachprüfungsverfahren
hat die Vergabekammer bei der Bezirksregierung Lüneburg
ohne mündliche Verhandlung
durch
den Vorsitzenden ORR Gause,
die hauptamtliche Beisitzerin Dipl.-Ing. Schulte und
den ehrenamtlichen Beisitzer Dipl.-Ing. Conrad
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Der Nachprüfungsantrag wird abgewiesen
- 2.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin
- 3.
Die Kosten werden auf 5.000,-- DM festgesetzt.
Gründe
I.
Die Auftraggeberin hat mit Datum vom 21.12.2001 im Rahmen der Gebäudewiederherstellung nach einem Brandschaden u.a. die Arbeiten "Innentüren/Systemtrennwände" europaweit öffentlich ausgeschrieben.
Den Ausschreibungsunterlagen war zu entnehmen, dass allgemeines Zuschlagskriterium für die Auftragserteilung der Preis sein sollte. Nebenangebote waren zugelassen. Ferner wurden die Bieter aufgefordert, die Nachunternehmer zu benennen, die im Angebot enthaltene Leistungen als Teilleistungen ausführen.
Bei der Verdingungsverhandlung am 12.02.2002 ergab sich, dass nur drei Bieter ein Angebot abgegeben hatten. Das günstigste Angebot mit einer Summe von 686.217,37 EUR hatte eine Firma abgegeben, deren Angebot nach Ansicht des beauftragten Planungsbüros nicht der Leistungsbeschreibung entsprach. Das von der Auftraggeberin beauftragte Planungsbüro empfahl, den Zuschlag auf das als Nebenangebot gewertete Angebot der Fa. xxxxxxx zu erteilen. Die von der Auftraggeberin geforderten Schall-/Brandschutzwerte werden in dem Angebot mit einer Wanddicke von 105 mm erfüllt. Die geforderten Angaben zu den angebotenen Produkten wurden nach Auffassung des beauftragten Planungsbüros im Leistungsverzeichnis gemacht. Ferner stellte das beauftragte Planungsbüro bei der Angebotsauswertung fest, dass die Angebotssumme der Fa. xxxxxxx um ca. 25 % unter der der Antragstellerin lag. Gründe, die auf ein Dumpingangebot deuten, sah das beauftragte Planungsbüro nicht. Am 25.02.2002 erklärte sich die Stadtverwaltung mit dem Vergabevorschlag einverstanden, so dass der Verwaltungsausschuss der beabsichtigten Vergabe am 19.03.2002 zustimmte. Die Antragstellerin wurde mit Schreiben vom 20.03.2002 informiert, dass sie nicht den Zuschlag erhalten könne, da ein wirtschaftlicheres Nebenangebot vorliege.
Innerhalb der Frist nach § 13 VgV erfuhr die Auftraggeberin, dass die Fa. xxxxxxx aus xxxxxxx beim Amtsgericht xxxxxxx einen Insolvenzantrag gestellt hat. Aus diesen Grund sollte nach Auffassung der Auftraggeberin der Vertrag nicht der Fa. xxxxxxx aus xxxxxxx zugestellt werden. Die Auftraggeberin entschied sich daraufhin, das europaweite Vergabeverfahren durch Aufhebung zu beenden und Verhandlungsverfahren ohne öffentliche Vergabebekanntmachung durchzuführen.
Die Auftraggeberin informierte mit Schreiben vom 09.04.2002 die Antragstellerin, dass das Vergabeverfahren auf Grund des § 26 Nr. 1c VOB/A aufgehoben wurde. Als schwer wiegender Grund wurde das unangemessen hohe Angebot des einzig im Wettbewerb verbliebenen Bieters genannt. Gleichzeitig wurde die Antragstellerin darüber informiert, dass beabsichtigt ist, ein Verhandlungsverfahren ohne öffentliche Vergabebekanntmachung durchzuführen.
Aus den Vergabeunterlagen ergibt sich, dass bis zum 17.04.2002, 12.00 Uhr, zwei Angebote eingegangen waren. Das Angebot der Firma xxxxxxx aus xxxxxxx belief sich auf rechnerisch geprüfte 926.921,57 EUR und das der Antragstellerin auf 1.057.781,16 EUR (einschließlich 2 % Nachlass und zusätzlich 1 %). Es wurde in der Niederschrift über die Verdingungsverhandlung vermerkt, dass bei dem Angebot der Antragstellerin die EVM-Blätter einschließlich Unterschrift fehlen. Das beauftragte Planungsbüro empfahl der Auftraggeberin, den Zuschlag auf das Angebot der Firma xxxxxxx aus xxxxxxx zu erteilen. Am 18.04.2002 erklärte sich der Fachbereich der Stadtverwaltung mit dem Vergabevorschlag einverstanden, so dass der Verwaltungsausschuss der beabsichtigten Vergabe am 23.04.2002 hätte zustimmen können.
Mit Schreiben vom 22.04.2002 rügte die Antragstellerin die Aufhebung der Vergabe im offenen Verfahren, da ihrer Meinung nach die Voraussetzungen des § 26 Nr. 1c VOB/A nicht vorliegen.
Mit Schreiben vom 23.04.2002, eingegangen bei der Vergabekammer am selben Tage, beantragte die Antragstellerin die Einleitung des Nachprüfungsverfahrens. Sie vertritt die Auffassung, dass ein schwer wiegender Grund im Sinne des § 26 Nr. 1c VOB/A nur dann vorliegt, wenn keines der Angebote, die das mehrstufige Wertungsverfahren bis zur Beurteilung der Preise durchlaufen haben, einen angemessenen Preis aufweist. Die Auftraggeberin habe nicht dargelegt und bewiesen, dass dies beim Angebot der Antragstellerin nicht der Fall sei. Insbesondere sei nicht erkennbar, dass der Verfahrensaufhebung eine solche Prüfung vorausgegangen sei. Die Auftraggeberin habe z.B. nicht Einsicht in die Preisermittlung der Antragstellerin genommen oder sie um eine Aufgliederung ihres Angebotes nach Maßgabe verschiedener Kalkulationsfaktoren gefordert. Ferner handelt es sich nach Auffassung der Antragstellerin bei den von der Firma xxxxxxx angebotenen Stundensätzen um "Kampfpreise" unter dem Eindruck der drohenden Insolvenz.
Im Übrigen sind nach Ansicht der Antragstellerin sowohl die von der Fa. xxxxxxx im offenen Verfahren als auch die von Fa. xxxxxxx im nichtoffenen Verhandlungsverfahren angebotenen Trennwände mit einer Stärke von 105 mm nicht gleichwertig in Bezug auf Stabilität und Schallschutz mit denen der ausgeschriebenen 125 mm.
Des Weiteren moniert die Antragstellerin, dass sie offenbar zwischenzeitlich in das Verhandlungsverfahren Unternehmen einbezogen habe, die nicht an dem vorangegangenen offenen Verfahren beteiligt waren. Die beabsichtigte Zuschlagserteilung an die Fa. xxxxxxx sei im Übrigen aus den vorgenannten Gründen rechtswidrig.
Die Antragstellerin beantragt,
der Auftraggeberin zu untersagen, das offene Vergabeverfahren aufzuheben und der Antragstellerin den Zuschlag bezüglich des Bauvorhabens Sanierung xxxxxxx, 3. Bauabschnitt, hier: Vergabeverfahren Innentüren/Systemtrennwände an die Antragstellerin zu erteilen.
Die Auftraggeberin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung das der Antrag unzulässig sei, da der Antragstellerin zum Zeitpunkt der Antragstellung die Antragsbefugnis fehle. Der Primärrechtsschutz nach dem GWB diene nur dazu, die Auftragserteilung im noch laufenden Verfahren zu steuern. Das Vergabeverfahren sei aber durch die Aufhebung vom 09.04.2002 beendet worden. Die Zuschlags- und Bindefrist lief ebenfalls am 09.04.2002 ab. Aus diesem Grunde sei das Begehren der Antragstellerin, in diesem Verfahren den Zuschlag zu erhalten, rechtlich unmöglich. Hierzu müsste die Auftraggeberin ihrer Meinung nach die erfolgte Aufhebung zunächst rückgängig machen; dies sei jedoch unzulässig, wenn vor Eingang des Antrags bei der Vergabekammer die bestimmte Zuschlags- und Bindefrist bereits abgelaufen sei. Die Beendigungswirkung trete mit Ablauf der Zuschlags- und Bindefrist ein. Das Erlöschen der Bindungswirkung durch Fristablauf könne auch nicht nachträglich beseitigt werden, unabhängig davon, ob die Aufhebung rechtmäßig sei oder nicht.
Die Auftraggeberin ist ferner der Meinung, dass der Antrag darüber hinaus auch unbegründet sei, da der angebotene Preis der Antragstellerin im offenen Verfahren unangemessen hoch gewesen sei. Dies habe die Antragstellerin auch insoweit eingeräumt, als sie in einem Telefongespräch mit dem beauftragten Planungsbüro am 15.02.2002 eingeräumt habe, dass ihr bei der Erstellung des Angebotes ein Kalkulationsirrtum unterlaufen sei. Der Angebotspreis würde wesentlich näher am Zweitbietenden liegen. Ferner seien von Seiten der Auftraggeberin bei der Erstellung der Kostenschätzung für den dritten Bauabschnitt die von der Antragstellerin beim zweiten Bauabschnitt geforderten Preise zu Grunde gelegt worden.
Die Auftraggeberin trägt ferner vor, dass sich die Antragstellerin nicht auf evtl. Verstöße gegen Vergabevorschriften im offenen Verfahren berufen könne, da sie selbst an mündlichen Verhandlungen im anschließenden Verhandlungsverfahren teilgenommen und am 16.04.2002 ein Angebot unterbreitet habe, das ca. 40.000 EUR günstiger abschloss als im offenen Verfahren. Dabei sei ihr auch bekannt gewesen, dass im Verhandlungsverfahren weitere Bieter vorhanden waren. Die Antragstellerin habe die Aufhebung des offenen Verfahrens erst mit Schreiben vom 22.04.2002 gerügt, nachdem ihr vermutlich durch ein weiteres Telefonat mit der wertenden Stelle bekannt geworden war, dass sie in diesem Verfahren wiederum nicht günstigste Bieterin war.
Die Vergabekammer hat gemäß § 112 Abs. 1 Satz 2 GWB von einer mündlichen Verhandlung abgesehen, da der Nachprüfungsantrag unzulässig ist.
Wegen des übrigen Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die Vergabeakte Bezug genommen.
II.
Der Nachprüfungsantrag ist unzulässig, da die Antragstellerin nicht unverzüglich die von ihr beanstandete Aufhebung des europaweiten offenen Vergabeverfahrens gem. § 107 Abs. 3 GWB gerügt hat, nachdem sie die nunmehr geltend gemachte, vermeintliche Vergaberechtswidrigkeit der Aufhebung erkannt hatte. Stattdessen beteiligte sie sich ohne weiteres an dem sich anschließenden Verhandlungsverfahren und reagierte erst, als sie erkannte, dass sie auch dort nicht den Zuschlag erhalten würde. Im Übrigen setzt das vergaberechtliche Nachprüfungsverfahren ein laufendes Vergabeverfahren voraus und bietet keinen Rechtsschutz gegen eine Aufhebung.
Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist unzulässig.
Zwar handelt es sich bei der Auftraggeberin um einen öffentlichen Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 1 GWB. Der streitbefangene Auftrag übersteigt auch den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gem. § 100 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, die die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch Rechtsverordnung nach § 127 GWB festgelegt sind. Bei den ausgeschriebenen Leistungen handelt es sich um Bauleistungen im Sinne des § 1 VOB/A und damit um einen Bauauftrag. Für Bauaufträge gilt gem. § 2 Nr. 4 der am 01.02.2001 in Kraft getretenen Vergabeverordnung (VgV) vom 09.01.2001 ein Schwellenwert von 5 Mio. Euro. Werden Bauaufträge, wie im vorliegenden Fall, losweise ausgeschrieben, so gilt gem. § 2 Nr. 7 VgV ein Schwellenwert von 1 Mio. Euro oder bei Losen unterhalb von 1 Mio. Euro deren addierter Wert ab 20 v. H. des Gesamtwertes aller Lose. Nach dem Ergebnis der streitbefangenen Ausschreibung erreicht der Wert des Gewerkes "Innentüren/Systemtrennwände" im Rahmen der Baumaßnahme Sanierung des Schulzentrums xxxxxxx, III. Bauabschnitt, nicht den Wert von 1 Mio. Euro. Gleichwohl ist hier der Anwendungsbereich des 4. Teils des GWB eröffnet. Die Auftraggeberin hat das streitbefangene Los nämlich EU-weit ausgeschrieben und als Nachprüfstelle die Vergabekammer bei der Bezirksregierung Lüneburg angegeben. Durch diese im Rahmen der EU-weiten Ausschreibung erfolgte Benennung der Vergabekammer als Nachprüfstelle hat die Auftraggeberin den rechtlichen Rahmen (§§ 102 ff. GWB) für die Nachprüfung festgelegt. Die Wirkung dieser Festlegung besteht in einer Selbstbindung der Verwaltung, dass sie das verfahrensgegenständliche Los nicht dem 20%-Kontingent nach § 2 Nr. 7 VgV zuordnet, für welches das Nachprüfungsverfahren nicht eröffnet wäre (vgl. BayObLG, Beschluss v. 20.08.2001, Az.: Verg 9/01; BGH NJW 1998, 3636 ff., 3638) [BGH 08.09.1998 - X ZR 48/97]. Das Vergabeverfahren ist damit einer Nachprüfung durch die Vergabekammer zugänglich.
Die Antragstellerin ist auch gem. § 107 Abs. 2 GWB antragsbefugt, da sie als Bieterin ein Interesse am Auftrag hat und eine Verletzung von Rechten durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht, indem sie behauptet, die Auftraggeberin wolle auf ihr Angebot, das im Submissionstermin mit der höchsten Angebotssumme auf Platz 3 rangiert hatte, nur deshalb den Zuschlag nicht erteilen, weil sie in vergaberechtswidriger Weise im der europaweiten offenen Vergabeverfahren das Angebot der Antragstellerin als zu unangemessen hoch eingestuft habe.
Voraussetzung für die Antragsbefugnis gem. § 107 Abs. 2 GWB ist weiterhin, dass die Antragstellerin einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass der Antragsteller diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt (vgl. Boesen, Vergaberecht, § 107, Rdn. 52). Die Antragstellerin hat ein entsprechendes Rechtsschutzbedürfnis dargelegt. Sie hat schlüssig dargelegt, dass sie sogar eine Aussicht auf Erhalt des Zuschlags gehabt hätte, wenn die von ihr geltend gemachten, vermeintlichen Vergaberechtsverstöße unterblieben wären.
Die Antragstellerin hat jedoch die von ihr geltend gemachten Verstöße gegen das Vergaberecht im streitbefangenen Vergabeverfahren nicht unverzüglich gegenüber dem Auftraggeber gem. § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB gerügt:
Die Auftraggeberin hat die europaweite Ausschreibung unter Hinweis auf § 26 Nr. 1c VOB/A (andere schwer wiegende Gründe) aufgehoben und dies der Antragstellerin mit Schreiben vom 09.04.2002 schriftlich mitgeteilt. Sinn und Zweck der Rüge ist, dass dem Auftraggeber Gelegenheit gegeben wird, den Vergabefehler im laufenden Vergabeverfahren zu korrigieren, ohne dass die Anrufung der Vergabekammer erforderlich wird (vgl. amtliche Begründung, BT-Drucksache 13/9340 v. 03.12.1997, S. 50). Eine Verletzung der Rügeobliegenheit führt zum Verlust des Nachprüfungsanspruchs (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.04.1999, Verg 1/99, BB 1999, S.1078 ff.).
Die Rüge erfolgte jedoch nicht "unverzüglich" im Sinne des § 107 Abs. 3 Satz 1. Bei der Vorschrift des § 107 Abs. 3 GWB handelt es sich um eine Präklusionsregel unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben. Ein Anbieter soll Vergabefehler nicht auf Vorrat sammeln. Die Rügepflicht des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB entsteht, sobald ein Bieter oder Bewerber im Vergabeverfahren einen vermeintlichen Fehler erkennt. Vorausgesetzt ist positive Kenntnis des Anbieters von den Tatsachen. Ausreichend für die positive Kenntnis eines Mangels im Sinne eines § 107 Abs. 3 GWB ist bereits das Wissen um einen Sachverhalt, der den Schluss auf die Verletzung vergaberechtlicher Bestimmungen erlaubt und es bei vernünftiger Betrachtung gerechtfertigt erscheinen lässt, das Verfahren als fehlerhaft zu beanstanden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 22.08.2000, Az.: Verg. 9/00). Die Antragstellerin als auf dem Gebiet des Einbaus von Innentüren und Systemtrennwänden erfahrenes Unternehmen war in der Lage, unmittelbar nach Erhalt der Information über die Aufhebung des Vergabeverfahrens vom 09.04.2002 zu reagieren und in Kenntnis des eigenen Angebots, der eigenen Kalkulation und der branchenbezogenen Marktsituation einzuschätzen, ob die Ausschreibung - wie die Auftraggeberin zur Begründung der Aufhebung vorgab - tatsächlich kein wirtschaftliches Ergebnis erbracht hatte. Es war ihr zumutbar und möglich, einen vermeintlichen Vergaberechtsverstoß innerhalb von 2 bis 3 Tagen zu rügen. Weder aus der Vergabeakte noch aus dem Vortrag der Antragstellerin ist eine diesbezügliche Rüge ersichtlich, geschweige denn eine rechtzeitige. Stattdessen beteiligte die Antragstellerin sich ohne weiteres an dem sich anschließenden Verhandlungsverfahren, wie sich aus ihrem schriftlichen Angebot vom 16.02.2002 ergibt.
b)
Das streitbefangene Vergabeverfahren wurde ferner bereits vor Eingang des Nachprüfungsantrages beendet. Die Beendigung wurde in dem Zeitpunkt wirksam, in dem der Aufhebungsentschluss der Auftraggeberin den noch im Vergabeverfahren verbliebenen Bietern bekannt gemacht wurde, also spätestens durch den Zugang der Aufhebungserklärung bei den Bietern. Für eine Vermutung, dass die Aufhebung lediglich zum Schein aufgehoben wurde, etwa um den Zuschlag auf ein nicht wirtschaftliches Angebot erteilen zu können (Vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.03.2000, Az.: Verg 4/00, = ZVgR 5/2000, S. 217 ff., S. 219) bietet weder die Vergabeakte noch der Vorgang im übrigen Anlass. Damit ist dieser Vorgang weder einer Nachprüfung gem. § 107 GWB noch grundsätzlich einer Fortsetzungsfeststellung gem. § 114 Abs. 2 GWB darüber, ob eine Rechtsverletzung vorgelegen hat, durch die Vergabekammer zugänglich. Gegenstand des vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens nach dem 4. Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) ist grundsätzlich nur das laufende, noch nicht abgeschlossene Vergabeverfahren. Lediglich für den Fall, dass sich das Nachprüfungsverfahren erst nach wirksamer Einlegung des Nachprüfungsantrags erledigt, sieht § 114 Abs. 2 Satz 2 GWB ein gesondertes Verfahren vor. Hat sich das Nachprüfungsverfahren durch Erteilung des Zuschlags, durch Aufhebung oder durch Einstellung des Vergabeverfahrens oder in sonstiger Weise erledigt, stellt die Vergabekammer auf Antrag eines Beteiligten fest, ob eine Rechtsverletzung vorgelegen hat. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass auch ein Fortsetzungsfeststellungsantrag nach § 114 Abs. 2 Satz 2 GWB nach der Entscheidung des BGH vom 19.12.2000, Az.: X ZB 14/00 (NZBau 3/2001, S. 151 ff.) dann unzulässig ist, soweit der Nachprüfungsantrag erst nach Beendigung des Vergabeverfahrens gestellt wurde. Der BGH hat mit dieser Entscheidung die bis dahin in Rechtsprechung und Schrifttum kontrovers ausgelegte Rechtsfrage eindeutig und abschließend entschieden. Da hier in jedem Fall der Nachprüfungsantrag erst nach Beendigung des streitbefangenen Vergabeverfahrens eingegangen ist, ist das aufgehobene Vergabeverfahren einer Nachprüfung nicht mehr zugänglich.
c)
Auch unabhängig davon dient der Primärrechtsschutz nach dem 4. Teil des BGB vorrangig dem Schutz der Bieter vor Vergaberechtsverletzungen in einem laufenden Vergabeverfahren und insbesondere vor einem unberechtigten Zuschlag zu Gunsten eines anderen Bieters. Gegen eine - auch ggf. unberechtigte, von § 26 VOB/A oder § 26 VOL/A nicht gedeckte - Beendigung des Vergabeverfahrens durch Aufhebung seitens der Auftraggeberin bietet das vergaberechtliche Nachprüfungsverfahren keinen Rechtsschutz. Dies hat der Vergabesenat des OLG Düsseldorf in seinem oben zitierten Beschluss vom 15.03.2000, Az.: Verg 4/00, entschieden und ausführlich begründet. Eine ungerechtfertigte Aufhebung kann allenfalls zu Schadensersatzansprüchen der Bieter nach den Grundsätzen einer Haftung für Verschulden bei Vertragsverhandlungen (c.i.c.) führen. Die Ansprüche auf Grund einer Pflichtverletzung des Ausschreibenden sind auf den Ersatz des Schadens gerichtet, den der Bieter dadurch erlitten hat, dass er darauf vertraut hat, die Ausschreibung werde nach den Vorschriften der einschlägigen Verdingungsordnung (hier: der VOB/A) ausgeführt und insbesondere nicht aus einem anderen als den in diesen Vorschriften (hier: § 26 VOB/A) genannten Gründen aufgehoben. Ein so begründeter Anspruch ist im Allgemeinen allerdings auf den Ersatz der durch die Beteiligung an der Ausschreibung entstandenen Aufwendungen (des sog. negativen Interesses) beschränkt und kann nur in besonderen - seltenen - Fällen auch den Ersatz des sog. positiven Interesses, insbesondere des durch Nichterteilung des Auftrags entgangenen Gewinns erfassen. Selbst wenn die Aufhebung der streitbefangenen Ausschreibung im vorliegenden Fall ungerechtfertigt sein sollte - wofür es nach Aktenlage keinen Anhaltspunkt gibt -, wäre der Schadensersatzanspruch nicht vor der Vergabekammer, sondern vor den ordentlichen Zivilgerichten geltend zu machen. In dieser Situation hat die Vergabekammer keine Möglichkeit mehr, noch auf die Wiederherstellung der Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einzuwirken.
d)
Aber auch soweit die Antragstellerin der Auffassung ist, dass die Durchführung des Verhandlungsverfahrens durch die Auftraggeberin nicht den Vergabevorschriften entspricht, ist der Nachprüfungsantrag gemäß § 107 Abs. 3 GWB unzulässig. Aus den Vergabeunterlagen der Auftraggeberin ergibt sich eindeutig, dass die Antragstellerin auch im Verhandlungsverfahren beteiligt worden ist. Soweit die Antragstellerin die Durchführung der Vergabe im nichtoffenen Verhandlungsverfahren mit Schreiben vom 22.04.2002 gegenüber der Auftraggeberin rügt, genügt diese Rüge nicht den Ansprüchen des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB. Die Rüge gegen die Durchführung der Vergabe im Verhandlungsverfahren erfolgte nicht unverzüglich. Auch im nichtoffenen Vergabeverfahren soll ein Anbieter Vergabefehler nicht auf Vorrat sammeln. Die Rügepflicht gem. § 107 Abs. 3 Satz1 GWB entsteht, sobald der Bieter oder Bewerber im Vergabeverfahren einen vermeintlichen Fehler erkennt. Positive Kenntnis von einem Rechtsverstoß kann nur haben, wer nicht nur die Rechtswidrigkeit begründenden Tatsachen kennt, sondern auch den Schluss aus den Tatsachen auf die Fehlerhaftigkeit gezogen hat (vgl. Motzke/Pietzcker/Prieß, Kommentar zur VOB Teil A, §§ 107,108 GWB, Rdn. 27). Im vorliegenden Fall hatte die Auftraggeberin die Antragstellerin mit Schreiben vom 09.04.2002 darüber in Kenntnis gesetzt, dass sie beabsichtigt, jetzt die Vergabe im Verhandlungsverfahren durchzuführen. Seit diesem Zeitpunkt konnte die Antragstellerin auch den Schluss der vermeintlichen Fehlerhaftigkeit dieses Verfahrens aus den ihr bekannten Tatsachen ziehen. Dafür benötigt eine erfahrene Bieterin wie die Antragstellerin nicht einen Zeitraum von 12 Tagen. Die Rüge erfolgte somit ebenfalls nicht unverzüglich i.S.d. § 107 Abs. 3 GWB.
Auffallend ist auch, dass die Antragstellerin mit der Rüge wartete, bis die Zuschlagsentscheidung im Verhandlungsverfahren, in dem die Antragstellerin ebenfalls beteiligt war, durch die Verwaltung der Auftraggeberin getroffen war. Insoweit fehlt hier bereits ein Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin bezüglich gewählter Verfahrensart.
Nach alledem ist der Nachprüfungsantrag unzulässig. Gemäß § 112 Abs. 1 Satz 3 GWB kann die Vergabekammer bei Unzulässigkeit ohne mündliche Verhandlung nach Aktenlage bei Unzulässigkeit des Antrages entscheiden. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
III.
Kosten
Die Kostenentscheidung erfolgt nach § 128 GWB. Es wird die Mindestgebühr von 2.500 EUR gem. § 128 Abs. 2 GWB i.d.F. des Art. 7 Nr. 5 des 9. Euro-Einführungsgesetzes (BGBl. 58/2001 v. 14.11.2001, S. 2992 ff.) v. 10.11.2001 festgesetzt. Danach werden die DM-Angaben in § 128 GWB für die von der Vergabekammer festzusetzende Gebühr durch Angaben in Euro im Verhältnis 1 : 2 ersetzt, so dass die regelmäßige Mindestgebühr nunmehr statt 5.000 DM 2.500 EUR beträgt.
Die Antragstellerin wird aufgefordert, den Betrag von 2.500 EUR unter Angabe des Aktenzeichens xxxxxxxxxxx auf folgendes Konto zu überweisen:
xxxxxxxxxxx
Schulte
Conrad