Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 17.12.2002, Az.: 203-VgK-32/2002

Zulässigkeit eines auf Untersagung der Zuschlagserteilung im Vergabeverfahren gerichteten Eilantrages; Verletzung des Transparenzgebots durch Bewertung der Angebote anhand unklarer Kriterien; Zulässigkeit des Ausschlusses eines Bieters nach Abschluss des Wertungsverfahrens ohne Vorliegen eines Ausschlussgrundes; Abwägung zwischen dem Bieterinteresse auf ordnungsgemäße Vergabe und dem Interesse des Auftraggebers an der schnellen Zuschlagserteilung; Zulässigkeit des Ausschlusses eines Bieters wegen Zweifeln an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit; Ausschluss eines Bieters vom Vergabeverfahren wegen nachträglicher Änderungen in der Leistungsbeschreibung

Bibliographie

Gericht
VK Lüneburg
Datum
17.12.2002
Aktenzeichen
203-VgK-32/2002
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 28412
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgegenstand

VOB-Vergabeverfahren für die Errichtung eines Eisenbahndepots/-betriebswerks inkl. Infrastrukturmaßnahmen für den Standort ...

Die Vergabekammer bei der Bezirksregierung Lüneburg hat
auf den Eilantrag der Auftraggeberin
gem. § 115 Abs. 2 Satz 1 GWB
durch
den Vorsitzenden RD Gause,
die hauptamtliche Beisitzerin BOAR'in Schulte und
den ehrenamtlichen Beisitzer Dipl.-Ök. Brinkmann
am 17.12.2002
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Auftraggeberin auf Erteilung des Zuschlages im streitbefangenen Vergabeverfahren Errichtung eines Eisenbahndepots/-betriebswerk inkl. Infrastrukturmaßnahmen für den Standort ...x, nach Ablauf einer Frist von zwei Wochen seit Bekanntgabe dieser Entscheidung wird abgelehnt.

Gründe

1

I.

Die Auftraggeberin ist öffentliche Auftraggeberin im Sinne des § 98 Nr. 4 GWB, da sie als juristische Person des privaten Rechts auf dem Gebiet des Verkehrs tätig ist und das Land Niedersachsen, kommunale Gebietskörperschaften und die ...x AG einzeln oder gemeinsam einen beherrschenden Einfluss ausüben können. Die Aktienanteile befinden sich ausschließlich in öffentlicher Hand. Die Auftraggeberin unterliegt damit als Sektorenauftraggeberin dem öffentlichen Vergaberecht.

2

Die Auftraggeberin hat mit Datum vom 18.07.2002 den Neubau des Eisenbahndepots im offenen Verfahren europaweit ausgeschrieben. Der Bekanntmachung war zu entnehmen, dass Bieter sich um die Errichtung eines Eisenbahndepots/-betriebswerks inklusive Infrastrukturmaßnahmen, technischer Gebäudeausrüstung und landschaftspflegerischer Begleitmaßnahmen bewerben können. Eine Unterteilung in Lose wurde verneint. Es wurde darauf hingewiesen, dass auch Nebenangebote/Änderungsvorschläge berücksichtigt werden. Die Auftraggeberin hatte sich mit Vergabevermerk vom 26.06.2002 festgelegt, dass sie den Auftragsgegenstand nicht in einzelne Lose unterteilt, sondern den Auftrag an einen Generalunternehmer vergeben will.

3

Hinsichtlich der Zuschlagskriterien für die Auftragserteilung wurde das wirtschaftlich günstigste Angebot bezüglich Preis, Bauzeit, Vollständigkeit, Wirtschaftlichkeit, Energiekonzept, Recyclingfähigkeit und Unterhaltungskosten genannt. Es wurde darauf hingewiesen, dass die Reihenfolge keinen Einfluss auf die Priorität hat.

4

Anfragen der Bieter in der Angebotsphase wurden mit Schreiben vom 28.08.2002, 09.09.2002, 12.09.2002, 18.09.2002, 20.09.2002 und 23.09.2002 vom beauftragten Ingenieurbüro beantwortet.

5

Am 22.08.2002 wurde allen Bietern eine Baustellenbesichtigung angeboten mit anschließendem Erörterungsgespräch. Den Bietern wurde ein neues Muster des abzuschließenden Generalunternehmervertrages mit Datum vom 18.09.2002 zur Verfügung gestellt.

6

Bei der Verdingungsverhandlung am 26.09.2002 ergab sich, dass acht Bieter Angebote abgegeben hatten. Alle Bieter hatten Änderungsvorschläge/Nebenangebote eingereicht. Das gemeinsame Angebot der Antragstellerinnen schloss mit einer Bruttosumme in Höhe von 23.780.000 EUR ab. Sie hatten 9 Änderungsvorschläge und 2 Nebenangebote eingereicht.

7

Das Angebot der Beigeladenen zu 1), Firma ... schloss mit einer Bruttosumme in Höhe von 26.744.257,86 EUR ab. Sie hatte einen Sondervorschlag, 1 Nebenangebot zum Sondervorschlag und 20 Nebenangebote zum Hauptangebot eingereicht.

8

Das Angebot der Beigeladenen zu 2), Bietergemeinschaft ... schloss mit einer Bruttosumme in Höhe von 23.442.672,80 EUR ab. Sie hatte 7 Nebenangebote eingereicht.

9

Ein Vermerk in der Vergabeakte befasst sich mit dem Thema Nachunternehmerliste. Hierzu hält die Auftraggeberin lt. Vergabeakte fest, dass die mit den Verdingungsunterlagen vorgegebene, beigefügte Nachunternehmerliste im Kopf ausführt, dass in ... oder in der Region ... ansässige Nachunternehmer einzutragen seien. Hierbei handelt es sich um eine Kopfzeile, die ihr selbst vergaberechtlich bedenklich erscheint. Daher beschloss die Auftraggeberin, dass es nicht darauf ankommt, ob die von den Bietern angebotenen Nachunternehmer in ... oder in der Region ... ansässig sind oder nicht.

10

Hinsichtlich der Wertungskriterien und deren Gewichtung wurde in der Vergabeakte festgehalten, dass als Wertungskriterien die Kriterien gelten sollten, die in der EU-Bekanntmachung angegeben waren. Zwar finden sich in dem Formular aus dem Vergabehandbuch, das mit den Vergabeunterlagen übersandt wurde, zum Teil andere Wertungskriterien. Vor der Submission wurde aber auf eine Nachfrage der Bieter klargestellt, dass für die Wertung die in der EU-Bekanntmachung genannten Kriterien maßgebend sind.

11

Bei der Prüfung der Angebote wurde Folgendes festgehalten:

12

Das Angebot der Antragstellerinnen sei wertbar, obwohl sie die Beigeladene zu 1), Fa. ... als Subunternehmer eingesetzt hatte.

13

Das Angebot der Beigeladenen zu 2), Bietergemeinschaft ...x sei nicht wertbar da es gemäß § 25 Nr. 1Abs. 1b i.V.m. § 21 Nr. Abs. 2 VOB/A auszuschließen sei. Zur Begründung wurde gesondert vermerkt, keine Angaben zur Art und zum Umfang des Nachunternehmereinsatzes vorlagen. Ferner habe die Bietergemeinschaft ... nicht sämtliche zu erbringende Leistungen in ihr Pauschalpreisangebot eingerechnet. Im Übrigen habe sie in ihrem Angebot nur eine kleine Zaunanlage im Verhältnis zu der geforderten größeren Zaunanlage kalkuliert.

14

Zum Angebot der Beigeladenen zu 1), Firma ... wurde festgehalten, dass das Nebenangebot zum Sondervorschlag von der weiteren Wertung auszuschließen sei.

15

Am 25.10.2002 führte die Auftraggeberin mit den beiden Bietern, deren Angebote sie werten wollte, jeweils Bietergespräche. Es handelt sich dabei um die Antragstellerinnen und die Beigeladene zu 1).

16

Der Auswertung der Bieterangebote vom 29.10.2002 durch die beauftragte Anwaltskanzlei, die auch die Verfahrensbevollmächtigte der Auftraggeberin im anhängigen Nachprüfungsverfahren ist, ist zu entnehmen, dass die Angebote von sechs der acht Bieter aus unterschiedlichen Gründen von der Wertung ausgeschlossen wurden.

17

Das Angebot der Beigeladenen zu 2), Bietergemeinschaft ...x wurde ausgeschlossen, da die Abrechnung nach Einheitspreisen erfolgen sollte und nicht wie gefordert ein Pauschalpreisangebot abgegeben wurde. Ferner fehlten Angaben über die Art und den Umfang des Nachunternehmereinsatzes und die Zaunanlage sei zu klein bemessen.

18

Die Rechtsanwältin der Auftraggeberin stellte zur Wertung der verbleibenden beiden Angebote fest, dass das Angebot der Antragstellerinnen auch unter Berücksichtigung des 1. Absatzes des Nebenangebotes Nr. 11 nicht auszuschließen sei. Auch das Angebot der Firma ... sei nicht auszuschließen.

19

Die Rechtsanwältin wies darauf hin, dass die Wertung der Angebote dieser beiden Bieter in der 4. Wertungsstufe anhand einer Wertungsmatrix zu erfolgen habe, die zwischen der Auftraggeberin und dem bevollmächtigten Ingenieurbüro abzustimmen ist. Für die Beurteilung der Kriterien dürfe nur das berücksichtigt werden, was Gegenstand des im Submissionstermin abgegeben Angebotes war. Auch dürften Erklärungen im Bietergespräch zu den Wertungskriterien Energiekonzept, Recyclingfähigkeit und Unterhaltskosten sowie Wirtschaftlichkeit nur berücksichtigt werden, sofern es sich dabei nur um Erläuterungen des Angebotsinhaltes handelt. Es müssten also im Angebot zumindest Anhaltspunkte zu diesen Themen zu finden sein. Hatten die Bieter jedoch nur einen Pauschalpreis abgegeben und war dem Angebot weder ein planerisches Konzept beigefügt noch ein Energiekonzept oder Angaben zur Recyclingfähigkeit und Unterhaltskosten, sei eine unterschiedliche Wertung der Angebote bezüglich dieser Kriterien nicht möglich.

20

Die Rechtsanwältin erklärte, dass das beauftragte Ingenieurbüro zunächst ohne Berücksichtigung der Angaben im Bietergespräch beurteilen müsse, ob sich eine Beurteilung des Angebotsinhalts zu diesen Punkten ermöglichen oder sich daraus eine unterschiedliche Bewertung ergeben kann. Sofern nur der Preis abgefragt wurde und keine weiteren Angaben von den Bietern vorgenommen wurden, scheide eine unterschiedliche Wertung der Angebote hinsichtlich der Kriterien Wirtschaftlichkeit, Energiekonzept, Recyclingfähigkeit und Unterhaltskosten aus.

21

Nach Auffassung der Rechtsanwältin der Auftraggeberin blieben dann nur noch die Kriterien Bauzeit und Preis. Ihres Erachtens wäre daher der Zuschlag der Antragstellerin zu erteilen, da die Bauzeit beider Bieter sich nicht wesentlich unterscheide.

22

Ferner wies sie die Auftraggeberin darauf hin, dass eine Wertung des Sondervorschlages der Beigeladenen zu 1), Firma ... davon abhängt, wie die Fassade in der Leistungsbeschreibung vorgegeben war. Sie gibt zu bedenken, dass dabei zu berücksichtigen sei, dass es in Ziffer 4.4 der Bewerbungsbedingungen heißt, dass Änderungsvorschläge und Nebenangebote den "Konstruktionsprinzipien und den vom Auftraggeber vorgegebenen Planungsvorgaben" entsprechen müssen. Sofern es sich bei der Vorgabe der roten Ziegelfassade um eine solche Vorgabe handelt, scheide eine Wertung des Sondervorschlages mit der andersartig gestalteten Fassade aus. Gleiches gelte auch für das Tonnendach.

23

Bei der Wertung der Nebenangebote der Antragstellerin stellte das beauftragte Ingenieurbüro fest, dass unter Berücksichtigung der von ihr gewerteten Nebenangeboten sich eine Angebotssumme von 20.451.800 EUR ergibt. Zu dem Angebot der beigeladenen Firma ... wurde festgehalten, dass die Angebotssumme einschließlich aller von ihr gewerteten Nebenangebote 22.549.220,71 EUR beträgt.

24

Hinsichtlich des Sonderentwurfs der Beigeladenen zu 1), Firma ... stellte das beauftragte Ingenieurbüro fest, dass beide Entwürfe eher als Gestaltungsvariationen zu sehen seien, die hier und da marginale Vorteile mit sich bringen. Für den eigentlichen Entwurf spreche seine einfache Form und seine etwas "natürlichere" Optik. Der Sondervorschlag zeichne sich durch ein frischeres Design und eine betontere Formsprache aus. Zu beachten sei dabei allerdings, dass sich der Sondervorschlag auf Grund seiner konstruktiven Vereinfachungen schneller und preisgünstiger herstellen lasse. Letztendlich empfahl das beauftragte Ingenieurbüro, den Sondervorschlag der beigeladenen Firma ...x dem Angebot für den eigenen Entwurf vorzuziehen und in der weiteren Bewertung, Betrachtung, Auswahl vorrangig zu berücksichtigen. Unter Berücksichtigung der von ihr gewerteten Nebenangebote schließt dieser Sondervorschlag mit einer Angebotssumme von 21.283.963,79 EUR ab.

25

Nach der in der Vergabeakte enthaltenen Vergabeempfehlung, die Teil der vom beauftragten Ingenieurbüro ... mit Datum 29.10.2002 ist, wurde die 4. Wertungsstufe anhand einer Matrix durchgeführt. Danach wurden verschiedene Kriterien gewichtet und die einzelnen Gewichtungspunkte von 0 bis 5 vergeben. Die Bewertung ergibt sich somit aus der Formel "Gewichtung mal Punkte". Die höchste Gewichtung hat die Wirtschaftlichkeit mit 40 %, sodann folgt der Angebotspreis mit 30 %, die Bauzeit mit 15 %, die Unterhaltskosten mit 10 %, das Energiekonzept mit 3 % und die Recyclingfähigkeit mit 2 %. Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben kam das beauftragte Ingenieurbüro gemeinsam mit der Auftraggeberin zu dem Ergebnis, dass der Sondervorschlag der Beigeladenen zu 1), Firma ... auf dem 1. Platz liegt vor dem Hauptangebot der Beigeladenen zu 1), Firma ... und erst auf Rang 3 das Angebot der Antragstellerinnen. Es wurde festgehalten, dass auf Grund der vorstehend eingetragenen Ergebnisse der Beigeladenen zu 1), dem Bewerber Firma ... (Sondervorschlag) der Zuschlag zu erteilen sei. Als Prüfinstanz wurde ein Mitarbeiter des beauftragten Ingenieurbüros und der ... genannt mit Datum jeweils vom 29.10.2002. Die Unterschriften auf diesen Prüfbogen fehlen. Sie befinden sich jedoch auf einer Vergabeempfehlung, Stand 29.10.2002, Ausdruckdatum 06.11.2002, unterschrieben von der Auftraggeberin mit handschriftlich eingesetztem Datum vom 29.10.2002.

26

Dem Vordruck Vergabevermerk - Vergabeentscheidung (EFB-Verg 6) ist zu entnehmen, dass der Zuschlag auf den Sondervorschlag der beigeladenen Firma ... erteilt werden soll, weil es das annehmbarste Angebot sei im Hinblick auf Preis, Ausführungsfristen, Wirtschaftlichkeit, Unterhaltungskosten, Energiekonzept, Recyclingfähigkeit.

27

Mit Datum vom 30.10.2002 teilte die Auftraggeberin dem beauftragten Ingenieurbüro mit, dass sie nach Prüfung der ihr vorgelegten Vergabebeurteilung dem Sondervorschlag der Firma ... zustimmt und beauftragt sie, das Verfahren fortzuführen. Zur Begründung verwies sie auf das beigefügte Formblatt 306 des VHB Bund. Dort ist ausgeführt, dass auf dem Angebot der Antragstellerin der Zuschlag nicht erteilt werden kann, weil ihr Hauptangebot nicht das wirtschaftlichste war.

28

Mit Schreiben vom 05.11.2002 an die Beigeladene zu 1), Firma ... teilt die Auftraggeberin mit, dass der Planfeststellungsbeschluss für das neue Bahnbetriebswerk in ... Bestandskraft hat, der "Grundstein" in Form eines einheimischen Findlings gesetzt ist und die Submission der Bauleistung erfolgreich durchgeführt wurde, so dass nunmehr am 15.11.2002 die Auftragsvergabe für den Bau des Bahnbetriebswerks erfolgen könne.

29

Mit Schreiben vom 04.11.2002 rügten die Antragstellerinnen gegenüber der Auftraggeberin die beabsichtigte Vergabe des Auftrages auf den Sondervorschlag der Beigeladenen:

  • Die Antragstellerinnen bitten zunächst um Klarstellung ob ihr Angebot von der weiteren Wertung ausgeschlossen worden sei.
  • Des weiteren rügen sie, dass ihr Angebot nicht das wirtschaftlichste sei, sondern ein preislich viel höherer Sondervorschlag mit Nebenangebot den Zuschlag erhalten soll.
  • Ferner rügen die Antragstellerinnen die Begründung "Bauzeit" in dem Informationsschreiben, da ihrer Meinung nach die Bauzeit bereits extrem kurz bemessen sei.
  • Auch haben sie ihrer Meinung nach das Wertungskriterium "Energiekonzept" durch die von ihr vorgesehenen energiesparenden Methoden und Materialen vollständig erfüllt. Weitere Vorgabe bzw. Anforderungen waren ihrer Auffassung nach den Ausschreibungsunterlagen nicht zu entnehmen.
  • Gleiches gelte ihrer Meinung nach auch für das Wertungskriterium "Recyclingfähigkeit". Auch hier haben sie ihrer Meinung nach sämtliche Vorgaben erfüllt. Im Übrigen enthalte die Ausschreibung keinerlei Angaben zum Abriss und Recycling der zu errichtenden Gebäude.
  • Auch die Begründung "Unterhaltskosten" ist nach Auffassung der Antragstellerinnen nicht haltbar, da sie ihr Angebot optimiert habe. Darüber hinaus gehende Veränderungen führen ihrer Meinung nach nicht zu gleichwertigen Nebenangeboten.
  • Ferner weisen die Antragstellerinnen darauf hin, dass ihr Angebot ca. 2,555 Mio. EUR niedriger sei als das der beigeladenen Firma .... Auch rügen die Antragstellerinnen die Durchführung des Bietergesprächs und die Erarbeitung des Fragenkatalogs als verfahrensfehlerhaft. Sie weisen darauf hin, dass Festlegungen und Erklärungen von Bietern, die sich nicht bereits aus dem Angebot ergeben, ihrer Meinung nach bei der Wertung unberücksichtigt bleiben müssen.

30

Die Auftraggeberin teilte mit Schreiben vom 12.11.2002 den Antragstellerinnen mit, dass sie die gerügten Bedenken an der Rechtmäßigkeit der Wertung für unbegründet hält. Sie betonte dabei, dass das Angebot der Antragstellerinnen nicht von der Wertung ausgeschlossen worden sei. Insoweit handele es sich um ein redaktionelles Versehen.

31

Mit Schreiben vom 12.11.2002, eingegangen bei der Vergabekammer per Telefax am selben Tage, beantragten die Antragstellerinnen die Einleitung des Nachprüfungsverfahrens. Nach Zustellung des Nachprüfungsantrags durch die Vergabekammer an die Auftraggeberin erklärte die Auftraggeberin mit Anwaltsschreiben vom 20.11.2002 gegenüber den Antragstellerinnen, dass ihr Angebot wegen zwischenzeitlich aufgekommener Zweifel an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Antragstellerin zu 1), Fa. ...x, nachträglich von der Wertung ausgeschlossen werde.

32

Die Antragstellerinnen vertreten die Auffassung, dass sie durch die vergaberechtswidrige Bewertung des Angebotes und der Nebenangebote sowie des Sondervorschlages der beigeladenen Firma ... in ihren Rechten in diesem Vergabeverfahren verletzt seien. Zur Begründung führen sie inhaltlich ihre Ausführungen in dem Rügeschreiben vom 04.11.2002 an.

33

Ferner weisen sie daraufhin, dass lt. Bekanntmachung der Zuschlag auf das wirtschaftlich günstigste Angebot bezüglich Preis, Bauzeit, Vollständigkeit, Wirtschaftlichkeit, Energiekonzept, Recyclingfähigkeit und Unterhaltungskosten erteilt werden soll. Eine bestimmte Gewichtung oder Bewertungsmatrix sei nicht angegeben worden. Sie seien daher davon ausgegangen, dass die Gewichtung entsprechend der Aufzählung erfolge und damit dem Preis die größte Bedeutung zukomme. Wenn der Preis im Bewertungssystem jedoch eine untergeordnete und keine gewichtige Rolle spiele, sei zu befürchten, dass möglicherweise die Gewichtung der Wertungskriterien erst nach Vorlage der Angebote festgelegt oder geändert worden sei. Damit läge nach Auffassung der Antragstellerinnen ein Verstoß gegen das Transparenz- und Wirtschaftlichkeitsgebot vor.

34

Nach Durchführung der Akteneinsicht führen die Antragstellerinnen des Weiteren aus, dass der nachträgliche Ausschluss ihres Angebotes unzulässig sei, da keine zwingende Ausschlussgründe vorliegen. Weder läge nachträglich eine mangelnde finanzielle Leistungsfähigkeit vor, noch haben sie die Verdingungsunterlagen bezüglich der Bauzeit geändert.

35

Zur Begründetheit ihres Nachprüfungsantrages führen die Antragstellerinnen ferner aus, dass der von der beigeladenen Firma ... benannte Stahlbauunternehmer nicht die von der Auftraggeberin in den Ausschreibungsunterlagen geforderte Mindestvoraussetzung der Jahreskapazität von 20.000 t Stahlbaukonstruktion erfülle. Erst im Nachhinein wurde erklärt, dass der Stahlbauunternehmer zu einer Konzerngruppe gehöre, deren Jahreskapazität 35.000 t betrage. Eine Erklärung, wonach eine Konzernhaftung oder sonstige Zurechnung auch für die Tochterfirma gelte, liege nicht vor.

36

Ferner vertreten sie die Auffassung, dass der Sondervorschlag der Beigeladenen zu 1) nicht wertbar sei. Sie sind der Ansicht, dass der Sondervorschlag unvollständig sei, gegen die Bewerbungsbedingungen verstoße und nicht technisch gleichwertig sei. Außerdem verfüge die beigeladene Firma ... über Sonderwissen, das es ihr ermöglichte, genauer zu kalkulieren und sich so Wertungsvorteile zu verschaffen. Ferner haben sie feststellen müssen, dass die beigeladene Firma ... bereits während des jetzt laufenden Nachprüfungsverfahrens auf dem Baugelände schon tätig sei.

37

Die Antragstellerin beantragt,

  1. 1.

    Der Antragsgegnerin zu untersagen, bei dem Vergabeverfahren Errichtung eines Eisenbahndepots/-betriebswerks, Standort ... den Zuschlag an die Firma ... zu erteilen

  2. 2.

    Der Antragsgegner wird aufgegeben, die Angebotswertung unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen.

  3. 3.

    Es wird festgestellt, dass das Angebot der Antragstellerinnen nicht aus der Wertung ausgeschlossen wird .

  4. 4.

    Die Hinzuziehung von Verfahrensbevollmächtigten auf Seiten der Antragstellerin wird für notwendig erklärt.

  5. 5.

    Die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Antragstellerinnen trägt die Antragsgegnerin.

38

Die Auftraggeberin beantragt:

  1. 1.

    Die Anträge der Antragstellerin auf Untersagung der Zuschlagserteilung und Wiederholung der Angebotswertung werden als unzulässig verworfen.

  2. 2.

    Der Antragsgegnerin wird unter Aufhebung des vorläufigen Verbots der Zuschlagserteilung gestattet, den Zuschlag nach Ablauf von zwei Wochen seit Bekanntgabe der Entscheidung zu erteilen.

  3. 3.

    Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

  4. 4.

    Die Hinzuziehung von Verfahrensbevollmächtigten auf Seiten der Antragsgegnerin wird für notwendig erklärt.

39

Zur Begründung führt sie aus, dass sie das Angebot der Antragstellerinnen nachträglich am 20.11.2002 wegen fehlender wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit habe ausschließen müssen. Sie habe daher, obwohl bereits die vierte Wertungsstufe abgeschlossen war, wieder in die zweite Wertungsstufe zurückkehren müssen. Sie, die Auftraggeberin habe die Antragstellerin zu 1) unter Fristsetzung aufgefordert, eine bankübliche Bestätigung über einen ausreichenden Kreditrahmen zur Vorfinanzierung von Sicherheiten sowie Erklärungen der Vorlieferanten, dass die notwendigen Materialien vorbehaltlos geliefert würden, vorzulegen. Die Antragstellerin zu 1) habe diese geforderten Nachweise nicht bis zur gesetzten Frist erbracht. Mit Schreiben vom 20.11.2002 habe sie daher das Angebot der Antragstellerinnen wegen Fehlens der notwendigen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nachträglich ausgeschlossen.

40

Sie erklärt ausdrücklich, dass das Angebot der Antragstellerinnen für die Wertungsstufen 3 und 4 ihrer Ansicht nach unberücksichtigt bleiben muss.

41

Ferner vertritt die Auftraggeberin die Auffassung, dass sie das Angebot der Antragstellerinnen nachträglich zwingend ausschließen musste, da die Antragstellerin Änderungen in den Verdingungsunterlagen vorgenommen habe. Erst bei der Bearbeitung des Nachprüfungsantrages sei ihr aufgefallen, dass die Antragstellerinnen die Vorgaben der Verdingungsunterlagen dahingehend geändert haben, indem sie eine Klausel aufgenommen haben, dass Schlechtwettertage die Bauzeit verlängern. Wegen dieser Änderung schließe sie das Angebot der Antragstellerinnen nachträglich ausdrücklich aus.

42

Soweit die Antragstellerinnen einen Verstoß gegen das Transparenzgebot rügen, vertritt die Auftraggeberin die Auffassung, dass die fehlende Bekanntmachung der Bewertungsmatrix den Bieter nicht in seiner Zuschlagschance beeinträchtigt. Sie habe als Auftraggeberin das ihr eingeräumte Ermessen pflichtgemäß ausgeübt und die drei Bewertungskriterien, deren Bedeutung aus den Unterlagen entnommen werden konnte, besonders hoch gewichtet. Hierbei handele es sich um die Wirtschaftlichkeit, den Preis und die Bauzeit.

43

Die Auftraggeberin vertritt die Auffassung, dass sie keine fehlerhafte Wertung wegen Untergewichtung des Preises vorgenommen habe. Die Wertung der Matrix habe sie anhand einer Bewertungsmatrix vorgenommen, die vor der Submission erstellt wurde. In dieser Matrix sei der Preis zu 30 % gewichtet. Da auch das Kriterium Wirtschaftlichkeit besonders hoch gewichtet wurde und eine deutliche Preisrelevanz aufweist, sei eine Untergewichtung des Preises nicht gegeben. Zu den Kriterien im Einzelnen führt die Auftraggeberin aus:

44

Wirtschaftlichkeit

45

Dieses Kriterium sei in erster Linie davon geprägt, mit welchen Kosten die Instandhaltung über die Lebensdauer des Objektes verbunden sei. Der von ihr favorisierte Sondervorschlag habe gegenüber dem Vorschlag der Antragstellerinnen den entscheidenden Vorteil, dass notwendige Ersatzteillieferungen von Fassadenteilen schneller und kostengünstiger möglich seien. Gerade die Fassade sei hinsichtlich der Instandhaltung ein wesentlicher Faktor. Sie sei nicht nur der Witterung ausgesetzt, sondern darüber hinaus in besonderem Maße anfällig für Vandalismusschäden. Sie bedürfe deshalb einer regelmäßigen Instandhaltung, so dass über die Lebensdauer des Objektes von etwa 30 Jahren gewichtige Einsparungen erzielbar seien, die den geringfügig höheren Preis des zu bezuschlagenden Angebots bereits kurzfristig amortisieren.

46

Preis

47

Der Preis nehme dazu die zweithöchste Bewertung in der Matrix der Antragsgegnerin ein. Die Wertung des Preises sei anhand einer Formel erfolgt, die den Preisabstand rechnerisch umgesetzt habe. Die Differenz zwischen den Angebotspreisen sei von ihr in Prozentpunkten erfasst worden. Sodann sei ein Punktabsatz der preislich nachrangigen Bieter genau in diesem prozentualen Anteil erfolgt. Der Preisabstand zwischen dem Angebot der Antragstellerin einschließlich der zu berücksichtigenden Nebenangebote zu dem Sondervorschlag der Firma ... einschließlich der Nebenangebote, soweit sie berücksichtigt wurden, war nicht so groß, dass die Punktvorteile aus den anderen Wertungskriterien zu Gunsten der Antragstellerinnen aufgeholt wurden.

48

Bauzeit

49

Die Auftraggeberin weist darauf hin, dass den Unterlagen zu entnehmen sei, dass nur eine relativ kurze Bauzeit zur Verfügung stehe. Die Bieter hätten auch Kenntnis von den Gründen der kurzen Bauzeit erlangt, die darin begründet sei, dass die Antragsgegnerin ab dem 14.12.2003 den Regionalverkehr auf den Relationen ... - ... und ... - ... gewährleisten muss. Damit wäre auch für alle Bieter vorstellbar, dass gerade die Bauzeit ein erhebliches Gewicht im Rahmen der Wertung beanspruchen müsse. Es wäre aus ihrer Sicht ermessensfehlerhaft gewesen, dieses Kriterium angesichts seiner erkennbar hohen Bedeutung für die Auftraggeberin nur geringfügig zu gewichten.

50

Sondervorschlag

51

Der Sondervorschlag der beigeladenen Firma ... ermögliche eine Reduktion der Bauzeit um 9 Wochen, so dass er im Rahmen der Wertung des Kriteriums Bauzeit den 1. Rang einnehme. Die Bauzeitverkürzung, die der Sondervorschlag beinhalte, sei auf Grund der Besonderheiten dieses Sondervorschlages weder unrealistisch noch führe sie zu Nachteilen an anderer Stelle. So ermögliche insbesondere auch die Verwendung anderer Materialien eine deutlich kürzere Bauzeit im Vergleich zu der von anderen Bietern angebotenen Bauzeit, so dass kein Zweifel an der Einhaltung der angebotenen Bauzeit aus ihrer Sicht bestehe.

52

Ferner ist die Auftraggeberin der Auffassung, dass sie keine unzulässigen Aufklärungsgespräche mit den Bietern geführt habe.

53

Hinsichtlich der Nichtberücksichtigung der Nebenangebote weist die Auftraggeberin darauf hin, dass die Gründe für die Nichtberücksichtigung den Antragstellerinnen mitgeteilt worden seien. Sämtliche nicht berücksichtigten Nebenangebote wiesen nach Auffassung der Auftraggeberin zur ausgeschriebenen Leistung nicht die erforderliche Gleichwertigkeit vor oder waren ihrer Meinung nach nicht zugelassen.

54

Soweit die Antragstellerinnen die Eignung der Beigeladenen zu 1), Firma ... bezweifelt, weist die Auftraggeberin darauf hin, dass bei der Frage der Geeignetheit die Auftraggeberin im Rahmen ihres Ermessens dahin vorgenommen sei, dass sie als Nachweis der Jahreskapazität für Stahlkonstruktionsarbeiten auch den Nachweis durch einen entsprechenden leistungsfähigen Nachunternehmer ausreichen ließ.

55

Ihren Antrag auf Gestattung der Zuschlagserteilung gem. § 115 Abs. 2 GWB hat die Auftraggeberin damit begründet, dass bei Abwägung der Folgen einer Verzögerung der Vergabe bis zum Abschluss der Nachprüfung bei Berücksichtigung aller möglicherweise geschädigten Interessen die Nachteile der Verzögerung die Vorteile der Nachprüfung gem. § 115 Abs. 2 Satz 1 GWBüberwiegen. Durch die Verzögerung der Zuschlagserteilung würde sowohl ein erheblicher Schaden auf Seiten der Auftraggeberin entstehen als auch ein beträchtlicher Schaden für die Öffentlichkeit. Die Auftraggeberin sei vertraglich verpflichtet, den Schienenpersonennahverkehr auf den Verbindungen: 1. ... - ... - ... - ... - ... und 2. ... - ... - ... - ... - ..., beginnend ab 14.12.2003 sicherzustellen, da der Vertrag mit der Deutschen Bahn AG, die diese Verbindungen bislang bedient, am 13.12.2003 endet. Aufgrund des entsprechenden Vertrages mit der ... drohten der Auftraggeberin Vertragsstrafen für den Fall der Nichterfüllung. Die Versorgung der Bevölkerung mit einem entsprechenden Schienenpersonennahverkehr sei dann nicht gewährleistet. Darüber hinaus drohe bei nicht rechtzeitiger Erstellung des ausgeschriebenen Bahnbetriebswerks der Rücktritt der ... vom Vertrag, so dass die ausgeschriebenen Maßnahmen nicht mehr zur Ausführung kommen könnten und die Ausschreibung daher aus einem wichtigen Grund aufgehoben werden müsste. Eine um 7 Wochen verzögerte Zuschlagserteilung (Dauer des Verfahrens der Vergabekammer und unter Beachtung der Frist des § 117 Abs. 1 GWB) würde nach Auffassung der Auftraggeberin zwingend dazu führen, dass sich die Fertigstellung und damit die Nutzung des Bahnbetriebswerkes um mindestens 3 Monate verzögere. Nur ein Zuschlag vor Beginn der Arbeiten noch in diesem Jahr und damit vor Beginn der Frostperiode stelle die einzige Möglichkeit dar, die entsprechenden Baumaßnahmen noch im zeitlichen Rahmen bis zum 14.12.2003 durchführen zu können. Die entsprechenden Verzögerungen, die sich auf Grund der späteren Zuschlagserteilung ergeben, seien nicht wieder gutzumachen.

56

Die Beigeladenen stellen keine eigenen Anträge. Parallel zu diesem Nachprüfungsverfahren wurde das streitbefangene Vergabeverfahren jedoch auch von der Beigeladenen zu 2) mit einem eigenen Nachprüfungsantrag angefochten. Dieses Nachprüfungsverfahren ist bei der Vergabekammer unter dem Aktenzeichen 203-VgK-34/2002 anhängig.

57

Die Vergabekammer hat mit Verfügung des Vorsitzenden vom 16.12.2002 gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 GWB die Frist für die abschließende Entscheidung über die gesetzliche 5-Wochen-Frist hinaus bis zum 01.02.2003 verlängert.

58

II.

Dem Eilantrag der Auftraggeberin, gem. § 115 Abs. 2 Satz 1 GWB unter Aufhebung des vorläufigen Verbots der Zuschlagserteilung zu gestatten, den Zuschlag im Vergabeverfahren Errichtung eines Eisenbahndepots/-betriebswerks inkl. Infrastrukturmaßnahmen für den Standort ... nach Ablauf von 2 Wochen seit Bekanntgabe dieses Beschluss zu erteilen, war nicht stattzugeben, da unter Berücksichtigung aller möglicherweise geschädigten Interessen sowie des Interesses der Allgemeinheit an einem raschen Abschluss des Vergabeverfahrens die Nachteile einer Verzögerung der Vergabe bis zum Abschluss der Nachprüfung die damit verbundenen Vorteile nicht überwiegen.

59

Dabei musste die Vergabekammer die abschließende Prüfung der Begründetheit des Nachprüfungsantrags der abschließenden Entscheidung im Hauptsacheverfahren überlassen. Gemäß § 115 Abs. 2 Satz 1 GWB kann die Vergabekammer dem Auftraggeber auf seinen Antrag gestatten, den Zuschlag nach Ablauf von 2 Wochen seit Bekanntgabe dieser Entscheidung zu erteilen, wenn unter Berücksichtigung aller möglicherweise geschädigten Interessen sowie des Interesses der Allgemeinheit an einem raschen Abschluss des Vergabeverfahrens die nachteiligen Folgen einer Verzögerung der Vergabe bis zum Abschluss der Nachprüfung die damit verbundenen Vorteile überwiegen. Die Vergabekammer hatte also auf der einen Seite das Interesse der Antragstellerinnen zu berücksichtigen, das streitbefangene Vergabeverfahren durch die Vergabekammer auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen zu lassen und damit ggf. eine Chance auf den begehrten Zuschlag zu wahren. Auf der anderen Seite war das Interesse der Auftraggeberin zu berücksichtigen, das Vergabeverfahren zügig abzuschließen, damit diese ihrer vertraglichen Verpflichtung gegenüber der ... erfüllen kann, den Schienenpersonennahverkehr auf den Verbindungen: 1. ... - ... - ... - ... - ... und 2. ... - ... - ... - ... - ... ab dem 04.12.2003 zu gewährleisten und keine unnötigen Verzögerungen eintreten zu lassen. Die Entscheidung der Vergabekammer über die Gestattung des Zuschlags ist somit eine Ermessensentscheidung nach Interessenabwägung. Dabei kann aus Sicht des Unternehmens die Bedeutung des subjektiven Bieterrechts und die wirtschaftliche Dimension des Auftrags, aus Auftraggebersicht die strenge Fristgebundenheit des Auftrags und die Erhaltung der Funktionsfähigkeit und der Aufgabenerfüllung eine Rolle spielen. Bei der Interessenabwägung ist aber gerade auch auf die Erfolgsaussichten des Nachprüfungsantrags in der Hauptsache abzustellen (vgl. Byok/Jaeger, Vergaberecht, § 115 Rdn. 760; Willenbruch, NVwZ 1999, S. 1062 ff., 1066).

60

Nach der gebotenen, im Eilverfahren vorläufigen Überprüfung der Sach- und Rechtslage ist überwiegend wahrscheinlich, dass der zulässige Nachprüfungsantrag Aussicht auf Erfolg hat. Die Antragstellerinnen sind voraussichtlich in ihren Rechten gem. § 97 Abs. 7 GWB verletzt, da die Auftraggeberin nach derzeitigem Stand des Nachprüfungsverfahrens das Angebot der Antragstellerinnen - nachträglich - zu Unrecht gem. § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. b, § 21 Nr. 1 Abs. 2 VOB/A bzw. wegen nach Stellung des Nachprüfungsantrages bei der Auftraggeberin aufgekommener Zweifel an der Eignung und Zuverlässigkeit der Antragstellerin zu 1 von der Wertung ausgeschlossen hat. Ferner hat die Auftraggeberin gegen das Transparenzgebot gem. § 97 Abs. 1 GWB verstoßen, indem sie im Rahmen der 4. Wertungsstufe die Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes gem. § 25 Nr. 3 Abs. 3 VOB/A, § 97 Abs. 5 GWB nach einer von ihr aufgestellten Bewertungsmatrix zu 40 % von einem nicht näher definierten Unterkriterium "Wirtschaftlichkeit" abhängig gemacht hat, ohne zuvor in einem den Anforderungen des § 30 VOB genügenden Vergabevermerk - noch vor Angebotswertung - zu dokumentieren, was die Auftraggeberin unter diesem von ihr gewählten Kriterium "Wirtschaftlichkeit" verstehen wollte. Dies war jedoch im Sinne eines transparenten Vergabeverfahrens gem. § 97 Abs. 1 GWB erforderlich, zumal die Übrigen von ihr gewählten und bekannt gemachten Zuschlagskriterien Preis, Vollständigkeit, Energiekonzept, Recyclingfähigkeit und Unterhaltskosten ebenfalls dem vergaberechtlichen Wirtschaftlichkeitsbegriff im Sinne des § 97 Abs. 5 GWB, § 25 Nr. 3 Abs. 3 VOB/A zuzuordnen sind. Durch die Gewichtung des vor Angebotswertung nicht definierten, unbestimmten Kriteriums "Wirtschaftlichkeit" hat sich die Auftraggeberin in die Lage versetzt, erst im Zuge der 4. Wertungsstufe dieses unbestimmte Kriterium nach ihren eigenen Vorstellungen zu definieren und damit Einfluss auf die Rangfolge der Angebote zu nehmen, was nicht nur gegen das Transparenzgebot, sondern, da die Berücksichtigung dieses Kriteriums zum Nachteil der Antragstellerinnen erfolgte, auch gegen das Gleichbehandlungsgebot gem. § 97 Abs. 2 GWB verstößt.

61

1.

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. Die Auftraggeberin ist öffentliche Auftraggeberin im Sinne des § 98 Nr. 4 GWB, da sie als juristische Person des privaten Rechts auf dem Gebiet des Verkehrs tätig ist und das Land Niedersachsen, kommunale Gebietskörperschaften und die Deutsche Bahn AG einzeln oder gemeinsam einen beherrschenden Einfluss auf sie ausüben können. Die Aktienanteile befinden sich ausschließlich in öffentlicher Hand. Die Auftraggeberin unterliegt daher als Sektorenauftraggeberin dem öffentlichen Privatrecht. Der streitbefangene Auftrag übersteigt auch den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gem. § 101 Abs. 1 GWB i.V.m. § 2 Nr. 4 der am 01.02.2001 in Kraft getretenen Vergabeverordnung (VgV) vom 09.01.2001. Der danach für Bauaufträge maßgebliche Schwellenwert von 5 Millionen Euro wird durch den streitbefangenen Gesamtauftrag deutlich überschritten.

62

Die Antragstellerinnen sind entgegen der Auffassung der Auftraggeberin auch gem. § 107 Abs. 2 GWB antragsbefugt, da sie als Bieterinnen ein Interesse am Auftrag haben und eine Verletzung von Rechten durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend machen, indem sie behaupten, die Auftraggeberin habe ihr Angebot, das unstreitig die niedrigste Angebotssumme ausweist, zu Unrecht von der Wertung ausgeschlossen und beabsichtige, nicht dem wirtschaftlichsten Angebot gem. § 97 Abs. 5 GWB und § 25 Nr. 3 Abs. 3 VOB/A den Zuschlag zu erteilen. Voraussetzung für die Antragsbefugnis gem. § 107 Abs. 2 GWB ist, dass das Antrag stellende Unternehmen bzw. die Bietergemeinschaft einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass der Antragsteller diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt (vgl. Boesen, Vergaberecht, § 107, Rdn. 52). Die Antragstellerinnen haben ein entsprechendes Rechtsschutzbedürfnis dargelegt. Sie haben schlüssig dargelegt, dass sie sogar eine Aussicht auf Erhalt des Zuschlags gehabt hätten, wenn die Auftraggeberin ihr Angebot nicht nachträglich ausgeschlossen hätte und die Wertung ohne die von den Antragstellerinnen gerügten vermeintlichen Vergaberechtsverstöße durchgeführt hätte.

63

Soweit die Auftraggeberin die Auffassung vertritt, der für die Antragsbefugnis erforderliche entstandene oder drohende Schadenseintritt scheide für die Antragstellerin schon deshalb aus, weil sie nach Auffassung der Auftraggeberin zu Recht von der Wertung gem. § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. b VOB/A zwingend habe ausgeschlossen werden müssen, kann dem nicht gefolgt werden. Die Frage der Rechtmäßigkeit des Angebotsausschlusses zu Lasten der Antragstellerin ist gerade Gegenstand des Nachprüfungsantrages. Nach der Rechtsprechung des OLG Celle (Beschluss vom 24.11.1999, Az. 13 Verg 7/99) genügt es für die Bejahung der Antragsbefugnis, dass der Antragsteller geltend macht, dass seine Rechte nach § 97 Abs. 7 GWB durch eine Nichtbeachtung von Vergabevorschriften verletzt seien (§ 107 Abs. 1, 2 § 108 GWB). Ob die geltend gemachte Rechtsverletzung tatsächlich besteht, ist eine Frage der Begründetheit des Nachprüfungsverfahrens.

64

Die Antragstellerinnen haben die von ihr im Nachprüfungsverfahren geltend gemachten Vergaberechtsverstöße, soweit sie sie im Vergabeverfahren bereits positiv erkannt hatten, auch unverzüglich im Sinne des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB mit Schreiben vom 04.11.2002 gegenüber der Auftraggeberin gerügt. Eine Rüge des nachträglichen, von der Auftraggeberin getätigten Ausschlusses des Angebotes der Antragstellerinnen von der Wertung war entbehrlich, da dieser Ausschluss erst mit Schreiben vom 20.11.2002 und damit erst deutlich nach Stellung des Nachprüfungsantrages vom 12.11.2002 erfolgte. Der Nachprüfungsantrag ist somit zulässig.

65

2.

Der Nachprüfungsantrag ist nach derzeitigem Stand des Nachprüfungsverfahrens voraussichtlich auch begründet. Die Auftraggeberin hat voraussichtlich gegen das Gleichbehandlungsgebot gem. § 97 Abs. 2 GWB verstoßen, indem sie das Angebot der Antragstellerinnen nach Abschluss der Wertung und nach Einleitung des Nachprüfungsverfahrens von der Wertung nachträglich ausgeschlossen hat, obwohl die Voraussetzungen für einen zwingenden Ausschluss gem. §§ 25 Nr. 1 Abs. 1, 21 Nr. 1 VOB/A nicht vorliegen. Ferner hat die Auftraggeberin gegen das Transparenzgebot gem. § 97 Abs. 1 GWB verstoßen, indem sie im Rahmen der Angebotswertung die Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes im Sinne des § 97 Abs. 5 GWB und 25 Nr. 3 Abs. 3 VOB/A zu 40 % von einem nicht näher definierten Zuschlagskriterium "Wirtschaftlichkeit" abhängig gemacht hat, ohne vor Beginn der Wertung, geschweige denn vor Beginn der Angebotsprüfung in der Vergabeakte zu dokumentieren, was sie unter diesem unbestimmten Kriterium verstanden wissen wollte. Damit hat sie sich unter Verstoß gegen das vergaberechtliche Transparenzgebot und das Gleichbehandlungsgebot in die Lage versetzt, noch im Zuge der Wertung Einfluss auf die Angebotsrangfolge zu nehmen.

66

a)

Die Auftraggeberin hat das Angebot der Antragstellerinnen erst nach Abschluss der Wertung und während des laufenden Nachprüfungsverfahrens mit Schreiben vom 20.11.2002 wegen bei ihr nachträglich aufgekommener Zweifel der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Antragstellerin zu 1 gem. § 25 Nr. 2 Abs. 1 VOB/A nachträglich von der Wertung ausgeschlossen. Die Auftraggeberin hat schriftsätzlich und in der mündlichen Verhandlung vom 10.12.2002 diese Entscheidung dahingehend erläutert, dass sich diese Zweifel auf Grund von Gesprächen in der Baubranche ergeben hätten im Rahmen von Vergleichsverhandlungen zur Abwendung des Nachprüfungsverfahrens am 13.11.2002 hätte sie, die Auftraggeberin gegenüber dem Bevollmächtigten der Antragstellerinnen diese Zweifel geäußert, daraufhin aber keine hinreichende Erklärung erhalten. Auch hätte sich der Mitarbeiter der Antragstellerin zu 1, Herr ..., sowohl gegenüber Herrn ... von der Beigeladenen zu 1 als auch gegenüber dem von der Auftraggeberin beauftragten Ingenieurbüro ... dahingehend geäußert, dass die Firma ... (Antragstellerin zu 1) den Auftrag dringend zur Kreditsicherung benötige. Einer unter Fristsetzung zum 20.11.2002 erfolgten Aufforderung der Auftraggeberin, Liquiditätsnachweise und insbesondere eine Bestätigung über einen ausreichenden Kreditrahmen zur Vorfinanzierung von Sicherheiten sowie Erklärungen der Vorlieferanten, dass die notwendigen Materialien vorbehaltlos geliefert würden, beizubringen, sei die Antragstellerin nicht nachgekommen. Ferner hat die Auftraggeberin im Zuge des Nachprüfungsverfahrens in der mündlichen Verhandlung vom 10.12.2002 der Vergabekammer eine Auskunft der Kreditreform ... vom 09.12.2002 vorgelegt, aus der sich unter anderem ergibt, dass die Hauptniederlassung Mitte der Antragstellerin zu 1 bis Mitte 2003 den Tiefbaubereich schließen und die dortige Mitarbeiterzahl um ca. 60 Beschäftigte verringern werde. Auch vertritt die Auftraggeberin die Auffassung, dass sich aus dieser Auskunft der Kreditreform insgesamt Zweifel an der wirtschaftlichen Bonität der Antragstellerin zu 1 ergeben.

67

Die Antragstellerin zu 1 hat demgegenüber in der mündlichen Verhandlung zwar den Personalabbau im Tiefbaubereich ihrer Hauptniederlassung Mitte zur Jahresmitte 2003 bestätigt. Sie hat jedoch schlüssig dargelegt, dass zum einen zu diesem Zeitpunkt bereits die Tiefbauarbeiten für den streitbefangenen Auftrag im Wesentlichen abgeschlossen sein werden. Zum anderen sei sie in der Lage, sämtliche Teilleistungen mit eigenen Mitarbeitern auszuführen, da sich auf Grund der Gesamtgröße des Unternehmens ... auch Mitarbeiter ihrer anderen Hauptniederlassung zur Verfügung stehen. Schließlich Gewähr leiste auch die Bündelung ihrer Kräfte in der Bietergemeinschaft mit der Antragstellerin zu 2 die Leistungsfähigkeit. Schließlich verweist die Antragstellerin zu 1 darauf, dass der von der Firma ... für die Antragstellerin zu 1 ermittelte Kreditreform-Bonitätsindex mit dem Wert 284 abschließt. Dies entspreche einer mittleren Bonitätsnote. Die Antragstellerin hat diese Erklärung belegt durch eine der Vergabekammer mit Schriftsatz vom 12.12.2002 vorgelegte Identifikation des Verbandes der Vereine Kreditreform e. V. Zum Kreditreforminformationssystem, Untertitel: Entscheidungsunterstützung bei der Bonitätsbeurteilung von Unternehmen. Aus der dortigen Auflistung Bild 3 "Bonitätsindexklassen" auf Seite 22 ergibt sich, dass ein Bonitätsindex von 251 bis 300 eine mittlere Bonitätsnote darstellt, ein Index von 301 bis 350 eine schwache, ein Index von 351 bis 499 eine sehr schwache und erst ein Index von 500 bis 600 auf Negativmerkmale und Insolvenz hinweist.

68

Der Vortrag der Auftraggeberin ist daher nicht geeignet, ernsthafte Zweifel an der Leistungsfähigkeit der Antragstellerin zu 1 zu begründen.

69

Aber auch der von der Auftraggeberin nachträglich, erstmalig im Zuge des Nachprüfungsverfahrens mit Schriftsatz vom 22.11.2002, Seite 6 ff. erklärte nachträgliche Ausschluss des Angebotes der Antragstellerinnen wegen vermeintlicher Änderung der Verdingungsunterlagen ist nicht gerechtfertigt. Gemäß § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. b i.V.m. 21 Nr. 1 Abs. 2 VOB/A sind Angebote, die Änderungen an den Verdingungsunterlagen enthalten, zwingend von der Wertung auszuschließen. Die Auftraggeberin hat darauf hingewiesen, dass die Antragstellerinnen in den Zeilen 33 und 34 zum Generalunternehmervertrag (GU-Vertrag) eine Klausel folgenden Inhalts aufgenommen hat:

"Schlechtwettertage verlängern die Bauzeit."

70

Damit haben die Antragstellerinnen nach Auffassung Auftraggeberin sowohl gegen § 6 VOB/B als auch gegen § 2 des GU-Vertrages verstoßen. Dort heißt es:

"Witterungseinflüsse während der Ausführungszeit, mit denen bei Abgabe des Angebotes normalerweise gerechnet werden musste, gelten nicht als Behinderung."

71

Die Antragstellerinnen weisen demgegenüber darauf hin, dass die Vorschriften in den Verdingungsunterlagen, die von der Antragstellerin vorbehaltlos anerkannt wurden, gem. § 2 Ziff. 2.1 des Generalunternehmervertrages vorrangig zum Angebot gelten. Insoweit beziehe sich ihre Angabe zu den Schlechtwettertagen auf die Definition der Schlechtwettertage in § 7 Ziff. 7.3 des Generalunternehmervertrages. Dort heißt es:

"Der Auftragnehmer hat bis zu einer Temperatur von minus 5 Grad Celsius grundsätzlich alle technisch möglichen Arbeiten des Vertrages durchzuführen und für eine vertragsgemäße Ausführung die entsprechenden Vorkehrungen zu treffen. Die Kosten für Erschwernisse, Minderleistungen der Arbeitskräfte, Frostschutzmittel und sonstige Schutzmaßnahmen sind in der Vergütung gem. § 9.1 inbegriffen. Für Eistage wird eine entsprechende Fristverlängerung für Außenarbeiten nur anerkannt, wenn sie unverzüglich beantragt und belegt wird sowie 21 Eistage für die Bauzeit insgesamt übersteigt. Stilllegungen bei Frost berechtigten nicht zu Nachforderungen..."

72

Weiter heißt es unter 7.4:

"Zum Nachweis der Temperaturen ist auf der Baustelle ein Temperaturschreiber vom Auftragnehmer zu installieren, der gleichermaßen für die Baudokumentation zu verwenden ist."

73

Nach den Verdingungsunterlagen war mithin eine Verlängerung der Bauzeit durch Schlechtwettertage nicht schlechthin ausgeschlossen. Ein solcher totaler Ausschluss würde auch für den Bieter ein ungewöhnliches Wagnis mitbringen für Umstände und Ereignisse, auf die er keinen Einfluss hat und deren Einwirkungen auf die Preise und Fristen er im Voraus nicht schätzen kann. Der vollständige Ausschluss würde daher gegen § 9 Nr. 2 VOB/A verstoßen. Die Auftraggeberin hat vielmehr im Einklang mit dem Vergaberecht die Auswirkungen von Schlechtwettertagen auf die Bauzeit und damit die Gesamtkosten in zulässigem Maße mit § 7 Ziff. 7.3 des Generalunternehmervertrages eingeschränkt. Diese Risikoübertragung auf den Auftragnehmer hat zumindest kein Bieter im Vergabeverfahren gerügt. Da die verlängernde Auswirkung von Schlechtwettertagen nicht generell ausgeschlossen war, ist jedoch der Hinweis der Antragstellerinnen im Rahmen Terminplankonzept nicht als unzulässige Änderung der Verdingungsunterlagen im Sinne des § 21 Nr. 1 Abs. 2 VOB/A zu werten. Dies gilt umso mehr, als die Antragstellerinnen die Verdingungsunterlagen vorbehaltlos rechtsverbindlich anerkannt haben und diese gem. § 2 Ziff. 2.1 des Generalunternehmervertrages vorrangig zum Angebot sind.

74

Nach alledem ist die Auftraggeberin weder verpflichtet noch berechtigt, das Angebot der Antragstellerinnen von der Wertung nachträglich auszuschließen.

75

b)

Die Auftraggeberin hat zudem gegen den Transparenzgrundsatz gem. § 97 Abs. 1 GWB verstoßen, indem sie im Zuge der Angebotswertung die Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes zu 40 % und damit zum größten Teil von einem nicht näher definierten Zuschlagskriterium "Wirtschaftlichkeit" abhängig gemacht hat, ohne vor der Wertung, geschweige denn vor Angebotsprüfung mit einem den Anforderungen des § 30 VOB/A genügenden Vermerk in der Vergabeakte zu dokumentieren, was sie unter diesem Kriterium "Wirtschaftlichkeit" genau verstehen wollte. Damit hat sich die Auftraggeberin in die Lage versetzt, die Rangfolge der Angebote nach Angebotsprüfung und in Kenntnis der Angebotssummen zu beeinflussen.

76

Die Auftraggeberin hat die Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes ausweislich ihrer in der Vergabeakte enthaltenen Angebotsauswertung vom 29.10.2002 unter 5. Vergabeempfehlung (S. 71) anhand einer Bewertungsmatrix vorgenommen. Dort waren die nachfolgenden Zuschlagskriterien mit einer Wichtung in Prozent vorgegeben: Wirtschaftlichkeit 40 %, Angebotspreis 30 %, Bauzeit 15 %, Unterhaltskosten 10 %, Energiekonzept 3 %, Recyclingfähigkeit 2 %. Diese Zuschlagskriterien hatte die Auftraggeberin - in anderer Reihenfolge, jedoch ausdrücklich ohne Wichtung - auch den Bietern mit der Vergabebekanntmachung bekannt gemacht. Unter Zugrundelegung dieser Matrix erlangte der von der Auftraggeberin favorisierte Sondervorschlag der Beigeladenen zu 1 (Fa. ...) Rang 1, das Hauptangebot der Beigeladenen zu 1 Rang 2 und das Hauptangebot der Antragstellerinnen Rang 3. Nach dem Preisspiegel (S. 45 der Vergabeempfehlung vom 29.10.2002) erreichte das Angebot der Antragstellerinnen mit einer Angebotssumme einschließlich gewerteter Nebenangebote von 20.451.800 EUR netto Rang 2, während die Beigeladene zu 1 hinsichtlich ihres Sondervorschlages mit einer Angebotssumme von 21.283.963,79 EUR Rang 4, mit ihrem Hauptangebot mit einer Angebotssumme von 22.549.220,71 EUR Rang 6 erreichte. Als niedrigster Angebotspreis und damit Rang 1 im Preisspiegel wurde das Angebot der Beigeladenen zu 2 mit einer Summe von 20.215.790,69 EUR ermittelt.

77

Dabei ist zunächst nicht zu beanstanden, dass die Auftraggeberin die sich in der Matrix niederschlagende Gewichtung der einzelnen Zuschlagskriterien in der Bekanntmachung nicht angegeben hat. Anders als bei Auftragsvergaben im VOF-Bereich, wo gem. § 16 VOF die Kriterien möglichst in der Reihenfolge der ihnen zuerkannten Bedeutung anzugeben sind, muss der Auftraggeber im VOB-Bereich die Gewichtung der Kriterien weder in der Bekanntmachung noch in den Verdingungsunterlagen offen legen, auch wenn dies gewissermaßen den Idealfall einer transparenten Leistungsbeschreibung darstellen würde. § 25 a VOB/A regelt lediglich, dass bei der Wertung der Angebote nur die Kriterien berücksichtigt werden, die in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen genannt sind. Auch ist nicht zu beanstanden, dass die Auftraggeberin dem Kriterium "niedrigster Angebotspreis" lediglich eine Gewichtung von 30 % zumisst. Gemäß § 25 Nr. 3 Abs. 3 VOB/A ist der Zuschlag auf das unter Berücksichtigung aller Umstände wirtschaftlichste Angebot zu erteilen. Der niedrigste Angebotspreis allein ist nicht entscheidend. Diese Regelung entspricht § 97 Abs. 5 GWB. Richtig ist, dass das Kriterium "niedrigster Preis" in aller Regel nicht allein maßgebend für den Zuschlag ist. Zwar darf der öffentliche Auftraggeber nach den EU-Vergaberichtlinien entweder den Anbieter auswählen, der den niedrigsten Preis anbietet (vgl. Art. 36 der Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie RL 92/50/EWG, ABl. EG Nr. 1 209/1; Art. 34 der Baukoordinierungsrichtlinie RL 93/37/EWG, ABl. EG Nr. 1 199/54; Art. 26 der Lieferkoordinierungsrichtlinie RL 93/36/EWG, ABl. EG Nr. 1 199/1). Der deutsche Gesetzgeber hat sich in § 97 Abs. 5 GWB jedoch zulässigerweise ausdrücklich dafür entschieden, dem Kriterium "wirtschaftlichstes Angebot" den Vorzug vor dem ebenfalls zulässigen Kriterium "niedrigster Preis" zu geben. Das deutsche Recht schließt damit allerdings nicht aus, dass die preisliche Beurteilung des Angebots im Rahmen der Prüfung des wirtschaftlich günstigsten Angebots eine, wenn nicht die maßgebliche Rolle spielt. Der Preis ist nach deutschem Vergaberecht vielmehr regelmäßig das wichtigste, aber eben nicht das allein entscheidende Kriterium (vgl. Boesen, Vergaberecht, § 97 Rdn. 144). Bei der Vergabe nach dem wirtschaftlich günstigsten Angebot kann und muss die Vergabestelle neben dem Preis weitere Wirtschaftlichkeitskriterien wie Ästhetik, Unterhaltskosten, Zweckmäßigkeit, Verfügbarkeit von Wartungspersonal, Service etc. bei der Wertung berücksichtigen, sofern sie diese Kriterien den Bietern mit den Verdingungsunterlagen bekannt gemacht hat, was im streitbefangenen Vergabeverfahren der Fall ist.

78

Hinsichtlich der Gewichtung der einzelnen Wirtschaftlichkeitskriterien und insbesondere des Kriteriums "niedrigster Angebotspreis" räumt das Vergaberecht dem Auftraggeber einen weiten Spielraum ein. In der Praxis wird häufig ein recht hoher Prozentsatz der öffentlichen Aufträge nach dem Kriterium des niedrigsten Preises vergeben. Manchmal wird in diesem Zusammenhang ein Prozentsatz von bis zu 95 % genannt, was der Intention des Gesetzgebers, die Vergabestellen anzuhalten, bei Beschaffungen nicht allein auf das Preiskriterium zu schauen, entgegensteht (vgl. Noch in Müller-Wrede, VOL/A, 1. Auflage, § 25 Rdn. 84, m.w.N.). Als regelmäßige Untergrenze für die Gewichtung des Kriteriums "Angebotspreis" wird in der Rechtsprechung zum Teil ein Ansatz von mindestens 30 % gefordert (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 05.01.2001, Az.: WVerg 0011/00 und WVerg 0012/00). Gewährleistet sein muss ferner, dass in den Fällen, in denen mehrere Angebote unter technischen, gestalterischen und funktionsbedingten Gesichtspunkten gleichwertig sind, das Angebot mit dem niedrigsten Preis den Zuschlag erhält (vgl. BGH, Urteil vom 26.10.1999, Az.: X ZR 30/98, BauR 2000, S. 254). Ferner hat sich in Rechtsprechung und Schrifttum die Auffassung durchgesetzt, dass in den Fällen, in denen der öffentliche Auftraggeber die Zuschlagskriterien nicht spezifiziert und bekannt gemacht hat, nur der niedrigste Preis als Zuschlagskriterium angewendet werden darf (vgl. OLG Schleswig, VergabeR 2001, S. 214 ff.; Daub/Eberstein, VOL/A, 5. Auflage, § 9 a Rdn. 10 und § 25 Rdn. 43).

79

Nicht zu beanstanden sind daher die von der Auftraggeberin gewählten Wirtschaftlichkeitskriterien Angebotspreis, Bauzeit, Unterhaltskosten, Energiekonzept und Recyclingfähigkeit, die sich sämtlich unter dem vergaberechtlichen Wirtschaftlichkeitsbegriff subsumieren lassen und dem Bieter im Vergabeverfahren auch eine taugliche, transparente Kalkulationsgrundlage bieten. Mit dem Transparenzgrundsatz ist jedoch nicht vereinbar, dass die Auftraggeberin den Begriff der "Wirtschaftlichkeit", der nach vergaberechtlichen Regelungen eindeutig den Oberbegriff des Maßstabs für die Angebotswertung darstellt, zusätzlich noch einmal als nicht näher definiertes Zuschlagskriterium zugrunde legt und ihm dann auch noch eine alle anderen Kriterien überragende Bedeutung von 40 % zumisst. Sie hätte dann zumindest in der Vergabeakte dokumentieren müssen, dass sie sich über die Bedeutung dieses Zuschlagskriteriums vor Angebotsöffnung, zumindest aber vor Angebotsprüfung im Klaren war. Ein entsprechender Vermerk oder Beleg ist in der Vergabeakte aber nicht enthalten. Zwar hat die Auftraggeberin in der mündlichen Verhandlung am 10.12.2002 vorgetragen, dass das von ihr beauftragte Ingenieurbüro ... schon deutlich vor Submission mit der Erstellung der Bewertungsmatrix beauftragt wurde. Im Schriftsatz dieses Ingenieurbüros vom 11.12.2002 hat die Auftraggeberin ein Protokoll über eine Projektbesprechung vom 13.06.2002 vorgelegt. Dort heißt es auf Seite 4:

"Anmerkung von ... (Auftraggeberin): 5.9 Die Ausarbeitung von Bewertungskriterien für die Angebotsauswertung (Matrix) ist aufzustellen. Zuständigkeit: ... (Auftraggeberin), .... Termin: 28. KW 02."

80

In der Vergabeakte selbst ist als früheste Fassung der Bewertungsmatrix ein Computerausdruck Stand 01.09.2002 enthalten. Selbst wenn die Matrix jedoch vor Submission oder jedenfalls vor Angebotsprüfung vorgelegen haben sollte, ist in der Vergabeakte in keiner Weise dokumentiert oder in sonstiger Weise belegt, dass die Auftraggeberin sich auch über den Inhalt dieses für sie wichtigsten Zuschlagskriteriums im Klaren gewesen ist. Die Auftraggeberin hat sich damit in die Lage versetzt, nach Öffnung und Prüfung der Angebote und in Kenntnis der Angebotssummen Einfluss auf die Rangfolge der Angebote zu nehmen. Dies verstößt sowohl gegen den Transparenzgrundsatz gem. § 97 Abs. 1 GWB als auch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz gem. § 97 Abs. 2 GWB. Die Antragstellerinnen sind daher nach derzeitigem Stand des Vergabeverfahrens aller Voraussicht nach in ihren Rechten verletzt.

81

Nach der Rechtsprechung des OLG Celle (Beschluss vom 21.03.2001, Az.: 13 Verg 4/01, = Vergaberecht 4/2001, S. 338 ff.) ist eine vorzeitige Zuschlagserteilung nach § 115 Abs. 2 GWB im Allgemeinen zwar nicht mit einer fehlenden Erfolgsaussicht des Nachprüfungsantrags zu begründen; allerdings sei die Berücksichtigung der Erfolgsaussicht nicht generell ausgeschlossen. Die Gestattung der vorzeitigen Zuschlagserteilung wegen fehlender Erfolgsaussichten komme nur in solchen Fällen in Betracht, in denen sich die Unzulässigkeit oder Unbegründetheit des Nachprüfungsantrags sofort erschließt. Eine weitergehende Prüfung der Erfolgsaussichten nach § 115 Abs. 2 GWB würde das Recht der Antragsteller verletzen, ihre Rügen in einem Nachprüfungsverfahren mit dem Ziel des Primärrechtsschutzes überprüfen zu lassen.

82

Der vorliegende Nachprüfungsantrag ist, wie dargelegt, in keinem Fall auf den ersten Blick unzulässig oder unbegründet. Vielmehr ist von einer überwiegenden Erfolgsaussicht des Nachprüfungsantrag auszugehen. Der Antrag der Auftraggeberin auf Gestattung der vorzeitigen Zuschlagserteilung ist daher zurückzuweisen.

Gause
Schulte
Brinkmann, der ehrenamtliche Beisitzer, ist an der Unterschrift verhindert, da er Urlaub hat - Gause