Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 13.03.2023, Az.: 1 ME 6/23
alleiniger Geschäftsführer; bauaufsichtliche Verfügung; Beseitigungsanordnung; Duldungsverfügung; GmbH & Co. KG; UG (haftungsbeschränkt) & Co. KG; Vollstreckung einer Beseitigungsanordnung gegen den Bauherrn bei Eigentümerstellung einer von ihm beherrschten Gesellschaft
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 13.03.2023
- Aktenzeichen
- 1 ME 6/23
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2023, 44892
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2023:0313.1ME6.23.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Osnabrück - 22.12.2022 - AZ: 2 B 39/22
Rechtsgrundlagen
- GmbHG § 35 Abs.1
- NBauO § 79 Abs. 1
- NPOG § 64 Abs. 1
Fundstellen
- DÖV 2023, 729
- NVwZ 2023, 1447-1448
- NordÖR 2023, 443
Amtlicher Leitsatz
Die Vollstreckung einer gegen den Bauherrn ergangenen bauaufsichtlichen Verfügung ist auch dann ohne den Erlass einer Duldungsverfügung möglich, wenn das Baugrundstück im Eigentum einer juristischen Person steht, die von dem in Anspruch genommenen Bauherrn allein beherrscht wird.
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Osnabrück - 2. Kammer - vom 22. Dezember 2022 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 7.750 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die Androhung, nachfolgende Festsetzung und weitere Androhung eines Zwangsgelds zur Durchsetzung einer Beseitigungsanordnung bezüglich einer Überdachung für Lieferfahrzeuge.
Der Antragsteller ist laut Gewerberegister alleiniger Geschäftsführer der "A.-GmbH", die auf dem im Stadtgebiet der Antragsgegnerin gelegenen Betriebsgrundstück mit der postalischen Anschrift "E. -Straße F., G., H." (Flurstücke I., J., Flur K., Gemarkung A-Stadt) ein Textilgewerbe betreibt. Eigentümer dieses Grundstücks war seit dem Jahr 1991 der Antragsteller.
Im Jahr 2014 errichtete der Antragsteller auf dem Betriebsgrundstück eine grenzständige Überdachung für Lieferfahrzeuge, ohne eine Baugenehmigung zu beantragen. Mit Schreiben vom 14. Januar 2015 hörte die Antragsgegnerin den Antragsteller zum beabsichtigten Erlass einer Beseitigungsanordnung bezüglich der Überdachung an. Das Eigentum an dem Betriebsgrundstück ging ausweislich des Grundbuchs der A-Stadt nach Auflassung vom 23. Dezember 2014 und Eintragung vom 17. Februar 2015 auf die "A. (haftungsbeschränkt) & Co. KG" über.
Durch Bescheid vom 5. Mai 2015 ordnete die Antragsgegnerin gegenüber dem Antragsteller die Beseitigung der Überdachung an. Im Februar 2017 beantragte der Antragsteller einen Bauvorbescheid für eine Überdachung unter Einhaltung der Grenzabstände, den die Antragsgegnerin unter dem 28. August 2017 ablehnend beschied.
Sowohl gegen die Beseitigungsanordnung als auch gegen den ablehnenden Bauvorbescheid erhob der Antragsteller nach jeweils erfolglosem Widerspruchsverfahren Klage vor dem Verwaltungsgericht. In dem gegen die Beseitigungsanordnung gerichteten Klageverfahren schlossen die Beteiligten am 28. Februar 2018 einen Vergleich, nach dem sich der Antragsteller zu einem Rückbau der Überdachung entsprechend der Bauvoranfrage bis zum 31. März 2020 verpflichtete und die Antragsgegnerin unter anderem eine Aufhebung der Beseitigungsanordnung in Gestalt des Widerspruchsbescheides für den Fall des Rückbaus zusagte. Einen entsprechenden Rückbau nahm der Antragsteller innerhalb der Frist nicht vor.
Durch Bescheid vom 30. Juni 2022 drohte die Antragsgegnerin dem Antragsteller ein Zwangsgeld in Höhe von 7.000 € an, wenn er die Überdachung nicht bis zum 15. September 2022 beseitige. Durch weiteren Bescheid vom 29. September 2022 setzte die Antragsgegnerin gegen den Antragsteller ein Zwangsgeld in Höhe von 7.000 € fest und drohte ein Zwangsgeld in Höhe von 10.000 € für den Fall an, dass er der Beseitigung der Überdachung bis zum 20. November 2022 nicht nachkomme.
Gegen diese Bescheide erhob der Antragsteller am 29. Juli bzw. 28. Oktober 2022 Widerspruch und beantragte jeweils die Aussetzung der Vollziehung mit der Begründung, dass nicht er, sondern die "A. (haftungsbeschränkt) & Co. KG" Eigentümerin des Grundstücks sei und mangels einer gegenüber dieser ergangenen Beseitigungsverfügung ein Vollstreckungshindernis bestehe.
Durch Bescheide vom 15. November 2022 und vom 17. November 2022 wies die Antragsgegnerin die Widersprüche zurück und lehnte die Anträge auf Aussetzung der Vollziehung ab.
Den Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner gegen die Bescheide vom 30. Juni 2022 und vom 29. September 2022 erhobenen Klage hat das Verwaltungsgericht Osnabrück mit dem angegriffenen Beschluss vom 22. Dezember 2022 abgelehnt und ausgeführt, dass der Antragsteller sich aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Falles nach dem auch im öffentlichen Recht anzuwendenden Grundsatz von Treu und Glauben auf das vorgetragene Vollstreckungshindernis in Form eines möglicherweise fehlenden Einverständnisses der Gesellschaft nicht berufen könne. Im Rahmen der vorliegenden gesellschaftsrechtlichen Konstruktion habe der Antragsteller allein bestimmenden Einfluss auf die Grundstückseigentümerin. Zudem sei dem Antragsteller zum Zeitpunkt des Eigentumsübergangs an dem Grundstück im Februar 2015 ausweislich des Anhörungsschreibens vom 14. Januar 2015 die beabsichtigte Beseitigungsanordnung bekannt gewesen. Während des sich anschließenden Widerspruchs- und Klageverfahrens betreffend die Beseitigungsanordnung habe er die Antragsgegnerin nicht auf den Eigentumsübergang hingewiesen, sondern diesen vielmehr erst im Rahmen der Widerspruchsbegründung vom 28. Oktober 2022 gegen die streitbefangene Zwangsgeldfestsetzung geltend gemacht. Dieses Verhalten stelle sich als rechtsmissbräuchliche Ausnutzung einer formalen Rechtsposition dar.
II.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 22. Dezember 2022 hat keinen Erfolg. Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Änderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses.
Das Verwaltungsgericht hat zu Recht entschieden, dass der Antragsteller der auf § 70 Abs. 1 NVwVG i.V.m. § 64 Abs. 1, § 65 Abs. 1 Nr. 2, § 67 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, § 70 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 5 NPOG gestützten Zwangsgeldandrohung, Zwangsgeldfestsetzung und weiteren Zwangsgeldandrohung kein Vollstreckungshindernis entgegenhalten kann. Grundsätzlich liegt - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - ein Vollstreckungshindernis vor, wenn der Vollstreckungsschuldner einer ihm obliegenden Pflicht nicht nachkommen kann, ohne in die Rechte Dritter einzugreifen; in diesem Fall muss mindestens zeitgleich mit dem Beginn von Vollstreckungsmaßnahmen eine Duldungsverfügung gegenüber dem Dritten ergehen (Senatsbeschl. v. 24.5.1994 - 1 M 1066/94 -, BRS 56 Nr. 214 = NJW 1994, 3309 = juris Rn. 3 ff.; v. 6.5.2011 - 1 ME 14/11 -, BRS 78 Nr. 202 = NJW 2011, 2228 = juris Rn. 10; v. 16.11.2022 - 1 ME 106/22 -, BauR 2023, 194 = juris Rn. 8).
Zweck einer Duldungsverfügung ist es, einen am Grundstück berechtigten Dritten, der nicht der Adressat der bauaufsichtlichen Verfügung ist, von der zu vollstreckenden Verfügung in Kenntnis zu setzten und zugleich Vollstreckungshindernisse, die sich durch dessen Weigerung, die Vollstreckung hinzunehmen, ergeben könnten, rechtzeitig zu beseitigen (Senatsbeschl. v. 6.5.2011- 1 ME 14/11 -, BRS 78 Nr. 202 = NJW 2011, 2228 = juris Rn. 10). Als belastender Verwaltungsakt darf eine Duldungsverfügung allerdings nicht rein vorsorglich ausgesprochen werden, sondern erst dann, wenn sie tatsächlich erforderlich ist (HessVGH, Beschl. v. 15.9.1994 - 4 TH 655/94 -, BRS 56 Nr. 200 = MDR 1995, 575 = juris Ls. 2; OVG NRW, Beschl. v. 22.11.2013 - 2 A 923/13 -, BRS 81 Nr. 208 = BauR 2014, 1276-1277 = juris Rn. 19).
Da der Eigentumsübergang am Betriebsgrundstück bereits vor Erlass der nunmehr zu vollstreckenden Beseitigungsanordnung im Februar 2015 erfolgte, wirkt die Beseitigungsanordnung nicht unmittelbar gegenüber der Grundstückseigentümerin als Rechtsnachfolgerin (vgl. § 79 Abs. 1 Satz 5 NBauO und hierzu Senatsbeschl. v. 17.7.2014 - 1 ME 84/14 -, BRS 82 Nr. 208 = BauR 2014, 2079 = juris Rn. 8). An der Erforderlichkeit einer Duldungsverfügung fehlt es jedoch, weil der Antragsteller der alleinige Geschäftsführer der Grundstückseigentümerin, einer juristischen Person, und zugleich Adressat der bestandskräftigen Beseitigungsanordnung ist. Nach den vom Antragsteller nicht angegriffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts hat der Antragsteller allein bestimmenden Einfluss auf die Grundstückseigentümerin, da er Geschäftsführer der "L." ist. Diese wiederum ist Komplementärin der "M.". Die "M." ist im Jahr 2020 aus der im Grundbuch als Eigentümerin des Betriebsgrundstücks eingetragenen "A. (haftungsbeschränkt) & Co. KG" hervorgegangen. Ihr Geschäftsführer ist ebenfalls der Antragsteller. Einer Duldungsverfügung bedarf es in dieser Konstellation nicht, da die UG & Co. KG bzw. ihre Komplementärin, die UG, als juristische Personen einen der Zwangsvollstreckung entgegenstehenden Willen nur durch eine entsprechende Beschlussfassung ihres alleinigen Geschäftsführers bilden könnten. Hierbei handelt es sich um den Antragsteller. Für den Antragsteller steht jedoch aufgrund der gegenüber ihm persönlich als Bauherr im Sinne des § 52 Abs. 1 NBauO ergangenen, wirksamen, vollziehbaren - und daher zwingend zu befolgenden - Beseitigungsanordnung verbindlich fest, dass ein Handeln in Befolgung der Verfügung geboten ist. Ein etwaiger, der Vollstreckung tatsächlich entgegenstehender Wille des Antragstellers wird durch die bestandskräftige Verfügung überwunden, mithin kann er auch im Außenverhältnis für die allein durch ihn vertretenen juristischen Personen einen der Vollstreckung entgegenstehenden Willen nicht bilden.
Das Beschwerdevorbringen des Antragstellers, wonach ihm mangels rechtsmissbräuchlichen Verhaltens nicht nach dem Grundsatz von Treu und Glauben verwehrt werden könne, sich auf die Erforderlichkeit einer Duldungsverfügung zu berufen, rechtfertigt eine Änderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts nicht, da es nach den obigen Ausführungen nicht entscheidungserheblich ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung, die der Streitwertannahme des Verwaltungsgerichts entspricht, folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 17 b), Nr. 12 b) und d) der Streitwertannahmen des Senats (NdsVBl. 2021, 247).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).