Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 17.03.2023, Az.: 14 ME 27/23

Anspruchserfüllung; Betreuungsplatz; Entfernung; Zumutbarkeit; Zumutbarkeit der Annahme eines nachgewiesenen Betreuungsplatzes (Einzelfall)

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
17.03.2023
Aktenzeichen
14 ME 27/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 13064
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2023:0317.14ME27.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Osnabrück - 22.02.2023 - AZ: 4 B 6/23

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Osnabrück - 4. Kammer - vom 22. Februar 2023 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Beschwerde richtet sich gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem dieses es abgelehnt hat, dem Antragsteller im Wege einer einstweiligen Anordnung einen Platz in einer Kindertageseinrichtung oder einer Kindertagespflege ab dem 21. März 2023, im Umfang von sieben Stunden täglich, im wöchentlichen Zeitraum von Montag bis Freitag, im täglichen Zeitraum zwischen 7.00 Uhr und 16.00 Uhr, wohnortnah (d.h. maximal eine Nachbargemeinde entfernt) zu seiner Adresse zuzuweisen. Der Antragsteller hat seine Beschwerde unmittelbar bei ihrer Einlegung begründet und mit Blick auf seinen Geburtstag am 21. März 2023 um eine zeitnahe Entscheidung gebeten.

1. Die Beschwerde ist zulässig. Entgegen der Darstellung des Antragsgegners hat der Antragsteller die Beschwerde durch seinen Prozessbevollmächtigten (auch) als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55d Abs. 1, 55a Abs. 2 und 4 VwGO, nämlich über das besondere elektronische Anwaltspostfach, eingereicht. Eine Vollmacht liegt ebenfalls vor. Der Senat teilt auch nicht die Auffassung des Antragsgegners, dass die Beschwerdeschrift den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO so wenig entspricht, dass die Beschwerde nach § 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO als unzulässig zu verwerfen wäre. Abgesehen davon hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 13. März 2023 innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist ergänzend vorgetragen.

2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Auch unter Berücksichtigung der von dem Antragsteller im Beschwerdeverfahren angeführten und vom Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfenden Gründe ist nicht ersichtlich, dass das Verwaltungsgericht dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hätte stattgeben müssen. Das Verwaltungsgericht hat nach derzeitiger Einschätzung vielmehr zu Recht angenommen, dass der Antragsteller zwar gegenüber dem Antragsgegner aus § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII grundsätzlich einen Anspruch auf Nachweis eines bedarfsgerechten Betreuungsplatzes ab Vollendung seines ersten Lebensjahres und damit ab dem 21. März 2023 hat, der Antragsgegner den Rechtsanspruch des Antragstellers aber bereits dadurch erfüllt hat, dass er über das Familienbüro der Gemeinde A-Stadt dem Antragsteller am 31. Januar 2023 per E-Mail einen Platz in der Kindertagespflege bei einer Tagesmutter in C. am D. nachgewiesen hat. Der Senat macht sich die zutreffenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts in dem angefochtenen Beschluss zu eigen und verweist auf sie (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).

Im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen ist Folgendes zu vertiefen bzw. zu ergänzen:

a) Anders als der Antragsteller meint, scheidet der Betreuungsplatz in C. am D. nicht "schon auf Tatbestandsebene aus". Das Verwaltungsgericht hat in rechtlich nicht zu beanstandender Weise angenommen, dass eine "ortsnahe" Betreuung nicht zwingend einen Betreuungsplatz in der Wohnortgemeinde oder in einer Nachbargemeinde voraussetzt. Soweit der Antragsteller geltend macht, seine Eltern hätten mittlerweile ermitteln können, dass in der Nachbargemeinde E. ein Krippenplatz verfügbar sei, der Platz jedoch von der Gemeinde nicht freigegeben, sondern für E. Einwohner vorbehalten werde, trifft dies nicht zu. Der Antragsgegner hat erläutert, dass es zwar einen freien Platz gebe, es sich hierbei allerdings um einen Integrationsplatz handle und eine Nachfrage nach Integrationsplätzen bei ihm tatsächlich bestehe, überdies werde ein Kind mit Integrationsbedarf nach E. zuziehen. Insofern ist es nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner diesen Platz nicht vorrangig an den Antragsteller vergeben, sondern diesen auf den Betreuungsplatz in C. am D. verwiesen hat.

b) Das Verwaltungsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung unter Anlegung nicht zu beanstandender Maßstäbe und in zutreffender Würdigung der ober- und höchstrichterlichen Rechtsprechung die Umstände des Einzelfalles betrachtet. Auf dieser Grundlage hat es ausführlich dargelegt (S. 5 ff. des Entscheidungsabdrucks), warum die Annahme des Betreuungsplatzes in C. am D. auch angesichts der Entfernung zum Wohnort des Antragstellers nicht unzumutbar ist.

Den Ausführungen des Antragstellers im Beschwerdeverfahren vermag der Senat nichts zu entnehmen, was einen gegenteiligen Schluss zulassen würde. Das Verwaltungsgericht ist in seiner Entscheidung auf sämtliche von dem Antragsteller genannten Gesichtspunkte eingegangen und hat diese zutreffend im Rahmen einer Einzelfallbetrachtung abgewogen. Der Antragsteller führt in seiner Beschwerdebegründung vom 3. März 2023 keine durchgreifend neuen Gesichtspunkte an, insbesondere entspricht seine Aufzählung der Gründe für eine Unzumutbarkeit nahezu wörtlich derjenigen im Schriftsatz vom 20. Februar 2023 und lässt eine Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts vermissen. Lediglich zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass das Verwaltungsgericht auf Seite 7 des Entscheidungsabdrucks mit "Gesamtfahrzeit" ersichtlich die für eine Strecke (zum Betreuungsplatz und anschließend zur Arbeit bzw. nach Hause) erforderliche Fahrzeit meint; dies entspricht auch den Ausführungen des beschließenden Gerichts im Beschluss vom 24. Juli 2019 (10 ME 154/19 -, juris Rn. 11). Anzumerken ist außerdem, dass die von dem Antragsteller angedeutete Gehörsverletzung nicht vorliegt. Der gerichtliche Hinweis in der Verfügung vom 2. Februar 2023, es komme nicht auf die berufliche Situation der Eltern an, bezog sich erkennbar nur auf die Frage der Erforderlichkeit der Betreuung. Unbeschadet dessen würde eine Gehörsverletzung für sich genommen der Beschwerde ohnehin nicht zum Erfolg verhelfen. Der Antragsteller hatte im Beschwerdeverfahren hinreichend Gelegenheit, vertiefend zur beruflichen Situation insbesondere seines Vaters vorzutragen.

Auch die ergänzenden Ausführungen im Schriftsatz vom 13. März 2023 verhelfen der Beschwerde nicht zum Erfolg. Das gilt zunächst hinsichtlich des Vortrags zu den Fahrzeiten. Insbesondere vermag der Senat den vorgelegten Auszügen aus Google Maps nicht zu entnehmen, dass die regelmäßige Fahrtzeit tatsächlich mit 40 Minuten zu veranschlagen ist. Schon aus den Auszügen ergibt sich lediglich eine geschätzte Zeit von 28 bis 40 Minuten. Der Senat hält diese Fahrzeiten im Übrigen in diesem Einzelfall für noch zumutbar. Dabei stellt er - wie schon das Verwaltungsgericht - zum einen maßgeblich in die Betrachtung mit ein, dass der Antragsteller den Betreuungsplatz in C. am D. nur für den Zeitraum bis zum 1. August 2023 wird in Anspruch nehmen müssen, weil ihm - wie vom Antragsgegner in der Beschwerdeerwiderung ausdrücklich bestätigt - danach ein Platz in einer Kindertageseinrichtung am Wohnort angeboten werden kann. Zum anderen berücksichtigt der Senat, dass trotz der Hinweise in dem angefochtenen Beschluss und in der Beschwerdeerwiderung nach wie vor nicht nachvollziehbar vorgetragen, geschweige denn glaubhaft gemacht ist, warum der Vater des Antragstellers die Fahrten zu der angebotenen Betreuungsstätte noch nicht einmal teilweise übernehmen kann. Zur Arbeitsstätte oder zu den Arbeitsbedingungen des Vaters wird, obwohl erkennbar Anlass dazu bestanden hätte, nichts vorgetragen. Der Hinweis darauf, dass sein Vater in Vollzeit berufstätig ist, reicht allein nicht. Ebenfalls schon nicht substantiiert vorgetragen hat der Antragsteller, dass sich die Fahrten nicht mit der Betreuung seiner siebenjährigen Schwester vereinbaren lassen. Hier fehlt es bereits an näheren Angaben dazu, wo sich die Grundschule der Schwester befindet. Außerdem lässt sich ohne nähere Erläuterung nicht nachvollziehen, warum die Fahrten nicht insgesamt aufeinander abgestimmt werden können. Dass dem Antragsteller selbst die Fahrten von und nach C. am D. nicht zumutbar sein könnten, sieht der Senat schließlich - wie das Verwaltungsgericht - unter Würdigung sämtlicher Umstände ebenfalls nicht. Eine Unzumutbarkeit lässt sich - anders als der Antragsteller meint - auch nicht aus dem Erfordernis eines künftigen Wechsels der Betreuungsstätte herleiten.

Da der Senat den Betreuungsplatz in C. am D. unter den dargelegten Umständen mithin als zumutbar ansieht, kommt es auf das Vorbringen des Antragsgegners in seinem Schriftsatz vom heutigen Tage nicht an.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).