Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 29.03.2023, Az.: 14 PA 355/22

Geeignetheit einer Pflegeperson; Hilfe zur Erziehung; Vollzeitpflege; Zur Geeignetheit von Pflegepersonen i.S.d. §§ 27, 33 SGB VIII

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
29.03.2023
Aktenzeichen
14 PA 355/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 14076
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2023:0329.14PA355.22.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Lüneburg - 15.11.2022 - AZ: 4 A 193/21

Fundstellen

  • FamRZ 2024, 122
  • NJW 2023, 1529-1530 "Beurteilungsspielraum des Jugendamtes"

Amtlicher Leitsatz

Dem Jugendamt steht bei der Frage der Geeignetheit von Pflegepersonen i.S.d. §§ 27, 33 SGB VIII ein Beurteilungsspielraum zu, der nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar ist.

Tenor:

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 4. Kammer - vom 15. November 2022 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe

Die Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung des erstinstanzlichen Klageverfahrens ist nicht begründet.

Das Verwaltungsgericht hat die beantragte Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussicht der Klage i.S.d. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu Recht verneint.

Hinreichende Aussicht auf Erfolg bedeutet bei einer an Art. 3 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG orientierten Auslegung des Begriffs einerseits, dass Prozesskostenhilfe nicht erst dann bewilligt werden darf, wenn der Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung gewiss ist, andererseits aber auch, dass Prozesskostenhilfe zu versagen ist, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (BVerfG, Beschl. v. 13.3.1990 - 2 BvR 94/88 -, juris Rn. 26).

Letzteres ist hier der Fall. Die vorliegende Klage hat eine allenfalls entfernte Erfolgschance. Die ablehnende Entscheidung des Beklagten über die von der Klägerin begehrte Hilfe zur Erziehung für ihre Tochter Leni Sofie in Form der Vollzeitpflege durch deren Großmutter, Frau Hannelore A., ist voraussichtlich nicht zu beanstanden.

§ 27 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII gewährt dem Personensorgeberechtigten bei der Erziehung eines Kindes oder Jugendlichen einen Anspruch auf Hilfe zur Erziehung, wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist. Hilfe zur Erziehung wird insbesondere nach Maßgabe der §§ 28 bis 35 SGB VIII gewährt (§ 27 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII). Nach § 33 Satz 1 SGB VIII soll Hilfe zur Erziehung in Gestalt der Vollzeitpflege Kindern oder Jugendlichen unter anderem entsprechend den Möglichkeiten der Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie in einer anderen Familie eine zeitlich befristete Erziehungshilfe oder eine auf Dauer angelegte Lebensform bieten.

Voraussetzung für die Gewährung von Hilfe zur Erziehung ist, dass diese ein geeignetes Mittel darstellt, das Erziehungsdefizit zu beheben. Dabei ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Geeignetheit nicht nur allgemein, sondern auch im Hinblick auf die konkrete Form der Hilfe zur Erziehung - hier der in Rede stehenden Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII) - zu überprüfen. Eine Vollzeitpflege durch Großeltern kann nur dann ein geeignetes Mittel zum Ausgleich eines Erziehungsdefizits sein, wenn die Großeltern ihrerseits als Pflegepersonen geeignet sind. Zur Geeignetheit im Sinne von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII gehört also auch, dass die Pflegepersonen zum einen eine dem Wohl des Kindes entsprechende Erziehung gewährleisten können und sich zum anderen auf die Kooperation mit dem Jugendamt einlassen und gegebenenfalls zur Annahme unterstützender Leistungen bereit sind. Dies folgt auch ausdrücklich aus § 27 Abs. 2a Halbs. 2 SGB VIII, wonach die Person geeignet und bereit sein muss, den Hilfebedarf in Zusammenarbeit mit dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe zu decken. Großeltern - wie die Mutter der Klägerin - bedürfen zwar keiner Pflegeerlaubnis (§ 44 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB VIII); ihre persönliche Eignung ist jedoch anhand der Vorgaben des § 44 Abs. 2 SGB VIII und damit insbesondere daran zu messen, ob das Kindeswohl in der Pflegestelle gewährleistet ist (BVerwG, Urt. v. 9.12.2014 - 5 C 32.13 -, juris Rn. 19).

Hinsichtlich der Frage der Geeignetheit von Pflegepersonen i.S.d. §§ 27, 33 SGB VIII steht dem Jugendamt ein Beurteilungsspielraum zu, der nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar ist, da es sich bei der Entscheidung über die Notwendigkeit und Geeignetheit der Hilfe um das Ergebnis eines kooperativen pädagogischen Entscheidungsprozesses unter Mitwirkung mehrerer Fachkräfte handelt, welcher nicht den Anspruch objektiver Richtigkeit erhebt, jedoch eine angemessene Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation enthält, die fachlich vertretbar und nachvollziehbar sein muss. Die verwaltungsgerichtliche Überprüfung hat sich deshalb grundsätzlich darauf zu beschränken, ob allgemein gültige fachliche und rechtliche Maßstäbe beachtet worden sind, ob keine sachfremden Erwägungen eingeflossen sind und die Leistungsadressaten in umfassender Weise beteiligt wurden (vgl. OVG LSA, Urt. v. 22.11.2022 - 4 L 277/21 -, juris Rn. 40 m.w.N.; BayVGH, Beschl. v. 18.11.2020 - 12 ZB 20.152 -, juris Rn. 5 und Beschl. v. 30.6.2016 - 12 C 16.1162 -, juris Rn. 28; SächsOVG, Beschl. v. 30.9.2019 - 3 A 581/19 -, juris Rn. 12; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 9.12.2014 - 5 C 32.13 -, juris Rn. 19, 30 und Urt. v. 18.12.2012 - 5 C 21.11 -, juris Rn. 30 ff.; Nellissen in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl., § 33 SGB VIII (Stand: 3.3.2023), Rn. 77; Stähr in: Hauck/Noftz SGB VIII, §?27 Hilfe zur Erziehung, Rn. 29).

Nach Maßgabe dessen ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass der Beklagte seinen Beurteilungsspielraum im Hinblick auf die zwischen den Beteiligten allein streitige Frage, ob Frau C.. als Pflegeperson geeignet ist, nicht überschritten hat. Das Verwaltungsgericht hat ausführlich darlegt, aus welchen Gründen die wirtschaftlichen und räumlichen Verhältnisse sowie die weiteren Lebensumstände der Großmutter einer Inpflegenahme des Kindes entgegenstehen. Der Senat macht sich die entsprechenden Erwägungen des angefochtenen Beschlusses zu eigen und verweist auf sie (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).

Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Entscheidung. Die Klägerin rügt, dass der Beklagte bislang nur pauschale und formelhafte Ausführungen gemacht habe, die den konkreten Bezug zu Gesprächen vermissen ließen, und dass beispielsweise die Angabe, die finanzielle Situation der Großmutter sei problematisch, völlig unsubstantiiert sei. Es sei bereits mit Schriftsätzen vom 21. Oktober 2022 und 15. November 2022 wiederholt darauf hingewiesen worden, dass bislang keine tragfähige Entscheidungsgrundlage ersichtlich sei. Nachdem das Verwaltungsgericht mit Hinweis vom 7. Oktober 2022 (gemeint ist wohl der 7. September 2022) ausführlich dargelegt habe, aus welchen Gründen die Entscheidung des Beklagten nicht ausreichend begründet sei, habe es in Ansehung des Schriftsatzes des Beklagten vom 7. Oktober 2022 seine Rechtsauffassung geändert. Der Schriftsatz des Beklagten habe den gerichtlichen Hinweis jedoch nicht ausreichend beantwortet; in diesem ließen sich keine nachvollziehbar plausiblen Argumente für seine Entscheidung finden. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts sei daher falsch.

Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, die nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht zu begründen.

Der Beklagte ist seiner Darlegungslast entgegen der Auffassung der Klägerin nachgekommen. Er hat in ausreichendem Maße und hinreichend substantiiert erklärt, aus welchen Gründen er die Eignung der Großmutter als Pflegeperson für die Tochter der Klägerin nicht für gegeben hält. So ist in dem streitgegenständlichen Bescheid vom 25. März 2021 ausgeführt, dass die Großmutter des Kindes nach der Pflegestellenprüfung aufgrund ihrer finanziellen Verhältnisse, der fehlenden gesundheitlichen Eignung des Großvaters sowie der Wohnverhältnisse der Familie nicht geeignet sei, eine Hilfe zur Erziehung nach § 33 SGB VIII zu leisten. Mit Schreiben vom 1. Juli 2021 hat der Beklagte zur weiteren Begründung dieser Auffassung auf die beigefügte Stellungnahme des Pflegekinderdienstes vom 10. Juni 2021 verwiesen. Diese enthält inhaltliche Darlegungen zu der Erziehungsfähigkeit der Großmutter, deren Vorhaben, zeitnah auf einen Campingplatz ziehen zu wollen, ihrer Beziehung zu der Klägerin, der gesundheitlichen Situation ihres Ehemannes - dem Großvater des Kindes - und schließlich auch zu ihren finanziellen Verhältnissen.

Aus der Stellungnahme des Pflegekinderdienstes geht unter anderem hervor, dass die Großmutter offen benannt habe, wegen einer früheren selbstständigen Tätigkeit verschuldet zu sein. Sie habe darum gebeten, das Pflegegeld auf das Konto ihres Sohnes zu überweisen, um eine Pfändung zu vermeiden. Erklärungen, dass Geldleistungen zur Sicherung des Unterhaltes des Kindes nicht gepfändet würden, habe sie nicht annehmen können. Ihr sei geraten worden, Sozialleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes des Kindes zu beantragen; letzteres auch vor dem Hintergrund, dass sie erklärt habe, dass es ihr gar nicht darum gehe, eine Hilfe zur Erziehung zu leisten, sondern sie wolle, dass der Unterhalt des Kindes sichergestellt sei. Vor diesem Hintergrund vermag der Senat den Vortrag der Klägerin, die Ausführungen des Beklagten seien pauschal und ließen den konkreten Bezug zu Gesprächen vermissen, nicht nachzuvollziehen. Entgegen der Auffassung der Klägerin sind die dargelegten Umstände auch aktenkundig. So geht bereits aus der Pflegestellenprüfung vom 10. Juni 2020 hervor, dass die Großeltern ihr Einkommen über die Rente beziehen. Diese reiche allerdings nicht für die Betreuung und die Bedarfe des Kindes aus, sodass sie abhängig vom Pflegegeld seien. Zudem enthält ein handschriftlicher Vermerk in der Akte des Pflegekinderdienstes zu dem Gespräch mit der Großmutter des Kindes vom 24. Juni 2020 Notizen zu einem "P-Konto" und einem "Konto vom Sohn"; das "Pflegegeld werde sonst gepfändet".

Nichts anderes gilt auch für die weiteren von dem Beklagten angeführten Gründe, die Geeignetheit der Großmutter als Pflegeperson i.S.d. §§ 27, 33 SGB VIII abzulehnen. Der Stellungnahme des Pflegekinderdienstes vom 10. Juni 2021, auf die der Beklagte ausdrücklich Bezug nimmt, lässt sich unter anderem entnehmen, dass die Großmutter wiederholt betont habe, zeitnah auf einen Campingplatz ziehen zu wollen, was den räumlichen Anforderungen, welche an Pflegeeltern gestellt würden, nicht genüge. Die Wohnverhältnisse der Großmutter wurden ausweislich der Akte des Pflegekinderdienstes auch bereits vor der Entscheidung des Beklagten thematisiert. Aus dem Beratungsprotokoll vom 9. März 2020 ist ersichtlich, dass schon zu diesem Zeitpunkt mit der Großmutter erörtert wurde, dass der beabsichtigte Umzug auf den Campingplatz einer Inpflegenahme des Kindes entgegenstehe. Auch in der Pflegestellenprüfung vom 10. Juni 2020 sind Ausführungen zu der Wohnsituation der Großeltern enthalten. Hinweise auf einen beabsichtigten Umzug auf den Campingplatz finden sich schließlich auch in den handschriftlichen Aktenvermerken zum persönlichen Gespräch vom 10. Juni 2020.

Die Stellungnahme des Pflegekinderdienstes enthält darüber hinaus auch Ausführungen zu einem zu befürchtenden Rollenkonflikt der Großmutter, da diese zugleich die gesetzliche Betreuerin der Klägerin ist, zu dem gescheiterten Pflegeverhältnis mit einer anderen Enkelin und zu dem Gesundheitszustand des Großvaters unter Verweis auf das ärztliche Gutachten vom 17. Juni 2020, welches ebenfalls in der Akte des Pflegekinderdienstes enthalten ist.

Die Gründe für die Ablehnung wurden ausweislich der Stellungnahme des Pflegekinderdienstes schließlich auch in einem Abschlussgespräch mit der Großmutter des Kindes erörtert.

Die damit von dem Beklagten hinreichend dargelegten Bedenken an der Geeignetheit der Großmutter als Pflegeperson hat die Klägerin bislang nicht ausgeräumt. Sie hat die Ausführungen des Beklagten weder ausdrücklich bestritten noch ist sie ihnen inhaltlich entgegengetreten. Dies wäre ihr aber vor dem Hintergrund, dass die tragenden Gründe für die Entscheidung des Beklagten spätestens mit dessen Klageerwiderung vom 1. Juli 2021 hinreichend dargelegt waren, ohne Weiteres möglich gewesen.

Soweit die Klägerin darauf verweist, dass sich in der Stellungnahme vom 7. Oktober 2022 keine plausiblen Argumente für die Entscheidung des Beklagten finden ließen, kommt es hierauf nicht an. Die von dem Verwaltungsgericht zutreffend dargelegten Gründe lagen bereits zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife über den Antrag auf Prozesskostenhilfe und damit vor dem Schriftsatz vom 7. Oktober 2022 vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Gerichtskosten werden gemäß § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben.

Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO werden die Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht erstattet.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).