Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 20.11.2019, Az.: 1 ME 117/19

Abwägungsergebnis; Baulinie; Befreiung; Gebot der Rücksichtnahme; Grenzabstand; Rücksichtnahmegebot; Sachverständiger, Ablehnung des

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
20.11.2019
Aktenzeichen
1 ME 117/19
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 69837
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 03.09.2019 - AZ: 2 B 16/19

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Festsetzung einer Baulinie, die ein Bestandsgebäude gedanklich zerschneidet, stellt keinen Fehler im Abwägungsergebnis dar, wenn der Gebäudeeigentümer dagegen im Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung keine Einwendungen erhoben hat.

Gleiches gilt für die Reduktion des Grenzabstandes gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2a BauGB auf 0,125 H in Kerngebieten.

Hat die planende Gemeinde an einer einzelnen Stelle im Plangebiet eine erhebliche Reduktion des gesetzlichen Grenzabstands in der Erwartung festgesetzt, diese werde auch ausgeschöpft werden, so ist für die Annahme eines Verstoßes gegen das Rücksichtnahmegebot wegen einer durch die Ausnutzung dieser Festsetzung bedingten Verschattung des Nachbargebäudes regelmäßig kein Raum.

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Osnabrück - 2. Kammer - vom 3. September 2019 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 25.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin wendet sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Errichtung eines sechsgeschossigen Gebäudes südlich ihres Geschäftshauses. Sie sieht Grenzabstände sowie das Gebot der Rücksichtnahme verletzt.

Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks Große E. 94-95/F. 7 im Stadtgebiet der Antragsgegnerin. Das Grundstück ist östlich von der Großen E., westlich von der Großen G. straße und südlich bislang vom Platz F. begrenzt; nördlich schließt sich Bebauung in geschlossener Bauweise an. Das Grundstück ist mit einem 29,35 m hohen Geschäftshaus (sechs Stockwerke zzgl. Dachgeschoss) bebaut, das in den unteren Etagen die Verkaufsräume einer Bekleidungskette, in den oberen Etagen Büros enthält. Das Gebäude kragt vom 1. bis zum 6. Obergeschoss um 1,32 m über die südliche Grundstücksgrenze aus, an einer Stelle ist stattdessen ein 4,45 m breiter, bis zum 2. Obergeschoss reichender Vorbau auf die Grundstücksgrenze gebaut; im sechsten Obergeschoss kragt ein Balkon nochmals vor die Fassade aus. Die Antragstellerin hat das Grundstück mit Kaufvertrag vom 29.9.2014 von der H. Grundstücksgesellschaft mbH & Co. KG erworben.

Das Antragstellergrundstück und der F. liegen im Geltungsbereich des am 8.8.2014 in Kraft getretenen Bebauungsplans Nr. 525 „F.“ der Antragsgegnerin. Für das Antragstellergrundstück setzt dieser ein Kerngebiet MK 2 mit u.a. einer Geschossflächenzahl (GFZ) von 6,0 und einer zulässigen Gebäudehöhe von 93,5 m über NHN fest. Auf der südlichen, östlichen und westlichen Grundstücksgrenze verläuft eine Baulinie. Südlich des Grundstücks ist eine 7,5 m breite öffentliche Verkehrsfläche mit besonderer Zweckbestimmung: Fußgängerbereich festgesetzt. Südlich dieser Fläche liegt das bislang zum Straßenraum des F. gehörende Vorhabengrundstück, das als MK 5 mit einer GRZ von 1,0, einer GFZ von 6,0, fünf- bis sechsgeschossiger Bauweise und einer Gebäudehöhe von 89,0 m über NHN und Baulinien an der nördlichen, östlichen und westlichen Grenze festgesetzt ist. Die textliche Festsetzung Nr. 5 sieht Ausnahmemöglichkeiten von der Gebäudehöhe für technische Dachaufbauten u.ä. vor, die textliche Festsetzung Nr. 6 reduziert den Grenzabstand zwischen den Baugebieten MK 2 und MK 5 auf 0,125 H mindestens jedoch 3 m, wobei benachbarte Verkehrsflächen öffentlicher Straßen bis zur Mittellinie anrechnungsfähig seien.

Am 1.11.2018 erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen die streitgegenständliche Baugenehmigung nebst mehreren erforderlichen Befreiungen für ein sechsgeschossiges Geschäftshaus auf dem Vorhabengrundstück. Die Nordseite des Gebäudes soll auf der Nordgrenze des Grundstücks, etwa in gleicher Breite wie das Antragstellergebäude, errichtet werden und eine Höhe von bis zu 89,71 m über NHN aufweisen. Dachaufbauten sollen eine Höhe von bis zu 28,93 m aufweisen. Im Südwesten und Südosten soll das Gebäude – was der Plan zulässt – ab dem 2. OG erheblich über die Grundstücksgrenze auskragen. Die Geschossflächenzahl soll 7,61 betragen, was der zugelassenen sechsgeschossigen Bebauung auf dem gesamten Baugrundstück zuzüglich des Überbaus im Südwesten und Südosten entspricht.

Den nach erfolglosem Aussetzungsantrag gestellten Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres fristgerecht erhobenen Widerspruchs hat das Verwaltungsgericht mit dem hier angegriffenen Beschluss abgelehnt und zur Begründung ausgeführt: Der Antrag sei zulässig, aber unbegründet. Die Baugenehmigung verletze bei summarischer Prüfung keine Grenzabstandsvorschriften. Die im Bebauungsplan Nr. 525 festgesetzte Reduktion der Grenzabstände sei wirksam. Sie finde ihre Rechtsgrundlage in § 9 Abs. 1 Nr. 2a BauGB. Die Vorschrift erfordere eine besondere städtebauliche Rechtfertigung, die die Antragsgegnerin indes in der Planbegründung benannt habe; es gehe darum, dem Stadtplatz seine ursprüngliche Begrenzung wiederzugeben und zugleich östlich davon einen klar gefassten Stadtraum zu schaffen, wofür im MK 5 ein dominanter Baukörper geschaffen werden solle. Da die historisch belegte Gasse zwischen den Kerngebieten MK 2 und MK 5 nicht ausreichend breit sei, um die bauordnungsrechtlich erforderlichen Grenzabstände einzuhalten, sei es angesichts der städtebaulichen Situation in einer stark verdichteten innerstädtischen Lage erforderlich, geringere Tiefen der Abstandsflächen festzusetzen. Ob diese Gründe hinreichendes Gewicht hätten, entgegenstehende Belange zurückzudrängen, sei eine Frage der Abwägung, die nach Ablauf der Jahresfrist des § 215 Abs. 1 BauGB nur noch auf Fehler im Abwägungsergebnis überprüfbar sei. Solche lägen nicht vor. Die Planung zweier Kerngebiete für sechsgeschossige Gebäude in einem Abstand von nur 7,50 m bewege sich nicht gänzlich außerhalb jeder möglichen städtebaulichen Rechtfertigung; auch für die vorliegende Situation sei dies nicht auszuschließen. Ein Fehler im Abwägungsergebnis liege nicht darin, dass die festgesetzten Baulinien nicht deren Überschreitung durch den Bestandsbau der Antragstellerin berücksichtigten: Dem Plangeber sei es gestattet, für die Zukunft weniger als die vorhandene Bebauung zuzulassen. Daher sei unbedenklich, dass der Abstand von 7,50 m zwischen den Baugebieten MK 2 und MK 5 teilweise in den bislang vom Antragstellergebäude überbauten Bereich hineinreiche.

Die im mithin wirksamen Plan festgesetzten Grenzabstände würden eingehalten; zur Mitte der nördlich des Vorhabengrundstücks gelegenen Verkehrsfläche betrügen sie mehr als 3 m bzw. 0,125 H, wenn man die Verkehrsfläche nach den Grundstücksgrenzen bemesse. Wenn man die Fläche unter dem legalisierten Überbau der Antragstellerin ab dem 1. OG unberücksichtigt lasse, werde der Grenzabstand an einem Punkt unterschritten. Darauf könne sich die Antragstellerin aber nicht berufen, weil sie selbst Grenzabstände in vergleichbarer Weise unterschreite.

Brandschutzrechtliche Bedenken gegen das Vorhaben bestünden nicht. Die Abstandsvorschriften der NBauO dienten nicht dem Brandschutz, die spezifisch brandschutzrechtlichen Vorgaben der NBauO und DVO-NBauO seien eingehalten. Der Abstand von mindestens 5 m nach § 8 Abs. 1 DVO-NBauO werde nur vom Balkon im 6. OG des Antragstellergebäudes nicht eingehalten, gelte aber nur zwischen Gebäudeabschlusswänden. Im Übrigen habe auch eine Nachfrage des Gerichts beim Brandschutzgutachter Dipl.-Ing. I. ergeben, dass dieser eine Brandbeaufschlagung im Bereich des Balkons für ausgeschlossen halte.

Ob durch die Erteilung der zahlreichen Befreiungen und der Ausnahme Nachbarrechte verletzt würden, bedürfe einer vertieften Prüfung im Hauptsacheverfahren. Die Maßfestsetzungen, von denen abgewichen würde, seien weder per se, infolge einer Schicksalsgemeinschaft der Grundeigentümer, noch nach der aus der Planbegründung erkennbaren Intention des Plangebers nachbarschützend. Die Antragstellerin könne sich daher nicht auf eine Verletzung rein objektiv-rechtlicher Vorschriften bei der Erteilung der Ausnahmen und Befreiungen – etwa der Grundzüge der Planung –, sondern nur auf einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme berufen. Die bloße Anzahl der Befreiungen verletze dieses nicht ohne weiteres. Die Masse des Vorhabens übe keine erdrückende Wirkung auf das – innenstädtische und selbst mindestens gleich große – Gebäude der Antragstellerin aus. Wertminderungen als solche seien kein Maßstab für die Zumutbarkeit einer Ausnutzung des Nachbargrundstücks. Ob eine erdrückende Wirkung und damit ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme aus einer Zusammenschau dieser Faktoren folge, vermöge das Gericht im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht abschließend zu beurteilen; hierzu fehle es insbesondere an Kenntnissen zum Umfang der Verschattungswirkung, zur Art der Geschäftsnutzung in den Obergeschossen des Antragstellergebäudes und zu sonstigen auf die Helligkeit innerhalb des Gebäudes einwirkenden Faktoren. Auch die Frage der ausreichenden Belüftungsmöglichkeit hänge von weiteren Informationen ab. Da insoweit nichts Überwiegendes für eine Rechtsverletzung der Antragstellerin spreche, gehe die im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entscheidende Interessenabwägung zu ihren Lasten aus. Eine Rechtsverletzung folge weder aus einer fehlenden Sicherung notwendiger PKW-Einstellplätze - die keine Nachbarrechte berühre und zudem in einer Nachtragsgenehmigung vom 28.3.2019 geregelt sei -, noch aus fehlender Bestimmtheit der Baugenehmigung.

II.

Die dagegen gerichtete Beschwerde, auf deren fristgerecht, d.h. mit dem Schriftsatz vom 2.10.2019, vorgetragene Gründe sich die Prüfung des Senats gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt, hat keinen Erfolg.

1. Das Beschwerdevorbringen der Antragstellerin zeigt keinen zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans Nr. 525 „F.“ führenden Abwägungsfehler auf, namentlich nicht mit Blick auf die Bestandsbebauung auf ihrem Grundstück nebst zugehörigem Überbau. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, liegt ein nach § 215 Abs. 1 BauGB allein noch beachtlicher Fehler im Abwägungsergebnis lediglich dann vor, wenn die getroffenen Festsetzungen so schlechthin, mit keiner Begründung, hätten abwägungsfehlerfrei beschlossen werden können. Vortrag der Antragstellerin dahingehend, die Antragsgegnerin habe dies oder jenes nicht hinreichend ermittelt (1.9 der Beschwerdebegründung), diese oder jene Wirkung ihrer Festsetzungen bzw. Vorgaben des Grenzabstandsrechts verkannt (1.5, 1.6) bzw. bestimmte, vom Verwaltungsgericht als mögliche Rechtfertigung einer Festsetzung in Betracht gezogene Ziele selbst nicht geltend gemacht (1.3 a.E.), sind vor diesem Hintergrund nicht geeignet, einen noch beachtlichen Abwägungsfehler aufzuzeigen.

Ein Fehler im Abwägungsergebnis könnte zwar vorliegen, wenn die Festsetzung einer Baulinie auf der Südgrenze des Grundstücks der Antragstellerin ohne Überbaumöglichkeit in den Obergeschossen – d.h. im Bereich des Vorbaus sowie ab einer Höhe von 2,80 m unter gedanklicher Zerschneidung des vorhandenen Gebäudes – eine Abwägungsdisproportionalität zwischen dem Eigentumsrecht an ihrem Gebäude (das auch den Überbau umfasst, BGH, Urt. v. 16.1.2004 – V ZR 243/03 –, NJW 2004, 1237 = juris Rn. 10 m.w.N.) und den für die Baulinie sprechenden Belangen darstellte (1.2., 1.3). Das ist allerdings nicht der Fall. Das vorhandene Gebäude genießt Bestandsschutz, so dass die Baulinie lediglich die Möglichkeiten des Eigentümers zu dessen künftiger Umgestaltung beschränkt. Dieser Beschränkung musste die Antragsgegnerin in der Abwägung nur geringes Gewicht beimessen. Abwägungserheblich sind nämlich lediglich Belange, die für den Plangeber erkennbar sind; das sind grundsätzlich nur solche, die entweder von den Betroffenen in der Öffentlichkeitsbeteiligung vorgetragen wurden oder sich der Gemeinde aufdrängen mussten (st. Rspr. seit BVerwG, Beschl. v. 9.11.1979 – 4 N 1.78 u.a. – BVerwGE 49, 87 [BVerwG 24.07.1975 - BVerwG V C 22.74] = juris Rn. 51 f.). Dass die damalige Eigentümerin des erst nach Inkrafttreten des Plans von der Antragstellerin erworbenen Grundstücks ein mehr als abstraktes Interesse an der Veränderung ihres Gebäudes unter Beibehaltung des Überbaus gehabt hätte, hat sie im Öffentlichkeitsbeteiligungsverfahren nicht vorgetragen; sie hat die fragliche Baulinie in ihrem Einwendungsschreiben vom 11.11.2011 (BA 006 Bl. 192 f.) nicht einmal erwähnt. In der erneuten öffentlichen Auslegung vom 26.11.2013 bis 3.1.2014 hatte sie überhaupt keine Einwendungen mehr erhoben, dies wohl vor dem Hintergrund, dass sich die Beigeladene Ende 2013 bereits grundsätzlich mit der Antragsgegnerin über den Erwerb des Vorhabengrundstücks geeinigt hatte (BA 005 Bl. 1 f.). Eine mehr als geringfügige Beeinträchtigung eigentumsrechtlich geschützter Interessen musste sich der Antragsgegnerin gerade vor diesem Hintergrund auch nicht aufdrängen. Sinngemäß gleiches gilt, soweit die Antragstellerin geltend macht, ihr stehe im Sinne eines do ut des eine Kompensation für die Verringerung der Abstandsflächen des Vorhabengrundstücks zu (1.4), bzw. ihr Bestandsgebäude könne infolge des Überbaus im Bereich des Aufzugs die festgesetzten Grenzabstände nicht einhalten (1.7). Vor diesem Hintergrund konnte die Antragsgegnerin schon verhältnismäßig geringfügige städtebauliche Gründe zum Anlass nehmen, die Baulinien und Grenzabstände so wie geschehen festzusetzen. Dass solche Belange schlechthin nicht denkbar wären, ist nicht erkennbar.

Mangels entsprechender Einwendungen der damaligen Grund- bzw. Gebäudeeigentümerin musste die Antragsgegnerin auch dem jetzigen Vorwurf der Antragstellerin (1.8, 1.9), die Planfestsetzungen führten zu unzumutbaren Beeinträchtigungen von Belichtung und Belüftung ihres Gebäudes, in der Abwägung keine Rechnung tragen. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt hat, ist die Frage der zumutbaren Nutzbarkeit des Gebäudes von zahlreichen auch das Innere und die Nutzung des Antragstellergebäudes betreffenden Faktoren abhängig, die im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung geltend zu machen der damaligen Grundstücks- bzw. Gebäudeeigentümerin oblegen hätte. Anders läge es nur, wenn die Unterschreitung des Grenzabstands auch objektiv-städtebaulich schlechthin nicht mehr vertretbar wäre, namentlich dann, wenn die städtebaulich erwünschte, der Kerngebietsfestsetzung entsprechende Nutzung des Grundstücks überhaupt nicht mehr möglich wäre. Dafür ist indes nichts erkennbar.

2. Auch die auf der Basis einer Rechtmäßigkeit des Bebauungsplans gegen die Baugenehmigung und die erteilten Befreiungen und Ausnahmen gerichteten Beschwerdegründe greifen nicht durch.

Ohne Erfolg greift die Antragstellerin (2.1) die Annahme des Verwaltungsgerichts an, die Festsetzungen zur Gebäudehöhe und zur Grundflächenzahl seien nicht nachbarschützend. Die Antragstellerin meint, dies sei deshalb anders, weil die Maßfestsetzungen für die Kerngebiete MK2 und MK5 nach der Konzeption des Plangebers in einem wechselseitigen Austauschverhältnis im Sinne des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 9.8.2018 – 4 C 7.17 –, BVerwGE 162, 363 = juris Rn. 13 ff. stünden. Als Begründung hierfür führt sie allerdings allein an, die beiden Kerngebiete würden in den textlichen Festsetzungen sowie in der Begründung des Bebauungsplans zusammen genannt. Das genügt zur Herleitung eines entsprechenden Austauschverhältnisses indes nicht. Hinsichtlich der Gebäudehöhen kann der Plangeber ein Austauschverhältnis schon deshalb nicht vorgesehen haben, weil er diese für die Kerngebiete MK2 und MK5 unterschiedlich festgesetzt hat (89,0 m über NHN für das MK5 gegenüber 93,5 m über NHN für das MK2). Aber auch für die in beiden Baugebieten gleiche Geschossflächenzahl bedürfte es besonderer Indizien dahingehend, dass der Rat der Antragsgegnerin die Unterwerfung benachbarter Grundstücke unter dieselben Festsetzungen gerade im Interesse wechselseitiger Verträglichkeit, zur Herstellung bzw. zum Erhalt eines den Betroffenen zugutekommenden „Gebietscharakters“ und nicht aus allgemein städtebaulichen Erwägungen, die bei benachbarten Grundstücken auch sonst nicht selten gleichförmige Festsetzungen erfordern können, heraus vorgenommen hat. Solche Indizien benennt die Beschwerdebegründung nicht; sie sind auch nicht ersichtlich.

Entgegen dem Verständnis der Antragstellerin (1.5-1.7, 2.3.) enthält der Bebauungsplan Nr. 525 keine Vorgabe dahingehend, dass die Bebauung auf dem Vorhabengrundstück – kumulativ zur Abstandsvorgabe von 0,125 H, mindestens aber 3 m zur Grundstücksgrenze bzw. Straßenmitte – ein Abstandsmaß von mindestens 7,50 m vom Bestandsgebäude auf dem Antragstellergrundstück einhalten müsste, auch soweit diese die dort festgesetzte Baulinie überschreitet. Die entsprechende Zahlenangabe in der – insoweit aufgrund ihrer Eindeutigkeit nicht auslegungsfähigen – Planzeichnung bezeichnet erkennbar den Abstand zwischen den festgesetzten Baulinien bzw. die Breite der dazwischen festgesetzten Verkehrsfläche. Dies wird bereits durch die Lage der mit der entsprechenden Zahlenangabe versehenen Pfeile deutlich. Wenn in der Planbegründung auf S. 16 hierzu von einem Mindestabstand „der Gebäude“ die Rede ist, kann sich dies nur auf künftige, plankonform zu errichtende Gebäude beziehen oder aber einem – infolge Ablaufs der Jahresfrist des § 215 Abs. 1 BauGB unerheblichen – Fehlverständnis entspringen, das Gebäude der Antragstellerin sei auf der Baulinie errichtet.

Mit ihrer Rüge (2.3), entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts folge die Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung auch aus der Vielzahl der von der Antragsgegnerin erteilten Befreiungen für das Bauvorhaben, diese machten in der Summe eine Planänderung erforderlich, macht die Antragstellerin lediglich die objektive Rechtswidrigkeit der Befreiungen geltend, auf die sie sich nicht berufen kann. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass sie abschließend pauschal anführt, ihre Interessen seien dabei nicht gewürdigt worden bzw. das Gebot der Rücksichtnahme sei verletzt. Inwieweit die überwiegende, den südlichen Teil des Gebäudes betreffende Zahl der Befreiungen sich mit den ihre Interessen allenfalls berührenden Befreiungen zu Geschossflächenzahl und Gebäudehöhe zu einer unzumutbaren Belastung „aufsummieren“ könne, legt sie nicht dar.

Ohne Erfolg stellt die Antragstellerin die Auffassung des Verwaltungsgerichts infrage, auf Grenzabstandsunterschreitungen könne sie sich schon deshalb nicht berufen, weil sie selbst die maßgeblichen Grenzabstände in vergleichbarer Weise unterschreite (2.4). Dass die Grenzabstandsunterschreitung durch die Antragstellerin erst auf der Beseitigung von öffentlichen Verkehrsflächen südlich ihres Grundstücks durch den Bebauungsplan beruht, mag zutreffen. Für die ständige Senatsrechtsprechung, nach der demjenigen, der selbst Grenzabstände unterschreitet, die Berufung auf vergleichbare Abstandsunterschreitungen seines Nachbarn versagt ist, ist es jedoch unerheblich, ob die Abstandsunterschreitung von Anfang an bestand oder auf einer nachträglichen Rechtsänderung beruht (Senatsbeschl. v. 12.4.2017 – 1 ME 34/17 –, BauR 2017, 1350 = NVwZ-RR 2017, 683 = juris Rn. 12 m.w.N.). Soweit die Antragstellerin rügt, es könne nicht sein, dass es die Antragsgegnerin in der Hand habe, sie durch rechtswidrige Festsetzungen zu ihrem Nachteil mit Einwendungen gegen das Vorhaben auszuschließen, wird auf die Ausführungen zur Rechtmäßigkeit des Bebauungsplans (oben 1.) verwiesen; soweit sie auf angeblich irreführende Regelungen ihres Kaufvertrags verweist, die sie von der Ergreifung von Rechtsmitteln abgehalten hätten, ist ihr unbenommen, gegen die Beigeladene im Zivilrechtsweg vorzugehen.

Der Umstand, dass die Beigeladene es unterlassen hat, im Baugenehmigungsverfahren ein Verschattungsgutachten vorzulegen, führt entgegen der Auffassung der Antragstellerin (2.5) nicht dazu, dass im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes davon ausgegangen werden müsste, das Vorhaben verletze aufgrund unzumutbarer Beschattung des Antragstellergebäudes das Gebot der Rücksichtnahme. Denn ein Verschattungsgutachten gehört nach summarischer Prüfung der Sachlage nicht zu den für die Beurteilung, ob die Baugenehmigung das Gebot der Rücksichtnahme wahrt, erforderlichen Bauvorlagen. Bei der Frage, welche Beeinträchtigungen in einem Baugebiet ohne Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot hinzunehmen sind, kommt den Festsetzungen des Bebauungsplans maßgebliche Bedeutung zu. Je konkreter diese Festsetzungen sind, umso geringer ist der Anwendungsbereich für § 15 Abs. 1 BauNVO (BVerwG, Beschl. v. 6.3.1989 – 4 BN 8.89 – BauR 1989, 129 = NVwZ 1989, 960 = juris Rn. 8; Urt. v. 12.9.2013 – 4 C 8.12 –, juris Rn. 20). Hier ist im Bebauungsplan mit der expliziten Reduktion der bauordnungsrechtlichen Grenzabstände zwischen den Gebieten MK2 und MK5, d.h. zwischen gerade zwei Gebäuden, ein eng umgrenzter Bereich definiert worden, in dem nach den Vorstellungen des Plangebers eine erhebliche Verschattung hinzunehmen ist. Zwar hat dieser die Ausschöpfung der Grenzabstandsreduktion nicht durch entsprechende Gebäudemindesthöhen zwingend vorgegeben, die Planung ist indes erkennbar von der Erwartung gezeichnet, die Grenzabstandsreduktion werde auch ausgenutzt werden; Anhaltspunkte für eine Absicht der Antragsgegnerin, den Konflikt ins Genehmigungsverfahren zu verlagern, bestehen nicht. Vor dem Hintergrund dieser einzelfallbezogenen Festsetzungen käme die Annahme eines Verstoßes gegen das Gebot der Rücksichtnahme nur in Betracht, wenn besondere, im Planaufstellungsverfahren nicht berücksichtigungsfähige Verhältnisse auf dem Antragstellergrundstück einen größeren als den festgesetzten Grenzabstand erforderten. Angesichts des bereits vom Verwaltungsgericht herausgearbeiteten Umstandes, dass jedenfalls die Fenster in den unteren Etagen des Antragstellergebäudes mit Regalen verstellt oder gar mit Verkleidungen gänzlich verdeckt sind, mithin das Gebäude allenfalls ab dem 3. Obergeschoss überhaupt einer Besonnung bedurfte, liegt dies fern.

Ohne Erfolg beruft sich die Antragstellerin (2.6) auf eine Rechtswidrigkeit der Nachtragsbaugenehmigung vom 28.3.2019, da diese ohne Nachbarbeteiligung ergangen sei. Die Nachtragsbaugenehmigung bezieht sich ausschließlich auf eine Reduktion der Zahl der notwendigen Stellplätze in Reaktion auf das Inkrafttreten einer neuen Stellplatzsatzung der Antragsgegnerin. Wie bereits das Verwaltungsgericht ausgeführt hat, ist die Frage des ausreichenden Stellplatznachweises nicht drittschützend, eine Nachbarbeteiligung war mithin nicht erforderlich.

Mit ihrer Rüge (2.7), sie halte den Brandschutzgutachter Dipl.-Ing. I. für befangen, da dieser in einem anderen Rechtsstreit zwischen ihr und einer mit der Beigeladenen wirtschaftlich verknüpften Gesellschaft für letztere tätig geworden sei, zeigt die Antragstellerin keine Bedenken gegen die Richtigkeit des erstinstanzlichen Beschlusses auf. Eine solche Vortätigkeit stellt für sich genommen noch kein Indiz für eine Befangenheit des – öffentlich bestellten und vereidigten – Sachverständigen dar. Dass der Brandschutznachweis im Auftrag und auf Kosten des Bauherrn erstellt wird, ist in der Pflicht des Bauherrn zur Erstellung der Bauvorlagen (§ 67 Abs. 1 Satz 2 NBauO) angelegt. Unabhängig davon hat das Verwaltungsgericht auf S. 19 seine Einschätzung, brandschutzrechtliche Bedenken gegen das Vorhaben seien bei summarischer Prüfung nicht ersichtlich, nicht allein auf die Autorität des Sachverständigen, sondern auf eine überschlägige Sachprüfung gestützt, gegen deren Richtigkeit die Antragstellerin mit der Beschwerde nichts vorbringt.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).