Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 08.11.2019, Az.: 1 OA 121/19
Rechtsgemeinschaft; Streitgegenstand; Streitwert
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 08.11.2019
- Aktenzeichen
- 1 OA 121/19
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2019, 69840
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 10.09.2019 - AZ: 2 B 20/19
Rechtsgrundlagen
- § 39 S 1 GKG
- § 52 Abs 1 GKG
- § 59 ZPO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Eine Rechtsgemeinschaft iSd Nr. 1.1.3 des Streitwertkatalogs besteht nicht bereits dann, wenn die Eigentümer mehrerer einem Baugrundstück benachbarter Grundstücke gegen eine Baugenehmigung klagen und sich auf vergleichbare Beeinträchtigungen berufen.
Tenor:
Die Beschwerde gegen die Streitwertfestsetzung im Beschluss des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 10. September 2019 wird zurückgewiesen.
Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.
Gründe
In dem der Streitwertfestsetzung zugrundeliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes haben die insgesamt sechs Antragsteller als Eigentümer jeweils eines dem Vorhabengrundstück benachbarten Grundstücks eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung angegriffen. Nach Antragsrücknahme hat das Verwaltungsgericht den Streitwert auf 45.000 Euro festgesetzt; dabei hat es für jeden Antragsteller einen Hauptsachestreitwert von 15.000 Euro angenommen, diesen mit Blick auf den vorläufigen Charakter der begehrten Entscheidung halbiert und die sich daraus ergebenden Beträge von je 7.500 Euro für jeden Antragsteller zusammengerechnet.
Die dagegen mit dem Ziel, den Streitwert auf 7.500 Euro zu reduzieren, geführte Streitwertbeschwerde ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht die für die einzelnen Antragsteller ermittelten Streitwerte zusammengerechnet. Das ergibt sich bereits daraus, dass es sich bei den jeweils geltend gemachten Ansprüchen der Antragsteller auf Aufhebung bzw. Außervollzugsetzung der Baugenehmigung jeweils um verschiedene Streitgegenstände handelt (zum Streitgegenstandsbegriff bei der Anfechtungsklage Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 121 Rn. 25 f.), deren Werte nach § 39 Satz 1 GKG zu addieren sind. Ob insoweit anderes gilt, wenn sich der Aufhebungsanspruch mehrerer Antragsteller aus demselben Rechtsgrund, etwa der Betroffenheit desselben, im Mit- oder Gesamthandseigentum der Antragsteller stehenden Nachbargrundstücks, herleitet, kann hier dahinstehen, da sich die Antragsteller jeweils auf Aufhebungsansprüche aufgrund der Betroffenheit unterschiedlicher Grundstücke berufen.
Nr. 1.1.3 des Streitwertkatalogs ergibt, abgesehen davon, dass er als bloße Handlungsempfehlung zur Ausübung des den Gerichten in § 52 Abs. 1 GKG eingeräumten Streitwertermessens die gesetzliche Regelung des § 39 Satz 1 GKG nicht derogieren kann, nichts anderes. Nach dieser Bestimmung sind, klagen mehrere Kläger gemeinschaftlich, die Werte der einzelnen Klagen zu addieren, es sei denn sie begehren oder bekämpfen eine Maßnahme als Rechtsgemeinschaft. Eine Rechtsgemeinschaft in diesem Sinne liegt entgegen der Auffassung der Antragsteller nicht bereits dann vor, wenn für die Entscheidung ein im Wesentlichen einheitlicher tatsächlicher oder rechtlicher Grund vorliegt; der von den Antragstellern für diese Ansicht angeführte Beschluss des OLG Hamm vom 15.8.2017 – 32 SA 47/17 – bezieht sich nicht auf den Begriff der Rechtsgemeinschaft, sondern auf den der Streitgenossenschaft, für die eine Rechtsgemeinschaft indes nach § 59 ZPO ein möglicher, aber nicht der einzige Grund sein kann. Rechtsgemeinschaft i.S.d. § 59 ZPO besteht vielmehr nur in Fällen, in denen der Streitgegenstand den Klägern gemeinsam, etwa in Miteigentum, Gesamthandseigentum, Gesamtschuldner- oder –gläubigerschaft zusteht (vgl. Weth, in: Musielak/Voit, ZPO, 16. Aufl. 2019, § 60 Rn. 8). Im Zusammenhang mit Nr. 1.1.3 des Streitwertkatalogs muss die Rechtsgemeinschaft nach Sinn und Zweck dieser Regelung an dem Gegenstand bestehen, der den Streitwert bestimmt. Das ist hier nicht der Fall; die Antragsteller leiten ihren Anspruch auf Außervollzugsetzung der Baugenehmigung aus der Betroffenheit jeweils unterschiedlicher Grundstücke ab.
Dass dem Antrag bereits vollumfänglich hätte entsprochen werden müssen, wenn auch nur einer der geltend gemachten Ansprüche durchgriffe, ist unzutreffend. Zwar würden alle Antragsteller faktisch vom Erfolg eines Antrags profitieren. Dem hätten sie Rechnung tragen können, indem sie sich auf die Erhebung eines „Musterantrags“ beschränkt hätten. Haben die Antragsteller, wie hier, jedoch den Weg der Geltendmachung aller Außervollzugsetzungsansprüche gewählt, so ist auch über alle diese Ansprüche zu entscheiden. Hätte sich etwa im Laufe des Verfahrens erwiesen, dass einer der Antragsteller tatsächlich nicht Eigentümer „seines“ Grundstücks wäre oder sein Nachbarrecht verwirkt hätte, so hätte sein Antrag mangels Rechtsverletzung auch bei Außervollzugsetzung der Baugenehmigung auf einen anderen Nachbarantrag hin abgelehnt werden müssen.
Die Richtigkeit dieses Ergebnisses ergibt sich im Übrigen auch aus Folgendem: Hätte ein einziger Antragsteller sich auf die Betroffenheit mehrerer Grundstücke berufen, so hätte sich sein nach § 52 Abs. 1 GKG für die Streitwertbestimmung maßgebliches Interesse an der Außervollzugsetzung der Baugenehmigung ebenfalls aus der Addition der Werte der Beeinträchtigungen aller dieser Grundstücke ergeben. Daran kann sich nicht dadurch etwas ändern, dass mehrere Antragsteller existieren.
Ob der Berichterstatter dem Prozessbevollmächtigten der Antragsteller in einem Telefonat „zugesichert“ hat, dass der Streitwert auf 7.500 Euro festgesetzt werde, kann dahinstehen. Eine bindende Streitwertzusicherung kennt das Gesetz nicht.
Die Nebenentscheidungen folgen aus § 68 Abs. 3 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).