Sozialgericht Stade
Urt. v. 23.11.2007, Az.: S 17 AS 423/07

Zuerkennung höherer Unterkunftskosten im Falle selbstbewohnten Eigentums bei einer Wohnungsgröße von 87 qm

Bibliographie

Gericht
SG Stade
Datum
23.11.2007
Aktenzeichen
S 17 AS 423/07
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 63470
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGSTADE:2007:1123.S17AS423.07.0A

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begeht im Klagewege die Verpflichtung der Beklagten zur Übernahme seiner tatsächlichen Kosten für die Unterkunft und Heizung über November 2006 hinaus.

2

Der Kläger, geboren 1949, bezieht in Bedarfsgemeinschaft mit seiner im Jahre 1987 geborenen Tochter seit März 2006 Arbeitslosengeld II von der Beklagten. Er bewohnt eine Eigentumswohnung mit einer Größe von rund 87 m2, die er im Jahre 2001 gekauft hat. Hierfür muss er monatlich 387,86 EUR Schuldzinsen, einen im Übrigen unstreitigen Gesamtbetrag an Nebenkosten in Höhe von 94,64 EUR sowie tatsächliche Heizkosten (ohne Warmwasseranteil) in Höhe von 42,82 EUR aufwenden, insgesamt 525,32 EUR.

3

Neben den Leistungen nach dem SGB II bezieht der Kläger eine Witwerrente, die Tochter eine Halbweisenrente.

4

Die Beklagte wies den Kläger mit Schreiben vom 24. Mai 2006 darauf hin, dass seine Kosten der Unterkunft unangemessen seien. Angemessen seien maximal 365,00 EUR zzgl 60,00 EUR Heizkosten, insgesamt 425,00 EUR. Die tatsächlichen Kosten iHv 525,32 EUR würden nur noch bis zum 20. November 2006 übernommen. Der Kläger wurde aufgefordert, sich um eine Senkung der Unterkunftskosten zu bemühen.

5

Mit Bescheid vom 06. November 2006 wurden die Leistungen nach dem SGB II durch die Beklagte fortbewilligt. Bei der Leistungsberechnung wurden anstelle der tatsächlichen Aufwendungen nunmehr Kosten der Unterkunft nur noch in Höhe von 365,00 EUR zzgl den tatsächlichen Heizkosten in Höhe von 42,82 EUR berücksichtigt, insgesamt 407,82 EUR. Der Widerspruch des Klägers wurde von der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 03. Juli 2007 zurückgewiesen. Am 27. Juli 2007 hat der Kläger Klage erhoben.

6

Er trägt vor, seine Wohnung sei angemessen und stelle geschütztes Vermögen dar, da er wegen seines Alters und einer bestehenden Leistungsminderung voraussichtlich nicht mehr in Arbeit kommen werde und er insoweit einen Härtfall geltend machen könne.

7

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 06. November 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03. Juli 2007 zu verpflichten, dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ab Dezember 2006 unter Einbeziehung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft des Klägers zu gewähren.

8

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

9

Sie verweist auf die Ausführungen in Bescheid und Widerspruchsbescheid.

10

Zum Vorbringen der Beteiligten im Übrigen und zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, die auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 23. November 2007 waren, verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.

12

Die Entscheidung der Beklagten, ab Dezember 2006 nur noch angemessene Aufwendungen für die Unterkunft zu berücksichtigen, ist rechtlich nicht zu beanstanden und beschwert den Kläger nicht, § 54 Abs. 2 SGG. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die weitere Übernahme der tatsächlichen Kosten seiner Unterkunft.

13

Die tatsächlichen Aufwendungen des Klägers für seine Unterkunft sind unangemessen. Zur Bestimmung der Angemessenheit gemäß § 22 Abs. 1 SGB II ist auch im Falle selbstbewohnten Eigentums auf die Vergleichswerte abzustellen, die sich für größenangemessene Mietwohnungen ergeben (dazu unter 1.). Die Beklagte hat die Kostengrenze korrekt ermittelt (dazu unter 2.).

14

Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für die Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Soweit die Aufwendungen dem im Einzelfall angemessene Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf so lange zu berücksichtigen, wie es dem allein stehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate (§ 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II).

15

1.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist die Angemessenheit von Kosten für die Unterkunft im Falle von Mietwohnungen anhand einer mehrstufigen Prüfung zu beurteilen, die sowohl die Größe der Unterkunft als auch verschiedene wertbildende Faktoren berücksichtigt (sog. "Produkttheorie", vgl. Bundessozialgericht, Urt v 7. Nov 2007 - B 7b AS 18/06 R -; vgl. auch Berlit in: LPK- SGB II, 2. Aufl, § 22 Rn 35). Nach einer Bestimmung der Angemessenheit der Größe der Unterkunft unter Heranziehung der Wohnungsgrößen, die sich auf § 10 Wohnraumförderungesetz (WoFG) vom 13. September 2001 ergeben, ist die Angemessenheit der Kosten durch einen Vergleich mit der Situation auf dem allgemeinen Wohnungsmarkt im örtlichen Bereich zu ermitteln. Den Vergleichsmaßstab bilden dabei die Mietpreise für größenangemessene Wohnungen, die ihrem Wohnstandard nach im unteren Segment des örtlichen Wohnungsmarktes angesiedelt sind. Anschließend ist zu prüfen, ob Wohnungen zu den als angemessen ermittelten Aufwendungen auch konkret in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen. Nur wenn alle Erkenntnismöglichkeiten zur Ermittlung der Angemessenheit des Wohnraums i.S. des § 22 SGB II ohne belastbares Ergebnis ausgeschöpft sind, kann auf die Werte der Tabelle zu § 8 des Wohngeldgesetzes (WoGG) abgestellt werden (vgl BSG a.a.O., Rn 18).

16

Diese Rechtsprechung ist in Bezug auf die Aufwendungen für Mietwohnungen ergangen. Umstritten ist, ob zur Bestimmung der Angemessenheit von monatlichen Aufwendungen im Sinne des § 22 SGB II in den Fällen, in denen ein Hilfebedürftiger Eigentum bewohnt und nicht Mieter ist, auf den gleichen Maßstab wie bei Mietern abzustellen ist, oder ob bei selbstbewohntem Eigentum ein anderer Maßstab heranzuziehen ist.

17

Nach der hier vertretenen Auffassung ist hinsichtlich der monatlichen Aufwendungen bei Mietwohnungen und selbstbewohntem Eigentum auf identische Angemessenheitsgrenzen abzustellen. Die Beklagte hat daher zutreffend zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen der Kosten der Eigentumswohnung des Klägers auf diejenigen Werte zurückgegriffen, die für Leistungsempfänger in Mietwohnungen herangezogen werden.

18

Die Wohnung des Klägers kann mit einer Größe von 87 qm unter Berücksichtigung der Umstände dieses Einzelfalls auch vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts noch als angemessen im Sinne des § 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II angesehen werden, obwohl eine geringfügige Überschreitung der Grenze von 80 qm vorliegt (vgl Bundessozialgericht (BSG), Urt v 7. Nov 2006 - B 7b AS 2/05 R -). Die Zuerkennung höherer Unterkunftskosten im Falle selbstbewohnten Eigentums kann nicht daraus hergeleitet werden, dass angemessenes selbstbewohntes Eigentum gemäß § 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II von der Berücksichtigung als Vermögen ausgenommen ist und deshalb der Erhalt des angemessenen Wohneigentums gewährleistet sein müsse (so aber z.B. Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt, Beschl v 12. Okt 2006 - L 2 B 13/06 AS ER - m.w.N.; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl v 8. Juni 2006 - L 7 AS 443/05 ER -; LSG Berlin-Brandenburg, Urt v 9. Mai 2006 - L 10 AS 102/06 -). Die §§ 12 SGB II und 22 SGB II sind dogmatisch klar zu trennen. Während § 12 SGB II allein die Frage betrifft, ob und inwieweit vorhandenes Vermögen bei der Leistungsberechnung zur Deckung des allgemeinen Lebensunterhalts herangezogen werden muss oder nicht, regelt § 22 SGB II die Frage des tatsächlichen monatlichen Bedarfs, zu dem auch die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung gezählt werden (vgl BSG, Urt v 7. Nov 2006 - L 7b AS 2/05 R -, dort Rn 24; Bayerisches LSG, Urt v 13. April 2007 - L 7 AS 182/06 -; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl v 28. Feb 2006 - L 9b 99/05 AS ER -; Hessisches LSG, Beschl v 31. Okt 2006 - L 9 AS 189/06 ER -). Ein Grund für eine Besserstellung von Eigenheimbesitzern gegenüber mietenden Hilfeempfängern ist nicht zu erkennen. Hilfsbedürftige Haus- bzw. Wohnungseigentümer sind gegenüber Hilfebedürftigen, die nicht über selbstgenutztes Wohneigentum verfügen, bereits dadurch bevorteilt, dass ihre Unterkunft von der wertmäßigen Berücksichtigung befreit ist, obwohl gerade eine Immobilie einen erheblichen Vermögenswert darstellen kann. Die Gewährung höherer Leistungen im Rahmen von § 22 SGB II zum Unterhalt des Wohneigentums würde dazu führen, dass eine doppelte Privilegierung von Wohneigentümern gegenüber Hilfebedürftigen, die nicht über Immobilieneigentum verfügen, eintritt, die jedoch nicht zu rechtfertigen ist (vgl BSG, Urt v 7. Nov 2006 - L 7b AS 2/05 R -, dort Rn 24; SG Dortmund, Urt v 5. März 2007 - S 29 AS 498/05 -; vgl. LSG Hessen, LSG Baden-Württemberg, Beschl v 26. Juli 2006 - L 13 AS 1620/06 ER -; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl v 11. Jan 2006 - L 8 AS 409/05 ER -; Hessisches LSG, Beschl v 20. Nov 2006 - L 9 AS 236/06 ER -; LSB Berlin-Brandenburg, Beschl v 3. Aug 2007 - L 20 B 906/07 AS ER -). Das Argument, dass mit Wohneigentum Belastungen und Sachzwänge einhergehen, die ein mietender Hilfebedürftiger nicht hat, und die daher eine Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten, überzeugt nicht. Denn es gehört nicht zum staatlich zu gewährleistenden Existenzminimum, Eigentümer einer Wohnimmobilie zu sein. Ein Mitglied der Referenzgruppe der unteren Einkommensbezieher, die gerade über dem BedarfsSatz 1iegen und daher keine staatlichen Sicherungsleistungen beziehen, wird ein Haus oder eine Wohnung verkaufen, wenn er sie aufgrund zu hoher Schuldenlast nicht halten kann. Es kann nicht Aufgabe des Staates sein, durch Übernahme unangemessener Kosten einer Gruppe von Leistungsempfängern den Erhalt ihres Eigentums zu sichern, während mietende Hilfebedürftige geringere Leistungen erhielten und unter Umständen eine seit vielen Jahren bewohnte Mietwohnung aufgrund zu hoher Kosten wechseln müssten. Soweit in Rechtsprechung in Literatur teilweise zugunsten von Hauseigentümern argumentiert wird, dass die Aufgabe von Wohneigentum mit einer Aufgabe des bisherigen Lebensmittelpunktes verbunden sei und daher möglichst nicht zugemutet werden sollte, ist dem entgegenzuhalten, dass langjährigen Mietern genau dieses ohne Weiteres abverlangt wird. Ein Unterschied aus Sicht der Betroffenen besteht jedoch nicht.

19

2.)

Die Beklagte hat den Angemessenheitsrahmen korrekt bestimmt. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte zur Bestimmung der Angemessenheit auf die Werte der Tabelle zu § 8 Wohngeldgesetz (WoGG) zurückgegriffen hat.

20

Ein qualifizierter Mietspiegel existiert für den örtlichen, ländlich geprägten Raum, in dem sich die Wohnung des Klägers befindet, nicht. Aus der Struktur des örtlichen Wohnungsmarktes lassen sich aufgrund der Besonderheiten des ländlichen Raumes keine Vergleichswerte ermitteln. Unter diesen Umständen erscheint ein Rückgriff auf die Werte der Wohngeldtabelle mangels anderer Erkenntnismöglichkeiten zulässig (vgl LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl v 23. Mai 2007 - L 13 AS 11/06 ER -; dass., Urt v 24. April 2007 - L 7 AS 484/05 -). Das erkennende Gericht sieht allerdings keinen Grund, auf die Werte der Wohngeldtabelle einen Zuschlag von 10% vorzunehmen, wie es das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen in der zitierten Entscheidung des 13. Senats vorgenommen hat.

21

3.)

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.