Sozialgericht Stade
Urt. v. 13.02.2007, Az.: S 28 AS 358/05

Gewährung eines Zuschlages zu Leistungen zur Grundsicherung Arbeitssuchender; Übergang von Arbeitslosengeld zum Arbeitslosengeld II; Voraussetzungen zur Gewährung von Wohngeld

Bibliographie

Gericht
SG Stade
Datum
13.02.2007
Aktenzeichen
S 28 AS 358/05
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 51782
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGSTADE:2007:0213.S28AS358.05.0A

Tenor:

Der Beklagte wird unter Aufhebung beider Bescheide vom 19. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Oktober 2005 verpflichtet, dem Kläger zu 1. im Zeitraum Februar 2005 bis einschließlich Juni 2005 zusätzlich zu den gewährten Leistungen einen Zuschlag gemäß § 24 SGB II in gesetzlicher Höhe mit der Maßgabe zu gewähren, dass im Monat Juli 2004 neben dem letztmaligen Bezug von Arbeitslosengeld I auch ein Wohngeldbezug in Höhe von 185,00 EUR angenommen wird.

Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Kläger zu erstatten. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Bewilligung des Zuschlags gemäß § 24 SGB II.

2

Der Kläger wohnte mit seiner Ehefrau und den beiden Kindern im Jahre 2004 zunächst in einer Wohnung in I ... Für diese Wohnung bezog er auf Grundlage eines Bescheides Amts J. vom 22. April 2004 für den Zeitraum 1. März 2004 bis zum 31. Juli 2004 Wohngeld in Höhe von monatlich 198,00 EUR. Auf Grundlage eines Mietvertrags vom 28. Juni 2004 zog der Kläger mit seiner Familie zum 1. Juli 2004 in eine Wohnung in K ... Für die neue Wohnung wurde eine Kaltmiete in Höhe von 375,00 EUR monatlich zuzüglich einem Abschlag für die Heizung in Höhe von 100,00 EUR sowie Nebenkosten in Höhe von 77,00 EUR vereinbart. Für die Monate Juli und August 2004 mussten aufgrund einer Vereinbarung mit der Vermieterin keine Mietzahlungen erbracht werden, da der Kläger im Gegenzug Renovierungsarbeiten in der neuen Wohnung durchführte. Diese Vereinbarung wurde nicht in den Mietvertrag aufgenommen. Ab September 2004 zahlte der Kläger dann die vereinbarte Miete. Auf Grundlage eines Bescheids vom 7. Januar 2005 bewilligte der Landkreis L., Wohngeldstelle, dem Kläger für den Zeitraum 1. September 2004 bis 31. Dezember 2004 Wohngeld in Höhe von 185,00 EUR monatlich für den Wohnraum in K ...

3

Der Kläger zu 1. bezog bis zum 30. Juli 2004 Arbeitslosengeld zu einem Tagessatz in Höhe von 34,50 EUR.

4

Mit Bescheid vom 25. November 2004 bewilligte die Agentur für Arbeit Verden als damals zuständige Stelle dem Kläger und seiner Bedarfsgemeinschaft antragsgemäß Leistungen zur Grundsicherung nach dem SGB II in Höhe von 1.086,30 EUR für den Zeitraum 1. Januar 2005 bis 31. März 2005. Ein befristeter Zuschlag nach dem Bezug von Arbeitslosengeld gemäß § 24 SGB II wurde nicht ausgewiesen. Der Bescheid der Agentur für Arbeit wurde durch einen Bescheid des Beklagten für den Zeitraum ab 1. Februar 2005 durch Bescheid vom 19. April 2005 aufgehoben. Im selben Bescheid bewilligte der Beklagte den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Monate Februar und März 2005 in Höhe von 1.086,30 EUR. Mit einem zweiten Bescheid vom 19. April 2005 bewilligte der Beklagte den Klägern auf deren Fortzahlungsantrag hin auch für den Zeitraum April 2005 bis einschließlich Juni 2005 Grundsicherungsleistungen in gleicher Höhe. Beide Bescheide vom 19. April 2005 beinhalteten keinen Zuschlag nach § 24 SGB II.

5

Der wegen der Nichtgewährung des Zuschlags erhobene Widerspruch der Kläger wurde vom Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 2005 als unbegründet zurückgewiesen. Nach den Berechnungen des Beklagten war dem Kläger zu 1. zuletzt ein Arbeitslosengeld in Höhe von 1.046,50 EUR monatlich gewährt worden. Mit Bewilligungsbescheid vom 25. November 2004 wurden den Klägern jedoch Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 1.086,30 EUR bewilligt. Die Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 SGB II lagen aus Sicht des Beklagten daher nicht vor. Da im letzten Bezugsmonat des Arbeitslosengelds kein Wohngeld bezogen wurde, konnte dieses bei der Berechnung nicht berücksichtigt werden. Die Kläger haben am 14. November 2005 Klage zum Sozialgericht erhoben.

6

Sie tragen vor, der Nichtbezug von Wohngeld im Juli 2004 gehe allein auf die Tatsache zurück, dass die Vereinbarung mit der Vermieterin über den Erlass zweier Monatsmieten im Gegenzug für Renovierungsarbeiten bestand. Normalerweise wäre auch für Juli 2004 Wohngeld bewilligt worden, wie auch die Bewilligung ab September 2004 zeige. Es sei reiner Zufall, dass gerade im letzten Bezugsmonat des Arbeitslosengelds nun kein Wohngeld ausgezahlt wurde. Es handele sich hier um einen Ausnahmetatbestand.

7

Die Kläger beantragen,

den Beklagten unter Aufhebung beider Bescheide vom 19. April 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Oktober 2005 zu verpflichten, dem Kläger zu 1. im Zeitraum Februar 2005 bis einschließlich Juni 2005 zusätzlich zu den gewährten Leistungen einen Zuschlag gemäß § 24 SGB II in gesetzlicher Höhe mit der Maßgabe zu gewähren, dass im Monat Juli neben dem letztmaligen Bezug von Arbeitslosengeld I auch ein Wohngeld in Höhe von 185,00 EUR angenommen wird.

8

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

9

Er trägt vor, nach den gesetzlichen Vorgaben sei auf das zuletzt bezogene Arbeitslosengeld und das zeitgleich bezogene Wohngeld abzustellen. Da im Juli 2004 kein Wohngeld bezogen wurde, komme es nur auf das zuletzt bezogene Arbeitslosengeld an. Dies sei jedoch geringer gewesen als die Ansprüche nach dem SGB II ab Januar 2005.

10

Zum Vorbringen der Beteiligten im Übrigen und zu den Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten, die beide Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 13. Februar 2007 waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage hat Erfolg.

12

Die angegriffenen Bewilligungsbescheide vom 19. April 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Oktober 2005 waren rechtswidrig, soweit dem Kläger zu 1. kein Zuschlag nach § 24 SGB II gewährt wurde, und beschwerten dadurch die Kläger, § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Der Kläger zu 1. hat im streitigen Zeitraum einen Anspruch auf Gewährung eines Zuschlags in gesetzlicher Höhe. Dabei ist in die Berechnung gemäß § 24 Abs. 2 SGB II in der damals geltenden Fassung ein Wohngeldbezug in Höhe von 185,00 EUR mit einzubeziehen.

13

Gemäß § 24 SGB II in der hier maßgeblichen Fassung erhält gemäß Abs. 1 ein erwerbsfähiger Hilfebedürftiger einen monatlichen Zuschlag, soweit er Arbeitslosengeld II innerhalb von zwei Jahren nach dem Ende des Bezugs von Arbeitslosengeld bezieht. Nach Ablauf des ersten Jahres wird der Zuschlag um 50 v.H. vermindert. Nach den Vorgaben in Abs. 2 beträgt der Zuschlag 2/3 des Unterschiedsbetrags zwischen einerseits dem zuletzt bezogenen Arbeitslosengeld und dem nach dem Wohngeldgesetz erhaltenen Wohngeld und andererseits dem an den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und die mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Angehörigen zu zahlenden Arbeitslosengeld II.

14

Dem Beklagten ist zunächst darin zuzustimmen, dass eine Einbeziehung von Wohngeld in die Berechnung nach dem reinen Wortlaut der Vorschrift ausscheidet. Der Kläger bezog zuletzt im Juli 2004 Arbeitslosengeld. Er bezog im Juli 2004 kein Wohngeld. Nach der korrekten Berechnung des Beklagten überstieg das ab Januar 2005 gewährte Arbeitslosengeld II das zuletzt gewährte Arbeitslosengeld, so dass sich rechnerisch kein Anspruch auf einen Zuschlag ergab. Das erkennende Gericht ist mit dem Beklagten auch der Auffassung, dass grundsätzlich auf das Wohngeld abzustellen ist, das tatsächlich zeitgleich mit dem letzten Arbeitslosengeld gezahlt wurde.

15

Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände dieses Einzelfalls und mit Blick auf den Sinn und Zweck des Zuschlags nach § 24 SGB II ist zugunsten der Kläger jedoch ein Abweichen vom strengen Wortlaut geboten. Das Gericht geht insoweit vom Vorliegen eines besonderen, gesetzlich nicht erfassten Härtefalls aus. Es handelt sich hierbei um eine Einzelfallentscheidung. Maßgeblich für die korrigierende Auslegung des § 24 SGB II ist die sich aus den Umständen dieses Einzelfalls ergebende tatsächliche Zufälligkeit der Umstände, die hier bei strenger Wortlautauslegung zu einem dauerhaften Wegfall des Zuschlags führen. Von einem reinen Zufall kann es aber nicht abhängen, ob ein Zuschlag nach § 24 SGB II gewährt wird oder nicht.

16

Ausschlaggebend für diese Bewertung sind für das Gericht im Wesentlichen drei Gesichtspunkte: Zum einen ist der Sachverhalt mit Blick auf den Sinn und Zweck des Zuschlags zu beurteilen (a), dann ist zu berücksichtigen, dass nach Überzeugung des Gerichts als sicher angesehen werden kann, dass die Kläger für die von ihnen seit Juli 2004 bewohnte Wohnung normalerweise auch schon ab Juli 2004 Wohngeld erhalten hätten (b) und drittens spielt der tatsächliche Grund für den Nichtbezug des Wohngeldes im Juli und August 2004 eine zu beachtende Rolle (c). Nur die besondere Konstellation dieser drei Gesichtspunkte rechtfertigt die vorliegende Entscheidung.

17

a.)

Der Sachverhalt kann nicht ohne Berücksichtigung der Bedeutung und von Sinn und Zweck des Zuschlags sachgerecht erfasst werden. Der Zuschlag soll den Übergang von Arbeitslosengeld zum Arbeitslosengeld II abfedern. Durch den Zuschlag soll berücksichtigt werden, dass der ehemalige Arbeitslosengeldempfänger durch häufig langjährige Erwerbstätigkeit vor dem Bezug der neuen Leistung einen Anspruch in der Arbeitslosenversicherung erhalten hat (vgl BT-Drucksache 15/1516, S. 58; Brünner in: LPK-SGB II, § 24, Rn 2). Aus der gesetzlich vorgesehenen langen Bezugsdauer von zwei Jahren, wenn auch in verminderter Höhe im zweiten Jahr, kann geschlossen werden, dass der Gesetzgeber dem Zuschlag eine relativ hohe Bedeutung beigemessen hat. Hintergrund mag hierbei gewesen sein, dass die Grundsicherung des SGB II eine Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe auf Sozialhilfeniveau darstellt. Aufgrund der zeitlich begrenzten Bezugsdauer von Arbeitslosengeld ist zu vergegenwärtigen, dass auch ein Arbeitnehmer, der nach vielen Jahren Erwerbstätigkeit einschließlich der dabei abzuführenden Beiträge zur Arbeitslosenversicherung arbeitslos wird, schon nach vergleichsweise kurzer Zeit Leistungen nach dem SGB II beantragen muss und damit nur noch eine Existenzsicherung erfährt, wie sie auch ein Hilfebedürftiger erhält, der zuvor noch nie Beiträge in die Sozialkassen geleistet hat. Dem innewohnenden Gerechtigkeitsproblem wird durch die Gewährung des Zuschlags begegnet.

18

Angesichts dieser Bedeutung des Zuschlags nach § 24 SGB II führt die strikte Anwendung des Wortlauts des § 24 SGB II in der hier anzuwendenden Fassung zu einer unverhältnismäßigen Härte für den Kläger zu 1., dem aufgrund des zeitweisen Nichtbezugs von Wohngeld ausgerechnet im letzten Bezugsmonat des Arbeitslosengeldes der gesamte Anspruch auf den Zuschlag für noch verbleibende anderthalb Jahre verloren ginge, wobei die im Weiteren dargelegten besonderen Umstände dieses Einzelfalls eine entscheidende Rolle spielen.

19

b.)

Den Klägern wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch im Juli 2004 Wohngeld gewährt worden. Die Kläger haben bis einschließlich Juni 2004 Wohngeld bezogen. Ab September 2004 wurde ihnen wieder Wohngeld gewährt. In der Zwischenzeit sind - abgesehen vom Wechsel der Wohnung und dem Auslaufen des Arbeitslosengelds - keine relevante Veränderung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie der allgemeinen Lebenssituation der Kläger eingetreten. Insbesondere hat sich ihre wirtschaftliche Situation nicht in der Weise verbessert, dass ein Bezug von Wohngeld schon deshalb nicht mehr gerechtfertigt gewesen wäre. Daher ist davon auszugehen, dass auch im Juli 2004 die Bewilligungssituation für Wohngeld grundsätzlich gegeben war.

20

b.)

Alleinige Ursache für den Nichtbezug von Wohngeld im Juli und August 2004 war eindeutig, dass die Kläger in diesen beiden Monaten aufgrund der Renovierungsvereinbarung mit der neuen Vermieterin tatsächlich keine Miete zu entrichten hatten. Dennoch konnten die Kläger nicht kostenfrei wohnten, denn dem Erlass der Mietzahlungen stand als Gegenleistung die Übernahme von Renovierungsleistungen durch die Kläger gegenüber. Der zeitweise Wegfall hat seine Ursache damit in der Sondervereinbarung mit der Vermieterin und deren Folgen und gründet nicht darauf, dass die Voraussetzungen für den Wohngeldbezug dem Grunde nach entfallen wären. Die wirtschaftliche Situation der Kläger war unverändert bzw. nach Auslaufen des Arbeitslosengeldes eher schlechter. Die Kosten für die Unterkunft wurden ihnen nicht erlassen, sondern waren in anderer Form, i.e. den Renovierungsleistungen, zu erbringen. Diese Art konnte jedoch nicht bei der Wohngeldstelle geltend gemacht werden, da die Berechnung des Wohngeldes gemäß §§ 5 bis 7 Wohngeldgesetz (WoGG) an die tatsächliche zu erbringende Miete anknüpft.

21

Aus den vorgenannten Gründen ist den Klägern zuzustimmen, dass die beiden Monate Juli und August 2004 im Vergleich zu den Monaten zuvor und danach in der Tat als Ausnahmemonate anzusehen sind. An der grundsätzlichen Situation der Kläger hatte sich nichts verändert. Die Kläger hätten genausogut einen Monat später in die neue Wohnung umziehen können, da keine zwingenden Gründe ersichtlich sind, dass der Umzug ausdrücklich im letzten Monat des Arbeitslosengeldes zu erfolgen hatte. Dann aber wären die Voraussetzungen für eine Gewährung des Zuschlag gemäß § 24 Abs. 2 SGB II unstreitig erfüllt gewesen. Der Umzug im Juli und die Renovierungsvereinbarung stehen mit Blick auf die dargestellten Ziele des § 24 SGB II in keinem inhaltlichen Zusammenhang mit diesem.

22

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

23

Die Berufung war hier gemäß § 144 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 SGG im Urteil zuzulassen. Aufgrund der hier erforderlichen korrigierenden Auslegung des § 24 Abs. 2 SGB II, die nach Kenntnis des Gerichts bisher in der Rechtsprechung noch nicht vorgenommen wurde, besitzt die Angelegenheit eine grundsätzlich Bedeutung für die Beteiligten. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird voraussichtlich die in § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG genannte Grenze von 500,00 EUR nicht überschreiten, da es sich um einen Leistungszeitraum von insgesamt fünf Monaten handelt und die Gesamtsumme der nachzuzahlenden Leistungen durch den Beklagten möglicherweise diesen Wert nicht erreicht.