Sozialgericht Stade
Urt. v. 01.02.2007, Az.: S 1 KR 43/05
Gewährung einer kieferorthopädischen Behandlung als Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV); Genehmigungsfähigkeit eines privatzahnärztlichen Behandlungsplans
Bibliographie
- Gericht
- SG Stade
- Datum
- 01.02.2007
- Aktenzeichen
- S 1 KR 43/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 51780
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGSTADE:2007:0201.S1KR43.05.0A
Rechtsgrundlagen
- § 13 Abs. 3 SGB V
- § 29 SGB V
- § 76 Abs. 1 SGB V
Tenor:
Der Bescheid der Beklagten vom 3. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Januar 2005 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, den Behandlungsplan der Zahnärztin Dr. I. vom 14. Juli 2004 zu genehmigen. Die Beklagte wird weiter verurteilt, dem Kläger eine kieferorthopädische Behandlung nach Maßgabe des Behandlungsplans vom 14. Juli 2004 als Sachleistung zu gewähren.
Die notwendigen außergerichtlichen Auslagen des Klägers und der Beigeladenen trägt die Beklagte.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer kieferorthopädischen Behandlung als Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).
Der 1993 geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich familienversichert. Er leidet unter einer Zahnfehlstellung.
Die Beigeladene ist als Fachzahnärztin für Kieferorthopädie in J. (Kreis K.) niedergelassen. Sie nahm bis zum 30. Juni 2004 an der vertragszahnärztlichen Versorgung im entsprechenden Planungsbereich teil. Ab diesem Zeitpunkt verzichtete die Beigeladene neben vierzig weiteren Fachzahnärzten für Kieferorthopädie bzw. kieferorthopädisch tätigen Zahnärzten auf ihre vertragszahnärztliche Zulassung. Zuvor hatte das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit als zuständige Aufsichtsbehörde mit Bescheid vom 3. Juni 2004 festgestellt, dass in den drei Niedersächsischen Planungsbereichen Landkreis L., Landkreis M. und Landkreis N. mehr als 50% der dort niedergelassenen Vertragszahnärzte, die kieferorthopädische Leistungen erbringen, in einem mit anderen Zahnärzten aufeinander abgestimmten Verfahren oder Verhalten auf ihre Zulassung nach § 95b Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) verzichtet hätten. In der Begründung des Bescheids warf das Ministerium 41 namentlich aufgeführten niedersächsischen (Fach-)Zahnärzten - darunter auch die Beigeladene - die Teilnahme an einem abgestimmten Verhalten vor.
Ende Oktober 2004 reichte die Beigeladene einen privatärztlichen Behandlungsplan für eine kieferorthopädische Behandlung des Klägers für insgesamt sechs Quartale bei der Beklagten ein. Dem Behandlungsplan war eine Kostenaufstellung nach der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) mit dem einfachen Gebührensatz über insgesamt 2.353,57 EUR sowie ein Antrag auf Übernahme der Behandlungskosten gemäß § 13 Abs. 3 SGB V beigefügt. Mit Schreiben vom 3. November 2004 lehnte die Beklagte diesen Antrag gegenüber dem Kläger unter Hinweis auf die gesetzlichen Vorschriften ab. Zur Begründung führte sie aus, dass Versicherte gemäß § 76 Abs. 1 SGB V nur unter den zur vertragszahnärztlichen Behandlung zugelassenen Zahnärzten/Kieferorthopäden frei wählen können. Die Beigeladene nehme an dieser vertragszahnärztlichen Versorgung nicht (mehr) teil. Dem Schreiben war eine Aufstellung kieferorthopädisch tätiger Zahnärzte beigefügt, mit denen die Beklagte Einzelverträge zur Sicherstellung der kieferorthopädischen Versorgung geschlossen hatte. Zusätzlich wies die Beklagte darauf hin, dass zugelassene Kieferorthopäden in O. oder P. bereit seien, eine entsprechende Behandlung des Klägers durchzuführen. Ein hiergegen eingelegter Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 2005).
Der Kläger hat am 21. Februar 2005 Klage erhoben und zunächst die Erstattung der durch die kieferorthopädische Behandlung durch die Beigeladene entstehenden Kosten begehrt. Im Laufe des Verfahrens hat der Kläger seine Klage hinsichtlich der Gewährung einer kieferorthopädischen Behandlung als Sachleistung umgestellt.
Zur Begründung seiner Klage führt er aus, dass er nach den §§ 29, 95b Abs. 3 SGB V berechtigt sei, die Beigeladene im Rahmen seines krankenversicherungsrechtlichen Sachleistungsanspruchs aus § 2 Abs. 2 SGB V in Anspruch zu nehmen. So habe die Beigeladene gemeinsam mit anderen Ärzten in einem aufeinander abgestimmten Verfahren auf ihre Zulassung als Vertragszahnärztin verzichtet. In einem solchen Fall sei es nach dem Gesetzeswortlaut zulässig, im Rahmen des Rechts auf freie Arztwahl auch die Behandler zu wählen, die entsprechend ihrer Verzichtserklärung nicht mehr als Vertragszahnärzte zugelassen seien.
Der Kläger beantragt zuletzt,
unter Aufhebung des Bescheids vom 3. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Januar 2005 die Beklagte zu verurteilen,
- 1.
den Behandlungsplan der Zahnärztin Dr. I. vom 14. Juli 2004 zu genehmigen und
- 2.
dem Kläger eine kieferorthopädische Behandlung nach Maßgabe dieses Behandlungsplans als Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält ihre Bescheide für rechtmäßig und weist ergänzend darauf hin, dass in § 76 Abs. 1 Satz 1 SGB V abschließend geregelt sei, unter welchen Ärzten und Zahnärzten die gesetzlich Krankenversicherten ihren Behandler auswählen können. Danach sei die Wahl eines Kieferorthopäden, der in einem abgestimmten Verfahren mit anderen Zahnärzten auf seine vertragszahnärztliche Zulassung verzichtet hat, nicht möglich. An dieser grundsätzlichen Regelung habe der Gesetzgeber durch die Einführung von § 95b SGB V nichts ändern wollen. Vielmehr sei es Sinn und Zweck dieser Regelung, im Falle eines Systemversagens in der vertragszahnärztlichen Versorgung aufgrund eines kollektiven Zulassungsverzichts ehemaliger Leistungserbringer den dann vom Gesetzgeber zugunsten der Versicherten eingeräumten Kostenerstattungsanspruch in § 13 Abs. 3 SGB V zu modifizieren. So sollen die durch einen kollektiven Zulassungsverzicht aus der vertragszahnärztlichen Versorgung ausgestiegenen Leistungserbringer von dieser pflichtwidrigen Maßnahme nicht in dem von ihnen gewünschten Umfang profitieren; entsprechend werde ihr Honoraranspruch durch § 95b Abs. 3 SGB V begrenzt.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Das Gericht hat zur Sachaufklärung bei der zuständigen Kassenzahnärztlichen Vereinigung Niedersachsen eine Aufstellung über den kieferorthopädischen Versorgungsstand im Bedarfsplanungsbereich Bremervörde eingeholt. Hinsichtlich des Ergebnisses dieser Sachaufklärung, des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie des sonstigen Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- bzw. Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Die Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 1. Februar 2007 gewesen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Klage ist zulässig.
1.
Streitgegenstand des Verfahrens ist bei verständiger Würdigung des klägerischen Vortrags sowohl die Genehmigung des bei der Beklagten eingereichten Heil- und Kostenplans (HKP) als auch die Gewährung einer kieferorthopädischen Behandlung als Sachleistung der GKV durch einen (nicht mehr) zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassenen Behandler. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Kläger gegenwärtig bei der Beigeladenen eine entsprechende Behandlung unter Berücksichtigung des Kostenplans vom 14. Juli 2004 durchführen lässt und die Beigeladene die Kosten dieser Behandlung unter Berücksichtigung eines einfachen Gebührensatzes der Beklagten und nicht etwa dem Kläger in Rechnung stellt. Gerade eine solche Behandlung verweigert die Beklagte dem Kläger hier und verweist ihn stattdessen auf zugelassene Leistungserbringer bzw. Ärzte, mit denen sie zur Sicherstellung der kieferorthopädischen Versorgung in Niedersachsen Einzelverträge geschlossen hat.
2.
Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage wegen des auf einen Kostenerstattungsanspruch bezogenen Vorverfahrens nach den §§ 78 ff Sozialgerichtsgesetz (SGG) bestehen nicht. Zwar hat der Kläger gegenüber der Beklagten zunächst ausdrücklich einen Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V geltend gemacht; allerdings beschränkt sich die ablehnende Bescheidung der Beklagten vom 3. November 2004 bzw. 19. Januar 2005 schon nach ihrem Wortlaut nicht auf die tatbestandlichen Voraussetzungen des gesetzlichen Kostenerstattungsanspruchs im Bereich des SGB V. Vielmehr weist die Beklagte unter Bezug auf § 76 Abs. 1 SGB V darauf hin, dass der Kläger unter keinen Umständen einen Behandlungsanspruch bei einem wegen eines kollektiven Zulassungsverzichts (nicht mehr) zugelassenen Behandler (sinngemäß: weder als Kostenerstattungs- noch als Sachleistungsanspruch) hat, soweit zugelassene oder anderweitig berechtigte Leistungserbringer die vertragszahnärztliche Versorgung im Umfeld des Versicherten sicherstellen. Diese Auffassung hat die Beklagte durch ihren schriftsätzlichen Vortrag im Laufe des Verfahrens bekräftigt und mit weiteren Argumenten untermauert. Hieraus folgt, dass die Beklagte im sozialversicherungsrechtlichen Vorverfahren eine grundsätzliche Entscheidung über die Wahlmöglichkeiten des Versicherten in Bezug auf ärztliche Behandler getroffen hat, die auch die (gemäß § 99 Abs. 1 SGG zulässige) Klageänderung des Klägers hinsichtlich der Umstellung auf die Gewährung eines Sachleistungsanspruchs umfasst.
3.
Die Klage ist weiter als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage i.S. des § 54 Abs. 1 SGG zulässig; insbesondere hat der Kläger ein Rechtsschutzbedürfnis hinsichtlich der zusätzlich auf die Gewährung einer kieferorthopädischen Behandlung als Sachleistung gerichteten Verpflichtungsklage. Zwar hat die Beklagte auf Nachfrage der Kammer in der mündlichen Verhandlung am 1. Februar 2007 angegeben, dass im Falle der Genehmigung eines Heil- und Kostenplans der beantragende Zahnarzt dann auch zu der im Behandlungsplan vorgesehenen Behandlung berechtigt ist; dennoch stützt die Beklagte ihre ablehnende Behandlung gegenüber dem in diesem Verfahren geltend gemachten Behandlungsanspruch gerade darauf, dass die Beigeladene als von dem Kläger gewählte Behandlerin hierzu wegen ihres Zulassungsverzichts nicht (mehr) berechtigt sei. Vor diesem Hintergrund kann das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers hinsichtlich seiner Arztwahl schon aus Klarstellungsgründen nicht verneint werden.
II.
Die so verstandene Klage ist auch begründet.
Der Kläger hat gegenüber der Beklagten sowohl einen Anspruch auf Genehmigung des Kostenplans vom 14. Juli 2004 als auch einen Sachleistungsanspruch auf eine entsprechende kieferorthopädische Behandlung durch die Beigeladene. Die entgegenstehenden Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten.
1.
Anspruchsgrundlage für die in diesem Verfahren geltend gemachten Ansprüche ist § 29 SGB V i.d.F. von Artikel 1 und 2 des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz-GMG) vom 14. November 2003 (BGBl. I 2190). Nach Abs. 1 dieser Vorschrift haben Versicherte Anspruch auf kieferorthopädische Versorgung in medizinisch begründeten Indikationsgruppen, bei denen eine Kiefer- oder Zahnfehlstellung vorliegt, die das Kauen, Beißen, Sprechen oder Atmen erheblich beeinträchtigt oder zu beeinträchtigen droht. Dabei bestimmt Abs. 2 der Vorschrift, dass Versicherte zu der kieferorthopädischen Behandlung einen Anteil iH von 20 v.H. der Kosten an den behandelnden Vertragszahnarzt zu leisten haben. Der Vertragszahnarzt selbst rechnet nach Abs. 3 der Vorschrift seine kieferorthopädische Behandlung abzüglich des Versichertenanteils mit der jeweils zuständigen Kassenzahnärztlichen Vereinigung ab. Sollte die Behandlung in dem durch den Behandlungsplan bestimmten medizinisch erforderlichen Umfang abgeschlossen worden sein, zahlt ggf. die jeweilige Krankenkasse den vom Versicherten geleisteten Anteil nach § 29 Abs. 2 Satz 1 und 3 SGB V an den Versicherten zurück.
Anders als im Bereich der Versorgung der Versicherten mit Zahnersatz (vgl hierzu bis Ende 2004 die Regelung in § 30 Abs. 4 Satz 1 SGB V a.F. bzw. ab 2005 die aktuelle Regelung in § 87 Abs. 1a Satz 2 SGB V) ist bei kieferorthopädischen Leistungen weder die Erstellung eines Heil- und Kostenplans noch dessen vorherige Genehmigung durch die Krankenkasse gesetzlich vorgeschrieben, obwohl der Gesetzgeber in Abs. 3 der Vorschrift die Erstellung eines solchen Plans voraussetzt. Daher ist in der Anlage 6 zum Bundesmantelvertrag-Zahnärzte (BMV-Z) ein gesondertes Gutachterverfahren bei kieferorthopädischen Maßnahmen vorgesehen. Nach § 1 der Anlage ist danach vor Beginn der Behandlung vom jeweiligen Zahnarzt anhand der erforderlichen diagnostischen Unterlagen ein Behandlungsplan zu erstellen und in doppelter Ausfertigung an die jeweilige Krankenkasse zu übersenden; mit der Behandlung soll dabei erst nach Rücksendung des (genehmigten) Behandlungsplans an den Zahnarzt begonnen werden (vgl hierzu § 2 Abs. 2 der Anlage 6 zum BMV-Z).
Nach dem Gesetzeswortlaut in § 29 Abs. 3 Satz 1 SGB V sind derartige Kostenpläne allerdings von Vertragszahnärzten zu beantragen. Eine solche Stellung nimmt die Beigeladene nach ihrem Zulassungsverzicht im Kalenderjahr 2004 aber nicht mehr ein. Insofern verweigert die Beklagte sowohl die Genehmigung des ansonsten unstreitig genehmigungsfähigen Kostenplans vom 14. Juli 2004 als auch die Gewährung einer entsprechenden kieferorthopädischen Behandlung als Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung. Aus Sicht der Kammer ist der Kläger aber unter Berücksichtigung von § 95b SGB V (ausnahmsweise) berechtigt, im Rahmen seines grundsätzlich bestehenden kieferorthopädischen Behandlungs- und Sachleistungsanspruchs die Beigeladene als Behandlerin zu wählen; § 76 SGB V steht dem nicht entgegen (dazu unten 1a bis c) Insoweit ist auch der Kostenplan der Beigeladenen vom 14. Juli 2004 seitens der Beklagten zu genehmigen und der entsprechende Sachleistungsanspruch des Klägers auf Gewährung einer kieferorthopädischen Behandlung zu erfüllen - auch wenn der vom Versicherten ausgewählte Leistungserbringer keine vertragszahnärztliche Zulassung mehr besitzt (dazu unten 2).
a)
Beherrschende Leistungsmaxime im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung ist nach 2 Abs. 2 SGB V das so genannten Sachleistungsprinzip. Danach erhalten die Versicherten "die Leistungen als Dienst- und Sachleistungen"; d.h. als Naturalleistung und damit - abgesehen von gesetzlichen Zuzahlungsregelungen - grundsätzlich kostenfrei, vorfinanzierungs- und risikolos (BVerfGE 11, 30, 31 [BVerfG 23.03.1960 - 1 BvR 216/51]; BSGE 73, 271, 274 f) [BSG 15.12.1993 - 11 RAr 95/92]. Die medizinisch erforderlichen Sachleistungen erbringen die gesetzlichen Krankenkassen gegenüber ihren Versicherten - von wenigen Ausnahmen abgesehen - aber nicht selbst. Vielmehr bedienen sie sich hierzu zugelassener Leistungserbringer nach den §§ 69 ff SGB V. Dem an der medizinischen Versorgung der Versicherten beteiligten und zugelassenen Vertrags(zahn)arzt obliegt dabei eine Kernfunktion: Nach § 73 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 - 12 SGB V umfasst sein Versorgungsauftrag u.a. die ärztliche, zahnärztliche und kieferorthopädische Behandlung sowie die ärztliche Betreuung bei Schwanger- und Mutterschaft; er verordnet Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie Arznei-, Heil- und Hilfsmittel oder häusliche Krankenpflege.
Unter den zur vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung zugelassenen (Zahn-)Ärzten, den medizinischen Versorgungszentren, den ermächtigten (Zahn-)Ärzten, den ermächtigten oder nach § 116b SGB V an der ambulanten Versorgung teilnehmenden ärztlich geleiteten Einrichtungen und den Zahnkliniken der Krankenkassen, den Eigeneinrichtungen der Krankenkassen nach § 140 Abs. 2 Satz 2 SGB V, den nach § 72a Abs. 3 SGB V vertraglich zur ärztlichen Behandlung verpflichteten Ärzte und Zahnärzte, den zum ambulanten Operieren zugelassenen Krankenhäusern sowie den Einrichtungen nach § 75 Abs. 9 SGB V können die gesetzlich Krankenversicherten zudem nach § 76 Abs. 1 Satz 1 SGB V frei wählen. Andere Ärzte dürfen nur in Notfällen in Anspruch genommen werden. Die Beigeladene gehört allerdings nach ihrem im März 2004 erklärten Verzicht auf ihre vertragszahnärztliche Zulassung nicht mehr zu den im vorangestellten Gesetzestext aufgeführten Leistungserbringern. In diesem Zusammenhang kann sich der Kläger auch nicht auf die Notfallregelung in Abs. 1 Satz 2 berufen, da eine über einen Zeitraum von sechs Quartalen laufende kieferorthopädische Behandlung nicht als Notfallbehandlung in diesem Sinne vorstellbar ist.
b)
Das Recht der freien Arztwahl in § 76 Abs. 1 SGB V stellt aber - zumindest aus Sicht der Versicherten - keine abschließende Regelung dar. Dies zeigt die systematische Stellung der Norm im Fünften Sozialgesetzbuch innerhalb des Gesetzestitels "Sicherstellung der vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Versorgung" und nicht im Leistungsrecht des Dritten Kapitels nach den §§ 11 bis 68 SGB V. Das Recht der freien Arztwahl ist damit in erster Linie ein (Schutz-)Recht der zugelassenen ambulanten Leistungserbringer davor, dass die gesetzlichen Krankenkassen für die Versicherten bei der notwendigen medizinischen Versorgung den oder die Leistungserbringer bestimmen und damit die vertrags(zahn)ärztliche Versorgung in ihrem Sinne steuern. Vor diesem Hintergrund regelt die Vorschrift das Wahlrecht der Versicherten lediglich innerhalb der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung; die Möglichkeit der Versicherten, ausnahmsweise auch Leistungserbringer außerhalb dieses Versorgungssystems (im Rahmen einer privatrechtlichen Entscheidung) zu wählen, bleibt davon unberührt.
c)
Eine solche Durchbrechung in der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgungssystematik zugunsten der Versicherten hat der Gesetzgeber u.a. in § 95b Abs. 1 und 3 SGB V vorgesehen.
Danach ist es mit den Pflichten eines Vertragszahnarztes zwar nicht vereinbar, in einem mit anderen Zahnärzten aufeinander abgestimmten Verfahren oder Verhalten auf die Zulassung als Vertragszahnarzt zu verzichten. Nimmt ein Versicherter dennoch einen Zahnarzt in Anspruch, der auf seine Zulassung nach Abs. 1 verzichtet hat, zahlt die Krankenkasse die Vergütung mit befreiender Wirkung an den Zahnarzt. Der Vergütungsanspruch gegen die Krankenkasse ist auf das 1,0-fache des Gebührensatzes der GOZ beschränkt. Ein Vergütungsanspruch des Zahnarztes gegen den Versicherten besteht nicht; abweichende Vereinbarungen hiervon sind nichtig.
Für die Auffassung der Beklagten, diese Vorschrift knüpfe an den Kostenerstattungsanspruch in § 13 Abs. 3 SGB V im Falle eines Systemsversagens an und die Bedeutung der Vorschrift beschränke sich darauf, für den Fall der Teilnahme eines Vertragszahnarztes an einem kollektiven Zulassungsverzicht eine von § 13 Abs. 3 SGB V abweichende Rechtsfolge vorzusehen, gibt dabei schon der Wortlaut des § 95b Abs. 3 SGB V nichts her. Die Regelung betrifft auch nach ihrer Entstehungsgeschichte, Systematik und ihrem Zweck die Rechtsstellung der Krankenkassen gegenüber den ehemalig zugelassenen Leistungserbringern, die in einem aufeinander abgestimmten Verfahren auf ihre Zulassung verzichtet haben. Diese bleiben gegenüber den Sozialversicherungsträgern zunächst trotz ihrer Entscheidung zur vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung der Versicherten im Rahmen einer privat(zahn)ärztlichen Behandlung verpflichtet (dazu unten a.A. bis ee).
aa)
Nach dem Gesetzeswortlaut in § 95b Abs. 3 SGB V zahlt die Krankenkasse "mit befreiender Wirkung" die jeweilige Vergütung an den (nicht mehr) zugelassenen Zahnarzt. Insoweit knüpft die Regelung an § 85 Abs. 1 SGB V an, wonach - ebenfalls mit befreiender Wirkung - eine Gesamtvergütung an die jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigungen für die gesamte vertrag(zahn)ärztliche Versorgung gezahlt wird. Beide Regelungen entsprechen damit dem vorangestellt angesprochenen Sachleistungsprinzip: Die gesetzlichen Krankenkassen erbringen die medizinisch erforderlichen ambulanten Leistungen durch externe Leistungserbringer und zahlen hierfür eine Pauschalvergütung - ohne Kostenrisiko für die Versicherten. Die Vorschriften stehen entsprechend zu dem Kostenerstattungsanspruch in § 13 Abs. 3 SGB V in einem aliud-Verhältnis; so sind die (ausnahmsweise zu erbringenden) Kostenerstattungsleistungen der Krankenkassen auch grundsätzlich nicht Bestandteil der zu zahlenden Gesamtvergütung. Nach § 85 Abs. 2 Satz 8 SGB V sind die Partner der Gesamtverträge lediglich verpflichtet, die aufgrund des Wahlrechts aus § 13 Abs. 2 SGB V in Anspruch genommenen Kostenerstattungsleistungen auf das Ausgabenvolumen der Gesamtvergütung anzurechnen.
bb)
Weiter ist zu berücksichtigen, dass § 95 b SGB V vor dem Hintergrund von Bestrebungen einzelner Vertragszahnärzte eingeführt worden ist, im Rahmen eines so genannten "Korbmodells" in großer Zahl das vertragszahnärztliche Versorgungssystem zu verlassen, um den mit dem Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) eingeführten neuen Instrumentarien zur Honorarbegrenzung zu entgehen. Entsprechend soll § 95b Abs. 3 SGB V ausweislich der Begründung im Gesetzesentwurf (BT-Drucks 12/3608 S 95, 96) sicherstellen, dass Vertrags(zahn)ärzte den mit einem kollektiven Verzicht verfolgten Zweck nicht auf Kosten der Versicherten erreichen. Ziel der Vorschrift ist es danach, dass der kollektiv ausgeschiedene Vertrags(zahn)arzt "dem Vertragsarztsystem kraft Gesetzes zumindest insofern verhaftet" bleibt, "als er die Behandlung eines Versicherten nur mit dem Einfachsatz mit der jeweils einschlägigen Gebührenordnung vergütet erhält und ihm auch nur ein Vergütungsanspruch gegen die Krankenkasse eingeräumt wird". Der Gesetzgeber hat damit gerade nicht an § 13 Abs. 3 SGB V (Privatliquidation des Zahnarztes und Erstattungsanspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse) angeknüpft, sondern einen neuartigen Tatbestand der gesetzlichen Nachhaftung aus einer früher erworbenen vertrags(zahn)ärztlichen Zulassung geschaffen (vgl hierzu das Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 13. September 2006 - L 3 KA 90/05).
cc)
Auch die systematische Stellung von § 95b SGB V spricht gegen eine Verknüpfung mit dem Kostenerstattungsanspruch in § 13 Abs. 3 SGB V. So ist die Regelung Bestandteil der "Voraussetzungen und Formen der Teilnahme von Ärzten und Zahnärzten an der Versorgung" im Leistungserbringungsrecht nach den §§ 95 ff SGB V. Eine Modifizierung des versicherungsrechtlichen Kostenerstattungsanspruchs im Falle eines Systemversagens hätte jedoch zweckmäßig im Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung und nicht im Leistungserbringungsrecht geregelt werden müssen.
Ein redaktionelles Versehen des Gesetzgebers in dieser Hinsicht kann zumindest ausgeschlossen werden; so ist über § 13 Abs. 2 Satz 6 SGB V für die Versicherten, die anstelle der Sach- und Dienstleistungen die Kostenerstattung gewählt haben, eine Inanspruchnahme der Leistungserbringer nach § 95b Abs. 3 SGB V ausdrücklich ausgeschlossen worden. Insoweit hat der Gesetzgeber vor dem Hintergrund des Sachleistungsprinzips die fehlende Vereinbarkeit der Regelungssystematik in § 95b SGB V mit einem Kostenerstattungsanspruch durchaus erkannt.
dd)
Schließlich bleibt unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Beklagten kaum Raum für eine Anwendung der Vorschrift. Erkennbarer Zweck der Regelung ist es, einem möglichen Systemversagen durch einen kollektiven Verzicht ambulanter Leistungserbringer entgegenzuwirken. Die ambulante vertrags(zahn)ärztliche Versorgung soll - notfalls durch nicht mehr zur vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung zugelassene Ärzte und Zahnärzte unter Aufrechterhaltung des Sachleistungsprinzips gesichert werden. Gleichzeitig dient die Regelung auch dem Grundsatz der Beitragssatzstabilität, da im Falle eines Systemsversagens die gesetzlichen Krankenkassen unter Berücksichtigung von § 13 Abs. 3 SGB V zur Erstattung privat verauslagter Kosten ohne jede Begrenzungsmöglichkeit hinsichtlich der Steigerungssätze in den privatärztlichen Gebührenordnungen verpflichtet wäre. Im Vordergrund steht damit der Schutz der Versicherten, deren notwendige medizinische Versorgung möglichst unabhängig von dem Verhältnis zwischen Krankenkasse und Leistungserbringer aufrecht erhalten bleiben soll.
Die Sicherstellung der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung ggf. durch privat(zahn)ärztliche Behandlungen im Rahmen des § 95b Abs. 3 SGB V ist damit Bestandteil dieser Versorgungssystematik. Ein Versagen dieses Systems - wie es der Kostenerstattungsanspruch in § 13 Abs. 3 SGBV voraussetzt - liegt bei einem kollektiven Zulassungsverzicht ehemaliger Vertrags(zahn)ärzte gerade nicht vor.
ee)
Vor diesem Hintergrund schließt sich die Kammer der Auffassung des LSG Niedersachsen-Bremen (vgl den Beschluss vom 5. Januar 2005 - L 3 KA 237/04 ER) an, wonach Versicherte im Rahmen des § 95b SGB V einen ausgeschiedenen Vertragszahnarzt - nunmehr im Rahmen einer privatautonomen Entscheidung - weiterhin als Behandler wählen und die Übernahme der ihren Eigenanteil gemäß § 29 Abs. 2 Satz 1 SGB Vübersteigenden Kosten durch die Krankenkasse beanspruchen können. Es handelt sich dabei zwar um eine Privatbehandlung des gesetzlich Krankenversicherten, was sich bereits aus der Anwendbarkeit der GOZ ergibt. Schuldner der durch § 95b Abs. 3 SGB V deutlich reduzierten privatzahnärztlichen Vergütung ist jedoch nicht der gesetzlich krankenversicherte Patient des Leistungserbringers sondern seine Krankenkasse. Dies gilt zumindest dann, wenn dem Versicherten dem Grunde nach ein entsprechender Leistungsanspruch gegenüber seiner Krankenkasse zusteht, so dass Maßnahmen, die nicht gemäß § 29 SGB V genehmigungsfähig sind, weiterhin vom Versicherten privat vereinbart und selbst bezahlt werden müssen (so auch der 4. Senat des LSG Niedersachsen-Bremen in dem Beschluss vom 16. August 2005 - L 4 KR 197/05 ER)
2.
Abschließend hat die Kammer keine Zweifel daran, dass in diesem Fall die leistungsrechtlichen Voraussetzungen für die Genehmigung des HKP vom 14. Juli 2004 bzw. die Gewährung einer entsprechenden kieferorthopädischen Behandlung durch die Beigeladene erfüllt sind.
a)
So hat die Beklagte auf eine ausdrückliche Nachfrage der Kammer hin bestätigt, dass der privatzahnärztliche Behandlungsplan der Beigeladenen vom 14. Juli 2004 dem Grunde nach genehmigungsfähig ist. Lediglich die fehlende vertragszahnärztliche Zulassung der Beigeladenen stehe aus Sicht der Beklagten einer Genehmigung dieses Behandlungsplans entgegen. Dem gegenüber ist aus den vorangestellten Ausführungen zu entnehmen, dass der Kläger nach den §§ 29, 95b Abs. 3 SGB V hier berechtigt ist, seinen nach dieser Erklärung der Beklagten feststehenden Sachleistungsanspruch auf Gewährung einer kieferorthopädischen Behandlung auch durch Leistungserbringer erfüllen zu lassen, die in einem aufeinander abgestimmten Verfahren auf ihre Zulassung als Vertragszahnärzte verzichtet haben.
Die Beigeladene zählt unstreitig zu einem solchen Behandlerkreis. Sie ist aufgrund ihres nach § 95b Abs. 1 SGB V pflichtwidrigen Verhaltens verpflichtet - nicht berechtigt -, gesetzlich Krankenversicherte im Rahmen der vertragszahnärztlichen Versorgung als Privatzahnärztin zu behandeln. Ihr Vergütungsanspruch für eine solche Behandlung ist dabei auf den 1,0-fachen Gebührensatz beschränkt und ist gegenüber der jeweiligen Krankenkasse des Patienten geltend zu machen.
Diese aus § 95b SGB V resultierende Verpflichtung der Beigeladenen wirkt so lange fort, bis die vertragszahnärztliche Versorgung im Bedarfsplanungsbereich Bremervörde wieder den Stand erreicht hat, der vor dem kollektiven Zulassungsverzicht von Kieferorthopäden bzw. kieferorthopädisch tätigen Zahnärzten in Niedersachsen bestand (so auch das LSG Niedersachsen-Bremen im Urteil vom 13. September 2006, a.a.O.). Nach Auskunft der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Niedersachsen vom 11. Dezember 2006 (Blatt 213 der Gerichtsakte) ist dies gegenwärtig (noch) nicht der Fall. Danach ist in dem Bedarfsplanungsbereich, in dem die Beigeladene als Fachzahnärztin tätig ist, ihr ehemaliger Vertragszahnarztsitz derzeit noch nicht wieder besetzt.
b)
Ob der Kläger bei laufender Behandlung im Falle einer Besetzung dieses Vertragszahnarztsitzes durch einen Kieferorthopäden bzw. kieferorthopädisch tätigen Zahnarzt im Bedarfsplanungsbereich von Bremervörde ggf. zu einem Behandlerwechsel im Rahmen der dann wieder sichergestellten vertragszahnärztlichen Versorgung verpflichtet ist (vgl zu den Voraussetzungen eines solchen Behandlerwechsels bei einer kieferorthopädischen Behandlung die Entscheidung des BSG vom 18. Januar 1996 - 1 RK 22/95) ist nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.