Sozialgericht Stade
Urt. v. 30.01.2007, Az.: S 17 AS 372/05
Vorliegen einer Pflicht zur Neuberechnung eines Zuschlags nach § 24 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) bei späteren Veränderungen der Höhe des Arbeitslosengeldes II (Alg II)
Bibliographie
- Gericht
- SG Stade
- Datum
- 30.01.2007
- Aktenzeichen
- S 17 AS 372/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 51778
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGSTADE:2007:0130.S17AS372.05.0A
Rechtsgrundlagen
- § 24 Abs. 1 SGB II a.F.
- § 24 Abs. 2 SGB II
Tenor:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 13. Juli 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. November 2005 verpflichtet, der Klägerin Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe im Zeitraum 01. August 2005 bis 31. Januar 2006 mit der Maßgabe zu gewähren, dass der Zuschlag nach § 24 SGB II für die Zeit ab September 2005 neu zu berechnen ist.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Frage, ob der Zuschlag gem. § 24 SGB II in der bis zum 31. Juli 2006 geltenden Fassung bei späteren Veränderungen der Höhe des Arbeitslosengeldes II neu zu berechnen ist oder nicht.
Die Klägerin bezog bis zum 25. März 2005 Arbeitslosengeld iHv monatlich 879,60 EUR. Auf ihren frühzeitigen Antrag vom 4. Februar 2005 bewilligte die Agentur für Arbeit Bremerhaven als Funktionsvorgängerin der Beklagten mit Bescheid vom 9. März 2005 Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum 1. März 2005 bis 31. Juli 2005. Aufgrund des im März noch zufließenden Arbeitslosengeldes ergab sich für den Monat März dabei ein Leistungsanspruch iHv 129,94 EUR, ab April iHv monatlich 865,94 EUR. In den Berechnungen war ein Zuschlag gem. § 24 SGB II nicht berücksichtigt. Nach Widerspruch der Klägerin, unter anderem wegen des Fehlens des Zuschlags, bewilligte die Agentur für Arbeit Bremerhaven mit Änderungsbescheid vom 1. April 2005 höhere Leistungen, in dem sie einen Zuschlag iHv 28,00 EUR gewährte. Auf den Fortzahlungsantrag der Klägerin hin bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 13. Juli 2005 Grundsicherungsleistungen für den Zeitraum 1. August 2005 bis zum 31. Januar 2006. Die Klägerin wandte sich gegen diesen Bescheid, da zum einen die Kosten der Unterkunft schon ab August 2005 auf das nach Ansicht der Beklagten angemessenen Maß abgesenkt wurden, der Zuschlag gem. § 24 SGB II jedoch nicht neu berechnet wurde. Mit Widerspruchsbescheid vom 14. November 2005 änderte die Beklagte die Fortbewilligung dahingehend, dass eine Senkung der Kosten der Unterkunft erst ab 1. September 2005 und damit unter Einhaltung der sechsmonatigen Regelfrist des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II vorgenommen würde. Bezüglich der Neuberechnung des Zuschlags wurde der Widerspruch der Klägerin jedoch als unbegründet zurückgewiesen. Am 21. November 2005 hat die Klägerin die Klage zum Sozialgericht Stade erhoben.
Sie trägt vor, der Zuschlag gem. § 24 SGB II müsse nach der Absenkung der Kosten der Unterkunft neu berechnet werden, da die maßgebliche Differenz zwischen dem zuletzt bezogenen Arbeitslosengeld und dem Arbeitslosengeld II nun sehr viel größer sei.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 13. Juli 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. November 2005 zu verpflichten, ihr Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe im Zeitraum August 2005 bis einschließlich Januar 2006 mit der Maßgabe zu gewähren, dass der Zuschlag nach § 24 SGB II für die Zeit ab September 2005 neu berechnet wird.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, der Zuschlag nach § 24 SGB II sei gem. § 24 Abs. 2 SGB II bei dem erstmaligen Bezug von Arbeitslosengeld II zu bestimmen und danach nicht noch einmal erneut zu berechnen.
Zum Vorbringen der Beteiligten im Übrigen und zu den Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die vorliegende Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 30. Januar 2007 waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage hat Erfolg.
Der angegriffene Bescheid vom 13. Juli 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. November 2005 war rechtswidrig und beschwerte die Klägerin, soweit keine Neuberechnung des Zuschlags gemäß § 24 SGB II ab September 2005 erfolgte (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).
Nach der hier einschlägigen Fassung des § 24 SGB II a.F. ist der Zuschlag neu zu berechnen, wenn sich der Umfang des Arbeitslosengeldes II nachträglich verändert. Gemäß § 24 Abs. 1 SGB II a.F. erhält ein erwerbsfähiger Hilfebedürftiger einen monatlichen Zuschlag, soweit er Arbeitslosengeld II innerhalb von zwei Jahren nach dem Ende des Bezuges von Arbeitslosengeld I bezieht. Nach Ablauf des ersten Jahres wird der Zuschlag um 50 v.H. vermindert. Gemäß den Vorgaben des Absatzes 2 beträgt der Zuschlag 2/3 des Unterschiedsbetrages zwischen einerseits dem zuletzt bezogenen Arbeitslosengeld und dem nach dem Wohngeldgesetz erhaltene Wohngeld und andererseits dem an den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und die mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Angehörigen zu zahlenden Arbeitslosengeld II.
Nach diesem Gesetzeswortlaut ist nicht ausgeschlossen, dass eine Neuberechnung bei Veränderungen der Leistungshöhe innerhalb der möglichen zwei Jahre der Bezugsdauer des Zuschlags erfolgt (vgl. Rixen in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 24, Rdn 10; Sozialgericht Berlin , Urteil vom 28. Oktober 2005 - S 37 AS 7825/05 -). Auch die Gesetzesbegründung zum SGB II steht einer Neuberechnung nicht entgegen (vgl. BT-Drucksache 15/1516, Seite 58). Allerdings ist zu bedenken, dass der § 24 Abs. 2 SGB II durch das Gesetz zur Fortentwicklung zur Grundsicherung für Arbeitssuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl. 1, Seite 1706) im dortigen Artikel 1 Nr. 23 neu gefasst wurde. Seit August 2006 ist dem nach auf den Unterschiedsbetrag zwischen zuletzt bezogenen Arbeitslosengeld und dem gegebenenfalls bezogenen Wohngeld einerseits und dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und den mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Angehörigen erstmalig nach dem Ende des Bezuges von Arbeitslosengeld zustehenden Arbeitslosengeld II abzustellen. Aus der Gesetzesbegründung zu diesem Änderungsgesetz zum SGB II geht hervor, dass diese Neuregelung eine Klarstellung sein soll. Bis auf einen hier nicht relevanten Ausnahmefall soll der befristete Zuschlag nach dem Willen des Gesetzgebers unveränderbar sein und spätere Änderungen in den Einkommensverhältnissen unberücksichtigt bleiben (vgl. BT-Drucksache 16/1410, Seite 24).
Nach Überzeugung der Kammer kommt eine Anwendung der Gesetzesfassung ab August 2006 auf den hier betroffenen Leistungszeitraum August 2005 bis Januar 2006 nicht in Betracht. Zum einen können zunächst bestehende Unklarheiten in der gesetzlichen Ausformulierung, die erst durch ein Änderungsgesetz behoben werden, nicht zu Lasten von Hilfebedürftigen gehen. Zum anderen und vor allem ist jedoch zu bedenken, dass eine zu restriktive Auslegung der Berechnungsvorgaben in § 24 Abs. 2 SGB II kaum mit dem ursprünglichen Sinn und Zweck der Vorschrift in Einklang zu bringen ist. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll der befristete Zuschlag in vertretbaren Umfang einen Teil der Einkommenseinbußen abfedern, die in der Regel beim Übertritt vom Arbeitslosengeld in das Arbeitslosengeld II entstehen. Dadurch soll berücksichtigt werden, dass der ehemalige Arbeitslosengeldempfänger durch häufig langjährige Erwerbstätigkeit, im Unterschied zu solchen Empfängern der neuen Leistungen, die nur jeweils kurzfristig bzw. noch nie Erwerbstätig waren, vor dem Bezug der neuen Leistung einen Anspruch in der Arbeitslosenversicherung erworben hat (vgl. BT-Drucksache 15/1516, Seite 58). Dieses Ziel kann nicht erreicht werden, wenn in einem Fall wie dem vorliegenden der maßgebliche Differenzbetrag zwischen dem zuletzt bezogenen Arbeitslosengeld und dem Arbeitslosengeld II aufgrund unangemessener hoher Unterkunftskosten zunächst sehr gering ausfällt und sich in absehbarer Zeit nicht unerheblich vergrößert. Im Falle der Klägerin sanken die Leistungen nach dem SGB II aufgrund der Absenkung der Unterkunftskosten um rund 180,00 EUR. Nach Auffassung der Kammer entsteht ein Wertungswiderspruch, wenn der Gesetzgeber einerseits einen relativ langen Zeitraum vom zwei Jahren für die Abfederung des Übergangs zum Arbeitslosengeld II einplant und den Zuschlag dadurch ein relatives Gewicht verleiht, dennoch aber praktisch einen fast vollständigen Ausfall der gewünschten Wirkung in Kauf nehmen würde, wenn ein Leistungsempfänger aufgrund der gesetzlichen Vorgaben in § 22 SGB II nach wenigen Monaten seine Unterkunftskosten senken muss. Damit zwänge der Gesetzgeber einen Leistungsempfänger einerseits zur Vergrößerung der Differenz zwischen dem zuletzt bezogenen Arbeitslosengeld und dem Arbeitslosengeld II und brächte ihn bei enger Auslegung des § 24 Abs. 2 SGB II zugleich um den an sich vorgesehenen Ausgleich.
Dem Einwand der Beklagten, durch eine Neuberechnung des Zuschlags nach gesetzmäßiger Absenkung der Kosten der Unterkunft würde der Sinn und Zweck der Absenkung, nämlich das Bemühen eines Leistungsempfängers um eine angemessene Unterkunft, praktisch aufgehoben, kann nicht gefolgt werden. Zum einen ist der Sinn und Zweck des Zuschlags ein anderer als die Beschränkung der zu übernehmenden Kosten der Unterkunft auf das angemessene Maß. So hat der Zuschlag nicht die Funktion, eventuelle Mehrkosten zum Erhalt einer unangemessenen Unterkunft auszugleichen. Auch erlangt ein Leistungsempfänger keinen Vorteil, wenn er eine unangemessene Unterkunft unter Umständen aufgrund des höheren Zuschlags noch vorübergehend halten könnte, da ihm dennoch die Abfederung des Leistungsübergangs zum Arbeitslosengeld II verloren geht. Zum anderen ist zu bedenken, dass die Absenkung der Kosten der Unterkunft auf das angemessene Maß nicht eine Sanktion darstellt, deren Effekt durch die Neuberechnung des Zuschlags aufgehoben würde. Vielmehr ist die Begrenzung der Übernahme von Kosten der Unterkunft auf das angemessene Maß eine Folge des Zieles des SGB II, nur den notwendigen Lebensunterhalt zu sichern und eine Grundsicherung zu gewährleisten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.