Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 25.04.2019, Az.: 11 LB 498/18

Prozessvergleich; Vergleich; Vollstreckung; Vollstreckungsbefugnis; Vollstreckungstitel

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
25.04.2019
Aktenzeichen
11 LB 498/18
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 70086
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 24.08.2017 - AZ: 6 A 499/16

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Wird in einem Prozessvergleich nach § 106 VwGO der angefochtene Bescheid ganz oder teilweise geändert, konsumiert der gerichtliche Vollstreckungstitel regelmäßig den behördlichen Vollstreckungstitel mit der Folge, dass die Vollstreckungsbefugnis insgesamt auf den Vorsitzenden des erstinstanzlichen Gerichts übergeht und die Behörde nicht mehr für die Vollstreckung zuständig ist (vgl. Hessischer VGH, Beschl. v. 15.1.2015 - 3 B 1535/14 -, juris, Rn. 12).

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 6. Kammer - vom 24. August 2017 geändert.

Der Bescheid der Beklagten vom 1. November 2016 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Beschluss ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Festsetzung eines Zwangsgeldes durch die Beklagte.

Der Kläger ist gemeinsam mit seiner Ehefrau Halter von Hunden der Rasse Border Collie. Mit Bescheid vom 25. November 2010 erließ der Landkreis C. unter Anordnung der sofortigen Vollziehung gegenüber dem Kläger und dessen Ehefrau gemäß § 13 Abs. 1 NHundG a.F. i.V.m. § 11 Nds. SOG unter Ziffer 1 die folgende Anordnung:

„Sämtliche von dem Kläger gehaltenen Hunde sind so zu halten, dass sie nicht unbeaufsichtigt das Wohngrundstück des Klägers und dessen Ehefrau verlassen können.“

Für den Fall der Nichtbefolgung der Ziffer 1 des Bescheides wurde die Festsetzung eines Zwangsgeldes in Höhe von 300 EUR angedroht. Weiter verfügte der Landkreis Lüneburg in dem Bescheid eine Anzeigepflicht bei Abgabe der Hunde (Ziffer 2), einen Leinenzwang für einzelne Hunde (Ziffern 3 und 4) sowie einen Maulkorbzwang (Ziffer 5). Gegen diesen Bescheid und den dazu ergangenen Kostenfestsetzungsbescheid erhoben der Kläger und seine Ehefrau am 29. Dezember 2010 Klagen vor dem Verwaltungsgericht (6 A 262/10 und 6 A 263/10). Ihren Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 2. Februar 2011 ab (6 B 51/10). Die Klageverfahren 6 A 262/10 und 6 A 263/10 wurden durch gerichtlichen Vergleich vom 15. März 2012 mit dem folgenden Inhalt beendet:

„1. Der Beklagte hebt Ziffer 5 seiner Verfügung vom 25. November 2010 auf. Er beschränkt ferner den in der Verfügung verfügten Leinenzwang auf die Ortslage D., den Wohnort der Kläger.

2. Der Beklagte reduziert seine Forderung aus dem Kostenfestsetzungsbescheid vom 25. November 2010 auf 50 EUR.

3. Eine Kostenentscheidung in den beiden Klagen wird dem Gericht überlassen.“

Mit Bescheid vom 1. November 2016 setzte die Beklagte gegenüber dem Kläger ein Zwangsgeld in Höhe von 300 EUR fest. Zur Begründung gab die Beklagte an, dass die Hunde des Klägers am 10. August 2016 dessen Grundstück unbeaufsichtigt verlassen hätten und der Kläger damit gegen Ziffer 1 des Bescheides des Landkreises C. vom 25. November 2010 verstoßen habe.

Der Kläger hat gegen diesen Bescheid der Beklagten am 21. November 2016 Klage erhoben.

Zur Begründung hat er vorgetragen, dass die Hunde sein Hofgrundstück am 10. August 2016 nicht unbeaufsichtigt verlassen hätten. Die Behauptung der Zeugin sei unzutreffend. Ein Verstoß gegen Ziffer 1 des Bescheides vom 25. November 2010 könne ihm auch nicht vorgeworfen werden, wenn die Hunde das Grundstück verlassen hätten. Denn die Anordnung der Ziffer 1 knüpfe an die Haltungsbedingungen und nicht an den Aufenthalt der Hunde an. Zudem sei die Anordnung der Ziffer 1 unbestimmt. Im Zuge des in der mündlichen Verhandlung vom 15. März 2012 geschlossenen Vergleiches seien sich die Beteiligten darüber einig geworden, dass ihm nur aufgegeben werde, seine Hunde wieder zurückzuholen. Er verstoße mithin nur dann gegen die Anordnung der Ziffer 1, wenn er es unterlasse, seine Hunde zurückzuholen, nicht aber, wenn diese unbeaufsichtigt das Grundstück verließen.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 1. November 2016 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat erwidert, dass die streitgegenständliche Zwangsgeldfestsetzung Ziffer 1 des Bescheides des Landkreises C. vom 25. November 2010 betreffe, wonach alle Hunde des Klägers so zu halten seien, dass diese dessen Grundstück nicht unbeaufsichtigt verlassen könnten. Dagegen habe der Kläger verstoßen, wie zwei Zeugen unabhängig voneinander bestätigt hätten.

Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 24. August 2017 die von dem Kläger erhobene Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass der Bescheid vom 1. November 2016 formell und materiell rechtmäßig sei und den Kläger nicht in seinen Rechten verletze. Die Hundehalterverfügung vom 25. November 2010 sei vollstreckbar, da sie im Zeitpunkt der Zwangsgeldfestsetzung gegenüber dem Kläger schon bestandskräftig gewesen sei. Der Kläger habe zwar Rechtsbehelfe gegen die Verfügung eingelegt. Die Ziffer 1 der Hundehalterverfügung sei für ihn aber bindend geworden, da das von ihm betriebene gerichtliche Aussetzungsverfahren erfolglos geblieben sei und die Rechtstreitigkeit in der Hauptsache 6 A 262/10 durch Vergleich vom 15. März 2012 beigelegt worden sei. Der geschlossene Vergleich lasse Ziffer 1 der Hundehalterverfügung unberührt. Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung erfolgten Beweisaufnahme stehe zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Kläger gegen Ziffer 1 des Bescheides vom 25. November 2010 verstoßen habe.

Auf den Antrag des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 3. September 2018 die Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der das Urteil des Verwaltungsgerichts tragenden Gründe gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen.

Der Kläger trägt zur Begründung der Berufung vor, dass die formellen und materiellen Vollstreckungsvoraussetzungen nicht vorgelegen hätten und die Beklagte sich insbesondere eines falschen Vollstreckungsregimes bedient habe. Wie er zum Inhalt des geschlossenen Vergleichs vorgetragen habe, seien sich die Beteiligten darüber einig gewesen, dass für ihn nur die Verpflichtung bestehen sollte, entlaufene Hunde wieder einzufangen. Dazu habe er Beweis durch Zeugenvernehmung des damals zuständig gewesenen Richters angeboten. Im Übrigen sei die Anordnung in Ziffer 1 des Bescheides vom 25. November 2010 auch unbestimmt und könne nicht vollstreckt werden. Weiter sei der von der Beklagten behauptete Verstoß nicht hinreichend bewiesen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 24. August 2017 zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 1. November 2016 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie tritt dem Vorbringen des Klägers entgegen und verweist zur Begründung auf die Gründe des erstinstanzlichen Urteils.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Der Senat trifft diese Entscheidung nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss (§ 130 a Satz 1 VwGO), weil er die Berufung des Klägers einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Das Verwaltungsgericht hat die von dem Kläger erhobene Klage zu Unrecht abgewiesen. Der von dem Kläger angefochtene Bescheid der Beklagten vom 1. November 2016, mit dem gegen ihn ein Zwangsgeld in Höhe von 300 EUR wegen Verstoßes gegen Ziffer 1 des Bescheides des Landkreises C. vom 25. November 2011 festgesetzt worden ist, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Die Beklagte war nicht befugt, mit dem angefochtenen Bescheid wegen eines Verstoßes gegen Ziffer 1 des Bescheides des Landkreises C. vom 25. November 2010 ein Zwangsgeld gegen den Kläger festzusetzen. Aufgrund des im Klageverfahren 6 A 262/10 geschlossenen Vergleichs ist zuständige Vollstreckungsbehörde nach § 169 Abs. 1 Satz 2 VwGO der Vorsitzende des Gerichts des ersten Rechtszugs.

Zwar ist nach § 64 Abs. 3 Satz 1 Nds. SOG für die Anwendung von Zwangsmitteln die Verwaltungsbehörde zuständig, die für den Erlass des Verwaltungsaktes zuständig ist. Mit der Änderung des Niedersächsischen Gesetzes über das Halten von Hunden (NHundG) vom 26. Mai 2011 (Nds. GVBl. S. 130, ber. S. 184) wurden die Regelungen für die Zuständigkeit zur Überwachung der Einhaltung der Pflichten nach diesem Gesetz geändert. Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 NHundG überwacht die Gemeinde die Einhaltung der §§ 2 bis 6 und 14 NHundG; nach Satz 2 überwacht die Fachbehörde die Einhaltung der Vorschriften dieses Gesetzes im Übrigen. Zuständig für die Durchsetzung der allgemeinen Hundehalterpflichten nach § 2 NHundG ist damit die Beklagte. Dies gilt grundsätzlich auch für die zwangsweise Durchsetzung einer von dem früher zuständig gewesenen Landkreis C. erlassenen Verfügung.

Der im Klageverfahren 6 A 262/10 gegen den Bescheid des Landkreises C. vom 25. November 2010 geschlossene Vergleich hat jedoch zur Folge, dass die Beklagte nicht mehr für die Vollstreckung zuständig ist. Bei dem am 15. März 2012 geschlossenen Vergleich handelt es sich nicht um die Protokollierung einer außergerichtlichen Einigung zwischen den Beteiligten, die mit einer Klagerücknahme oder übereinstimmenden Erledigungserklärungen verbunden war, sondern um den Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs nach § 106 VwGO, durch den das Verfahren unmittelbar beendet wurde. Ein solcher Prozessvergleich nach § 106 VwGO ist gemäß § 168 Abs. 1 Nr. 3 VwGO gerichtlicher Vollstreckungstitel, so dass nach § 169 Abs. 1 Satz 2 VwGO der Vorsitzende des Gerichts des ersten Rechtszugs die zuständige Vollstreckungsbehörde ist, soweit die Vollstreckung - wie hier - zugunsten der öffentlichen Hand erfolgen soll. Aufgrund seiner Doppelnatur ist der gerichtliche Vergleich sowohl Prozesshandlung als auch öffentlich-rechtlicher Vertrag, für den die materiell-rechtlichen Vorschriften der §§ 54 ff. VwVfG gelten. Als Prozesshandlung führt er zur Prozessbeendigung, als materiell-rechtlicher Vertrag zur Streitbeendigung (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.3.2010 - 6 C 15/09 -, NJW 2010, 3048, juris, Rn. 12). Wird der angefochtene Verwaltungsakt in einem gerichtlichen Vergleich ganz oder teilweise geändert, konsumiert der gerichtliche Vollstreckungstitel regelmäßig den behördlichen Vollstreckungstitel mit der Folge, dass Vollstreckungsgegenstand der gerichtliche Vergleich mit seinem vertraglich vereinbarten Inhalt ist und die Vollstreckungsbefugnis insgesamt auf den Vorsitzenden des erstinstanzlichen Gerichts übergeht (vgl. Hessischer VGH, Beschl. v. 15.1.2015 - 3 B 1535/14 -, juris, Rn. 5 ff.; Pietzner/Möller in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: September 2018, § 168, Rn. 25; Heckmann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 168, Rn. 44). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kann nur dann angenommen werden, wenn in dem Prozessvergleich lediglich die Bestandskraft des streitgegenständlichen Bescheids vereinbart wurde (Kraft, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 168, Rn. 14; Bayerischer VGH, Beschl. v. 5.2.2001 - 23 C 01.155 -, juris, Rn. 9). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. In dem im Klageverfahren 6 A 262/10 geschlossenen gerichtlichen Vergleich wurde nicht die Bestandskraft des Bescheides des Landkreises C. vom 25. November 2010 geregelt, sondern eine teilweise Änderung dieses Bescheides vereinbart. Grundlage einer Vollstreckung kann daher nicht der - geänderte - Bescheid vom 25. November 2010 sein, sondern nur der gerichtliche Vergleich, für dessen Vollstreckung die Beklagte nicht zuständig ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.