Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 23.04.2019, Az.: 8 PA 31/19

Antrag auf Beiordnung eines anderen Rechtsanwalts im Wege der Prozesskostenhilfe; Berücksichtigung der Mehrkosten im Vergleich zur Beiordnung des Betreuers ; PKH-Beschwerde nach Klage und Eilantrag gegen die Ablehnung der Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
23.04.2019
Aktenzeichen
8 PA 31/19
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 64102
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG Göttingen - 26.03.2019 - AZ: 1 A 596/18

Amtlicher Leitsatz

Hat ein Beteiligter einen Betreuer, der Rechtsanwalt ist, kann er die Beiordnung eines anderen Rechtsanwalts im Wege der Prozesskostenhilfe jedenfalls dann verlangen, wenn dadurch im Vergleich zur Beiordnung des Betreuers allenfalls geringfügige Mehrkosten entstehen.

Tenor:

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Göttingen - 1. Kammer - vom 26. März 2019 geändert. Dem Kläger wird im Hinblick auf das Klageverfahren in erster Instanz (1 A 596/18) die ... Anwaltskanzlei Dr. B., E., F., B-Stadt, zur Vertretung beigeordnet.

Gründe

Der Antragsteller wendet sich mit Klage und Eilantrag gegen die Ablehnung der Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis. Ihm ist ein Rechtsanwalt als Betreuer bestellt. Auf seinen Prozesskostenhilfeantrag hat ihm das Verwaltungsgericht durch Beschluss vom 26. März 2019 ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt. Seinen Antrag auf Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten hat es abgelehnt. Deren Beiordnung sei nicht erforderlich, weil die Beauftragung eines anderen Rechtsanwalts als des Betreuers zu vermeidbaren Mehrkosten führte.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Der Kläger kann gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 2 Alt. 1 ZPO die Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten beanspruchen. Nach dieser Vorschrift wird der Partei, wenn eine Vertretung durch Anwälte nicht vorgeschrieben ist, auf ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint.

Die Erforderlichkeit einer anwaltlichen Vertretung dem Grunde nach ist in dem vorliegenden Verfahren, das Rechtsschutz gegen die Ablehnung der Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis betrifft, nicht zweifelhaft. Auch die Ausübung des durch § 121 Abs. 2 ZPO eingeräumten Wahlrechts ist nicht dahingehend eingeschränkt, dass der Kläger nur die Beiordnung seines Betreuers verlangen könnte.

Grundsätzlich gewährleistet § 121 Abs. 2 ZPO die freie Anwaltswahl (Dürbeck, in: Dürbeck/Gottschalk, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 8. Aufl. 2016, Rn. 638). Besteht eine Betreuung, so ist insbesondere die Beiordnung des anwaltlichen Betreuers (vgl. BGH, Beschl. v. 20.12.2006 - XII ZB 118/03 -, NJW 2007, 381 [OLG Stuttgart 02.10.2006 - 6 U 8/06]), aber auch - selbst wenn ein anwaltlicher Betreuer vorhanden ist - eines anderen Rechtsanwalts zulässig (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 14.2.2005 - 10 C 05.161 -). Allerdings ist ein Antragsteller wegen des für die Prozesskostenhilfe ebenso wie für andere Sozialleistungen, die aufgrund fehlender wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit erbracht werden, geltenden Subsidiaritätsprinzips verpflichtet, die dem Justizfiskus durch Prozesskostenhilfe entstehenden Ausgaben gering zu halten (vgl. BSG, Beschl. v. 12.3.1996 - 9 RV 24/94 -, MDR 1996, 1163, juris Rn. 2). Dies entspricht der Wertung des § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO, wonach die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht mutwillig erscheinen darf. Hieraus ergibt sich auch ein Verbot mutwilliger Prozessverteuerung (vgl. Geimer, in: Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 121 Rn. 14). Dies wirkt sich beispielsweise dergestalt auf die Anwaltswahl aus, dass ein nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassener Rechtsanwalt nur beigeordnet werden kann, wenn dadurch weitere Kosten nicht entstehen (§ 121 Abs. 3 ZPO), bei Streitgenossenschaft nicht ohne besonderen Grund ein anderer Prozessbevollmächtigter gewählt werden kann als der die anderen Streitgenossen vertretende Anwalt (vgl. Geimer, in: Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 121 Rn. 14) und ein Anwaltswechsel nur aus wichtigem Grund oder dann, wenn die erstrebte neue Beiordnung zu keinen Mehrkosten für die Staatskasse führt, möglich ist (vgl. Dürbeck, in: Dürbeck/Gottschalk, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 8. Aufl. 2016, Rn. 647). Andererseits ist die Mutwilligkeit auf gravierende Fälle zu beschränken. Daher ist bei lediglich geringfügigen Mehrkosten kein Mutwillen gegeben (vgl. OLG Hamburg, Beschl. v. 21.4.1997 - 12 WF 32/97 -, FamRZ 1998, 1178; Gottschalk, in: Dürbeck/Gottschalk, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 8. Aufl. 2016, Rn. 527).

Dadurch, dass dem Antragsteller nicht sein Betreuer, sondern die von ihm gewählte Rechtsanwaltssozietät beigeordnet wird, entstehen allenfalls geringfügige Mehrkosten. Auch der Betreuer erhält im Falle der Prozesskostenhilfebewilligung die Gebühren eines beigeordneten Rechtsanwalts gemäß § 49 RVG (vgl. BGH, Beschl. v. 20.12.2006 - XII ZB 118/03 -, NJW 2007, 381 [OLG Stuttgart 02.10.2006 - 6 U 8/06], juris Rn. 16). Zusätzliche Kosten können sich nur bei den Auslagen ergeben. Insoweit ist für das Oberverwaltungsgericht nicht ersichtlich, dass andere Auslagen als die für Kopien und Ausdrucke i.S.d. Nr. 7000 VV RVG, auf die das Verwaltungsgericht abgestellt hat, zu Mehrkosten führen könnten. Die insoweit zu erwartenden Mehrkosten sind geringfügig. Insbesondere ist nicht damit zu rechnen, dass die von dem Kläger gewählten Prozessbevollmächtigten in erheblichem Umfang die Anfertigung von Kopien solcher Aktenbestandteile abrechnen können, die sein Betreuer bereits kopiert hat. Nr. 7000 VV RVG macht die Erstattungsfähigkeit von Kopien aus Behördenakten davon abhängig, dass deren Herstellung zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten war. Daran fehlt es regelmäßig bei Dokumenten, die dem Prozessbevollmächtigten von seinem Mandanten jederzeit zugänglich gemacht werden können (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 15.1.1987 - Bs IV 682/86 -, AnwBl. 1987, 290). Nichts anderes kann für Schriftstücke gelten, die bei dem Betreuer des Mandanten vorhanden sind.

Eine Einschränkung der freien Anwaltswahl ist nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts nicht allein deswegen gerechtfertigt, weil die Vermeidung der Mehrkosten nicht bereits in dem Beiordnungsbeschluss angeordnet werden kann. Es folgt der Argumentation des Nichtabhilfebeschlusses nicht. Allerdings trifft es zu, dass anders als im Falle von Reisekosten, für die § 121 Abs. 3 ZPO gilt, anderweitige Mehrkosten nicht durch eine Anordnung in dem Beiordnungsbeschluss ausgeschlossen werden können. Der Anspruch auf Beiordnung des gewählten Rechtsanwalts ist jedoch bereits deswegen gegeben, weil aus Rechtsgründen nicht mit mehr als geringfügigen Mehrkosten zu rechnen ist. Das Fehlen einer verfahrensrechtlichen Absicherung vermag diesen Anspruch nicht entfallen zu lassen.

Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO), Gerichtsgebühren fallen nicht an (Nr. 5502 KV GKG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§152 Abs. 1 VwGO).