Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 15.12.2003, Az.: 7 A 721/02
Rücknahme von Beihilfe bewilligenden Bescheiden bei Beurlaubung aus familiären Gründen ohne Dienstbezüge
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 15.12.2003
- Aktenzeichen
- 7 A 721/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 34312
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:2003:1215.7A721.02.0A
Rechtsgrundlage
- § 48 VwVfG
Fundstelle
- ZBR 2004, 218 (red. Leitsatz)
Verfahrensgegenstand
Rückforderung überzahlter Beihilfe
In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Braunschweig - 7. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 15. Dezember 2003
durch
den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Müller-Fritzsche,
den Richter am Verwaltungsgericht Dr. Allner,
den Richter am Verwaltungsgericht Dr. Nagler sowie
die ehrenamtlichen Richter Frau D. und Herr E.
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des gegen sie festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abzuwenden, wenn nicht das beklagte Amt vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Rücknahme von Bescheiden, mit denen ihr Beihilfeleistungen bewilligt worden waren.
Die Klägerin ist Beamtin im Niedersächsischen Schuldienst. Sie ist seit 04. November 2000 aus familiären Gründen ohne Dienstbezüge beurlaubt.
Mit Bescheiden vom 01. Februar 2001, 01. März 2001, 03. April 2001, 11. Mai 2001, 19. Juli 2001, 12. September 2001 und 21. September 2001 gewährte das beklagte Amt der Klägerin Beihilfe zu verschiedenen Aufwendungen, die der Klägerin und ihren Kindern entstanden waren, in Höhe von insgesamt 4.780,98 DM. Einem erneuten Beihilfeantrag legte die Klägerin die Notiz bei, sie sei vom Dienst beurlaubt und bitte darum, die Post an ihre Privatanschrift zu senden. Mit Bescheiden vom 24. Oktober 2001 und 26. Oktober 2001 hob das beklagte Amt die vorgenannten Beihilfebewilligungen auf. Mit Bescheiden vom 29. August 2002 und 09. September 2002 setzte das beklagte Amt Beihilfeleistungen in Höhe von 144,54 EUR und 32,41 EUR fest, die die entstandene Überzahlung auf 4.414,92 DM (2.257,31 EUR) verringerten.
Den gegen die Rücknahme der Beihilfebescheide gerichteten Widerspruch wies das beklagte Amt mit Widerspruchsbescheid vom 14. November 2002 - zugestellt am 19. November 2002 - zurück. Zur Begründung ist u.a. ausgeführt, die Klägerin könne sich auf Vertrauen gemäß § 48 Abs. 2 VwVfG nicht berufen. Sie habe die aufgehobenen Bescheide dadurch erwirkt, dass ihre Angaben in den Anträgen in wesentlichen Punkten unvollständig gewesen seien. Auf dem von ihr verwendeten Vordruck "Antrag auf Beihilfe" sei darauf hingewiesen worden, dass bei Änderungen in den persönlichen Verhältnissen ein Ergänzungsblatt unbedingt beizufügen sei. Dies habe die Klägerin unterlassen, obwohl sie mit jedem der Beihilfeanträge die Vollständigkeit und Richtigkeit ihrer Angaben versichert habe. Außerdem sei sie aufgrund der ihr obliegenden Treuepflicht verpflichtet, sich mit den Beihilfevorschriften vertraut zu machen und die jeweiligen Festsetzungsbescheide auf ihre Richtigkeit zu überprüfen.
Des Weiteren sei der Klägerin mit Schreiben des Dezernats 410 der Bezirksregierung Braunschweig vom 11. März 1997 Erziehungsurlaub für die Zeit vom 19. April 1995 bis zunächst 20.02.1998 gewährt worden. Diesem Schreiben sei ein Merkblatt beigefügt gewesen. Dort sei ausgeführt worden, dass für die Zeit einer Beurlaubung ohne Bezüge keine Beihilfeberechtigung bestehe. Deshalb sei auch eine grobe Fahrlässigkeit in Betracht zu ziehen.
Am 19. Dezember 2002 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie macht geltend, die Rücknahme der Bescheide sei ausgeschlossen, weil sie auf den Bestand der Verwaltungsakte vertraut habe und ihr Vertrauen schutzwürdig sei. Die gewährten Leistungen seien verbraucht. Ihr Vertrauen sei auch schutzwürdig. Sie habe keinen Anlass gesehen, im Zusammenhang mit der Beurlaubung aus familiären Gründen einen Wegfall ihrer Beihilfeberechtigung in Erwägung zu ziehen. Besoldungsrechtliche Spezialkenntnisse könnten von ihr nicht verlangt werden. Über den Wegfall der Beihilfeberechtigung bei einer Beurlaubung aus familiären Gründen ohne Dienstbezüge habe sogar das Bundesverwaltungsgericht entscheiden müssen. Eine Belehrung habe sie nicht erfahren.
Die Klägerin beantragt,
die Bescheide des beklagten Amtes vom 24. Oktober 2001 und 26. Oktober 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14. November 2002 aufzuheben.
Das beklagte Amt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es beruft sich auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide und führt ergänzend aus: Ihr sei mit Schreiben vom 11. März 1997 ein "Merkblatt mit wichtigen Hinweisen und Erläuterungen" übersandt worden, in dem auch über den Wegfall der Berechtigung auf Beihilfe für die Zeit einer Beurlaubung ohne Dienstbezüge informiert worden sei. Außerdem sei Entsprechendes auch im "Informationsblatt für die Gewährung von Beihilfen im Krankheits-, Pflege- , Geburts- und Todesfällen von Beamtinnen, Beamte, Ruhestandsbeamtinnen, Ruhestandsbeamte, Hinterbliebene, Angestellte und Arbeiterinnen und Arbeiter" ausgeführt. Dieses Informationsblatt werde jedem Beihilfeberechtigten, sei es durch Übergabe bei der Ernennung zum Beamten, Hinterlegungen in den einzelnen Dienststellen, Bekanntgabe durch das NLBV im Internet sowie auf Anfrage durch Übersendung von der Beihilfestelle, zugänglich gemacht.
Die Klägerin erwidert: Sie habe das Merkblatt nicht erhalten. In dem ihr übersandten Schreiben sei ein Merkblatt zwar erwähnt und als angeblich beigefügte Anlage angekreuzt worden, doch sei es tatsächlich nicht beigefügt gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Bescheide der Beklagten vom 24. Oktober 2001 und 26. Oktober 2001 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 29. August 2002 und 09.09.2002 sowie des Widerspruchsbescheides vom 14. November 2002 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO). Das beklagte Amt hat mit den genannten Bescheiden die der Klägerin gewährten Beihilfen zu Recht gemäß § 48 VwVfG zurückgenommen. Die Klägerin hatte - wie von ihr im nachhinein nicht bestritten wird - keinen Anspruch auf die ihr zunächst gewährte Beihilfe, weil sie zum Zeitpunkt des Entstehens der zugrunde liegenden Aufwendungen aus familiären Gründen ohne Dienstbezüge beurlaubt war (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 26.09.1996 - 2 C 22.95 - ZBR 1997, 94). Auf Vertrauensschutz kann sich die Klägerin nicht berufen, weil ein Fall des § 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG vorliegt und deshalb die Schutzwürdigkeit des Vertrauensschutzes entfällt, ohne dass es einer Abwägung bedürfte (vgl. dazu Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl., § 48 Rdnr. 92). Zwar teilt die Kammer nicht die im Widerspruchsbescheid vertretene Auffassung, dass die Klägerin den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren, weil sie es unterlassen hatte, ein Ergänzungsblatt über die Änderungen ihrer persönlichen Angaben beizufügen. Das Ergänzungsblatt ist auszufüllen bei Änderungen der Anschrift, des Ehegatten, der Kinder, des gewählten privaten Versicherungsschutzes, usw. Dagegen sind Angaben zu einer eventuell bestehenden Beurlaubung in dem Ergänzungsblatt nicht vorgesehen. Die Klägerin hat demzufolge die ihr gewährten Beihilfeleistungen nicht im Sinne des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 durch unrichtige oder unvollständige Angaben erwirkt.
Der Vertrauensschutz in den Fortbestand der Beihilfebewilligungen entfällt aber deshalb, weil die Klägerin die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeiten nicht kannte (§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG). Denn die Klägerin hätte wissen müssen, dass ihre Beihilfeberechtigung bei einer Beurlaubung ohne Bezüge entfällt. Diese Kenntnis hätte sie einem Merkblatt entnehmen können und müssen, welches ihr mit der Verfügung über die Gewährung von Erziehungsurlaub vom 11. März 1997 übersandt worden ist. Diese Verfügung enthält den Hinweis, dass als Anlage ein Merkblatt hinzugefügt ist. Zwar hat die Klägerin (erstmals mit Schriftsatz vom 28. März 2003) bestritten, das Merkblatt erhalten zu haben. Ein solches bloßes Bestreiten des Zugangs einer behördlichen Mitteilung reicht aber dann nicht aus, wenn - wie hier - die von der Behörde an den Bürger versandten Schriftstücke aus mehreren Teilen bestehen und der Bürger einräumt, einen Teil der Schriftstücke erhalten zu haben. Hätte die Klägerin - aus welchen Gründen auch immer - lediglich den Bescheid über die Gewährung von Erziehungsurlaub vom 11. März 1997, nicht aber das Merkblatt erhalten, so wäre sie wegen des Hinweises auf das Merkblatt verpflichtet gewesen, sich bei ihrer Dienstbehörde um das Merkblatt zu bemühen und sich mit seinem Inhalt vertraut zu machen (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 25.03.2003 - 2 LA 114/02 - NordÖR 2003, 258 f.). Weil sie dies unterlassen hat, kann sie sich auf eine fehlende Kenntnis vom Inhalt des Merkblattes nicht berufen. Der Fall der Klägerin weist auch keine Besonderheiten auf, die es gerechtfertigt erscheinen lassen könnten, von diesem Grundsatz hier eine Ausnahme zu machen.
Die Klage ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 S. 1 ZPO.
Gründe für eine Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht sind nicht ersichtlich (§ 124 a Abs. 1 VwGO).
Dr. Nagler
Dr. Allner