Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 09.01.2014, Az.: 5 Sa 980/13

Fehlerhaftes Auswahlverfahren zur Stellenbesetzung im Rahmen der tierärztlichen Fleischbeschau bei Außerachtlassung allgemein gültiger Wertmaßstäbe; Leistungsklage des abgewiesenen Bewerbers auf Neubescheidung bei unterlassenem Rückgriff auf dienstliche Beurteilungen oder sonstige Inhalte der Personalakte

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
09.01.2014
Aktenzeichen
5 Sa 980/13
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2014, 10276
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2014:0109.5SA980.13.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Verden - 2 Ca 369/12 Ö - 13.08.2013

Fundstelle

  • ZTR 2014, 544-546

Amtlicher Leitsatz

Im öffentlichen Dienst sind bei der Bewertung der Eignung für ein Beförderungsamt vor allem zeitnahe Beurteilungen heranzuziehen. Ihr Fehlen führt regelmäßig zu einem fehlerhaften Auswahlverfahren. Ausnahmsweise, wenn die Erstellung einer dienstlichen Beurteilung nicht möglich ist, darf der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes auf andere Auswahlverfahren als alleiniges Kriterium zurückgreifen. Die Darlegungs- und Beweislast für einen derartigen Ausnahmetatbestand trägt der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes.

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Verden vom 13.08.2013 - 2 Ca 369/12 Ö - abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, seine Auswahlentscheidung betreffend die Besetzung der Stelle einer/eines Tierärztin/Tierarztes mit dem Aufgabengebiet "Schlachttier - und Fleischuntersuchung und bei Bedarf die stellvertretende Leitung des Fleischhygieneamtes mit den Aufgaben Personalführung, Personaleinteilung, Verwaltung und Hygieneüberwachung am S. Z." unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu treffen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Neubescheidung einer Stellenbesetzung als Tierarzt und stellvertretenden Leiters des Fleischhygieneamtes am S. Z. im Rahmen einer sogenannten Konkurrentenklage.

Der am 00.00.1956 geborene Kläger ist seit 1986 als Fleischbeschautierarzt bei dem Beklagten und bei seiner Rechtsvorgängerin tätig. Wegen des bisherigen beruflichen Werdeganges wird auf Bl. 26 und 27 der beigezogenen Akte 2 Ga 2/12 des Arbeitsgerichts Verden verwiesen. Aktuelle Grundlage des Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitsvertrag vom 06.05.2004, auf das kraft vertraglicher Inbezugnahme der BAT/VkA bzw. die diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge anzuwenden sind. Die Vergütung des Klägers beträgt brutto 5.083,38 €, seine Tätigkeit wird nach der Entgeltgruppe 14 des TVöD/Vka vergütet.

Der Beklagte setzte den Kläger im zuletzt privat betriebenen S. Z. und seit Mai 2004 auch bei der Firma G.-W. in Bremervörde ein, einem Geflügelschlachtbetrieb mit angeschlossener Geflügelfleischzerlegung, Fleisch- und Wildverarbeitung sowie der Produktion von Fertiggerichten. Er übertrug ihm zum 01.07.2011 die Leitung der Organisation der Geflügelfleischuntersuchung sowie die Betriebskontrolle bei der Firma G.-W. als verantwortlicher Mitarbeiter. Dabei ist er vier bis fünf Fachassistenten vorgesetzt. Er genehmigt ihren Urlaub, klärt Differenzen fachlicher Natur und kontrolliert diese Mitarbeiter. Erforderlichenfalls führt er auch ein Kritikgespräch. Ebenfalls obliegt ihm die Dienstplaneinteilung.

Frau W.-G. (im Folgenden: Konkurrentin) weist eine Betriebszugehörigkeit von ca. 30 Jahren bei dem Beklagten auf. Sie hatte bis zur Vergabe der streitbefangenen stellvertretenden Leitungsfunktion keinerlei eigene Leitungsbefugnis inne und war im Bereich der Fleischuntersuchung als amtliche Tierärztin tätig. Ihre Vergütung richtete sich nach dem sogenannten TV-Fleischuntersuchung demzufolge ca. 34 bis 35 € brutto pro Arbeitsstunde zu zahlen waren. Der Beklagte beschäftigte die Konkurrentin mit einer variierenden monatlichen Stundenzahl.

Der Beklagte hat Leitlinien für die Besetzung von Angestellten- und Beamtenstellen geschaffen, die im Einzelnen das Stellenbesetzungsverfahren detailliert beschreiben. Wegen der Einzelheiten, insbesondere zu den Elementen des Auswahlverfahrens und dessen Funktionsträgern wird auf Bl. 33 bis 51 der beigezogene Akte 2 Ga 2/12 des Arbeitsgerichts Verden verwiesen. Nach den darüber hinaus bestehenden Beurteilungsrichtlinien (Bl. 190 ff. der beigezogenen Gerichtsakte 5 SaGa 1165/12) sind amtliche Tierärzte ausdrücklich von einer Regelbeurteilung ausgenommen, eine Anlassbeurteilung folgt im Wesentlichen den Grundsätzen einer Regelbeurteilung.

Ende 2012 schrieb der Beklagte intern die Stelle einer Tierärztin/eines Tierarztes, stellvertretende Leitung des Fleischhygieneamtes im S. Z. aus, auf die sich der Kläger und die Konkurrentin bewarben. Auf Antrag des Klägers untersagte das Arbeitsgericht Verden dem Beklagten mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 01.03.2012 zum Aktenzeichen 2 Ga 2/12 die endgültige Besetzung der Stelle mit der Konkurrentin, woraufhin der Beklagte das Stellenbesetzungsverfahren abbrach und der Kläger das eingeleitete Hauptsacheverfahren 1 Ca 126/12 Ö zurücknahm. Bereits in diesem Verfahren beanstandete er das Fehlen jedweder dienstlicher Beurteilung.

Zur Vorbereitung eines erneuten Stellenbesetzungsverfahrens entschloss sich der Beklagte, die Auswahl mittels strukturierten Interviews vorzunehmen.

Am 20.03.2012 schrieb er intern erneut folgende Stelle aus:

"Tierärztin/Tierarzt

Das Aufgabengebiet umfasst neben der Schlachttier- und Fleischuntersuchung und bei Bedarf die stellvertretende Leitung des Fleischhygieneamtes mit den Aufgaben Personalführung, Personaleinteilung, Verwaltung und Hygieneüberwachung im S. Z.

Neben der Approbation als Tierärztin/Tierarzt werden erwartet:

- Kenntnisse des nationalen und europäischen Fleischhygiene- und Lebensmittelrechtes, des Tierseuchen-, Tierschutz- und Tierkörperbeseitigungsrechtes

- Kenntnisse in der Lebensmittelhygiene

- Kenntnisse über Grundsätze, Konzepte und Methoden des HACCP

- lösungsorientiertes, selbständiges Handeln

- Belastbarkeit und Konfliktfähigkeit

- Flexibilität, Bereitschaft zur Schichtarbeit

- Teamfähigkeit

- kooperative Kommunikation

- Durchsetzungsvermögen

- Kooperatives Leistungsverhalten

Das Vertragsverhältnis richtet sich entweder nach dem Tarifvertrag zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Beschäftigten in der Fleischuntersuchung bei Zahlung des im Tarifvertrag benannten Stundenentgelts oder nach dem TVöD (Entgeltgruppe 14). Der Arbeitsplatz ist zum nächstmöglichen Zeitpunkt zu besetzen.

Bewerbungen von Frauen sind ausdrücklich erwünscht.

Die Beschäftigung von Schwerbehinderten ist der Dienststelle ein besonderes Anliegen."

Sowohl der Kläger als auch die Konkurrentin bewarben sich und nahmen an dem strukturierten Interview teil. Dies dauerte ca. 60 Minuten und beinhaltete die Beantwortung von 12 vorbereiteten Fragen. Die Auswahlkommission entschied sich einstimmig aufgrund des Ergebnisses des strukturierten Interviews für die Konkurrentin, was der Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 26.07.2012 mitteilte. Eine dienstliche Beurteilung in jedweder Form hat der Beklagte seiner Auswahlentscheidung nicht zugrunde gelegt.

Erstinstanzlich hat der Kläger die Neubescheidung der Auswahl gerichtlich geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, es sei fehlerhaft, diese Auswahl allein aufgrund des strukturierten Interviews ohne dienstliche Beurteilungen zu treffen.

Er hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, seine Auswahlentscheidung betreffend die Besetzung der Stelle einer/eines Tierärztin/Tierarztes mit dem Aufgabengebiet "Schlachttier- und Fleischuntersuchung und bei Bedarf die stellvertretende Leitung des Fleischhygieneamtes mit den Aufgaben Personalführung, Personaleinteilung, Verwaltung und Hygieneüberwachung am S. Z." unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichtes neu zu treffen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat die Auffassung vertreten, die internen Richtlinien, welche weder eine Regel- noch eine Anlassbeurteilung für Tierärzte vorsehen, seinen rechtmäßig und für ihn maßgebend. Eine Beurteilung habe für Tierärzte sinnvollerweise nicht erstellt werden können.

Wegen weiterer Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils, dort Bl. 2 bis 6 desselben, Bl. 86 bis 88 der Gerichtsakte verwiesen.

Mit Urteil vom 13.08.2013 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Wegen der genauen Einzelheiten der richterlichen Würdigung wird auf seine Entscheidungsgründe (Bl. 7 bis 11 des Urteils, Bl. 88 bis 91 d.A.) verwiesen.

Dieses Urteil ist dem Kläger am 04.09.2013 zugestellt worden. Mit einem am 12.09.2013 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz hat er Berufung eingelegt und diese sogleich begründet.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger das erstinstanzliche Ziel der Neubescheidung der ausgeschriebenen Stelle weiter. Er wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen. Er beanstandet in erster Linie das Fehlen jedweder dienstlicher Beurteilungen. Bei der Stellenvergabe im öffentlichen Dienst sei der Arbeitgeber an die Kriterien des Artikels 33 Abs. 2 GG gebunden. Das vorrangige Kriterium für die Auswahlentscheidung sei eine dienstliche Beurteilung. Dem strukturierten Interview könne allenfalls Hilfscharakter zukommen. Keinesfalls sei es zutreffend, dass sowohl er als auch die Konkurrentin nicht hätten beurteilt werden können. Hierfür spreche bereits die lange Dauer der Betriebszugehörigkeit zu dem Beklagten von 28 bzw. 30 Jahren.

Er beantragt:

Der Beklagte wird unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Verden vom 13.08.2013 zum Aktenzeichen: 2 Ca 369/12 Ö verurteilt, seine Auswahlentscheidung betreffend die Besetzung der Stelle einer/eines Tierärztin/Tierarztes mit dem Aufgabengebiet "Schlachttier- und Fleischuntersuchung und bei Bedarf die stellvertretende Leitung des Fleischhygieneamtes mit den Aufgaben Personalführung, Personaleinteilung, Verwaltung und Hygieneüberwachung am S. Z." unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu treffen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil. Die Konkurrentin habe eindeutig und gerichtsfest in dem strukturierten Interview bei genau den Eigenschaften besser abgeschnitten, die man für eine Führungsposition benötige (Kommunikation- und Teamfähigkeit etc.). Derartige Eigenschaften hätten sich nicht im Wege einer dienstlichen Beurteilung sinnvollerweise feststellen lassen. Deshalb habe der Beklagte, der im Übrigen an den Fachkenntnissen und den eigentlichen Fachfähigkeiten bei beiden Kandidaten keine Zweifel gehabt habe, die Auswahl auf das strukturierte Interview gestützt. Diese Vorgehensweise entspräche auch den internen Richtlinien, welche für amtliche Tierärzte weder eine Regel - noch eine Anlassbeurteilung vorsehe.

Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufung wird auf ihre Schriftsätze vom 12.09., 18.11., 27.12.2013 und 08.01.2014 sowie auf das Sitzungsprotokoll vom 09.01.2014 verwiesen. Das Berufungsgericht hat darüber hinaus die Parallelverfahren gleichen Rubrums zum Aktenzeichen 5 SaGa 1165/12 sowie 2 Ga 2/12 und 1 Ca 126/12 beigezogen und im Einverständnis mit den Parteien den dort vorgetragenen Sachverhalt verwertet.

Mit Beschluss vom 26.09.2013 hat das Landesarbeitsgericht einen Vergleich der Parteien festgestellt, wonach sich der Beklagte verpflichtet, die im Streit stehende Stelle solange nicht endgültig zu besetzen, wie das zweitinstanzliche Berufungsverfahren vor dem Landesarbeitsgericht nicht durchgeführt worden ist. Wegen der genauen Einzelheiten des Vergleiches wird auf den Beschluss vom 26.09.2013, Bl. 146 und 147 der Gerichtsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

Das Rechtsmittel hat Erfolg.

A.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64, 66 ArbGG und 519, 520 ZPO).

B.

Die Berufung ist auch begründet. Sie führt zur Abänderung des angefochtenen Urteils und zur Stattgabe der Klage. Der Beklagte hat nach Maßgabe des Urteilstenors seine Auswahlentscheidung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichtes neu zu treffen.

Im Einzelnen:

I.

Der Antrag auf Wiederholung des Auswahlverfahrens ist als Leistungsklage zulässig. Auch wenn die ZPO diese Form der sogenannten Bescheidungklage nicht kennt, entspricht es einem praktischen Bedürfnis und dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes, im arbeitsgerichtlichen Konkurrentenverfahren eine derartige Bescheidungsklage als Parallele zu § 113 VwGO anzuerkennen (BAG, Urteil vom 18.09.2007, Az: 9 AZR 672/06 - AP Nr. 64 zu Art. 33 Abs. 2 GG; BAG, Urteil vom 02.12.1997, Az: 9 AZR 445/96 - AP Nr. 40 zu Art. 33 Abs. 2 GG). Der Beklagte hat die Stelle auch noch nicht mit der Konkurrentin besetzt, wozu er sich auch in dem am 26.09.2013 abgeschlossenen Vergleich verpflichtet hatte.

II.

Das Auswahlverfahren war fehlerhaft. Dies führt zu einem Anspruch des Klägers auf Neubescheidung.

1.

Nach Art. 33 Abs. 2 GG hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Jede Bewerbung muss nach den genannten Kriterien beurteilt werden. Öffentliche Ämter in diesem Sinne sind nicht nur Beamtenstellen, sondern auch solche Stellen, die von Arbeitnehmern besetzt werden können (BAG, Urteil vom 18.09.2007, aaO., m.w.N). Die Geltung des aus Art. 33 Abs. 2 GG abgeleiteten Grundsatzes der Bestenauslese gilt unbeschränkt und vorbehaltlos. Sie dient zum einen den öffentlichen Interessen der bestmöglichen Besetzung des öffentlichen Dienstes und zum anderen dem berechtigten Interesse des Bewerbers an einem angemessenen beruflichen Fortkommen dadurch Rechnung zu tragen, dass er grundrechtsgleiche Rechte auf ermessens- und beurteilungsfreie Einbeziehung in die Bewerberauswahl begründet. Dabei eröffnet Art. 33 Abs. 2 GG mit den Begriffen "Eignung, Befähigung und fachliche Leistung" bei der Entscheidung über Beförderungen einen Beurteilungsspielraum des Dienstherrn. Dieser unterliegt schon von Verfassung wegen nur einer begrenzten gerichtlichen Kontrolle (BVerfG, Beschluss vom 11.05.2011, Az: 2 BvR 764/11 - NVwZ 2011, 1191 - 1192). Eine etwaige gerichtliche Kontrolle hat sich darauf zu beschränken, ob der öffentliche Arbeitgeber den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt hat, ob er von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachwidrige Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat (BAG, Urteil vom 07.09.2004, Az: 9 AZR 537/03 - AP Nr. 61 zu Art. 33 Abs. 2 GG).

2.

Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält die zu überprüfende Auswahlentscheidung nicht Stand. Der Beklagte hat allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, in dem er ohne Rückgriff auf dienstliche Beurteilungen oder sonst die sogenannte Papierform in Form der Personalakte zu beachten allein auf das strukturierte Interview und dessen Auswertung zurückgegriffen hat.

a)

Im öffentlichen Dienst sind bei der Bewertung der Eignung vor allem zeitnahe Beurteilungen heranzuziehen. Dies ist die wesentliche Grundlage der Auswahlentscheidung (BVerfG aaO.; BVerwG, Urteil vom 04.11.2010, Az: 2 C 16/09 - NJW 2011, 695 - 700). Deren Eignung als Vergleichsgrundlage setzt voraus, dass sie inhaltlich aussagekräftig sind. Hierfür ist erforderlich, dass sie die dienstliche Tätigkeit im maßgebenden Beurteilungszeitraum vollständig erfassen, auf zuverlässige Erkenntnisquellen gestützt sind, das zu erwartende Leistungsvermögen in Bezug auf das angestrebte Amt auf der Grundlage der im innegehabten Amt erbrachten Leistungen hinreichend differenziert darstellen sowie auf gleichen Bewertungsmaßstäben geruhen. Maßgebend für den Leistungsvergleich in erster Linie das abschließende Gesamturteil, das durch eine Würdigung, Gewichtung und Abwägung der einzelnen leistungsbezogenen Gesichtspunkte zu bilden ist. Sind danach mehrere Bewerber als im Wesentlichen gleich einzustufen, kann der Dienstherr auf einzelne Gesichtspunkte abstellen, wobei er deren besondere Bedeutung begründen muss. So kann er der dienstlichen Erfahrung, der Verwendungsbreite oder Leistungsentwicklung, wie sie sich aus dem Vergleich der aktuellen mit früheren Beurteilungen ergibt, besondere Bedeutung beimessen. Der dienstlichen Beurteilung fehlt die erforderliche Aussagekraft, wenn sie auf einer nur partiell oder bruchstückhaft vorhandenen Kenntnis für die Bewertung erforderlichen Tatsachen beruht. Ist der für die Beurteilung Zuständige nicht in der Lage, sich ein eigenes vollständiges Bild von den Leistungen des Bewerbers zu machen, ist er darauf angewiesen, sich die fehlenden Kenntnisse von anderen Personen zu beschaffen. Der Beurteiler darf nicht davon absehen, Beurteilungsbeiträge einzuholen, weil er sich trotz fehlender eigener Anschauung zutraut, den Bewerber zutreffend einzuschätzen (BVerwG aaO.; BVerwG, Urteil vom 21.08.2003, Az: 2 C 14/02 - ZTR 2004, 272 - 275).

b)

Gemessen an vorstehenden Grundsätzen entsprach es keinem im öffentlichen Dienst anerkannten Auswahlverfahren, im vorliegenden Streitfall auf dienstliche Beurteilungen jedweder Art zu verzichten.

aa)

Hierbei kann es nicht darauf ankommen, dass die internen Richtlinien für die Stellenvergabe für Tierärzte bei dem Beklagten keinerlei Regelbeurteilungen vorsehen und die Anlassbeurteilungen vom Prinzip her der Handhabung der Regelbeurteilung folgen. Es kann auf sich beruhen, ob diese internen Vorschriften bezüglich der Anlassbeurteilung so auszulegen sind, dass sie eine Ausnahme bedingen. Denn durch diese internen Richtlinien kann der Beklagte die grundgesetzliche Vorgabe des Art. 33 Abs. 2 GG und den Prüfungsmaßstab der Beurteilung nach "Leistung, Befähigung und fachlicher Eignung" nicht modifizieren, geschweige denn außer Kraft setzen. Diese Richtlinien sind für das Gericht nicht bindend.

bb)

Unabhängig davon, wie die Richtlinie bezüglich der Anlassbeurteilung zu verstehen ist, war vorlegend sowohl eine Anlassbeurteilung des Klägers als auch der Konkurrentin erforderlich und geboten. Es ist - wie aus vorstehendem ersichtlich wird - ein allgemeines Prinzip, wonach in erster Linie dienstliche Beurteilungen für die Vergabe von öffentlichen Ämtern maßgebend sind und daneben weitere Kriterien, sofern diese Beurteilungen nicht vollständig Aufschluss über die zu erwartende Befähigung geben, die für das angestrebte Amt erforderlich ist.

Nach Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles durfte der Beklagte von diesem Prinzip nicht mit der Argumentation abweichen, die Erstellung einer dienstlichen Beurteilung wäre von vornherein nichtssagend und wenig aussagekräftig gewesen, sodass er darauf hätte verzichten dürfen. Diese Auffassung ist unzutreffend.

bb1)

Die Stellenausschreibung vom 20.03. 2012 beschreibt die Anforderungen, die an dem Bewerber gestellt werden. Es handelt sich hierbei neben fachlichen Befähigungen um Persönlichkeitsmerkmale, die dem Umstand der gestellten Aufgabe als Führungsposition Rechnung tragen (Beispielsweise: Teamfähigkeit, kooperatives Kommunikation, etc.).

bb2)

Derartige Fähigkeiten und Persönlichkeitsmerkmale hätte eine dienstliche Anlassbeurteilung des Klägers beinhalten können. Eine tragfähige Beurteilungsgrundlage bildet zum einen seine Teamleitung, die er auf dem Geflügelschlachthof innehatte. Dort erteilte er Anweisungen gegenüber den Teamassistenten, klärte fachliche Differenzen, kommunizierte, organisierte und stellte sich auch zwischenmenschlichen Konflikten. Dies hätte im Rahmen einer dienstlichen Beurteilung überprüft und dokumentiert werden können.

bb3)

Der Einwand des Beklagten, die ausgeschriebene Beförderungsstelle sehe die Verantwortung für wesentlich mehr Mitarbeiter vor und sei daher nicht mit der Teamleitertätigkeit des Klägers vergleichbar, überzeugt nicht. Aufgrund einer dienstlichen Beurteilung wird ohnedies nur eine Prognose für die Eignung der zu übertragenden Stelle getroffen. In den seltensten und wenigsten Fällen wird ein Bewerber in der Vergangenheit auf einer Stelle beurteilt, die exakt gleichartig gegenüber der zu übertragenden Stelle ist. Auch bei einer Führungstätigkeit in einem eingeschränkteren Rahmen lassen sich die mit der Stellenausschreibung geforderten zwischenmenschlichen Fähigkeiten beurteilen. Dies gilt umso mehr, als es auch das Gebot der Erkundigungspflicht gibt. Eine Beurteilung ist nicht schon dann entbehrlich, wenn der Beurteiler nicht aus eigener Anschauung die Tätigkeit des Beurteilenden wahrnimmt und kennt. Er darf sich anderer Erkenntnisquellen, auch des Gespräches mit Mitarbeitern bedienen.

Darüber hinaus vertritt die Berufungskammer unabhängig von der Teamleitertätigkeit des Klägers die Auffassung, dass bei einem derart langen Arbeitsverhältnis, bei dem immer wieder soziale Kontakte zwischen Mitarbeitern bzw. dem Kläger und seinen Vorgesetzten bestehen wenigstens ansatzweise die zwischenmenschlichen Fähigkeiten und Verhaltensweisen hätte beurteilt werden können und müssen. So hätte der Beklagte ihm beispielsweise auf sein berechtigtes Verlangen hin auch ein qualifiziertes Zwischenzeugnis, welches sich auf Führung und Leistung erstreckt, erteilen müssen. Dort wäre es unzulässig gewesen, sinngemäß auszuführen, dass sich Führung und Verhalten nicht beurteilen ließen.

bb4)

Der zuletzt genannte Gesichtspunkt trifft auch auf die Konkurrentin zu. Bei einer derart langen Dauer der Betriebszugehörigkeit lassen sich auch zwischenmenschliche Fähigkeiten und Charaktereigenschaften feststellen, sodass eine Prognose für die Eignung in einer Führungsposition als möglich erscheint.

bb5)

Der Beklagten wäre sicherlich Recht zu geben, dass eine dienstliche Beurteilung wie mit Anlage 1 zur Berufungserwiderung vorgelegt, völlig ungeeignet und damit überflüssig und entbehrlich gewesen wäre. Jedoch hätte der Beklagte bei Aufwendung der gebotenen Sorgfalt eine andere, präzisere und zielführendere dienstliche Beurteilung erstellen können. Nach dem Verständnis des Art. 33 Abs. 2 GG und dem Vorrang einer dienstlichen Beurteilung für die Vergabe einer Beförderungsstelle nicht nur für Beamte, sondern auch für Arbeitnehmer ist ihre Entbehrlichkeit die Ausnahme, die von dem Beurteiler (hier dem Beklagten) besonders zu begründen und ggf. auch zu beweisen ist. Hier ist dem Beklagten nicht nur nicht der Beweis dieser Ausnahme gelungen, vielmehr ist das Berufungsgericht auch nach den Erörterungen der Kammerverhandlung, in denen der instruierte Vertreter des Beklagten wahrheitsgemäß eingeräumt hat, er hätte zum Beispiel die Fähigkeit des Klägers ein Kritikgespräch zu führen, beurteilen können, vom Gegenteil überzeugt (§ 286 ZPO). Bei Aufwendung der gebotenen Sorgfalt konnte und musste der Beklagte eine Beurteilung erstellen, die keine inhaltlichen Gemeinsamkeiten mit der völlig unbrauchbaren, als Anlage 1 zur Berufungserwiderung vorgelegten Beurteilung hat.

bb6)

Verbleiben unter Ausschöpfung der vorgenannten Erkenntnisquellen immer noch Zweifel, wobei zur Erstellung der dienstlichen Beurteilung selbstverständlich der gesamte Inhalt der Personalakte ergänzend heranzuziehen ist, dann darf der Beklagte auf Hilfskriterien wie das von ihm gewählte strukturierte Interview zurückgreifen. Das Unterlassen, von vorne herein eine dienstliche Anlassbeurteilung zu erstellen, widerspricht den im öffentlichen Dienst allgemein geltenden Beurteilungsgrundsätzen und ist im konkreten Streitfall nicht durch eine Ausnahme gerechtfertigt.

C.

Der Beklagte hat gem. § 91 Abs. 1 ZPO als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Gründe, gem. § 72 Abs. 2 ArbGG die Revision zum Bundesarbeitsgericht zuzulassen, sind nicht gegeben.