Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 23.10.2014, Az.: 5 Sa 423/14

Betriebsbedingte Kündigung aufgrund Interessenausgleich mit Teil-Namensliste für deutlich abgrenzbaren Arbeitsbereich

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
23.10.2014
Aktenzeichen
5 Sa 423/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2014, 30619
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2014:1023.5SA423.14.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Hameln - 3 Ca 344/13 - 05.03.2014

Fundstelle

  • EzA-SD 5/2015, 4

Amtlicher Leitsatz

Eine Teil-Namensliste ist als integraler Bestandteil eines Interessenausgleiches gem. § 111 BetrVG jedenfalls dann eine ausreichende Basis für die Rechtswirkungen des § 1 Abs. 5 KSchG, wenn der durch die Namensliste erfasste Bereich so deutlich abgrenzbar von dem nicht erfassten Bereich ist, dass die Sozialauswahl nicht beeinflusst werden kann und er darüber hinaus wesentlich größer ist.

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hameln vom 05.03.2014 - 3 Ca 344/13 - abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer von der Beklagten ausgesprochenen betriebsbedingten Kündigung sowie um die Weiterbeschäftigung des Klägers.

Der am 00.00.0000 geborene Kläger ist seit dem 16.04.1994 bei der Beklagten als Arbeiter beschäftigt. Er erhält eine Vergütung nach der Entgeltgruppe E3 des auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Entgelttarifvertrages der Niedersächsischen Metallindustrie. Die Vergütung belief sich auf zuletzt durchschnittlich 3.208,73 € brutto monatlich.

Die Beklagte beschäftigte zum Zeitpunkt des Ausspruchs der streitgegenständlichen Kündigung an ihrem Standort in B-Stadt ca. 1060 Arbeitnehmer.

Sie schloss unter dem 18.07.2013 mit dem bei ihr gewählten Betriebsrat einen Interessenausgleich und als Anlage 2 zu diesem Interessenausgleich eine von den Betriebspartnern und dem Vorsitzenden der tariflichen Schlichtungsstelle unterzeichnete Namensliste. Dort ist unter der Personalnummer ... auch der Kläger aufgeführt. Die Betriebspartner (Beklagte und Betriebsrat) einigten sich in der Anlage 1 zum Interessenausgleich auf diverse Vergleichsgruppen zwecks Durchführung der sozialen Auswahl, u.a. auch auf die Vergleichsgruppe "Anlerntätigkeit". Insbesondere ist auch der Arbeitnehmer B., der zu dieser Vergleichsgruppe gehört, gekündigt worden.

Mit Schreiben vom 05.08.2013 sprach die Beklagte gegenüber dem Kläger nach Anhörung des Betriebsrates eine ordentliche Kündigung zum 31.03.2014 aus. Bei Übergabe des Anhörungsschreibens vom 24.07.2013 waren sowohl der Betriebsratsvorsitzende als auch der Stellvertreter ortsabwesend. Deshalb übergab die Beklagte dieses Anhörungsschreiben zwecks Betriebsratsinformation vor Ausspruch einer Kündigung dem Betriebsratsmitglied B. Insgesamt sprach die Beklagte vor dem Hintergrund des Interessenausgleichs mehr als 100 betriebsbedingte Kündigungen aus.

Der von den Betriebspartnern unterzeichnete Interessenausgleich sah den Abbau von 99 Arbeitsplätzen im Bereich "Fertigungsbereich Mechanism" und den Abbau von 65 Arbeitsplätzen im Bereich "Frames" B-Stadt vor. Unter dem Bereich "Frames" ist die Fertigung von Sitzstrukturen und unter dem Bereich "Mechanism" die sogenannte Beschlagfertigung zu verstehen.

Alle Mitarbeiter aus der Vergleichsgruppe "Anlerntätigkeit" sind auf der Namensliste aufgeführt gewesen. Insgesamt umfasste die Namensliste die Namen von 129 in der Produktion beschäftigten Arbeitnehmern aus den Bereichen "Frames" und "Mechanism".

Der von den Betriebspartnern und vom Vorsitzenden der tarifvertraglichen Schlichtungsstelle unterzeichnete Interessenausgleich sah ebenfalls den Wegfall von 12 Arbeitsplätzen aus dem Bereich der "NESD Zentralfunktionen" vor. Auf BI. 10 des Interessenausgleiches heißt es im vorletzten Absatz insoweit wörtlich:

"In dieser Namensliste sind Entlassungen, die den Bereich NESD Zentralfunktionen betreffen (siehe 13. III) nicht enthalten. Diese Entlassungen (12) sollen soweit als möglich über Auflösungsvereinbarungen erfolgen. Insoweit soll die Namensliste auch künftig nicht ergänzt werden."

Ergänzend wird auf den mit Schriftsatz vom 22.11.2013 vorgelegten Interessenausgleich nebst Vergleichsgruppen und Namensliste (Bl. 35-54 der Gerichtsakte) verwiesen.

10 Arbeitnehmer, die auf der Namensliste namentlich genannt worden sind, sind von der Beklagten nicht gekündigt worden. Der vom Kläger insoweit benannte Herr P. ist gekündigt worden, das Verfahren ist beim Landesarbeitsgericht anhängig zu dem Aktenzeichen 5 Sa 1216/14.

Sämtliche nicht gekündigten Arbeitnehmer entstammen einer anderen Vergleichsgruppe als der Vergleichsgruppe des Klägers, insbesondere gehört der vom Kläger benannte, nicht gekündigte Herr S. der Vergleichsgruppe der "Anlagenführer" an. Er erhält Vergütung nach der Vergütungsgruppe E4 des Entgelttarifvertrages für die Niedersächsische Metallindustrie. Der Arbeitnehmer H. ist Qualitätsprüfer und erhält die Vergütungsgruppe E6 des vorbenannten Tarifvertrages.

Mit seiner am 20.08.2013 bei Gericht eingegangenen Klage hat sich der Kläger gegen die ihm gegenüber ausgesprochene Kündigung zur Wehr gesetzt. Er hat sie als sozial ungerechtfertigt gerügt und die ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung bestritten. Ferner hat er die soziale Auswahl als fehlerhaft gerügt. Er hat beantragt, wie folgt zu erkennen:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 05.08.2013 nicht mit Ablauf des 31.03.2014 enden wird, sondern unverändert fortbesteht.

2. Die Beklagte wird verurteilt, ihn über den 31.03.2014 hinaus zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als Angestellten in Vollzeit auf der Grundlage des Arbeitsvertrages bis zur Rechtskraft des Bestandsschutzverfahrens weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt.

die Klage abzuweisen.

Sie hat sich auf die Vermutungswirkung des Interessenausgleiches mit Namensliste berufen und die Auffassung vertreten, die Zuordnung des Klägers zu der Vergleichsgruppe "Anlerntätigkeit" sei nicht zu beanstanden. Wegen der Entlassung sämtlicher Arbeitnehmer dieser Vergleichsgruppe sei eine Sozialauswahl entbehrlich gewesen.

Mit Urteil vom 05.03.2014 hat das Arbeitsgericht Hameln der Klage im vollen Umfang stattgegeben, die Rechtsunwirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung festgestellt und die Beklagte antragsgemäß zur Weiterbeschäftigung des Klägers verurteilt. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die Kündigung sei wegen fehlerhafter sozialer Auswahl gemäß § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG i.V.m. § 1 Abs. 5 KSchG sozial ungerechtfertigt, weil "der unstreitig nicht gekündigte Arbeitnehmer ... B. hingegen nur 64 Punkte" aufweise.

Dieses Urteil ist der Beklagten am 20.03.2014 zugestellt worden. Mit einem am 20.06.2014 eingegangenen Schriftsatz hat sie das Rechtsmittel begründet, nachdem zuvor das Landesarbeitsgericht mit Beschluss vom 19.05.2014 die Berufungsbegründungsfrist antragsgemäß bis zum 20.06.2014 verlängert hatte.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte ihr erstinstanzliches Ziel der Klageabweisung weiter und stellt klar, dass der Arbeitnehmer B. gleichfalls gekündigt worden sei. Darüber hinaus vertritt sie die Auffassung, die Namensliste, welche Bestandteil des Interessenausgleiches vom 18.07.2013 geworden sei, könne keineswegs als sogenannte "Teil-Namensliste" bewertet werden. Denn der Personalabbau im Bereich NESD/Zentralfunktionen sei ausschließlich durch Abschluss von Aufhebungsverträgen einvernehmlich umgesetzt worden. Dies sei so im Interessenausgleich bereits angelegt und geplant gewesen. Aufgrund konkreter Verhandlungen habe sie auch darauf vertrauen dürfen, beim Personalabbau im vorbenannten Bereich keine betriebsbedingten Kündigungen aussprechen zu müssen.

Selbst wenn es sich um eine Teil-Namensliste handeln sollte, sei diese jedenfalls rechtmäßig, weil sie sich auf ein in sich geschlossenes Konzept beziehe.

Die Beklagte beantragt.

das Urteil des Arbeitsgerichts Hameln vom 05.03.2014, Az: 3 Ca 344/13 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil.

Zunächst einmal vertritt er die Auffassung, die Namensliste sei deswegen unvollständig, weil die 12 zu entlassenden Mitarbeiter aus dem NESD-Bereich nicht namentlich dort erwähnt worden seien. Deswegen habe es sich um eine sogenannte "Teil-Namensliste" gehandelt, die keine Vermutungswirkung auslöse. Auch sei seine Beschäftigungsmöglichkeit nicht weggefallen, da seine Tätigkeit von anderen Mitarbeitern, die höher eingruppiert gewesen seien, übernommen worden seien. Darüber hinaus widerlege der unstreitige Umstand von 10 nicht entlassenen Arbeitnehmern, die sich auf der Namensliste befunden haben, die Vermutungswirkung des Interessenausgleiches mit Namensliste. Soweit es die Sozialauswahl anbelangt, hätte er die Tätigkeiten der Arbeitnehmer S. und H. ausführen können. Jedenfalls insoweit sei die soziale Auswahl grob fehlerhaft. Auch hält er die Rüge der fehlerhaften ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung aufrecht. Er vertritt insoweit die Auffassung, das Anhörungsschreiben vom 24.07.2013 hätte dem Betriebsratsvorsitzenden oder dessen Stellvertreter übergeben werden müssen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufung wird ergänzend auf ihre Schriftsätze vom 20.06. nebst Anl., 22.07., 09.10. nebst Anl., 14.10., 16.10. und 21.10.2014 verwiesen.

Entscheidungsgründe

A.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64, 66 ArbGG und 519, 520 ZPO).

B.

Die Berufung ist begründet. Sie führt zur Abänderung des angefochtenen Urteils und zur Klageabweisung.

Die streitgegenständliche Kündigung ist unter jedem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt wirksam und hat das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 31.03.2014 beendet. Deswegen hat der Kläger auch keinen Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung, wie von ihm mit dem Antrag zu 2) unbedingt geltend gemacht.

I.

Zugunsten der Beklagten wird gem. § 1 Abs. 5 KSchG vermutet, dass die streitgegenständliche gegenüber dem Kläger ausgesprochene Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist sozial gerechtfertigt i.S. von § 1 Abs. 2 KSchG.

1.

Der Tatbestand des § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG ist gegeben. Insbesondere haben die Betriebspartner einen wirksamen Interessenausgleich mit dazugehörender Namensliste unterzeichnet.

Diese Namensliste enthielt den Namen des Klägers. Auch betrifft der Interessenausgleich eine Betriebsänderung gem. § 111 BetrVG in Form eines Personalabbaues, der das in § 17 KSchG genannte Zahlenverhältnis unter Berücksichtigung der zusätzlichen Anforderungen des BAG (mehr als 5 % in Betrieben mit mehr als 500 Arbeitnehmern) bei weitem übersteigt. Dies ist zwischen den Parteien unstreitig.

2.

Die Vermutungswirkung dieses Interessenausgleichs mit Namensliste entfällt auch nicht unter dem Gesichtspunkt der fehlenden Erfassung sämtlicher zu entlassender Arbeitnehmer auf der Namensliste.

a)

Ist in einem Interessenausgleich die Entlassung einer Vielzahl von Arbeitnehmern vorgesehen, enthält die Namensliste jedoch nicht die Namen sämtlicher der zur Entlassung anstehenden Arbeitnehmer, so wird unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der sogenannten Teil-Namensliste die Frage, ob eine solche Liste dem Tatbestand des § 1 Abs. 5 KSchG entspricht und zugunsten des kündigenden Arbeitgebers die dort vorgesehenen Kündigungserleichterungen auslöst, durchaus kontrovers erörtert.

aa)

Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes hat sich ersichtlich noch nicht vollständig abschließend zum vorstehenden Problemkreis geäußert:

Die Entscheidung vom 26.03.2009 (2 AZR 296/07 - AP Nr. 19 zu § 1 KSchG 1969 Namensliste) enthielt keine grundlegende Klärung der Frage, ob eine "Teil-Namensliste" eine ausreichende Grundlage für die Vermutungswirkung des § 1 Abs. 5 KSchG darstellt. In diesem Zusammenhang hat das BAG ausgeführt, der Zweck des § 1 Abs. 5 KSchG bestehe vor allem darin, bei betriebsbedingten Kündigungen einer größeren Zahl von Arbeitnehmern die Sozialauswahl für alle Beteiligten rechtsicher zu gestalten. Der Wortlaut des § 1 Abs. 5 KSchG sei nicht eindeutig. Es komme auf den Sinn und Zweck dieser Vorschrift an. Es spreche Einiges dafür, Grundlage der Namensliste sei eine Betriebsänderung i.S. des § 111 BetrVG, der regelmäßig ein geschlossenes unternehmerisches Konzept zugrunde liege. Die Namensliste stelle die konkrete Umsetzung dieses unternehmerischen Konzeptes dar. Sie müsse deshalb, um in sich schlüssig zu sein, das unternehmerische Konzept vollständig erfassen und umsetzen. Im konkreten Streitfall hat das Bundesarbeitsgericht die generelle Klärung dieser Frage offen gelassen, weil die Betriebspartner bei ihrer Einigung Erwägungen hätten durchschlagen lassen, die außerhalb des Gesetzeszweckes lagen. Denn dort seien Arbeitnehmer nur deshalb in die Liste aufgenommen worden, um bei dem von diesen Mitarbeitern gewünschten freiwilligen Ausscheiden drohende Sperrzeiten gem. § 144 SGB III nach Möglichkeit auszuschließen.

Auch in den Entscheidungen vom 19.07.2012 (2 AZR 352/11 - AP Nr. 22 zu § 1 KSchG 1969 Namensliste) und vom 27.09.2012 (Az: 2 AZR 516/11 - EZA § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 25) hat das Bundesarbeitsgericht die grundsätzliche Eignung einer Teil-Namensliste als Grundlage für die Rechtswirkungen des § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG nicht geklärt.

bb)

In der Literatur wird weit überwiegend eine Teil-Namensliste als Grundlage der Rechtswirkung des § 1 Abs. 5 KSchG abgelehnt, weil es der Zweck dieser Norm gebiete, den Namen der zu kündigenden Arbeitnehmer vollständig aufzuführen, dem entspreche eine Teil-Namensliste nicht. Auch bestehe keine Gewähr, dass nach schlüssigen sozialen Kriterien entschieden werde. Der Zweck der Privilegierung verlange die abschließende Aufnahme der gekündigten Arbeitnehmer in die Namensliste (GK-Oetker, 10. Aufl., §§ 112, 112a, Rn. 27; Richardi, 13. Aufl., §112, Rn. 22 b; Fitting. 27. Aufl.. §§ 112, 112a Rn. 55; H/B/K-Quecke, 5. Aufl., § 1 KSchG Rn. 424; DKK-Däubler, 13. Aufl., §§ 112, 112a Rn. 32; ErfK-Oetker, 14. Aufl., § 1 KSchG Rn. 360a).

cc)

Demgegenüber hält eine abweichende Literaturmeinung eine Teil-Namensliste für grundsätzlich geeignet, die Rechtsfolgen des § 1 Abs 5 KSchG auszulösen (Richter/Riem: Ganz oder gar nicht? - Rechtsfolgen von Teil-Namenslisten in NZA 2011, 1254 ff.).

b)

Die vorstehende Problematik der Teil-Namensliste als Grundlage für die Rechtswirkungen des § 1 Abs. 5 KSchG ist auch entscheidungserheblich. Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten lassen sich die konkreten in dem Interessenausgleich vom 18.07.2013 vorgenommenen Regelungen als Teil-Namensliste charakterisieren: Die Entlassungen der Arbeitnehmer im Produktionsbereich und die Entlassungen der Angestellten im Bereich der NESD-Zentralfunktionen sind gegenständlich in ein und demselben Interessenausgleich als unternehmerische Maßnahme zusammengefasst worden. Sie bilden die Betriebsänderung gem. § 111 S. 3 Nr. 1 BetrVG ab, die Grundlage der Privilegierung des § 1 Abs. 5 KSchG sind. Darüber hinaus lassen sich die in III des Interessenausgleiches unter NESD-Zentralfunktionen beschriebenen unternehmerischen Maßnahmen unproblematisch als die in der Vorbemerkung zum Interessenausgleich genannten Restrukturierungsmaßnahmen verstehen. Schlussendlich entspricht es auch einem ganz allgemeinen grundlegenden Verständnis, dass der Abbau von mehr als 100 Arbeitsplätzen im Produktionsbereich regelmäßig auch zu einer Verschlankung des administrativen Bereiches führt.

Der Einwand der Beklagten, betriebsbedingte Kündigungen seien im Bereich des Abbaues vorgenannter Arbeitsplätze nicht vorgesehen, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Denn der Interessenausgleich enthält keine verbindliche Festlegung, in welcher Weise die Entlassungen durchgeführt werden sollen. Soweit es dort vorrangig um Auflösungsvereinbarungen geht, sind betriebsbedingte Kündigungen nicht ausgeschlossen. Ohne Auflösungsvereinbarungen wären betriebsbedingte Entlassungen erforderlich gewesen. Die Prognose der Beklagten, zum Zeitpunkt des Abschlusses des Interessenausgleiches sei absehbar gewesen, sämtliche Entlassungen hätten im Wege von Auflösungsvereinbarungen erfolgen können, war zum seinerzeitigen Zeitpunkt keineswegs zwingend. Allein positiv verlaufende Verhandlungen, die noch nicht zum Abschluss geführt haben, rechtfertigen eine solche Annahme nicht.

c)

Obwohl durch die Herausnahme der Entlassungen im NESD-Zentralfunktionenbereich aus der Namensliste die mit dem Interessenausgleich verbundene Namensliste als sogenannte Teil-Namensliste zu qualifizieren ist, begründet sie die Vermutungswirkung des § 1 Abs. 5 KSchG und ist die Grundlage für die Anwendung dieser Norm.

Hierbei hält die Berufungskammer eine Teil-Namensliste nicht generell für eine taugliche Grundlage des § 1 Abs. 5 KSchG, sondern nur in einer eng umgrenzten Fallkonstellation, die vorliegend jedoch anzuerkennen ist: Diese Fallkonstellation ist zum einen dadurch gekennzeichnet, dass der Bereich, in dem die Betriebspartner eine Namensliste erstellen, von dem Bereich, für den keine Namensliste existiert, so deutlich abgrenzbar ist, dass nicht die entfernte Möglichkeit besteht, die Sozialauswahl des einen Bereiches könnte die Sozialauswahl in dem anderen Bereich in irgendeiner Form beeinflussen. Mit anderen Worten: Es ist ausgeschlossen, dass die Arbeitnehmer der Namensliste mit den übrigen Arbeitnehmern aus dem Bereich der NESD-Zentralfunktion vergleichbar sein könnten.

Darüber hinaus muss auch ein wertendes Element vorhanden sein, um die unterschiedliche Handhabung der Entlassungen in dem einen wie in dem anderen Bereich zu rechtfertigen. Zu fordern ist ein quantitatives Element, der Bereich der durch die Namensliste geregelt ist, muss von der Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer den übrigen Bereich deutlich überwiegen, so dass das erkennbare Interesse der Betriebspartner, Rechtsklarheit durch eine Namensliste zu schaffen, gegenüber dem nicht durch Namenslisten geregelten Bereich hervorgehoben wird.

All die Vorgaben hat die Beklagte zur Überzeugung der Berufungskammer erfüllt: Die Entlassungen in dem Bereich NESD-Zentralfunktionen sind absolut von den übrigen Produktionsbereichen zu unterscheiden, die Sozialauswahl in dem einen Bereich kann die Sozialauswahl des anderen Bereiches nicht berühren. Auch ist der Bereich der Entlassungen in dem NESD- Zentralfunktionen so klein, dass problemlos individuelle Lösungen (sei es durch Auflösungsverträge oder auch durch betriebsbedingte Kündigungen) durchgeführt werden können und ein echtes Bedürfnis nach Rechtsklarheit durch Namensliste - anders im Produktionsbereich, wo mehr als 100 Arbeitsplätze abgebaut werden - nicht besteht.

3.

Der Kläger hat die Vermutungswirkung der Namensliste auch nicht durch konkreten Sachvortrag widerlegt. Sein summarischer Vortrag bezüglich des fehlenden Wegfalls seiner Beschäftigungsmöglichkeit ist zum einen unpräzise und zum anderen nicht unter Beweis gestellt worden.

4.

Zugunsten des Klägers greift auch nicht die Ausnahme des § 1 Abs. 5 S. 3 KSchG ein. Allein die fehlende Umsetzung der Namensliste bezüglich 10 Personen, denen gegenüber keine Kündigung ausgesprochen worden ist, hat die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleiches nicht wesentlich geändert.

Eine wesentliche Änderung der Sachlage scheidet jedenfalls bei einer geringfügigen Änderung der Anzahl der zu kündigenden Arbeitnehmer aus (BAG Urteil vom 23.10.2008 2 AZR 163/07 - AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Namensliste).

Angesichts 129 in die Namensliste aufgenommener Arbeitnehmer sind 10 Arbeitnehmer keine wesentliche Anzahl, sie entsprechen noch nicht einmal einem zahlenmäßigen Anteil von 10%.

5.

Die soziale Auswahl ist nicht grob fehlerhaft gem. § 1 Abs. 5 S. 1 und Abs. 3 KSchG.

a)

Die Beklagte hat trotz der Privilegierung in § 1 Abs. 5 KSchG und der Überprüfung der Sozialauswahl nur auf grobe Fehlerhaftigkeit ordnungsgemäß Auskunft über die Kriterien zu geben. nach denen die Sozialauswahl durchgeführt worden ist.

Dem ist sie bereits mit ihrer Klageerwiderung, der Darstellung der Vergleichsgruppen und dem Hinweis darauf, dass alle Arbeitnehmer der Vergleichsgruppe "Anlerntätigkeit" entlassen worden sind, nachgekommen.

b)

Soweit das erstinstanzliche Urteil die Sozialauswahl unter Hinweis auf den Arbeitnehmer B. als fehlerhaft angesehen hat, beruht dies auf einem Versehen, was bei der Vielzahl von parallel gelagerten Verfahren im Rahmen einer Massenentlassung schon einmal vorkommen kann.

c)

Soweit es die Arbeitnehmer H. und S. anbelangt, die der Kläger besonders als vergleichbare und weniger sozial schutzwürdige Arbeitnehmer im Rahmen der Sozialauswahl heranzieht, ist die Sozialauswahl jedenfalls nicht grob fehlerhaft.

aa)

Der Arbeitnehmer H. gehört einer anderen Vergleichsgruppe an und ist deutlich höherwertig in dem tarifvertraglichen Vergütungssystem eingruppiert worden. Der Unterschied von drei Vergütungsgruppen (E3 für den Kläger. E6 für den Arbeitnehmer H.) lässt eine Vergleichbarkeit entfallen, jedenfalls ist es nicht grob fehlerhaft, eine fehlende Vergleichbarkeit anzunehmen.

bb)

Gleiche Erwägungen gelten für den Arbeitnehmer S., der als Anlagenführer ebenfalls einer anderen Vergleichsgruppe zugehörig ist und immerhin eine Vergütungsgruppe höher eingruppiert ist (E4 anstatt E3). Von einer groben Verkennung der Prinzipien einer Sozialauswahl kann nicht einmal ansatzweise die Rede sein.

II.

Die streitgegenständliche Kündigung ist auch nicht gem. § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG rechtsunwirksam. Insbesondere ist das Anhörungsschreiben vom 24.07.2013, welches eine vollständige und ordnungsgemäße Information des Betriebsrates enthält, diesem Gremium auch am selben Tage zugegangen, so dass bei Ausspruch der Kündigung die Stellungnahmefrist von einer Woche gem. § 102 Abs. 3 S. 1 BetrVG abgelaufen war. Wegen der urlaubsbedingten Abwesenheit des Betriebsratsvorsitzenden und seines Stellvertreters durfte das Betriebsratsmitglied Frank Bittner die Anhörung zur Kündigung mit Wirkung für und gegen den Betriebsrat entgegennehmen.

Wenn auch grundsätzlich zur Entgegennahme von Mitteilungen zur Kündigungsabsicht des Arbeitgebers gem. § 26 Abs. 3 S. 2 BetrVG der Betriebsratsvorsitzende oder im Fall der Verhinderung sein Stellvertreter ist, muss von diesem Grundsatz eine Ausnahme gemacht werden, wenn kein zur Entgegennahme Berechtigter aus dem Betriebsrat vorhanden ist. In diesem Fall ist jedes Betriebsratsmitglied berechtigt und verpflichtet, Erklärungen des Arbeitgebers für den Betriebsrat entgegenzunehmen (BAG, Urteil vom 27.06.1985, Az: 2 AZR 412/84 - EzA Nr. 60 zu § 102 BetrVG 1972).

Im vorliegenden Streitfall kann ausdrücklich dahingestellt bleiben, ob das Betriebsratsmitglied B. ausdrücklich ermächtigt war, eine derartige Erklärung entgegenzunehmen (wie die Beklagte behauptet hat) oder ob diese Behauptung (so das Bestreiten des Klägers) nicht zutrifft. Wenn diese Behauptung nicht zutrifft, war mangels gegenteiliger Anhaltspunkte niemand aus dem Betriebsrat ermächtigt, Erklärungen entgegenzunehmen, so dass jedermann aus dem Betriebsrat Erklärungen entgegennehmen durfte und musste.

III.

Weitere Unwirksamkeitsgründe sind nicht ersichtlich. Die streitgegenständliche Kündigung hat das Arbeitsverhältnis rechtswirksam zum 31.03.2014 beendet. Deswegen musste auch der Weiterbeschäftigungsantrag, der nicht als uneigentlicher Hilfsantrag gefasst worden war, abgewiesen werden.

C.

Der Kläger hat als unterlegene Partei gem. § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Gem. § 72 Abs. 2 ArbGG war die Revision zum Bundesarbeitsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache zuzulassen.