Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 27.02.2004, Az.: 4 LC 47/03
Aufwendung; Aufwendungsersparnis; Ersparnis; Existenzminimum; Jugendhilfe; Jugendhilfemaßnahme; Jugendlicher; Kind; Kindergeld; Kindesunterhalt; Kindesversorgung; Kostenübernahme; Teilnahmebeitrag; Teilnahmebeitragserhebung; Unterbringung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 27.02.2004
- Aktenzeichen
- 4 LC 47/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 50966
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 18.12.2002 - AZ: 6 A 135/01
Rechtsgrundlagen
- § 94 Abs 2 SGB 8
- § 93 Abs 5 SGB 8
- § 34 SGB 8
- § 93 Abs 1 SGB 8
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Bei dem den Eltern während der jugendhilferechtlichen Unterbringung des Kindes gewährten Kindergeld handelt es sich nicht um ersparte Aufwendungen im Sinne von § 94 Abs.2 SGB VIII, da eine Zweckbestimmung des Kindergeldes - Versorgung und Unterhaltung des Kindes - zu verneinen ist.
Die Pflicht des Staates, das Kindergeld zur Wahrung des Existenzminimums zu gewähren, begründet eine solche Zweckbestimmung nicht,
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid, mit dem der beklagte Jugendhilfeträger einen Kostenbeitrag für eine Jugendhilfemaßnahme festgesetzt hat.
Die Klägerin und ihre am 5. Dezember 1987 geborene Tochter A. G. stammen aus dem Kosovo. Sie flüchteten nach Deutschland. Der leibliche Vater der Tochter blieb in seinem Heimatland. In der Bundesrepublik Deutschland hat die Klägerin in der Folgezeit einen deutschen Staatsangehörigen geheiratet.
Aus Anlass der Überforderung der Klägerin und ihres Ehemanns mit der Erziehung von A. gewährte die Beklagte der Tochter der Klägerin für die Zeit ab 27. Januar 2001 Hilfe zur Erziehung in Form der Heimerziehung. A. wurde anschließend im Jugendheim H. in M. untergebracht. Die Kosten dieser Maßnahme betrugen ca. 7.500,00 DM im Monat.
Die Klägerin war bis zum 30. September 2001 als Raumpflegekraft beschäftigt. Hierdurch erzielte sie im Januar 2001 einen Verdienst in Höhe von 1.105,56 DM sowie in den beiden Folgemonaten in Höhe von 735,70 DM und 707,38 DM. Darüber hinaus erhielt sie bis März 2001 Kindergeld für ihre Tochter A. in Höhe von 270,-- DM monatlich. Der Ehemann der Klägerin verdiente Anfang 2001 als Angestellter 2.880,00 DM brutto.
Mit einem Bescheid vom 29. März 2001 – Betreffzeile: „Gewährung einer Hilfe nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) für A. G., geb. 05.12.1987“ - forderte die Beklagte die Klägerin auf, einen Fragebogen über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auszufüllen und der Erklärung Unterlagen über das Einkommen und Vermögen sowie über die monatlichen besonderen Belastungen beizufügen. Mit einem weiteren Bescheid vom 29. März 2001, der in der Betreffzeile den Hinweis „Heranziehung zu den Kosten für A. G., geb. 05.12.1987; - Kindergeld –“ enthielt, setzte die Beklagte für die Zeit ab dem 27. Januar 2001 einen monatlichen Kostenbeitrag in Höhe von 270,00 DM fest.
Mit zwei Schreiben vom 22. April 2001 legte die Klägerin jeweils unter Bezugnahme auf das „Anschreiben“ der Beklagten vom 29. März 2001 Widerspruch ein. Im ersten Schreiben gab sie an, sie verdiene ca. 1.000,-- DM als ungelernte Putzfrau. Außerdem befinde sie sich in ständiger ärztlicher Behandlung. In dem zweiten Schreiben führte sie darüber hinaus aus, ihr Mann sei über 61 Jahre alt und körperlich nicht mehr voll belastbar. Er habe am 31. Dezember 2000 seine Selbständigkeit wegen Zahlungsunfähigkeit aufgeben und außerdem am 21. Oktober 1999 den Offenbarungseid ablegen müssen. Er sei nämlich nicht mehr in der Lage gewesen, den Unterhalt für seine noch minderjährigen Kinder T. und M. aufzubringen. Außerdem werde sie häufig von ihrer Tochter A. besucht. Anlässlich dieser Gelegenheiten werde sie – A. - eingekleidet und beköstigt.
Die Beklagte ging mit einem Schreiben vom 26. April 2001 auf die Eingaben der Klägerin vom 22. April 2001 ein. Sie führte aus, es sei nicht ganz ersichtlich, wogegen sich genau „der Widerspruch“ richte. Mit Schreiben vom 29. März 2001 sei noch keine Kostenfestsetzung getroffen worden. Sofern sie – die Klägerin – tatsächlich über ein Nettoeinkommen von 1.000,00 DM verfüge, könne sie von der Zahlung eines Kostenbeitrages, der über das Kindergeld hinaus gehe, freigestellt werden. Das Kindergeld stehe ihr – der Beklagten - jedoch zu, da von ihr der Unterhalt für A. sichergestellt werde und A. nicht mehr im Haushalt der Klägerin wohne. Es werde um Mitteilung gebeten, ob der Widerspruch damit als erledigt angesehen werden könne.
Die Klägerin teilte der Beklagten hierauf unter dem 25. Mai 2001 fernmündlich mit, dass sie die Angelegenheit mit ihrem Mann besprechen wolle. In der Folgezeit ist die Klägerin auf die Anfrage der Beklagten nicht mehr zurückgekommen.
Mit Bescheid vom 29. Juni 2001 setzte die Beklagte das noch an die Klägerin ausgezahlte Kindergeld für den Zeitraum vom 27. Januar bis 31. März 2001 in Höhe von 576,00 DM fest und stellte die Klägerin im Übrigen von der Zahlung eines laufenden Kostenbeitrages, der über das Kindergeld hinaus ging, vorläufig frei. Zur Begründung führte sie aus: Die Klägerin habe als Mutter gemäß § 91 ff. SGB VIII zu den Kosten der ihrem Kind geleisteten Jugendhilfe beizutragen. Der Umfang des zu erbringenden Kostenbeitrages werde nach den Vorschriften der §§ 93 ff. SGB VIII ermittelt. Nach § 94 Abs. 2 SGB VIII sei von der Klägerin als „mindesthäusliche“ Ersparnis für den Zeitraum der Jugendhilfe das Kindergeld zu fordern. Da das Kindergeld trotz der Jugendhilfe noch bis einschließlich März 2001 an die Klägerin ausgezahlt worden sei, sei der anteilige Betrag von 576,00 DM geltend zu machen.
Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 3. September 2001 zurück. Zur Begründung führte sie aus: Der zulässige Widerspruch sei nicht begründet. Nach § 94 Abs. 2 SGB VIII seien Eltern oder Elternteile, die vor Beginn der Hilfe mit dem Kind oder dem Jugendlichen zusammen gelebt hätten, in der Regel in Höhe der durch die auswärtige Unterbringung ersparten Aufwendungen zu den Kosten der Jugendhilfe heranzuziehen. Als Berechnungsgrundlage würden die Düsseldorfer Tabelle und die unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Familiensenate des Oberlandesgerichts Oldenburg herangezogen. Demnach müsse dem Elternteil für seinen eigenen Lebensunterhalt mindestens ein sogenannter Selbstbehalt von 1.400,00 DM, ab 1. Juli 2001 1.640,00 DM, verbleiben. Da die Klägerin Einkommen unter diesen Grenzen erziele, sei sie von laufenden Kostenbeitragszahlungen vorläufig freizustellen gewesen. Die Klägerin habe jedoch Aufwendungen dadurch erspart, dass ihre Tochter nicht mehr bei ihr im Haushalt lebe. Ersparte Aufwendungen im Sinne des § 94 Abs. 2 SGB VIII seien die finanziellen Mittel, die die Eltern oder der Elternteil, mit denen bzw. mit dem das Kind oder der Jugendliche vor Beginn der Hilfe zusammengelebt habe, aufgrund dessen auswärtiger Unterbringung für seinen Lebensbedarf nicht mehr aufwenden müsse und die von ihnen deshalb anderweitig verwendet werden könnten. Als „mindesthäusliche“ Ersparnis werde das Kindergeld gefordert. Nach ständiger Rechtsprechung diene das Kindergeld dazu, die in der Person des Kindes entstehenden Kosten der allgemeinen Lebensführung mindestens teilweise zu decken und zur Entlastung von den Kosten des Lebensunterhalts beizutragen. Es werde unterstellt, dass gerade in Familien mit geringem Einkommen das Kindergeld für die Unterhaltung des Kindes vorrangig verwendet werde. Durch die Unterbringung von A. müsse die Klägerin keine finanziellen Mittel für den Lebensunterhalt aufbringen. Die Jugendhilfe stelle den gesamten Lebensunterhalt für A. sicher. Aus diesen Gründen werde das Kindergeld als „mindesthäusliche“ Ersparnis von der Klägerin gefordert. Da die Klägerin das Kindergeld für den Zeitraum vom 27. Januar bis 31. März 2001 noch ausgezahlt bekommen habe, sei dieses in Höhe von 576,00 DM zurückzufordern.
Die Klägerin hat am 1. Oktober 2001 Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen: Ihre Tochter habe noch bis zum 19. April 2001 bei ihr gewohnt. Sie sei ständig „abgängig“ gewesen. Zeitweise habe sie im Heim für Frauen und Mädchen gewohnt. Sie sei von ihr eingekleidet und beköstigt worden. Dafür habe der strittige Betrag von 576,00 DM nicht ausgereicht.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 29. Juni 2001 und deren Widerspruchsbescheid vom 3. September 2001 aufzuheben.
Die Klägerin hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat erwidert, das Kindergeld werde als ersparte Aufwendungen der Klägerin beansprucht.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit Urteil vom 18. Dezember 2002 stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
Gegenstand des Verfahrens sei allein der Bescheid der Beklagten vom 29. Juni 2001 sowie der dazu ergangene Widerspruchsbescheid. Dagegen sei der Bescheid der Beklagten vom 29. März 2001, mit dem die Klägerin für den Zeitraum ab 27. Januar 2001 (vorab) zu einem Kostenbeitrag in Höhe des Kindergeldes herangezogen worden sei, nicht Gegenstand des Verfahrens geworden. Die Klägerin habe zwar dagegen Widerspruch eingelegt, diesen jedoch ersichtlich nicht weiter verfolgt. Dies könne unter Einbeziehung der Klagebegründung nur dahin verstanden werden, dass die Klägerin das Kindergeld nicht auch für die Zukunft für sich beanspruche. Hiervon ausgehend sei anzunehmen, dass der Bescheid vom 29. März 2001, mit dem die Beklagte von der Klägerin einen Beitrag zu den aufgewendeten Jugendhilfekosten in Höhe des Kindergelds verlange, bestandskräftig geworden sei. Auch wenn mit dem Bescheid vom 29. März 2001 der Zeitraum vom 27. Januar bis 31. März 2001 erfasst sei mit der Folge, dass die Erstattungspflicht der Klägerin dem Grunde nach bestandskräftig geregelt sei, stehe dieser Umstand dem Klageerfolg nicht entgegen. Vielmehr könne die Klägerin auch noch dem mit dem angefochtenen Bescheid geltend gemachten Erstattungsverlangen der Beklagten entgegen halten, dass sie für die Vergangenheit zu einem Kostenbeitrag in Höhe des an sie ausgezahlten Kindergeldes nicht verpflichtet sei. Dies folge aus § 44 SGB X. Danach sei der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden sei, zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergebe, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen worden sei, und u.a. Beiträge deshalb zu Unrecht erhoben worden seien. So liege der Fall. Die Beklagte habe nicht einen einkommensbezogenen Kostenbeitrag erhoben. Die Klägerin sei unabhängig von den (sonstigen) Einkommensverhältnissen in Anspruch genommen. Der im Falle der Klägerin geltend gemachte Mindestkostenbeitrag sei im Gesetz nicht vorgesehen. Bei einem Kostenbeitrag im Sinne des § 93 Abs. 1 i.V.m. § 94 Abs. 2 SGB VIII gehe es darum, die ersparten Aufwendungen auf der Grundlage einer Einkommensberechnung abzuschöpfen. Ein isolierter Zugriff auf das Kindergeld sei demgegenüber nur unter den Voraussetzungen des § 93 Abs. 5 SGB VIII zulässig. Um solche zweckidentische Leistungen die neben einem Kostenbeitrag einzusetzen seien, handele es sich nicht im Falle des Kindergeldes. Insoweit sei dieses als allgemeines unterhaltspflichtiges Elterneinkommen anzusehen, auf das nicht gesondert und unabhängig davon, inwieweit im übrigen eine Kostenbeitragspflicht im eigentlichen Sinne bestehe, zugegriffen werden könne.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit der von dem Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung. Sie trägt vor: Bei der Ermittlung des anrechenbaren Einkommens im Rahmen des § 94 Abs. 2 SGB VIII habe das Verwaltungsgericht zu Unrecht das Kindergeld mit einbezogen. § 94 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII stelle allein auf die häusliche Ersparnis ab. Dieser Begriff erfasse alle Kosten, die durch die auswärtige Unterbringung des Kindes in der Familie erspart würden. Bei der Berechnung seien für die Festsetzung der Pauschalbeträge - in Anlehnung an die Praxis des Bundesverwaltungsgerichts - die Beträge der Düsseldorfer Tabelle anzuwenden. Wie bei der Ermittlung der ersparten Aufwendungen müssten auch für die Kindergeldanrechnung zivilrechtliche Grundsätze maßgeblich sein. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dürfe der Unterhaltsbedarf eines Kindes vom staatlichen Kindergeld nicht beeinflusst werden. Dieser Grundsatz sei durch § 1612 b BGB gesetzlich verankert worden. Der Wertung dieser Vorschrift sei zu entnehmen, dass das Kindergeld schon im Forderungsbetrag gegenüber demjenigen, der es beziehe, berücksichtigt sei. Soweit das Verwaltungsgericht seine Entscheidung auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Dezember 1998 stütze, sei dem entgegenzuhalten, dass darin nur festgestellt worden sei, dass das Kindergeld nicht eine mit Leistungen zum Lebensunterhalt bei Hilfe zur Erziehung in einer betreuten Wohnform zweckgleiche Leistung im Sinne des § 93 Abs. 5 SGB VIII darstelle. Dies bedeute jedoch nicht, dass damit die Kostenbeitreibung nach § 94 Abs. 2 SGB VIII in jedem Falle ausgeschlossen sei. Zwar habe das Bundesverwaltungsgericht in der genannten Entscheidung ausgeführt, dass das Kindergeld bei der Berechnung eines Kostenbetrages nach § 94 Abs. 2 SGB VIII als Einkommen zu berücksichtigen sei. Die Besonderheit des vorliegenden Falles liege jedoch darin, dass die Klägerin wegen des niedrigen Einkommens einen Betrag nach der Düsseldorfer Tabelle nicht habe erbringen können. Hätte das Kind der Klägerin in ihrem Haushalt gelebt, hätten andere Bedürfnisse der Klägerin zurückstehen und das Kindergeld vorrangig für die Versorgung und Verpflegung des Kindes aufgewendet werden müssen. Die Argumentation des Bundesverwaltungsgerichts, wonach mit dem allgemeinen Zweck des Familienlastenausgleichs ein weiter Verwendungsrahmen gezogen worden sei, der von den Kindergeldberechtigten auf sehr unterschiedliche und vielfältige Weise ausgefüllt werden könne, greife im vorliegenden Fall daher nicht. In Fällen der vorliegenden Art bezwecke das Kindergeld in erster Linie die Deckung des Existenzminimums eines Kindes. Aus Art. 6 Abs. 1 GG und dem in Art. 20 Abs. 1 GG verankerten Sozialstaatsprinzip ergebe sich die allgemeine Pflicht des Staates zu einem Familienlastenausgleich. Zur Deckung des Existenzminimums gehörten an erster Stelle die Ernährung und Unterkunft, also der Unterhalt des Kindes. Urteile, auf die bei der Argumentation des Bundesverwaltungsgerichts hingewiesen werde, seien zum Teil 20 Jahre alt und seien zu einem Zeitpunkt getroffen worden, als das Kindergeld beitragsmäßig nicht im entferntesten an das Existenzminimum eines Kindes herangekommen sei. Vor diesem Hintergrund sei festzustellen, dass die Klägerin das Kindergeld in erster Linie zur Verpflegung des Kindes hätte aufwenden müssen, wenn es in ihrem Haushalt gelebt hätte. Durch die Hilfe zur Erziehung habe sich für die Klägerin eine Veränderung weder in positiver noch in negativer Hinsicht ergeben sollen. Da die Jugendhilfe den gesamten Unterhalt für die Tochter der Klägerin sichergestellt habe, habe sie - die Klägerin - keine finanziellen Mittel für den Lebensunterhalt ihrer Tochter aufbringen müssen. Deshalb sei eine „mindesthäusliche“ Ersparnis in Höhe des Kindergeldes anzunehmen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 20. Dezember 2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie nimmt auf das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 18. Dezember 2002 Bezug und fügt ergänzend an, sofern man der Rechtsauffassung der Beklagten folgen sollte, so werde ein Mindestkostenbeitrag geschaffen, der im SGB VIII nicht vorgesehen sei.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Beklagten, über die mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden kann (§§ 125 Abs. 1 Satz 1, 101 Abs. 2 VwGO), ist nicht begründet
Der Senat verweist zur Begründung auf die zutreffenden tragenden Gründe des angegriffenen Urteils (§ 130 b Satz 2 VwGO). Der Senat teilt insbesondere die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass sich die Klägerin in diesem Verfahren ausschließlich gegen die von der Beklagten mit Bescheid vom 29. Juni 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. September 2001 beanspruchte Erstattung des Kindergeldbetrages wende, welcher für den Zeitraum vom 27. Januar bis 31. März 2001 an sie ausgezahlt worden sei. Dagegen folgt der Senat nicht der Meinung des Verwaltungsgerichts, der Bescheid vom 29. März 2001, mit dem die Beklagte einen Kostenbeitrag zu den aufgewendeten Jugendhilfekosten in Höhe des Kindergeldes festgesetzt habe, sei bestandskräftig geworden. Auch wenn diese Frage für den Ausgang des vorliegenden Verfahrens ohne Relevanz ist, hält es der Senat angesichts der verbindlich geäußerten Auffassung des Verwaltungsgerichts und zur Wahrung der rechtlichen Interessen der Klägerin für angebracht, auf Folgendes hinzuweisen:
Die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Bescheid vom 29. März 2001, mit dem die Beklagte für die Zeit ab dem 27. Januar 2001 einen monatlichen Kostenbeitrag in Höhe von 270,00 DM festgesetzt habe, sei bestandskräftig geworden, trifft nicht zu. Den Verwaltungsvorgängen der Beklagten lässt sich vielmehr entnehmen, dass die Klägerin mit zwei Schreiben vom 22. April 2001 - jeweils unter Bezugnahme auf das „Anschreiben“ der Beklagten vom 29. März 2001 - Widerspruch eingelegt hat. Vor diesem Hintergrund kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Klägerin (auch) gegen den Bescheid vom 29. März 2001, der in der Betreffzeile den Hinweis „Heranziehung zu den Kosten für A. G., geb. 05.12.1987; - Kindergeld –“ enthält und mit dem die Beklagte für die Zeit ab dem 27. Januar 2001 einen monatlichen Kostenbeitrag in Höhe von 270,00 DM festgesetzt hat, Widerspruch eingelegt hat. Dieses Widerspruchsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Den Verwaltungsvorgängen lässt sich nicht entnehmen, dass das die Klägerin den Widerspruch - durch eine rechtlich verbindliche Erklärung – zurückgenommen hat. Die Bestandskraft des Bescheides kann auch nicht auf eine „Erledigung“ des Widerspruchsverfahrens gestützt werden. Zum Einen hat die Klägerin das Widerspruchsverfahren nicht für erledigt erklärt. Zum Anderen lässt sich auch nicht feststellen, dass für die Durchführung eines Widerspruchverfahrens keine Notwendigkeit mehr bestanden hat, weil zwischenzeitlich ein erledigendes Ereignis eingetreten ist. Hiervon ausgehend kann die Klägerin (noch) den Erlass eines Widerspruchsbescheids beanspruchen oder - unter Beachtung der Voraussetzungen des § 75 VwGO - Untätigkeitsklage erheben. Der Senat hat davon abgesehen, der Klägerin im Rahmen der richterlichen Hinweispflicht (§ 86 Abs. 3 VwGO) auf die Möglichkeit einer Klageerweiterung hinzuweisen und ihr anzuregen, die Aufhebung des Kostenbeitragsbescheids vom 29. März 2001 zu beantragen. Denn er geht davon aus, dass die Beklagte dem Widerspruch der Klägerin gegen den Kostenbeitragsbescheid vom 29. März 2001 entsprechend dem Ausgang dieses Klageverfahrens abhilft.
Das Verwaltungsgericht hat zu Recht der Klage stattgegeben und den Bescheid der Beklagten vom 29. Juni 2001 und deren Widerspruchsbescheid vom 3. September 2001 aufgehoben. Das Berufungsvorbringen der Beklagten rechtfertigt eine andere Entscheidung nicht. Das Verwaltungsgericht weist zutreffend darauf hin, dass es bei einem Kostenbeitrag im Sinne von § 93 Abs. 1 i.V.m. § 94 Abs. 2 SGB VIII darum geht, die ersparten Aufwendungen auf der Grundlage der Einkommensberechnung abzuschöpfen. Bei dem der Klägerin während der Unterbringung ihrer Tochter gewährten Kindergeld handelt es sich nicht um ersparte Aufwendungen im Sinne des § 94 Abs. 2 SGB VIII. Die Argumentation der Beklagten ließe sich nur dann rechtfertigen, wenn das Kindergeld in der Weise zweckbestimmt wäre, dass es zur Versorgung und Unterhaltung des Kindes bestimmt ist. Dies ist jedoch nicht der Fall. Durch die Pflicht des Staates, das Kindergeld zur Wahrung des Existenzminimums des Kindes zu gewähren, wird nicht gleichzeitig eine solche Zweckbestimmung des Kindergeldes begründet. Das Kindergeld stellt vielmehr eine finanzielle Unterstützung seitens der staatlichen Gemeinschaft zur Minderung des Familienaufwands dar, der zwangsläufig mit der Erziehung und Unterhaltung von Kindern verbunden ist. Diese allgemeine Zweckbestimmung hat der Gesetzgeber hervorgehoben, in dem er in § 31 Satz 2 Einkommenssteuergesetzes - EStG - festgelegt hat, dass das Kindergeld „der Förderung der Familie dient“, wenn es für die Wahrung des Existenzminimums nicht erforderlich ist.
Vor diesem Hintergrund kann bei einkommensschwachen Familien nicht von vorn herein eine häusliche Ersparnis in Höhe des Kindergeldes im Falle der auswärtigen Unterbringung angenommen werden. Der Beklagten ist zwar zuzugestehen, dass der Jugendhilfeträger im Rahmen der Heimunterbringung für den notwendigen Unterhalt und die Kosten der Erziehung des betroffenen Kindes zu sorgen hat. Es ist aber nicht zu vernachlässigen, dass im Rahmen der fortbestehenden Eltern-Kind-Kontakte auch eine Heimunterbringung des Kindes Raum für die besondere Zweckbestimmung des Kindergeldes lässt, zur wirtschaftlichen Entlastung von kinderbedingten Mehrkosten der allgemeinen Lebensführung beizutragen.
Diesen Erwägungen stehen die seit dem 1. Januar 2000 ergänzten Grundsätze des Familienleistungsausgleichs nicht entgegen. Durch das Gesetz zur Familienförderung vom 22. Dezember 1999 (BGBl. I 1999, 1252) ist in Satz 1 des § 31 EStG entsprechend einer Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts (Urt. v. 10.11.1998 – 2 BvR 1057/91, 1226/91, 980/91 - BVerfGE 99, 216 ff. = NJW 1999, 557 ff. = FamRZ 1999, 285 ff.) bestimmt worden, dass zum Existenzminimum eines Kindes auch sein Betreuungsbedarf gehört. In § 31 S. 1 EStG heißt es in der ab 1. Januar 2000 geltenden Fassung:
„Die steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrags in Höhe des Existenzminimums eines Kindes einschließlich des Betreuungsbedarfs wird durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 oder durch Kindergeld nach dem X. Abschnitt bewirkt.“
Diesen Gesichtspunkt greift Kunkel (in: LPK-SGB VIII, 2. Auflage 2003, § 94 Rn. 5d) auf und vertritt die Auffassung, das Kindergeld sei bei der Festsetzung eines Kostenbeitrags insoweit zu berücksichtigen, als es auch zum Ausgleich der Kosten für die Betreuung des Kindes diene. Dies habe zur Folge, dass bei dem Kostenpflichtigen, der zugleich Kindergeldberechtigter sei, bei vollstationärer Hilfe ein Mindestkostenbeitrag in Höhe von
144,-- € (154,-- € abzüglich 10,00 € gemäß § 76 Abs. 2 Nr. 5 BSHG) erhoben werden könne.
Der Senat folgt dieser Auffassung jedoch nicht. Das Gesetz zur Familienförderung vom 22. Dezember 1999 (BGBl. I 1999, 1252) sollte nämlich – ebenfalls - keine Veränderung des allgemeines Zwecks des – vor 1996 bestehenden - Familienlastenausgleichs (= Vorgänger des Familienleistungsausgleichs) bewirken. Vielmehr stand bei der Gesetzesänderung die Umsetzung der geforderten Gesetzesänderungen durch das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 10. November 1998 (a.a.O.) im Vordergrund, in dem es in seinen Leitsätzen u.a. heißt:
„Die Leistungsfähigkeit von Eltern wird, über den existentiellen Sachbedarf und den erwerbsbedingten Betreuungsbedarf des Kindes hinaus, generell durch den Betreuungsbedarf gemindert. Der Betreuungsbedarf muß als notwendiger Bestandteil des familiären Existenzminimums (vgl BVerfGE 82, 60 <85>; 87, 153 <169 ff.>) einkommensteuerlich unbelastet bleiben, ohne daß danach unterschieden werden dürfte, in welcher Weise dieser Bedarf gedeckt wird.
Der Gesetzgeber muß bei der gebotenen Neugestaltung des Kinderleistungsausgleichs auch den Erziehungsbedarf des Kindes unabhängig vom Familienstand bei allen Eltern, die einen Kinderfreibetrag oder ein Kindergeld erhalten, berücksichtigen.“
Die Korrektur des steuergesetzlichen Defizits und damit gleichzeitig eine Verbesserung der finanziellen Ausstattung der Eltern für die Versorgung, Betreuung und Erziehung der Kinder führt jedoch nicht gleichermaßen zu einer Beschränkung des Verwendungsrahmens für das Kindergeld. Auch nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Familienförderung vom 22. Dezember 1999 muss es bei dem Grundsatz bleiben, dass der Verwendungsrahmen für das Kindergeld von dem Kindergeldberechtigten auf sehr unterschiedliche und vielfältige Weise ausgefüllt werden kann. Insbesondere ist dem einzelnen Kindergeldberechtigten nach wie vor die Entscheidung überlassen, in welcher Art und Weise er das Kindergeld entsprechend seiner allgemeinen Zielsetzung zugunsten der Kinder, für die es geleistet wird, verwendet (vgl. bereits BVerwG, Urt. v. 29.09.1994 - 5 C 56/92 -, NVwZ-RR 1995, 675 = FEVS 45, 452), zumal das Wächteramt des Staates (Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG) den Staat nicht berechtigt, die Eltern zu einer bestimmten Art und Weise der Erziehung ihrer Kinder – und damit auch zur Verwendung des Kindergeldes – zu drängen (vgl. allgemein BVerfG, Beschl. v. 29.07.1968 - 1 BvL 20/63, 1 BvL 31/66 -, BVerfGE 24, 119 = FamRZ 1968, 578 = NJW 1968, 2233; BVerfG, Beschl. v. 18.06.1986 - 1 BvR 857/85 -, BVerfGE 72, 122 = NJW 1986, 3129).
Diese Grundsätze kommen auch im Falle einer Heimerziehung im Sinne von § 34 SGB VIII zur Geltung. Auch insoweit muss es dem Kindergeldberechtigten im Rahmen der fortbestehenden Eltern-Kind-Kontakte überlassen sein, zu welchem Zweck er das Kindergeld einsetzt, um dadurch von kinderbedingten Mehrkosten der allgemeinen Lebensführung entlastet zu werden (z.B. zur Kontaktpflege oder zur – vom Träger der Jugendhilfe abgelehnten - Finanzierung eines bestimmten Hobbys des Kindes), wobei er das Kindergeld sogar - mit Blick auf § 31 Satz 2 EStG – (auch) für die übrigen Belange der Familie einsetzen kann.
Nach alledem lässt sich die Auffassung der Beklagten unter Zugrundelegung der maßgeblichen Rechtslage nicht rechtfertigen. Eine – von der Beklagten sinngemäß geforderte - Zweckgleichheit im Sinne von § 93 Abs. 5 SGB VIII des den Eltern mit einem niedrigen Einkommen gewährten Kindergeldes im Verhältnis zu den gewährten Leistungen der Jugendhilfe ist – nach wie vor – zu verneinen (vgl. Entscheidungen des Senats: Urt. v. 22.01.2003 – 4 LC 323/02 -, Beschl. v. 03.04.2003 – 4 L 3894/00 - und Beschl. v. 11.04.2003 – 4 LA 458/02 –, jeweils unter Bezugnahme auf BVerwG, Urt. v. 22.12.1998 – 5 C 25.97 -, BVerwGE 108, 221 = NJW 1999, S. 2383). An dieser Auffassung hält der Senat – solange der Gesetzgeber eine Zweckgleichheit des Kindergeldes mit Leistungen nach dem SGB VIII nicht vorsieht - fest.