Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 26.02.2004, Az.: 9 LA 26/04
Ablehnung; Aufklärungspflicht; Beweisantrag; eigene Sachkunde; rechtliches Gehör
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 26.02.2004
- Aktenzeichen
- 9 LA 26/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 50502
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 28.11.2003 - AZ: 1 A 196/03
Rechtsgrundlagen
- § 86 Abs 1 VwGO
- § 98 VwGO
- § 404 ZPO
- § 412 ZPO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
In asylrechtlichen Streitigkeiten kann das Verwaltungsgericht im Hinblick auf die ihm bereits vorliegenden Erkenntnismittel einen gestellten Beweisantrag auf Einholung weiterer Gutachten mit seiner eigenen Sachkunde ablehnen.
Gründe
Der auf den Zulassungsgrund des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG gestützte Zulassungsantrag des Klägers hat keinen Erfolg. Die Ablehnung der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 28. November 2003 gestellten Beweisanträge ist nicht unter Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verfahrensfehlerhaft erfolgt. Der Beweisantrag auf Einholung einer Sachverständigenauskunft ging dahin,
1. „muss der Kläger wegen der Veröffentlichung seines Artikels in der Zeitschrift „Canh En“, Ausgabe Nr. 135 und wegen der Veröffentlichungen über seine exilpolitischen Betätigungen auf den Internetseiten des Freien Vietnamesischen Jugendbundes Osteuropa – wie Anlage 4, 5, 6, 7, 8, 12, 13, 14, 15, 16, 17 – mit politischer Verfolgung in Vietnam rechnen?
2. Muss der Kläger wegen seiner Veröffentlichung in der elektronischen Zeitschrift „Song Moi“, in der er namentlich erwähnt und mit einem Foto abgebildet worden ist, damit rechnen, dass die vietnamesischen Behörden hiervon Kenntnis erlangt haben?
Hat der Kläger wegen dieser Veröffentlichung mit Bestrafung in Vietnam zu rechnen?“
Das Verwaltungsgericht hat diesen Beweisantrag mit den in dem angegriffenen Urteil auf Seite 12 wiedergegebenen folgenden Erwägungen abgelehnt: „Aus vorstehend genannten Gründen und den dazu – aus der Erkenntnismittelliste – zitierten Gutachten und Auskünften hält sich das Gericht auch ohne Einholung weiterer Sachverständigengutachten für hinreichend sachkundig zur Beurteilung der von der Prozessbevollmächtigten des Klägers unter Beweis gestellten Fragen und hat den in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag abgelehnt.“
Diese Vorgehensweise weist keine Verfahrensfehler auf; sie entspricht der ständigen und gefestigten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Behandlung derartiger Beweisanträge in asylrechtlichen Streitigkeiten (BVerwG, Urt. v. 6.10.1987 – 9 C 12.87 – Buchholz 310, § 98 VwGO Nr. 3; Urt. v. 15.10.1985 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 38; ferner Stumpe, Behandlung des Antrags auf Einholung von weiteren Sachverständigengutachten und amtlichen Auskünften, wenn bereits Erkenntnisquellen zum Beweisthema beigezogen sind, VBlBW 1995, 172). Nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO obliegt den Tatsachengerichten die Pflicht, jede mögliche Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts bis zur Grenze der Zumutbarkeit zu versuchen. Das dem Gericht dabei zur Bestimmung von Art und Anzahl einzuholender Sachverständigengutachten nach § 98 VwGO iVm §§ 408, 412 ZPO zustehende Ermessen wird nur dann verfahrensfehlerhaft ausgeübt, wenn das Gericht von der Einholung weiterer Gutachten und gutachterlicher Stellungnahmen absieht, obwohl die Notwendigkeit dieser weiteren Beweiserhebung sich ihm hätte aufdrängen müssen. Von einem ermessensfehlerhaften Vorgehen des Verwaltungsgerichts kann nach den hier vorliegenden Gegebenheiten nicht ausgegangen werden. Zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung sind ausweislich der Sitzungsniederschrift ausdrücklich die Erkenntnisse gemacht worden, die in der Erkenntnismittelliste aufgeführt sind. In der zu den Gerichtsakten genommenen und der Prozessbevollmächtigten des Klägers zusammen mit der Ladung zugestellten Erkenntnismittelliste (Stand: 23.6.2003) sind eine Vielzahl von Erkenntnisquellen aufgenommen, die sich sowohl mit der Bewertung von exilpolitischen Betätigungen von Vietnamesen im Ausland als auch mit dem entsprechenden Auftreten im Internet auseinandersetzen. Sie sind dann – als Grundlage der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung – im angegriffenen Urteil zitiert worden. Dabei kommt gerade der Beurteilung der exilpolitischen Betätigung von Vietnamesen ein herausragender Stellenwert zu. Die jahrelangen Erfahrungen des Senates gerade mit dem Fluchtland Vietnam belegen diese Einschätzung. Die auf Seite 9 des angegriffenen Urteils angeführte obergerichtliche Rechtsprechung bestätigt diesen besonderen Erfahrungswert für Vietnam. Ergänzend ist aus jüngster Zeit noch auf das Urteil des HessVGH vom 3.9.2003 (11 UE 1011/01.A – Asylmagazin 11/2003, 29) gerade zur Beurteilung von Internetaktivitäten hinzuweisen. Das Verwaltungsgericht hat die ihm vorliegenden Erkenntnisquellen dahin bewertet, dass dem Kläger – zum einen – im Falle seiner Rückkehr nach Vietnam wegen seiner exilpolitischen Aktivitäten nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer politischen Verfolgung droht und – zum anderen – diese Einschätzung auch bereits auf der Grundlage der vorliegenden Erkenntnisquellen ohne eine weitere Beweiserhebung vom Gericht aus eigener Sachkunde vorgenommen werden könne. Ein Verfahrensfehler des Verwaltungsgerichts ist insoweit nicht festzustellen.