Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 20.02.2004, Az.: 11 ME 399/03
Antragsbefugnis; Ausweisung; Bestandskraft; Drittwiderspruch; Ehe; Ehefrau; Ehemann; Ehepartner; Familie; Kind; Klagebefugnis; maßgeblicher Zeitpunkt; Minderjähriger; minderjähriges Kind; Mitwirkung; Mitwirkungspflicht; persönliche Beziehung; Schutz; Vater; Widerspruchsbefugnis; Zeitpunkt
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 20.02.2004
- Aktenzeichen
- 11 ME 399/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 50999
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 26.11.2003 - AZ: 1 B 5389/03
Rechtsgrundlagen
- Art 6 Abs 1 GG
- § 42 Abs 2 VwGO
- § 47 Abs 1 Nr 1 AuslG 1990
- § 70 Abs 1 AuslG 1990
Gründe
Die Beschwerde der Antragstellerinnen bleibt ohne Erfolg. Die mit ihr vorgebrachten Einwände, die im Beschwerdeverfahren allein zu prüfen sind (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), zeigen nichts auf, was die Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses in Frage stellen könnte.
Die Antragstellerin zu 1) – eine deutsche Staatsangehörige – ist seit dem 7. August 2003 mit dem türkischen Staatsangehörigen C. verheiratet. Die gemeinsame Tochter B., die Antragstellerin zu 2), wurde am 9. März 1994 geboren. Mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 9. Juli 1998 wies die Antragsgegnerin Herrn C gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG aus, weil er am 9. Februar 1998 vom Landgericht D. wegen schwerer räuberischer Erpressung in 8 Fällen und versuchter schwerer räuberischen Erpressung unter Einbeziehung der Strafen aus dem Urteil des Landgerichts D. vom 30. Mai 1996 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt worden war. Er wurde am 6. Dezember 1995 festgenommen und befindet sich seitdem in Haft. Am 2. Oktober 2003 legten die Antragstellerinnen gegen die Ausweisungsverfügung vom 9. Juli 1998 Widerspruch ein. Nachdem die Antragsgegnerin mitgeteilt hatte, dass der Drittwiderspruch unzulässig sei, haben die Antragstellerinnen am 20. Oktober 2003 um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Das Verwaltungsgericht lehnte diesen Antrag mit Beschluss vom 26. November 2003 ab. Die dagegen mit der Beschwerde erhobenen Einwände der Antragstellerinnen greifen nicht durch.
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass die Anträge der Antragstellerinnen, festzustellen, dass ihr Widerspruch gegen die an Herrn C. gerichtete Verfügung der Antragsgegnerin vom 9. Juli 1998 aufschiebende Wirkung hat, unzulässig sind. Dies hat es im Hinblick auf die Antragstellerin zu 1) darauf gestützt, dass ihr für die Anfechtung der bestandskräftigen Ausweisungsverfügung vom 9. Juli 1998 die erforderliche Widerspruchsbefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO analog in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG fehle. Bei Bekanntgabe dieser Verfügung an ihren Ehemann sei sie mit ihm noch nicht verheiratet gewesen. Dass gleichwohl eine in den Schutzbereich von Art. 6 Abs. 1 GG fallende Beziehung zwischen ihr und Herrn C. bestanden haben könnte, habe sich damals für die Antragsgegnerin nicht feststellen lassen. Entsprechendes gelte für den Antrag der Antragstellerin zu 2). Sie müsse sich zurechnen lassen, dass Herr C. sich damals nicht auf das Bestehen einer Vater-Kind-Beziehung zu ihr berufen habe. Das Landgericht D. habe hinsichtlich der persönlichen Situation von Herrn C. in beiden Urteilen lediglich "ein zweijähriges" bzw. "ein nichteheliche(s) Kind, das gegenwärtig 3 Jahre ist", erwähnt. Unter diesen Umständen habe für die Antragsgegnerin auch kein Anlass zu einer weiteren Sachaufklärung bestanden. Diese Erwägungen des Verwaltungsgerichts sind nicht zu beanstanden.
Es ist allgemein anerkannt, dass Ehefrau und minderjährige Kinder eines Ausländers nach § 42 Abs. 2 VwGO geltend machen können, durch eine Ausweisung ihres Ehemannes/Vaters in ihren Rechten aus Art. 6 Abs. 1 GG verletzt zu sein (vgl. BVerwG, Urt. v. 27. 8. 1996, BVerwGE 102, 12; Hailbronner, AuslR, § 45 AuslG Rdnr. 93; GK-AuslR, § 45 AuslG Rdnr. 865). Dies gilt auch dann, wenn die Ausweisungsverfügung dem Ehemann/Vater gegenüber bestandskräftig geworden ist (BVerwG, a. a. O.). Maßgebend für die Beurteilung der Antrags- bzw. Klagebefugnis können aber nur die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt des betreffenden Ausweisungsverfahrens sein. Besteht deshalb bei Abschluss des ausländerrechtlichen Verfahrens keine Ehe oder ist ein Kind noch nicht geboren, kann auch die spätere Ehefrau bzw. ein später geborenes Kind nicht in subjektiven Rechten durch die Ausweisung des Ehemannes bzw. Vaters betroffen sein.
Da die Antragstellerin zu 1) mit Herrn C. erst seit dem 7. August 2003 verheiratet ist, steht ihr aus eigenem Recht keine Widerspruchsbefugnis gegen die Ausweisungsverfügung vom 9. Juli 1998 zu. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus ihrem Vortrag, dass sie schon damals schutzwürdige Beziehungen zu Herrn C. unterhalten habe. Abgesehen davon, dass bereits zweifelhaft ist, ob eine eheähnliche Gemeinschaft unter den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG fällt, hat sie ihre Behauptung auch nicht glaubhaft gemacht. In den von ihr im vorliegenden Verfahren abgegebenen eidesstattlichen Versicherungen vom 20. Oktober und 24. November 2003 fehlen dazu jegliche Angaben. Aus den Verwaltungsvorgängen geht lediglich hervor, dass Herr C. seit dem 1. Juli 1995 in E., Sternstraße 1, bei der Antragstellerin zu 1) - seiner jetzigen Ehefrau - ordnungsbehördlich gemeldet war. Bis zum 1. Februar 1995 war er im H - Weg 1 in E. gemeldet. Diese Wohnung hatte er gemeinsam mit seiner damaligen Ehefrau, der deutschen Staatsangehörigen F.., bezogen. Am 30. August 1995 erschien Herr C. beim Landkreis G. und gab an, erst seit ca. zwei Monaten nicht mehr in der Wohnung seiner (früheren) Ehefrau zu leben, so dass das Datum 1. Februar 1995 falsch sei. Wann er wieder mit seiner Ehefrau zusammenziehen werde, könne er zur Zeit nicht sagen. Es bestehe jedenfalls die Absicht, wieder zusammenzukommen. Diese Erklärung, die Herr C. in Gegenwart seines Freundes H., der als Übersetzer auftrat, abgegeben und eigenhändig unterschrieben hatte (Bl. 135 BA C), lässt gerade nicht auf das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft mit der Antragstellerin zu 1) schließen. Da Herr C. am 6. Dezember 1995 festgenommen worden war, kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass sich in der Folgezeit bis zum Ergehen der Ausweisungsverfügung ein eheähnliches Verhältnis entwickelte. Für diese Vermutung spricht auch, dass Herr A. die Beziehung zu der Antragstellerin zu 1) ausweislich der dem Senat vorliegenden C. weder gegenüber dem Landgericht D. erwähnt noch sich im Ausweisungsverfahren darauf berufen hatte.
Ähnlich verhält es sich mit seiner Beziehung zu der Antragstellerin zu 2). Zwar werde diese am 9. März 1994 als nichteheliches Kind des Herrn C. geboren, doch fehlen - wie bereits dargestellt - in den beiden Urteilen des Landgerichts D. weitergehende Angaben zu Art und Umfang ihrer tatsächlichen persönlichen Beziehungen. Auch wird nicht erwähnt, wer Mutter des Kindes ist und wo sich dieses aufhält. Im ausländerrechtlichen Verfahren hörte die Antragsgegnerin Herrn C. mit Schreiben vom 20. Mai 1998 zu der beabsichtigten Ausweisung an. Er äußerte sich jedoch nicht. Gegen die Ausweisungsverfügung vom 9. Juli 1998 legte er keinen Widerspruch ein, so dass diese bestandskräftig wurde. Dieses Verhalten von Herrn C. deutet darauf hin, dass er in der Vergangenheit den Beziehungen zu seiner Tochter ebenso wie zu der Antragstellerin zu 1) offenbar selbst keine große Bedeutung beigemessen hat. Es lässt sich deshalb nicht feststellen, dass damals eine nach Art. 6 Abs. 1 GG zu berücksichtigende Vater-Kind-Beziehung vorlag.
Aus alledem ergibt sich, dass für die Antragsgegnerin keinerlei Anlass bestand, die Ausweisungsverfügung auch der Antragstellerin zu 1) bzw. der Antragstellerin zu 2) – vertreten durch die Antragstellerin zu 1) – (förmlich) zuzustellen. Es stellt sich deshalb hier auch nicht die Frage, ob die fehlende Zustellung dazu führt, dass den Antragstellerinnen gegenüber Rechtsmittelfristen nicht zu laufen beginnen.
Dem können die Antragstellerinnen nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass es nicht darauf ankomme, ob die Antragsgegnerin damals von den eheähnlichen bzw. familiären Bindungen des Herrn C. gewusst habe. Zumindest sei ihr vorzuhalten, dass sie bei ordnungsgemäßer Erfüllung ihrer Amtspflichten diese Bindungen hätte erkennen müssen. Abgesehen davon, dass – wie bereits dargelegt - derartige schutzwürdige Beziehungen der Antragstellerinnen zu Herrn C. für den maßgeblichen Zeitraum nicht glaubhaft gemacht worden sind, bestand auch keine weitergehende Sachaufklärungspflicht der Antragsgegnerin. Vielmehr ist auf die Mitwirkungspflicht von Herrn C. nach § 70 Abs. 1 AuslG hinzuweisen.
Ob – wie das Verwaltungsgericht hilfsweise angenommen hat – der Widerspruch der Antragstellerinnen vom 2. Oktober 2003 unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung zusätzlich als verwirkt anzusehen ist, kann offen bleiben. Jedenfalls fehlt den Antragstellerinnen aus den dargelegten Gründen die erforderliche Antragsbefugnis für den vorliegend gestellten Feststellungsantrag.