Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 13.02.2004, Az.: 7 LA 194/03

Darlegungsumfang bei Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs als revisionsbegründender Verfahrensfehler; Nichtgewährung einer angemessenen Zeit zwischen Ladung und Übersendung der Auskunft und dem Verhandlungstermin als Verletzung rechtlichen Gehörs; Verletzung rechtlichen Gehörs durch die Ablehnung von Beweisanträgen; Auskunft des Auswärtigen Amtes als "Gutachten"

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
13.02.2004
Aktenzeichen
7 LA 194/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 10885
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2004:0213.7LA194.03.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 18.09.2003 - AZ: 2 A 86/03

Fundstelle

  • NVwZ-RR 2004, 707-708 (Volltext mit amtl. LS)

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Eine revisionsbegründende Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs setzt Darlegungen voraus, dass ohne die gerügte Verletzung entscheidungserhebliche Tatsachen berücksichtigt worden wären und das Gericht deshalb zu einer für den Asylsuchenden günstigeren Entscheidung gekommen wäre.

  2. 2.

    Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisantrages verstößt nur dann gegen Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet und der Beweisantrag aus diesen Gründen also schlechthin nicht hätte abgelehnt werden dürfen.

  3. 3.

    Eine Verletzung rechtlichen Gehörs durch die Ablehnung von Beweisanträgen kommt nicht in Betracht, wenn das in Frage stehende Beweismittel zur Klärung der Beweisfrage offensichtlich ungeeignet ist oder ein Beweisverwertungsverbot eingreift.

  4. 4.

    Der Einordnung einer Auskunft des Auswärtigen Amtes, die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zur Klärung des Beweisthemas herangezogen wird, als Gutachten stehen keine rechtlichen Bedenken entgegen

Gründe

1

Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg.

2

Die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung, der Divergenz und des Verfahrensmangels in Gestalt der Versagung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 1, 2 und 3 i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor.

3

I.

1.

Die Klägerin erblickt einen Verfahrensfehler darin, dass sich ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung der Dolmetscher lediglich auf seine Vereidigung in einem vorangegangenen Verfahren bezogen, den auch in ihrer Sache jedoch erforderlichen Dolmetschereid nicht geleistet habe. Mit diesem Vorbringen wird ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht im Sinne von § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG dargelegt. Eine verfahrensfehlerhafte Nichtbeeidigung eines Dolmetschers ist als solche nicht geeignet, das rechtliche Gehör zu verletzen. Eine Verletzung kommt nur in Betracht, wenn die Sprachmittlung durch einen zugezogenen Dolmetscher auf Grund von Übertragungsfehlern an erheblichen Mängeln gelitten und deshalb zu einer unrichtigen, unvollständigen oder sinnentstellenden Wiedergabe der vom Asylsuchenden in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben geführt hat (vgl. GK-AsylVfG, § 78 Rn. 436). Dafür ist weder etwas vorgetragen noch sonst ersichtlich. Davon abgesehen geht das Rügerecht verloren, wenn - wie hier - die Nichtbeeidigung in der mündlichen Verhandlung nicht gerügt worden ist.

4

2.

Die Klägerin sieht ihren Anspruch auf rechtliches Gehör ferner dadurch verletzt, dass ihr nicht genügend Zeit zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung eingeräumt worden sei. Das Gericht habe eine Auskunft des Auswärtigen Amtes eingeholt, ohne sie davon zu unterrichten. Die Auskunft (vom 28. Juli 2003) sei ihrem Prozessbevollmächtigten zusammen mit der Ladung zum Termin übersandt worden und am 20. August 2003 bei ihm eingegangen. Obwohl eine rechtzeitige Besprechung mit ihrem Prozessbevollmächtigten nach Einsichtnahme in die Gerichtsakte vor dem Termin unter diesen Umständen nicht möglich gewesen sei, habe das Gericht einen sofort gestellten und in der mündlichen Verhandlung erneuerten Terminsverlegungsantrag abgelehnt. Das Verwaltungsgericht hat die Ablehnung damit begründet, dass eine angemessene Zeit zwischen Ladung und Übersendung der Auskunft und dem Verhandlungstermin am 18. September 2003 zur Verfügung gestanden habe. Das ist nicht zu beanstanden. Für die Verlegung von Terminen sowie die Vertagung von Verhandlungen gilt gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 227 Abs. 1 ZPO, dass eine positive Entscheidung über derartige Anträge "erhebliche Gründe" voraussetzt. Auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerin im Zulassungsantrag sind derartige Gründe angesichts des relativ großen Zeitraums zwischen Ladung/Auskunftsübersendung und dem Terminstag nicht ersichtlich. Im Übrigen hat die Klägerin die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs jedenfalls nicht ordnungsgemäß erhoben. Dafür hätte sie darlegen müssen, was sie ohne die behauptete Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör vor dem Verwaltungsgericht noch vorgetragen hätte und inwiefern dieser Vortrag zu einer Klärung des geltend gemachten Asylanspruchs hätte führen können (vgl. BVerwG, Beschl. v. 15.02.1984 - 9 CB 191.83 -, DVBl. 1984, 570). Derartige Darlegungen fehlen in der Antragsbegründung völlig.

5

3.

Der Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör ist auch nicht - wie diese geltend macht - durch eine verfahrensfehlerhafte Ablehnung der im Termin gestellten Beweisanträge verletzt worden. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs gewährt den Beteiligten keinen Schutz vor jeder sachlich unrichtigen Behandlung eines Beweisantrages. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisantrages verstößt nur dann gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet, aus diesen Gründen der Beweisantrag also schlechthin nicht hätte abgelehnt werden dürfen (vgl. nur GK-AsylVfG, § 78 Rn. 355 f. m.w.N.). So verhält es sich hier nicht.

6

a)

Die mit dem ersten Beweisantrag unter Beweis gestellte Behauptung, dass der frühere Minister Jerome Obi Eta nicht katholischen Glaubens sei, hat das Gericht als wahr unterstellt und deshalb den Antrag abgelehnt. Sieht das Verwaltungsgericht von einer Beweiserhebung wegen Wahrunterstellung ab, so ist dies zulässig, wenn ein Verzicht auf eine Beweiserhebung wegen Unerheblichkeit der vorgetragenen Tatsache vorliegt, welche durch die Wahrunterstellung nur sozusagen experimentell erwiesen wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.01.1990 - 9 C 39.89 -, NVwZ-RR 1990, 510 m.w.N.). Hier stellt sich die Wahrunterstellung durch das Verwaltungsgericht nicht als verfahrensfehlerhaft dar, weil es auf die unterstellte Tatsache aus seiner Sicht nicht ankam. Wenn das Verwaltungsgericht somit einen Teil der Auskunft des Auswärtigen Amtes, nämlich den, der die Zugehörigkeit des erwähnten früheren Ministers zur katholischen Kirche betrifft, gewissermaßen versuchsweise zu Gunsten der Klägerin als falsch angesehen hat, so war es deshalb nicht gehindert, die Auskunft im Übrigen seiner Entscheidung zu Grunde zu legen. Ihm war allerdings versagt, von der Wahrunterstellung im Urteil abzurücken. Das ist jedoch nicht geschehen. Das Verwaltungsgericht hat sich in den Entscheidungsgründen bezüglich des von der Klägerin benannten ehemaligen Ministers nur insofern und "im Übrigen" auf die Auskunft des Auswärtigen Amtes bezogen, als dieser danach jedenfalls nicht Mitglied der Presbyterian Church in Molyko gewesen sei. Diese Würdigung knüpft an den Teil der Auskunft an, in der es heißt, Nachfragen bei dieser Kirche hätten ergeben, dass ein früherer Minister dieses Namens dort nicht Gemeindemitglied sei. Mit dieser Feststellung hat sich das Verwaltungsgericht nicht zu der vorgenommenen Wahrunterstellung in Widerspruch gesetzt. Denn dieser Teil der Auskunft steht selbstständig neben der weiteren Aussage des Auswärtigen Amtes, im Übrigen sei in Kamerun bekannt, dass der frühere Minister Jerome Obi Eta der katholischen Kirche angehöre.

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b)

Den zweiten auf die Vernehmung oder Anhörung des vormaligen Ministers gerichteten Beweisantrag hat das Verwaltungsgericht abgelehnt, weil eine Vernehmung den Zeugen selbst gefährden würde und ein solches Vorgehen auch als völkerrechtlich unfreundlicher Akt zu werten wäre. Die Rüge der Klägerin, eine Anhörung des benannten Zeugen durch die deutsche Botschaft sei ohne die vom Gericht befürchteten Probleme möglich gewesen, zeigt ungeachtet der vom Verwaltungsgericht gegebenen Begründung für die Ablehnung des Beweisantrags einen Verfahrensmangel schon deshalb nicht auf, weil das Begehren, zu Einzelheiten des angeblichen Verfolgungsgeschehens einen im (möglichen) Verfolgerstaat lebenden Zeugen im Wege der Rechtshilfe durch deutsche Auslandsvertretungen vernehmen oder anhören zu lassen, auf ein grundsätzlich schlechthin ungeeignetes Beweismittel gerichtet ist, welches unverwertbar wäre (vgl. dazu BVerwG, Beschl. v. 09.05.1983 - 9 B 10466.81 -, DVBl. 1983, 1001). Im Übrigen ist nichts dafür ersichtlich, dass der benannte Zeugeüberhaupt erreichbar wäre. Aus der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 28. Juli 2003 ist bereits zu entnehmen, dass der frühere Minister - auf das seinerzeitige Auskunftsersuchen des Verwaltungsgerichts hin - nicht befragt werden konnte. Die Klägerin legt nicht dar, dass und warum der Versuch einer Befragung nunmehr hätte Erfolg haben können.

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c)

Den Beweisantrag zu 3), die - in China lebende - Frau B. C. D. als Zeugin zu vernehmen, hilfsweise telefonisch durch das Gericht zu befragen, hat das Verwaltungsgericht abgelehnt, weil bei einer telefonischen Befragung die Identität der befragten Person nicht festgestellt werden könnte. Die Klägerin ist demgegenüber der Auffassung, dass sich eine solche Befragung unter Einschaltung eines Dolmetschers dem Gericht sogar hätte aufdrängen müssen. Damit wird jedoch ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht dargelegt. Die Ablehnung des Beweisantrags durch das Verwaltungsgericht ist rechtlich nicht zu beanstanden, denn dieser war auf ein schlechthin ungeeignetes Beweismittel gerichtet. Da es im Falle einer Anhörung der benannten Zeugin in jeder Hinsicht auf die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben und damit auf den persönlichen Eindruck des Gerichts angekommen wäre, wäre die vorgeschlagene telefonische Befragung für die Wahrheitsfindung wertlos gewesen. Anhaltspunkte dafür, dass die benannte Zeugin für eine Vernehmung die Bundesrepublik Deutschland aufsuchen würde, sind von der Klägerin nicht vorgetragen worden und auch sonst nicht erkennbar.

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d)

Den Beweisantrag zu 4) - die Einholung weiterer Sachverständigengutachten - hat das Verwaltungsgericht abgelehnt, weil es "durch das eingeholte Gutachten des Auswärtigen Amtes" ausreichend sachkundig sei. Auch gegen dieses Vorgehen bestehen durchgreifende Bedenken nicht. Einem auf Einholung eines (weiteren) Sachverständigengutachtens gerichteten Beweisantrag hat das Verwaltungsgericht nach seiner tatrichterlichen Beurteilung in entsprechender Anwendung der §§ 404, 412 ZPO i.V.m. § 98 VwGO nicht nachzugehen, wenn ihm zu dem Beweisthema andere amtliche Auskünfte oder Sachverständigengutachten vorliegen, die in das Verfahren eingeführt worden sind, verwertet werden und eine hinreichende sichere Beurteilung der Verfolgungslage erlauben, sodass sich die Einholung von Sachverständigengutachten nicht aufdrängt (vgl. z.B. BVerwG, Urt. v.20.03.1990 - 9 C 91.89 -, BVerwGE 85, 92). So verhält es sich hier. In diesem Zusammenhang ist bedeutungslos, dass das Verwaltungsgericht die Auskunft des Auswärtigen Amtes als "Gutachten" bezeichnet hat. Die Klägerin legt nicht dar, dass und aus welchen Gründen sich eine (weitere) Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen, weil die vorliegende Auskunft dem Gericht nicht die für die Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts erforderliche Sachkunde vermitteln konnte. Der Umstand, dass das Verwaltungsgericht die Auskunft hinsichtlich eines Details infolge der Wahrunterstellung des Gegenteils seiner Entscheidung nicht zu Grunde gelegt hat, bedeutet nicht, dass die Auskunft im Übrigen unverwertbar war. Es besteht auch keineswegs der Grundsatz, dass sich das Gericht bei seiner Entscheidung und zur Begründung seiner Sachkunde nicht allein auf Auskünfte des Auswärtigen Amtes berufen darf. Der Beweiswert solcher Auskünfte hängt vielmehr von den Umständen des Einzelfalls ab. Erlauben sie bereits eine hinreichend sichere Beurteilung, so ist - wie dargelegt - die Einholung von Sachverständigengutachten nicht geboten.

10

e)

Von dem Vorstehenden abgesehen hat das Verwaltungsgericht die Einholung der beantragten Beweise auch deshalb nicht als angebracht bezeichnet, weil es das Vorbringen der Klägerin insgesamt für unglaubhaft gehalten hat. Es hat diese Beurteilung durch eine Fülle von Einzeltatsachen in den Entscheidungsgründen belegt. Es ist indes anerkannt, dass im Fall eines unglaubhaften, weil unschlüssigen oder nicht auflösbar widersprüchlichen Vorbringens keine Notwendigkeit besteht, (weiteren) Beweis zu erheben (vgl. BVerwG, Beschl. v. 26.10.1989 - 9 B 405.89 -, NVwZ-RR 1990, 379).

11

II.

Eine Divergenz des angegriffenen Urteils zu einer überdies nicht näher bezeichneten obergerichtlichen Rechtsprechung besteht in der Frage der (alleinigen) Verwertbarkeit der Auskünfte des Auswärtigen Amtes nicht. Im Übrigen müsste der Tatbestand der Divergenz durch Gegenüberstellung miteinander unvereinbarer Rechtssätze dargelegt werden; auch daran lässt es der Zulassungsantrag fehlen.

12

III.

Gründe, die geeignet wären, den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung zu belegen, werden nicht einmal ansatzweise vorgetragen.