Landgericht Osnabrück
Urt. v. 26.11.2002, Az.: 18 O 450/02

Geltendmachung eines Schadensersatzanspruches wegen Insolvenzverschleppung; Aktivlegitimation eines Neugläubigers bei der Klage gegen einen Geschäftsführer wegen eines Anspruches auf Ausgleich des negativen Interesses; Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrages bei Überschuldung

Bibliographie

Gericht
LG Osnabrück
Datum
26.11.2002
Aktenzeichen
18 O 450/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 30430
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGOSNAB:2002:1126.18O450.02.0A

Tenor:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 161.113,85 EUR nebst Zinsen

auf 30.947,58 EURseit dem 28.7.2001
auf 17.451,42 EURseit dem 16.8.2001
auf 39.447,73 EURseit dem 16.8.2001
auf 25.032,65 EURseit dem 21.9.2001

in Höhe von jeweils 5% über dem Basiszinssatz bis zum 31.12.2001 und 8% über dem Basiszinssatz seit dem 1.1.2002

zu zahlen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar. Die Sicherheit kann auch durch eine schriftliche und unbefristete Bürgschaft einer zum Geschäftsbetrieb in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Bank oder Sparkasse erbracht werden.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt von dem Beklagten Schadensersatz aus dem Gesichtspunkt der Insolvenzverschleppung.

2

Der Beklagte war alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der Fa. ... GmbH mit Sitz in Osnabrück. Zwischen der Klägerin und der Firma ... GmbH bestand ein Vertrag über Anzeigenwerbung und Anzeigenverwaltung. Danach war die Firma ... berechtigt und verpflichtet Anzeigen für die Zeitschrift und deren Sonderausgaben zu aquirieren und die daraus resultierenden Forderungen im eigenen Namen von den Kunden einzuziehen. Von den erzielten Anzeigenerträgen erhielt die Agentur ... als Vermittlungshonorar und zur Abgeltung ihres Verwaltungsaufwandes sowie als Provision bestimmte anteilige Beträge. Vertragsgemäß war sie verpflichtet, die Abrechnung des Werbevolumens pro Ausgabe bis zum 15. des Folgemonats der Klägerin vorzulegen und Abrechnung zu erteilen. Die Klägerin erteilte der Firma ... sodann Rechnungen, die bis zum 10. des darauf folgenden Monats netto Kasse zu zahlen waren.

3

Aufgrund der Werbeabrechnungen der ... erteilte die Klägerin in der Zeit vom 28.6.2001 bis zum 11.10.2001 Rechnungen über insgesamt 161.113,85 EUR, die nicht beglichen wurden. Da die ... GmbH am 18. September 2001 den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellte und eine ausreichende Masse nicht vorhanden ist, wird die Klägerin mit ihren Forderungen ausfallen.

4

Die Firma ... GmbH wies in der Bilanz vom 06.12.1999 per 31.12.1998 einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag in Höhe von 97.625,65 DM aus. Die Bilanz vom 03. März 2000 zum 31.12.1999 ergab eine Erhöhung des Fehlbetrages auf 139.590,41 DM.

5

Die Klägerin ist der Ansicht, dass der Beklagte spätestens Ende Dezember 1999 hätte Insolvenzantrag stellen müssen.

6

Die Klägerin beantragt,

wie erkannt, allerdings mit der Massgabe, dass 8% Zinsen über dem Basiszins auch für die Zeit vor dem 1.1.2002 verlangt wurden.

7

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Er vertritt die Ansicht, die GmbH sei bis unmittelbar vor Stellung des Insolvenzantrages nicht überschuldet gewesen. Seine mit Vertrag vom 27.11.1997 (Bl. 62 ff. d.A.) vereinbarte Einbringung seiner Einzelfirma ... Verpachtung habe zu einer Erhöhung des Eigenkapitals um die Einlage im Wert von 617.971,94 DM per 31.12.1998 und 202.451,29 DM per 31.12.1999 geführt, so dass das Eigenkapital noch nicht verloren gewesen sei, sondern bei 520.346,29 DM per 31.12.1998 und 62.860,88 DM per 31.12.1999 gelegen habe. Eine Verpflichtung aus § 64 GmbHG habe daher vor Entstehung der Forderungen der Klägerin nicht bestanden.

Entscheidungsgründe

9

Die Klage ist begründet.

10

Die Klägerin hat Anspruch gem. § § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit § 64 Abs. 1 GmbHG auf Ersatz des ihr durch verspätete Stellung des Insolvenzantrages für die Fa. ... GmbH durch den Beklagten als Geschäftsführer dieser GmbH. erwachsenen Schadens im Umfang des zuerkannten Betrages.

11

Die Klägerin ist entgegen der Ansicht des Beklagten aktiv legitimiert. Die einzelnen Neugläubiger sind nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs befugt, ihren nicht auf Ersatz eines Quotenschadens begrenzten Anspruch auf Ausgleich ihres negativen Interesses gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit § 64 Abs. 1 GmbHG gegenüber dem Geschäftsführer der GmbH auch in deren Konkurs - selbst geltend zu machen (vgl. BGHZ 126, 181, 201 [BGH 06.06.1994 - II ZR 292/91]; BGHZ 138, 211 [BGH 30.03.1998 - II ZR 146/96]).

12

Der Beklagte war unstreitig Geschäftsführer der Fa. ... GmbH. In dieser Funktion hat er seine Verpflichtung aus § 64 GmbHG zur unverzüglichen Stellung des Insolvenzantrages bei Vorliegen eines Insolvenzgrundes verletzt. Er hätte nach dem eigenen Vortrag spätestens in 1999 Insolvenzantrag stellen müssen, da die GmbH i.S.d.. § 19 InsOüberschuldet war.

13

Nach den vorliegenden Geschäftszahlen hatte die Gemeinschuldnerin für die Jahre 1997 - 1999 stets Verluste bei stetigem Umsatzrückgang erwirtschaftet, nämlich

JahrVerlustUmsatz
199781.062,11 DM11.893.831,00 DM
1998108.057,50 DM6.776.222,00 DM
199941.964,76 DM5.901.495,00 DM
14

Dementsprechend wurden in 1998 und 1999 nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbeträge ausgewiesen, und zwar

per 31.12.199797.625,65 DM
per 31.12.1998139.590,41 DM.
15

Bei dieser Sachlage war der Beklagte spätestens bei Kenntnisnahme der Bilanzzahlen zum 31.12.1998 gem. § 64 GmbHG zur Stellung des Insolvenzantrages wegen Überschuldung der Gesellschaft verpflichtet.

16

Sämtliche organschaftlichen Vertreter eines beschränkt haftenden Schuldnerunternehmens trifft die Pflicht zur ständigen Eigenprüfung, ob ein Insolvenzgrund vorliegt. Der organschaftliche Vertreter einer antragspflichtigen Gesellschaft kann sich nicht auf die Erkenntnisse und Beurteilungen seines Steuerberaters verlassen (vgl. Gottwald/Uhlenbruck, Insolvenzhandbuch, 2. Aufl., § 6 Rz. 21). Die permanente Eigenprüfungspflicht des organschaftlichen Vertreters heisst zwar nicht, dass dieser täglich zur Erstellung eines Überschuldungsstatus verpflichtet ist. Jedoch entsteht diese Verpflichtung, wenn sich aus der Handelsbilanz, einem Zwischenabschluss oder sonstigen Umständen Anlass zur Prüfung ergibt, wie z.B. bei Ausweis eines nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrages (§ 268 Abs. 3 HGB) oder bei Ausweis von Verlusten in einer die Lebensfähigkeit bedrohenden Höhe (Gottwald/Uhlenbruck, a.a.O.. Rz. 27). Demnach hätte es dem Beklagten oblegen, nach Feststellung der bilanziellen Überschuldung eine Fortbestandsprognose und auf deren Basis einen Überschuldungsstatus mit Liquidations- oder aber Fortführungswerten zu erstellen. Da ein derartiger Status unstreitig nicht erstellt wurde, ist - auch wenn zugunsten des Beklagten eine positive Prognose unterstellt wird - von den Bilanzwerten auszugehen, die - wie oben dargelegt - eine deutliche Überschuldung auswiesen. Der Beklagte behauptet auch selbst nicht, dass sich bei dem im Falle einer positiven Fortführungsprognose vorzunehmenden Ansatz von Verkehrswerten von den Bilanzansätzen abweichende Zahlen ergeben hätten. Im Übrigen trifft den Beklagten zumindest die Darlegungslast, inwiefern angesichts der drastischen Umsatzrückgänge eine positive Fortführungsprognose hätte gestellt werden können und welche Werte im Überschuldungsstatus abweichend von der Bilanz in Ansatz zu bringen gewesen wären. In Ermanglung einer solchen Darlegung kam eine der Beweisermittlung dienende Beweisaufnahme mittels Sachverständigengutachten zur Überschuldung der GmbH nicht in Betracht.

17

Soweit der Beklagte eine Überschuldung im Hinblick auf seine Einlage als stiller Gesellschafter als nicht gegeben ansieht, steht dem die Ausgestaltung der stillen Gesellschaft im Vertrag vom 27.11.1997 (Bl. 62 ff. d.A.) entgegen. Die darin vereinbarte stille Beteiligung war nämlich in der Bilanz der GmbH und im Überschuldungsstatus zu passivieren. Denn die Einlage des stillen Gesellschafters (§§ 230 ff. HGB) gehört nicht zum Eigenkapital der Gesellschaft, soweit sie den Betrag des auf den Stillen entfallenden Verlustes übersteigt. Der stille Gesellschafter kann insoweit seinen Anspruch auf Rückzahlung der Einlage gemäß § 236 Abs. 1 HGB als Insolvenzgläubiger geltend machen. Auch soweit die stille Einlage kapitalersetzenden Charakter hat, darf sie nicht ohne weiteres außer Ansatz bleiben (vgl. Münchner Kommentar zur Insolvenzordnung § 19 Rz. 108; Gottwald/Uhlenbruck, a.a.O.. Rz. 45; BGH ZIP 94, 295 ff.). Etwas anderes kommt nur dann in Betracht, wenn der stille Gesellschafter eine qualifizierte Rangrücktrittsvereinbarung getroffen hat, die festlegt, dass die Forderung nur aus einem Jahresüberschuss oder einem Liquidationsüberschuss befriedigt wird und damit ein zustandsunabhängiger Anspruch nicht mehr besteht (vgl. MK a.a.O.. Rz. 106; Gottwald/Uhlenbruck, a.a.O..; Kübler/Prütting, InsO, § 19 Rz. 14; Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, § 19, Rz. 26). Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Behandlung eigenkapitalersetzender Gesellschafterleistungen im Überschuldungsstatus (vgl. z.B. BGHZ 124, 282 [BGH 06.12.1993 - II ZR 102/93]; BGH NJW 2001, 1280 [BGH 08.01.2001 - II ZR 88/99]). Aus der vom Beklagten in Bezug genommenen Kommentierung von Küting/Weber (Bl. 68 d.A.) ergibt sich nichts anderes, da die darin für die Bilanzierung als Eigenkapital im Einzelfall angeführten Kriterien, wie volle Verrechnung mit Verlusten oder Rangrücktritt, ebenfalls nicht vorliegen. Die Verlustbeteiligung gem. § 7 des Vertrages war nämlich dadurch begrenzt, dass das bereits verlorene Eigenkapital der GmbH. mit 500 TDM bewertet und damit eine Minderung der Verlustbeteiligung des stillen Gesellschafters bewirkt wurde.

18

Selbst wenn aber das Kapital der stillen Gesellschaft als Eigenkapital zu werten gewesen wäre, hätte eine Antragspflicht aus § 64 GmbHG für den Beklagten bestanden. Denn der eklatante Umsatzeinbruch und die Reduzierung des Eigenkapitals von 520.346,29 DM per 31.12.1998 auf 62.860,88 DM per 31.12.1999 hätten jedenfalls Veranlassung zur Erstellung einer Fortführungsprognose und eines darauf basierenden Überschuldungsstatus geben müssen. Das gilt insbesondere auch deshalb, weil ein wesentlicher Teil der Aktiva aus einer Forderung von ca. 745.000.- DM gegen den Beklagten bestand. Die Werthaltigkeit dieser Forderung war zumindest zweifelhaft, da - nach den Ausführungen in dem vom Beklagten selbst vorgelegten Gutachten Deitmer - die Liquidität des Beklagten bereits 1997 stark angespannt war. Mangels Darlegung einer positiven Fortführungsprognose für den Zeitpunkt der Vorlage der Bilanz 1999 durch den Beklagten ist von einer Bewertung auf der Basis von Liquidationswerten auszugehen, die - angesichts der unstreitig ausschliesslich im Betrieb der GmbH gegebenen Nutzungsmöglichkeit wesentlicher Teile des Anlagevermögens (EDV-Ausstattung) - keine auch nur annähernd den Passiva entsprechendes Aktivvermögen ergeben hätte.

19

Da die Klägerin unstreitig mit ihren im Jahre 2001 entstandenen Forderungen in Höhe von 161.113,85 EUR gegen die GmbH. ausfallen wird, ist der Beklagte zum Ersatz dieser Verluste verpflichtet, da bei rechtzeitiger Antragstellung die Klägerin von der Beauftragung der GmbH mit dem Forderungseinzug abgesehen hätte.

20

Zu dem aus der verspäteten Antragstellung erwachsenen Schaden gehört auch der nicht realisierbare Anspruch auf Verzugszinsen gem. den §§ 284, 286 BGB. Dabei war jedoch - neben der Korrektur eines offensichtlichen Schreibfehlers zum Zinsbeginn bgzl. der Rechnung vom 16.7.01 - beim Zinssatz die erst zum 1.1.2002 erfolgte Änderung des gesetzlichen Zinssatzes zu berücksichtigen.

21

Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91, 92, 709 ZPO.